Bürgerbühnen Festival

Eröffnung 4. Europäisches Bürgerbühnen Festival "Our Stage" am Staatsschauspiel Dresden

Hohe Form der Selbstimmunisierung

von Nikolaus Merck

Dresden 18. Mai 2019. Am Morgen gibt's Sonne und Fußball. Im Sportpark Ostra am Rudolf-Harbig-Weg in Dresden, drei Steinwürfe weit entfernt von Landtag und Elbufer jenseits der Eisenbahnbrücke, herrscht deutsch-französische Völkerverständigung. Vier gemischte Mannschaften aus Frauen, Männern, Kindern bilden die Fanclubs vom RC Lens und Dynamo Dresden. Deutsch sprechen die wenigsten Sportkamerad*innen aus Lens, Französisch kaum einer unter den Dresdner*innen. Sie werden am Abend trotzdem gemeinsam auf der Bühne des Staatsschauspiels stehen und "Stadium" spielen. Am Samstagmorgen gewinnt die rote Mannschaft unangefochten alle ihre drei Spiele. Sprache egal, Ecke ist Ecke, Foul ist Foul, Eigentor ist Eigentor. Die Kinder werfen sich bei solchem Unglück in Lens und Dresden genauso theatralisch zu Boden und beklagen mit derselben Lautstärke die Ungerechtigkeit des Fußballgottes.

Deutsch-französisches Freundschaftsspiel

Die deutsch-französische Freundschaftsbegegnung bildet den Auftakt zu "Our Stage", dem 4. Europäischen Bürgerbühnen Festival. Eine Woche lang treffen sich in Dresden elf europäische Bürgerbühnen aus zehn Ländern zum get together des professionell gefertigten Theaterspiels mit nicht-professionellen Darsteller*innen. Der Termin ward mit Bedacht gewählt. Am Tag nach der Verleihung des Publikumspreises findet die Europa-Wahl statt. Mit vorhersagbarem Ergebnis: Sozialdemokaten und Konservative verlieren, Rechts und Rechtsaußen zahlreicher Couleur werden kräftig dazu gewinnen und sogleich damit fortfahren, die Grundlage des noch lange nicht vereinigten Europa weiter abzutragen.

Die Auseinandersetzung mit den Salvinis, Orbans, Le Pens und Gaulands kennt viele Formen. Die, man könnte sagen, Selbst-Spiel-Bewegung der Bürgerbühnen gehört als Selbstimmunisierung gegen die alternativen Wahrheiten der Rechten dazu. Partizipation ist eben nicht nur Sharen und Liken im Internet, "den Medien" die "Lügenpresse" nachzusagen und der Fernenergieleitung durch den Stadtwald mit Bürgerinitiativen entgegenzutreten. Partizipation ist auch die Forderung nach Teilhabe und Demokratisierung und dem Abbau von Zugangsschranken.

Kraft der eigenen Erfahrung

Die Bürgerbühnen-Bewegung ist ein Ausdruck dieser Tendenz. Vielleicht deshalb taugen die Bürgerbühnen auch nicht als Rekrutierungsfeld für Rechts. Neuvölkische trifft man selten bis gar nicht dort an. Natürlich hatte es die Dresdner Bürgerbühne bereits mit Pegida-Geneigten zu tun, aber das Prinzip von den eigenen Erfahrungen spielend zu erzählen und anderen, fremden Erfahrungen spielend zu begegnen, stellt etwa das Gegenteil dar vom "Absaufen, Absaufen"-Gebrüll der Pegida-Truppen auf dem Dresdner Theaterplatz.

Auf den Bühnen der Bürger*innen ist es geradezu unvermeidlich, das Ungewohnte, das Fremde, das Unbekannte und sei es in einem selbst an sich heran zu lassen. Einen spielerischen Ausdruck zu finden für die Widersprüche der eigenen Erfahrung und die Jagd auf Sündenböcke für ein vermeintliches eigenes Elend macht einen Unterschied ums Ganze.

Zehn  Jahre Bewegung

"Geschichten zu erzählen", und den Geschichten der anderen zuzuhören, nennt Miriam Tscholl bei der Eröffnung des Festivals am Nachmittag das einzige letztgültige Rezept gegen den Hass. Tscholl, leitete seit 2009 zehn Jahre lang die von Wilfried Schulz als Sparte des Staatsschauspiels gegründete Dresdner Bürgerbühne, die gerne als Mutter der Bewegung betrachtet wird. Tscholl hatte auch das entscheidende Wort bei der Auswahl der elf Produktionen für das Festival.

