Moneten-Allergie

von Michael Laages

Hamburg, 28. April 2019. Diese Geschichte hat viele erstaunliche Seiten. Der gebürtige Leipziger Sewan Latchinian (Jahrgang 1961) war als Schauspieler eine besondere Größe am Deutschen Theater in Berlin, vor der Wende, mittendrin und danach. Auch er prägte die Ensembles von Dieter Mann und Thomas Langhoff; und er gehörte zum jungen Gründer-Team der DT-Baracke.

Für zehn Jahre leitete er mit Verve das Theater in Senftenberg, der Wechsel nach Rostock aber brachte kein Glück – auf höchste unfeine Art wurde er dort nach nur zwei Jahren vom Hof gejagt. Die neue und gute Nachricht für Latchinian: Neuerdings hat ihn Axel Schneider als Partner gewonnen für die künstlerische Leitung des feinen kleinen Theaters, das ehedem im Haus des einstigen Jüdischen Kulturbundes gegründet und von der Schauspielerin und Regisseurin Ida Ehre seit frühester Nachkriegszeit geleitet wurde: die Hamburger Kammerspiele.

Latchinian als Schauspieler und Regisseur

Als Ida Ehre starb, gehörte auch die gerade verstorbene Ellen Schwiers zu den Leitungsteams im Übergang, bevor Ulrich Waller und Ulrich Tukur dem Haus eine Blüte wie nie zuvor bescherten. Auch das ist schon wieder eineinhalb Jahrzehnte her - die Kammerspiele sind Geschichte pur, für Hamburg und darüber hinaus. Axel Schneider leitet sie heute im Doppelpack mit dem Altonaer Theater. Einen wie Latchinian kann er (und können die Kammerspiele) gut gebrauchen. Als Schauspieler hat sich der Neue schon vorgestellt: in Jean-Claude Beruttis Inszenierung "Die Nervensäge", Francis Vebers Stück nach dem legendären "Filzlaus"-Film mit Lino Ventura und Jaques Brel.

Nein zum Geld 560 HamburgerKammerspiele uGeselligkeit auf der Multifunktionsbühne von Stephan Fernau © Bo Lahola

Mit seiner ersten Regie-Arbeit allerdings hat Latchinian nicht viel Glück. "Nein zum Geld!", die Komödie der Französin Flavia Coste, ist zwei Jahre alt, und gerade hat Tina Engel am Renaissance-Theater in Berlin die deutschsprachige Erstaufführung inszeniert. Leider beschäftigt sich das Stück auf sehr unordentliche Art mit einer wichtigen Frage: Wie halten wir halbwegs aufgeklärten, prinzipiell wohlhabenden Bürger es mit der Macht des Geldes? Besitzen wir es, oder besitzt es uns?

Architekt mit Grillen im Kopf

Richard Carré ist Architekt und hat eine Menge Grillen im Kopf. Als umweltschonende Pfahlbauten will er neue Seniorenheime bauen, das eigene Heim hat er so platzsparend kreiert, dass er nicht nur Bett und Sofa, sondern quasi alles aus der Wand klappen kann; auch darum bietet Stephan Fernaus Nussschalen-Raum auf der winzigen Bühne der Kammerspiele allerhand Überraschungen.

Costes Text aber hat leider wirklich nur eine Idee: Der Architekt hat 162 Millionen im Lotto gewonnen, will das Geld aber nicht, und zwar mit halbwegs guten Gründen. Als er diese Gewinn-Verweigerung nun Gattin, Mutter und bestem Freund erklärt, öffnet Costes Idee in Hamburg nicht die Spur von Echoraum für ein gesellschaftliches Experiment.

Nein zum Geld2 560 HamburgerKammerspiele zVon der Familie platt gemacht: Götz Schubert als idealistischer Architekt © Bo Lahola

Götz Schubert als schrägen Visionär mit der Moneten-Allergie (und immer barfuß mit Sandalen) umgeben mit Juschka Spitzer, Hannelore Dröge und Ulrich Bähnk nämlich nur Chargen der mittelprächtigen Sorte – vor allem die Frau Mama, immer auf der Jagd nach jüngeren Lovern und mit reichlich Talent, jeden sofort zu vertreiben. Auch die Lehrerin, mit der der Architekt gerade ein Kind bekommen hat (das per Babyphone permanent das Stück durchquäkt), ist für Richards Moral-Programm nicht zu gewinnen, und erst recht nicht der Freund, der offenbar mit ziemlich viel Geld das gemeinsame Architektur-Büro in Gang gehalten hat: für Richards visionäre Bau-Rosinen im Kopf.

