Schon sehr geil

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 10. Mai 2019. Sagt das quantenmechanisch interessierte Stubenmädchen zum gschaftelnden jungen Herrn: "Es gibt nichts zum Aufheben, wenn ich die Augen zulass." Von wegen patriarchale Herrschaftsverhältnisse: Der junge Herr Josef Ellers wird von Karoline Kuceras Stubenmädchen mit Stummfilm-Pantomime in den Boden geküsst. Den Liebhaber davor, Gerald Votava als Soldat, hat sie zum Tod durch Stromschlag verführt. Der Unterschied zwischen einem Kutschenunfall und politischen Wahlen? "Ich liebe Wale!" Was ist das nochmal für ein Stück?

Schnitzler aufs 20. Jahrhundert gestreckt

Am Bronski & Grünberg Theater inszenieren zehn Regisseur*innen Arthur Schnitzlers 1897 fertig gestellten "Reigen", zehn Sex-Szenen ohne Sex. Zehn Jahreszahlen prangen auf Leuchttafeln rund um die Bühne. 1900 (die erste und die letzte Szene wurden von der Gesamt-Regisseurin des Abends Ruth Brauer-Kvam inszeniert) passiert nah am Original-Text entlang. Schon 1920 (das ist das Jahr des Theaterskandals der Uraufführung in Berlin) wird davon gesungen, dass ein Penis keine Maschine ist, und 1980 dann (unter dem Titel "VHS-Kassette") ein Porno gedreht.

Auf Lacher gebürstet

Über das Jahr 2000 wagen sich die Szenen nicht hinaus. Es gibt kein Tinder. Es gibt genau die zehn Begegnungen zwischen je einem Mann und einer Frau, die Schnitzler geschrieben hat. Der eine geht zur anderen und die andere zum nächsten. Zum Sex treffen sich soziale Schichten. Bis am Ende der Graf den Reigen schließt und bei der Dirne vom Anfang erwacht. Zehn Regiehandschriften und zehn zeitliche Settings, das ist ziemlich disparat.

Reigen1 280h Philine Hofmann uSieht aus wie "Das große Fressen", ist aber Schnitzlers "Reigen" am Bronski & Grünberg © Philine Hofmann Die Szene von der Schauspielerin und dem Grafen heißt in der Bronski & Grünberg Fassung "Dr. Condom" und wurde von Julia Edtmeier (die zwei Auftritte als pragmatisch-schlagfertiges "süßes Mädel" hat) und Kaja Dymnicki inszeniert. Es ist das Jahr 1750, und Kimberly Rydell steckt in einem schäbigen Rokoko-Kleid. In einem überdrehten Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch und Französisch gibt sie Florian Carove als Graf zu verstehen, dass sie keine Kinder mag. Der kratzt sich manisch am Kopf und versteht nicht, dass er ein Kondom überziehen soll. Er sagt: "Also ich wär schon sehr geil jetzt." Weiter geht's mit "Ma Sherry" und der als Slapstick ausbuchstabierten Frage, wie Menschen in Rokoko-Kleidern denn überhaupt miteinander verkehren konnten.

In anderen Szenen wimmelt es nur so vor schlechten Witzen, solchen, die auf Kosten von Frauen, Ehefrauen oder Schwulen gehen. So wirkt der Abend streckenweise schwer verstaubt. Ist nicht Schnitzler, will pointenreiche Komödie sein, ist aber nicht permanent pointiert, sondern mehr so Bauchklatscher-Humor. David Schalko, Autor und Regisseur der Fernseh-Serien "Braunschlag" und "Altes Geld", verlässt sich in seiner Fassung von "Der Gatte und das süße Mädel" gar zu sehr aufs Kostüm. Äh. Auf die Riesen-Penis-Attrappe, die Claudius von Stolzmann vor sich her trägt. Um den Dialog geht's da längst nicht mehr. Das Publikum lacht. Hauptsache hau drauf.

Dabei kann der von Stolzmann auch so richtig feine, richtig abgedrehte Komödie spielen. In der Szene mit der jungen Frau mimt er neben Agnes Hausmann einen nervösen Gatten. Regisseurin Helena Scheuba verlegt das Geschehen nach 1990. Von Stolzmann tänzelt von Satz zu Satz. Hose runter, Hose rauf, Erwartung, Enttäuschung – rasant spielt er sich die Pointen vom Leib. Und das ist am Ende des Abends das Schönste an dem Abend gewesen: Zehn Schauspielenden beim Sich-Verausgaben zuzusehen.

Der Reigen
"genau, frei und seeeehr frei nach Schnitzler"
Regie: Ruth Brauer-Kvam, Dominic Oley, Johanna Mertinz, Dominic Marcus Singer, Helena Scheuba, David Schalko, Fabian Alder, Julia Edtmeier, Kaja Dymnicki, Laura Buczynski, Bühne: Gabriel Schnetzer, Kostüm: Katja Neubauer, Musik: Kyrre Kvam.
Mit: Florian Stohr, Gerald Votava, Karoline Kucera, Josef Ellers, Agnes Hausmann, Claudius von Stolzmann, Julia Edtmeier, Marius Zernatto, Kimberly Rydell, Florian Carove.
Dauer: 2 Stunden und 10 Minuten, keine Pause

www.bronski-gruenberg.at

 

 

 

Kommentare  
Der Reigen, Wien: Verausgaben!
Sehr gut beschrieben: "Zehn Schauspielenden beim Sich-Verausgaben zuzusehen" war wirklich das Tollste!
Der Reigen, Wien: Bronski-Style!
Das war bester BRONSTKISTYLE!!!
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