THE FAN MAN OR HOW TO 560 Dionysis Metaxas uErzählungen vom Anderssein in "The Fan-Man or how to Dress an Elephant" aus aus Thessanoliki. Ein Abend, der auch die Irrenparade nicht scheut © Dionysis Metaxas

Das beginnt überaus eindrucksvoll. "The Fan-Man or How to dress an Elephant" erzählt nicht nur vom Leben mit Behinderung, es spielt, singt, tanzt, weint und lacht über das "Anders Sein". Die Erfahrungen von Menschen mit Behinderung stehen im Mittelpunkt des bewegt-bewegenden Nummernreigens. Vorm RobertWilsonesken Farb- und Videohorizont erheben sich Gesänge, stampfen , trommeln, pfeifen, klagen und stöhnen die 25 Spieler*innen des inklusiven En Dynamei Theatre Ensemble aus Thessanoliki.

Die Kindheit mit den Ärzten und den Forderungen der Eltern zu funktionieren, die Fragen, auf die nur ein Schweigen antwortet, die schmerzhaften Trennungen von den Eltern, die Abschiebungen, die Isolation, die Furcht der sogenannten Normalen vor dem Sex von Menschen mit Down Syndrom, die Furcht der Eltern vor Alter und Gebrechlichkeit ("Was soll werden, wenn ich Dich alleine lassen muss?") wirbeln in einer raschen Folge von Einzel- und Ensembleszenen vorüber.

Isolierte und Ausgeschlossene

En Dynamei erzählt noch einmal das grundsätzliche Skandalon das Behinderung, bleibt aber nicht stehen bei den Liedern der Einsamkeit und dem Feuer der Scheiterhaufen (Feuerzeuge), auf denen im Mittelalter diejenigen verbrannt wurden, die als anders galten. Das Ensemble scheut auch vor einer "Irrenparade" nicht zurück. Wenn es die Blicke der sogenannten Normalen karikiert, wird es zur Hetzmeute.

Wenn es Loxandra hänselt, erhebt es sich zum Klagechor, bald abgeschoben hinter die vielstrebigen Gitter der geschlossenen Anstalt in die Thanos. Die Erfahrung der Behandelten, Ausgeschlossenen, Isolierten wird so zur spielerisch vermittelten Erfahrung für die Zuschauer, ihre Fragen so takt-, einfühlungs- und kenntnislos sie auch seien, werden ausgesprochen, gespielt und als Fragen an die Normalen zurückgegeben. Einmal gibt es ein Bild, in dem der Vater seine behinderte Tochter an einer Leine führt. Oder ist es nicht doch vielmehr so, dass sie ihn, der alt und hilflos geworden, hinter sich her zieht? Wer also ist eigentlich wem das Hindernis?

Verschwinden der Arbeiterklasse

Wie außerordentlich Regisseurin Eleni Efthymiou die Vermittlung von Botschaft, Erfahrung und Spiel  in "Fan-Man" gelungen ist, zeigt sich am Abend, wenn in "Stadium" Mohamed El Khatib die Fans des französischen Fußballvereins RC Lens auf die Bühne holt. "Stadium" wirkt wie ein Seitenstück zu Didier Eribons "Reise nach Reims". Der Klub aus der ehemaligen Bergbauregion im nördlich von Paris gilt als der Klub mit den treuesten und eingefleichtesten Fans, die für ihren Klub jederzeit bereit sind, Familie, Freunde, Haus und Hof aufzugeben. Nur leider sind der Region die Bergwerke und dem Arbeiterklub die Arbeiter abhanden gekommen.

STADIUM 560 Yohanne Lamoulere PicturetankTanz des Vereinsmaskottchens in "Stadium" © Yohanne Lamoulère Picturetank

Genauso spielerisch ausgedünnt erscheint "Stadium". Die thematisch durchaus interessante theatrale Ethnographie besteht zur Hälfte aus Videos mit redenden Menschen und wenn die Fans selber auf die Bühne kommen, wirkt die seit zwei Jahren tourende Produktion des Collectif Zirlib blutleer, abgespielt und in Einzelteile zerfallen, woran auch der Gastauftritt einiger Dresdner Dynamo Fans nichts ändern kann. Zum Schluss bleiben von "Stadium" nur der verzweifelte Tanz des Vereinsmaskottchens, eines traurigen Hundes, und das melancholische Schwenken einer gigantösen Vereinsfahne zum "Cum Dederit" von Vivaldi.

Our Stage – 4. Europäisches Bürgerbühnenfestival
18. bis 25. Mai 2019

The Fan Man or how to Dress an Elephant
von En Dynamei Theatre Ensemble & Eleni Efthymiou 
www.endynamei.com

Stadium
Mohamed El Khatib & Collectif Zirlib
www.zirlib.fr
 
www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Mehr zu den Bürgerbühnenfestivals: Das 3. Bürgerbühnenfestival fand 2017 in Freiburg statt und widmete sich der Zusammenarbeit von Profis und Laien. Zum 2. Festival 2015 in Mannheim dachte Jens Roselt für uns über die Bürgerbühnen nach.

 

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