Allerweltsgeblödel

Ihnen allen wäre geholfen mit Richards Millionen, der Gewinner aber will, dass sich Freunde und Familie an sich genügen, ohne Geld und nur in Liebe verbunden. Der weltfremde Träumer wird schließlich zum Opfer der gierigen Bande – sie operieren ihm den erstaunlicherweise noch gültigen Lottoschein aus dem Mund, nachdem er ihn verschlucken wollte.

Das könnte ein wirklich grobes, blutiges Ende werden – wenn Latchinians Inszenierung sich nicht so intensiv auf das Allerwelts-Geblödel zuvor eingelassen hätte. Passagen gibt's, die sind eigentlich nur durch Weghören zu ertragen. Und weder Autorin noch Regisseur gelingt es, die auseinander strebenden Spiel-Fäden angemessen zu verdichten.

 

Nein zum Geld!
von Flavia Coste
Regie: Sewan Latchinian, Ausstattung: Stephan Fernau, Dramaturgie: Anja Del Caro.
Mit: Ulrich Bähnke, Hannelore Dröge, Götz Schubert und Juschka Spitzer.
Premiere am 28. April 2019.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.hamburger-kammerspiele.de

 

Kritikenrundschau

Nur "bedingt überzeugt" ist Maike Schiller vom Hamburger Abendblatt (30.4.2019): "Der eigentliche Star, neben dem hervorragend aufgelegten Götz Schubert in der Rolle des Reichtumverweigerers Richard, ist dabei die Bühne von Stephan Fernau." Die Dialoge schwankten "zwischen ernsthafter Auseinandersetzung, trockener Analyse und etwas lahmen Anspielungen." Zudem komme das Ensemble zu Beginn nur schwer in Gang, drehe dann aber immer mehr auf: "die Komödie wird zur makabren Groteske: Maman, Ehefrau und bester Freund mutieren zu geldgeilen Zombies, bis das Blut spritzt und die Kulisse wackelt."

Kommentare  
Nein zum Geld, Hamburg: feinsinnig inszeniert
War ich im selben Theater, wie der Kritiker?
Ich erlebte ein begeistertes Publikum, eine sehr feinsinnige Inszenierung, einen grandiosen Götz Schubert in der Hauptrolle.
Gerade in dem Edelviertel an der Rothenbaumchaussee ein wohltuend subversiver Abend zu einem brisanten Thema zu dem es leider noch keinen besseren Text gibt, aber so schlecht ist das Stück dann doch nicht.
Ich bin gespannt auf mehr von Latchinian.
Nein zum Geld, Hamburg: Schubert ist ein Ereignis
Ich war gestern Abend bei der Premiere in den Kammerspielen in Hamburg, und habe diesen tollen Abend komplett anders wahr genommen. Götz Schubert ist ein Ereignis, glaubhaft, komisch, zerrissen, ein begnadeter Schauspieler, der mit einer Leichtigkeit zu berühren vermag, das hätte man in der Kritik schon erwähnen können. Das Stück ist ja kein Versuch, dieses große Thema in allen Facetten und Tiefen auszuloten, aber eine intelligente und humorvolle und überraschende Versuchsanordnung, die Herr Latchinian toll umgesetzt hat, das Publikum war begeistert. Und ich auch.
Nein zum Geld, Hamburg: genau gearbeitet
zu 1.
Hat der Kritiker vielleicht nicht nur weggehört, wie er schreibt, sondern auch weggeschaut? Das Stück gelesen? Scheint etwas anderes erwartet zu haben, als das Stück kann. Würde die Differenz erklären.
Hat nämlich mich auch sehr erreicht das Werk. Nicht nur wegen Schubert. Der Schauspieler, der übrigens Bähnk mit Nachnamen heisst, nicht Bähnke, war sehr witzig, wie auch seine beiden Kolleginnen, auch die Droege, nicht Dröge. Alle haben sehr dicht miteinander gespielt mit intelligenter Komik. Auch mit Sinn für Timing, Dynamik und Pausen. Tolle, mutige Pausen übrigens. Fand die Entwicklung vom realistischen Schauspiel, zur Komödie, dann zur comedy, später zur Farce und am Ende zur Groteske sehr gelungen. Scheint auch im Text so angelegt, und ist in der Regie sehr genau herausgearbeitet worden. Das Lachen ist mir oft im Hals stecken geblieben. Hatte insgesamt echt Vergnügen.
Nein zum Geld, Hamburg: Es hat sich gelohnt
Wir sind extra nach Hamburg gefahren, um endlich mal wieder etwas von Sewan Latchinian zu sehen, der ja leider nicht mehr in Rostock ist und wir wurden nicht enttäuscht. Dieser Abend macht einfach Spaß und danach haben wir lange diskutiert. Das Stück lässt Fragen offen, aber die, die gestellt werden sind hochaktuell und Sewan Latchinian hat es geschafft, genau daraus einen lebendigen, saukomischen und spannenden Theaterabend zu machen. Bis nach Hamburg ist es ein Stück, aber wir kommen auf jeden Fall wieder, wenn er im Herbst seine erste Inszenierung als künstlerischer Leiter an den Kammerspielen zeigt.
Nein, zum Geld, Hamburg: weitere Stimme
Ich denke, es müßte im Pressespiegel nicht "Maik", sondern "Maike Schiller" heißen. Außerdem bemerkt sie zum Stück, hierin der Aussage des Herrn Laages verwandt, daß es nur bedingt überzeuge, zumal sich Sewan Latchinian arg Zeit dafür lasse.
Eine zweite Kritik, jene von Monika Nelissen ("Die Welt") bemängelt diesen "Längebefund" in ihrem Verriß noch deutlicher; sie befindet:
"Getretener Quark wird breit nicht stark." und führt aus:"Nicht, daß Flavia Costas (es müßte wohl Costes heißen, AZ) Komödie "Nein zum Geld" von der Idee her Quark wäre, sie wird hier nur derart von Regisseur Sewan Latchinian ausgewalzt, daß bereits bis zur Pause alles Interesse erlahmt ist."
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Danke, liebe Herr Zarthäuser, wir haben den Namensverschreiber bei Maike Schiller korrigiert und bitten um Verzeihung für das Versehen.
jnm / für die Redaktion
Nein zum Geld, Hamburg: tolle Stillephasen
zu 5.
Schrieb deshalb eben, dass ich mehrere Stillephasen so toll fand, weil eben der Komödienmotor bewusst verweigert wurde, um die Unfassbarkeit der Wendungen für die Figuren nicht glatt zu walzen.
Wer es freilich eilig hat im Theater, warum auch immer, kann darüber auch verärgert sein. War und bleibe für diese Ernsthaftigkeit bei einer Art Komödie jedoch dankbar.
Nein zum Geld, Hamburg: 7 Sekunden
@ 5.
Wie das Interesse eines Zuschauers oder einer Kritikerin an der Geschichte schon vor der Pause erlahmen soll, wenn 7 Sekunden vor der Pause sich überraschend herausstellt, dass die Frist des Lottoscheins für die 162 Millionen doch noch nicht abgelaufen ist, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Ich jedenfalls war wie hunderte andere Zuschauer in der Pause sehr gespannt auf die zweite Hälfte.
Nein zum Geld, Hamburg: Eigenerfahrung
# 6 und 7
Vielen Dank für die Hinweise; meine eigene Erfahrung mit dem Abend steht ja auch noch aus. Was auffällt, ist aber jetzt bereits, daß drei KritikerInnen diese Inszenierung eher mit Skepsis beziehungsweise zu weiten Teilen ablehnend besprechen , die Kommentatorinnen und Kommentatoren, auch jene Stimmen im Abendblatt-Thread, sich hingegen (sehr) positiv äußern.Ich bin gespannt, aus welchen Gründen ich in diesem Spektrum wo landen werde und mich diesbezüglich hier zurückmelden. So sehr ich auch in der Rostock-Causa hinter Sewan Latchinian stand, davon soll diese Reaktion auf den Abend nicht bestimmt sein (ich sah unter seiner Regie in Rendsburg seinerzeit beispielsweise "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" und mußte mich fragen, was er mit diesem Stoff, von diesem Stoff eigentlich gewollt haben könnte, außer einem recht bornierten Publikum, so es sich finden sollte, einige Gelegenheiten zu bieten, sich zu beölen und in eine unerreichbare Erhabenheit über den Stoff zu verflüchtigen); daß Rostocker nun jedoch nach Hamburg zu den Kammerspielen "pilgern", klingt wieder irgendwie spannend, und es wäre schön, wenn mir demnächst von denen auch die Eine oder der Andere über den Weg laufen würde.
Nein zum Geld, Hamburg: Kampfansage
Eigentlich ist am 29. Mai, an jenem Abend, den ich besuchte, heute ist dazu die letzte Gelegenheit (und es sind noch reichlich Karten zu haben im hinteren Parkett; an anderen Tagen, so auch an meinem, war die Auslastung, sagen wir es so: nicht berauschend, was mir allerdings einen sehr guten Platz für wenig Geld (verhältnismäßig) ... einbrachte), so ziemlich genau das eingetreten, was ich zuvor vermutete, nämlich, daß ich hier irgendwie zwischen die Stühle der diversen KritikerInnen- bzw. KommentatorInnenstimmen landen würde letztlich. Auch bei mir hat das zunächst, siehe die Nachtkritik zu ihrem Beginn, mit "Geschichte" zu schaffen, Geschichte, sofern ich sie selbst erlebte. Ich erlebte Sewan Latchinians Intendanz in Rostock, und ich erlebte Götz Schubert in seiner Leipziger Zeit an Sebastian Hartmanns Centraltheater; seither zählt dieser Spieler (ich erinnere mich sehr gerne an die Kantinengespräche mit Linda Pöppel und ihm im Rahmen der "Umdreharbeiten" zum Finale des Centraltheaters, Stichwort gegenüber Herrn Schubert wäre "Irina Palm") für mich zu meinen Favoriten, und natürlich freute ich mich irgendwie, ihn dann als Ensemblemitglied des Hamburger Schauspielhauses wiedersehen zu dürfen, überzeugend in der Rolle des Komponisten Jerome in Ayckburns "Ab jetzt" beispielsweise; insofern lohnte sich für mich persönlich der Gang bereits im Vorfeld aus zwei Gründen: Erstens konnte ich Götz Schubert nun ein weiteres Mal erleben, aus überraschend günstiger Nähe zudem, und zweitens war das für mich, Asche über mein Haupt, überhaupt die erste Inszenierung, die ich an den Kammerspielen Hamburg sah ! Nun ja, und dieses Erstens und Zweitens stimmt mich von vornherein für das Unternehmen ein, diesen Abend aufzusuchen, nun: ihn aufgesucht zu haben. Verstärkt wurde bei mir die Wirkung dieses Abends zudem durch den Kontrast, welcher zwischen dem "Hamburger Menetekel" (am 26.5.), über das es so wenig zu lesen gab bislang (über jenes lange Wochenende der drei Male durchgespielten Futorologischen Kongresse bzw. der Zukunftsmusiken) und "Nein zum Geld" 3 Tage später zu verzeichnen war. Auf der einen Seite jene sehr gelungene Arbeit, die als bislang stärkster Theaterwiderhall auf die "Fridays for Future" vermutlich guten Anspruch erheben darf, in all ihren Widersprüchen auch, auf der anderen Seite die Komödie über einen 162-Millionen-
Gewinner, dessen Welt , dessen persönliches Umfeld an seiner eigenbrötlerisch erwirtschafteten Entscheidung, den Gewinn nicht nur auszuschlagen, sondern auch seine Entscheidung so zu zelebrieren, daß ihr Ausdruck gerade nicht der zerrissene Schein wird, zerbirst, zwei "Dystopien" im Grunde, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten ! Was für mein "Plädoyer" für je persönliche Spielpläne, für "Trilogien" beziehungsweise einander stark kontrastierende Abende, wie , so zusammengestellt, vielleicht nur wenige sie erlebt haben werden, spricht; tatsächlich konnte ich bei mir den Gedanken kaum abwehren, wie groß wohl die Schnittmenge aus "Hamburger Menetekel"
und "Nein zum Geld" ausfiele, könnte bzw. wollte man dem ernshaft nachspüren. Nun ja, Geschichte !, ähnlich schlecht ist vor dem Hintergrund Volkstheater und Centraltheater, wo Geld und Auslastung ganz erhebliche Bedeutung hatten, auch nicht wegzudrücken, daß 162 Millionen sehr wohl eine ganze Ära Latchinian bzw. Hartmann hätten bedeuten können, wenn man so will, nehmen wir den Lottogewinner , je nachdem als Volkstheaterfreund und Mäzen beziehungsweise als Centraltheatermäzenfreund, erst recht, wenn Götz Schubert im Programmheft auf die Frage, was er mit dem Geld anstellen würde bzw. den Gewinn überhaupt antreten, das Programmheft nennt ua. auch einen Reutlinger Fall aus der Wirklichkeit, wo 11,3 Millionen Euro bis zum Stichtag 31.12.2020 noch auf Frauchen oder Herrchen warten, einen eigenen Kinofilm oder die Leitung eines eigenen Stadttheaters andenkt.

Auch das spricht für Götz Schubert als einen Schauspieler mit Leib und Seele, daß ihm zunächst spezifische Möglichkeiten in den Sinn kommen, die mit seiner Berufung zu schaffen haben. Als ich freilich "eigener Film" in Verbindung mit jenem Kontrast zwischen dem "Hamburger Menetekel" und "Nein zum Geld" las, schwelgte ich schon wieder halb zurück zu den "Umdreharbeiten" und meiner "Peter Pan"-Rolle, die ich, im Schildkrötenkostüm steckend, wohl eher verfehlte, ich glaube, ich habe da aus der Schildkrötenwäsche heraus letztlich wohl kaum anders dreingeschaut wie Götz Schubert in seiner finalen Einstellung in "Nein zum Geld", wobei das bei ihm natürlich paßte, folgerichtig war und als Bild so konzentriert und gesammeltm daß allein dieses bleibt ("A view to a kill"). Aber was für ein Titel: "UMDREHARBEITEN" , erst recht für eine Schildkröte, auch für eine römische TURTLE-Formation: "A view to Achilles !" Denn "Umdreharbeiten" trifft im Kern letztlich beide Theaterabende, so unterschiedlich sie auch sein mögen; nicht zuletzt kam das 180-Grad-Motiv bei den Graffitis ja auch vor, auch im Malersaal (zum Cyber-Komplex) begegnete ich quasi meiner Suche nach einer anderen Schildkröte, fand aber "Welt am Draht" letztlich nicht als Assoziation meines ersten Kongreßraumes, und auch das Stück "Nein zum Geld" dreht sich ja vor allem erst einmal um : "Geld war mal ein einfaches Tauschmittel, seit wann ist es -eigendynamisch- mehr als das ?", fragt es, es fragt aber auch, biographisch, etwa: "Wieso wurde die Verzärtelung Richards so lange tabuisiert beispielsweise, und warum fährt ein Paar seit 10 Jahren in der Berge, wo doch beide Partner lieber ans Meer gefahren wären, was an so einer Ehe ist, verwandt zur Inversion des Geldes ?!, mit-invertiert ??
Und, wo ich schon beim Schildkrötentempo bin und bei Rückblicken; was Poster 5 über die stillen Passagen sagte, über den Bruch der Komödiendynamik, habe ich nicht so (stark) empfunden, wohl auch nicht empfinden können, da aus den 2:20 Stunden der Premiere (inklusive Pause) nunmehr ziemlich glatte 2 Stunden geworden waren
und damit das Komödiengeklapper und die Charge sehr wohl Raum griffen, wenngleich ich das weniger "peinlich" (oder zum Weghören) empfand als der Nachtkritiker; und die Personen werden durch das Stück charakterlich auch zu wenig entwickelt, um wirklich eine regelrechte Exposition gut zu vertragen (das Stück selbst finde ich, bis auf einige Ausnahmen, Götz Schubert nennt im Programmheft selbst eine solche Stelle, "Es ist einfach Prinzipien zu haben, wenn man nicht gewinnt", da muß ich dem Nachtkritiker schon beipflichten, schließlich versucht keiner der drei Akteure um Jerome sich ernsthaft auf seinen Standpunkt einzulassen, für die 53 Millionen etwa, die am Ende ja auch dem Trio winken, in eine Welt hinein und von einer Welt aus mit "Freitagsdemonstrationen", mit "Systemfrage" (siehe HH-Menetekel) , mit deutlichem Zug zur Paragraph-16-Dynamik des Grundgesetzes etwa zur "Sozialverpflichtung des Eigentums", sich selbst Rechenschaft zu geben darüberhinaus. Jerome aber, sein Architektentraum, geht/gehen mir auch nicht auf, denn gerade Luftschlösser sind es ja, die "man" mit diesem Geld wirklich umsetzen könnte, oder ??). Dennoch habe ich es so erfahren, daß der Abend ganz gut "funktioniert", daß die Pausengespräche vor allem engagiert und teilweise fast hitzig, meistens aber auf sich selbst zurückgeworfen (ähnlich wie durch die Fragen an die vier Akteure im Programmheft) verliefen und die Stimmung im Theaterraum nicht uninteressant war, "Boulevard" (und sicher nicht der beste), der überraschend aufmerksam, gelegentlich, von einigen älteren Leuten, szenenweise kommentierend sogar verfolgt wurde, was für einen kleinen "Tumult" im Stile der "Behrens-Kolumnen" sorgte -ich bin sonst für Störungen auch eher auf der Seite einer gewissen (grundsätzlichen) Empfindlichkeit, war aber in diesem Konkreten Fall sogar eher zugewandt, das Stück läßt nicht fürchten, viel zu verpassen-).

Zweifellos überholt Achilles, ein Kritiker wie Herr Laages zumal, diese Inszenierungs-Schildkröte; im Paradox des Zeno freilich erreicht er sie irgendwie nie recht, und das Funktionieren des Stückes im nicht sehr gut besetzten Theaterraum der HH-Kammerspiele hat für mich etwas von diesem Paradox, und zumindestens der Panzer, der schweåigendes Publikum von bewegtem, lebendigem trennt, wird durch die großen Auslassungen des Stückes ein wenig aufgebrochen. Wer den Stücktitel freilich programmatischer gefaßt haben mag, etwa als Kampfansage des Regisseurs, als Wink noch einmal gen Rostocker Erfahrungen und aus ihnen heraus, findet hier desweiteren nichts (aber, das muß nicht so bleiben, wenn das Thema ("GELD" ?!?) tiefer behandelbar ist, so sehe ich noch nicht, warum dieser atmosphärische Einstieg in dieses nicht wirklich ein solcher gewesen sein sollte; ich bin also gespannt auf den nächsten , den übernächsten Latchinian). Ja, schön Herrn Schubert wieder einmal auf der Bühne erlebt haben zu können, mit einem etwas kleineren Keybord als es in "Ab jetzt" der Fall gewesen ist freilich..
Nein zum Geld, Hamburg: neue Luft
Naja, da sind mir gestern dann schon so ein paar unvollendet gebliebene (Klammer-) Sätze, Groß-Kleinschreibungskinken und dergleichen mehr passiert, aber ich wollte mein Versprechen, mich zu der Inszenierung zu äußern, gestern zeitig einlösen, auch um noch einmal die Dernieremöglichkeit anzumerken, auch wenn meine Form gestern nicht die beste war; ein Fehler, den ich aber wirklich beheben muß, ist der Hinweis auf den Malersaal des Hamburger Schauspielhauses , denn hier muß es schlicht "Mittelrangfoyer" heißen. Der Raum -im Zuge des "Hamburger Menetekels", auch hier versprach ich Resonanz und werde diese Schrittweise auch angehen, "Duran Duran" sagt fast "Eile mit Weile"- zum Thema "Digitalisierung/Krise der Demokratie", eingerichtet vom Niels-Stensen-Gymnasium Harburg als "Zukunftslabor Harburg" auftretend, befand sich im Mittelrangfoyer des Hauses , war meine erste Station (als "Chaos" auf der Rosa-Route des 26.5.) und stellte einen zum Publikum hin offenen schwarzen Raum dar, der mit Assoziationen zum Thema mit weißer Farbe , von "Truman Show" über "Alexa is watching you" bis "Dystopie" ("Welt am Draht" wäre wie "Matrix" oder auch "The Circle" genau in diesen Kontext gefallen, und wie in "Nymphomaniac" findet sich auch in "Welt am Draht" der Hinweis auf Zenos Paradoxon, dies der Hintergrund; zu "Grace/Schildkröte" bzw. "Grace/Achilles" führen auch "Arizona Dream" von Emir Kusturica bzw. "Dogville" von Lars von Trier -auch Motivreihen sind gelegentlich wie Menetekel-) ausgeschrieben war bzw. weiter ausgeschrieben wurde während unseres "Besuches" der Station (einer von sieben; jeder "Kurs" (farblich gekennzeichnet) sah drei Stationen vor) -dazu später mehr- . Dieser Fehler ist aber beinahe selbst wie ein "Zeichen", Fehler können da gelegentlich wie Widerstände wirken, um noch einmal (in neuer Luft) auf einen Gegenstand sich zu beziehen, können mithin selbst wie "Lottogewinne" sein, Einsichten vermitteln (siehe die Fehlleistungen Sigmund Freuds); tatsächlich war ich an dieser Stelle wohl auf "Malersaal" gekommen, weil dieser in meiner groben (im "Kopf" bereits vorliegenden Vorformulierungsmatrix) tatsächlich eine Schnittstelle markiert, bei der ich ansetzen wollte und, da ich plötzlich von Anselm Weber und Frankfurt las, denn mit einer Anselm-Weber-Inszenierung, jener von "Familiengeschichten Belgrad" (im Malersaal),
aus der Spielzeit 1999/2000 hat es zu schaffen, warum der Blick nach 20 Jahren im Rahmen einer Theatersache zu Graffitis quasi 20 Jahre zurückschweift. Seinerzeit las ich das Stück und wehrte mich an einer Stelle gegen den Text der Autorin, der das Spielmilieu betrifft :"Ein Kinderspielplatz in einer Vorstadtsiedlung von Belgrad.Heruntergekommene Architektur aus den Zeiten des sozialistischen Realismus, löchriger Asphalt, zerfurchte Rasenfläche
zwischen zwei Wohnblocks. Vernachlässigte, mit inhaltlosen Grafittis übersäte Fassaden." Tatsächlich, ich störte mich damals an dieser -durchaus legitimen- Setzung der Autorin, an den (vermeintlich) inhaltlosen Grafittis (es ist auch irgendwie lustig, daß das "Grafitti" dort geschrieben wird, heute aber wohl "Graffiti") namentlich (welche in einer Inszenierung Anselm Webers, er hat einige Stücke Biljana Srbljanovics inszeniert, wozu es auch Nachtkritken gibt, auf mich warten sollten), um nun, 20 Jahre später, einen Abend zu möglichen Inhalten solcher Graffitis an jenem Ort zu erleben ; zudem sah ich ja auch "Psychose 4.48" von Sarah Kane im Malersaal (die Katie-Mitchell-Inszenierung), in der es wohl mit einem Selbstmord durch den Sprung vor eine U- oder S-Bahn (in Abwandlung des Endes im Text der Autorin) endet (an jenem Tag, als ich das sah, hatte ich das Graffiti "KANE" (Diebsteich) zuvor erblickt an einer Betonwand im Verlauf der S-Bahnstrecke und dieses hier auf NK irgendwo vermerkt). All das holte mich, als Schildkröte, fast ein.

Was das Costestück angeht, um das es hier in diesem Thread aber eigentlich geht, vergaß ich auch noch eine Notiz:
Nein zum Geld, Hamburg: Was wäre?
Der Gedanke ist schlicht folgender: Was wäre denn, wenn ich im Lotto gewinnen würde und wirklich zauderte, diesen Gewinn auch einzulösen, ja sogar zauderte, es meiner Umgebung anzuvertrauen ? Vielleicht verfiele ich darauf, mir bewußt Zeit zu nehmen, duranduran, und eine Art Tagebuch-Roman im Für- und Widerstile dazu zu schreiben, gar eine Komödie, die ich sogar veröffentlichen würde, um zu sehen, wie ein Publikum damit umgeht; naja, ich möchte jetzt wirklich nicht annehmen, es verhalte sich bei Frau Coste in dieser Weise, aber lustig ist dieser Gedanke für mich irgendwie schon; ich konnte mir auch nicht verkneifen Reutlingen und Flavia Coste gemeinsam zu googeln, ich gestehe, aber vielleicht saß die Gewinnerin, der Gewinner ja auch eine Reihe vor mir oder hinter Ihnen, ob nun in der Berliner Inszenierung oder nun jener, gestern ausgelaufener, von Sewan Latchinian.. lg aus dem sonnigen Kiel-Wellingdorf
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