Streit am Frankfurter Schauspiel – Eine Rekonstruktion
Streit am Main
von Esther Slevogt
Frankfurt/Main, 30. Mai 2019. "Was ist los am Frankfurter Schauspiel?" Mit diesen Worten begann ein am 8. Mai 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschiener Artikel von Simon Strauß, der antrat, "Krach hinter den Kulissen" des seit zwei Spielzeiten von Anselm Weber geleiteten Theaters nachzugehen. Der Artikel wurde zum Auslöser einer mit großer Schärfe öffentlich geführten Debatte um Leitungsstruktur am Haus einerseits und um Machtverteilung in der konkreten Inszenierungsarbeit andererseits. Eine Debatte voller Widersprüche und Ungereimtheiten auch, denen hier einmal nachgegangen werden soll.
Zurück zum Artikel im FAZ-Feuilleton: Von außen, schrieb dort Simon Strauß, scheine am Schauspiel Frankfurt alles in Ordnung; die Auslastungszahlen stimmten, die Kulturpolitik sei zufrieden. Die künstlerische Qualität jedoch, so die weitere Einschätzung des Kritikers, komme über das Mittelmaß kaum hinaus. Nun seien vom Intendanten auch noch die einzigen künstlerisch herausragenden Arbeiten abgesetzt worden – Luk Percevals Arbeit Mut und Gnade und Ulrich Rasches, mit den Salzburger Festspielen koproduzierte Inszenierung Die Perser. "Warum", so Strauß, "darüber herrscht bei den Beteiligten Ratlosigkeit."
Die überall angeklagte Machtstruktur?
Strauß zitiert aus einem Gespräch mit Luk Perceval: Der Intendant habe mit ihm, Perceval, weder vor noch während seiner Frankfurter Proben persönlich Kontakt gehabt. Die Nachricht über die Absetzung seiner Inszenierung und eines nicht zustande kommenden Gastspiels sei die einzige Rückmeldung gewesen, die er überhaupt je vom Intendanten bekommen habe, so Perceval. Ulrich Rasche, mit dem Strauß ebenfalls sprach, beklagte schlechte Dispositionen am Schauspiel Frankfurt und bemängelte "qualitative Probleme des Ensembles". Er, Rasche, habe mit vielen Gästen arbeiten müssen, weil er in Webers Ensemble keine passenden Darstellerinnen und Darsteller gefunden habe. Intendant Anselm Weber selbst rechtfertigte Strauß zufolge bei der Spielplan-Konferenz die Absetzung der "Perser" damit, dass bei den vielen Gästen keine Terminübereinstimmung möglich gewesen sei. Außerdem sei die Inszenierung teurer gewesen als die maximalen Einnahmen, die damit pro Abend hätten erreicht werden können.
"Die letzte Hiobsbotschaft," so Strauß in seinem Artikel weiter, "war dann die Mitteilung, dass der Vertrag von Chefdramaturgin Marion Tiedtke nicht verlängert werde, und sie sich von dem Haus, in dem sie vor zwei Jahren selbstbewusst als stellvertretende Intendantin angetreten war, trennen wird. Aus eigenem Antrieb? Oder wurde sie 'rausgeekelt', wie man hinter vorgehaltener Hand hört?" Marion Tiedtke selbst vermeide eine eindeutige Stellungnahme. Auch nachtkritik.de gelang es damals nicht, von Marion Tiedtke eine Stellungnahme zu den Vorgängen zu erhalten. Ihr sei die 'Zukunft des Theaternachwuchses' wichtig, zitiert Strauß in seinem Artikel Tiedtke im Kontext ihres Auftritts bei der Spielzeitpressekonferenz für 2019/20 des Frankfurter Schauspiels. Und dass sie deshalb nun ihre Professur an der Hochschule, die sie beurlaubt hatte, wieder aufnehmen würde.
"Ist Frankfurt ein weiteres Negativbeispiel für die jetzt überall angeklagte 'Machtstruktur' an deutschen Theatern?", fragte Strauß schließlich. "Ist Weber in seiner Doppelfunktion als Geschäftsführer und Intendant zu stark, zu unangreifbar? Vielleicht."
Mensch mit zwei Gesichtern
Dieser Artikel stand mit seinen schweren Vorwürfen und offenen Fragen zwei Wochen lang im Raum, als sich am 23. Mai 2019 der angegriffene Intendant Anselm Weber in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau zu Wort meldete. "Ich finde es schade, dass da nicht genauer nachgefragt wurde," so Weber darin. "Wir haben E-Mails, die belegen, dass ich mich eindringlich darum bemüht habe, diese Produktion (Ulrich Rasches "Die Perser", Anmerkung der Red.) zu halten. Das ist uns nicht gelungen, weil keine gemeinsamen freien Termine bei den Kolleginnen und Kollegen zu finden waren. (Weber verteilt Schriftstücke.) Die Aussage, ich hätte das Stück abgesetzt, ist sachlich falsch." Zur Trennung von Chefdramaturgin Marion Tiedtke sagt Weber im Interview: "Frau Tiedtke ist verbeamtete Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Als wir uns verabredet haben, gemeinsam am Schauspiel Frankfurt zu arbeiten, war immer klar, dass sie sich befristet freistellen lässt. Sie hat deshalb einen Drei-Jahres-Vertrag am Schauspiel unterschrieben. Den wird sie erfüllen."
Im Laufe des Interviews holte Weber zum Angriff auf Ulrich Rasche aus: Rasche sei ein Mensch, "der zwei Gesichter hat. Wenn er etwas will, kann er sehr charmant sein. Wenn er es nicht bekommt, schlägt er um sich. Diese destruktive Energie wendet sich wahlweise gegen die eigenen Mitarbeiter im Team oder gegen das Haus. Er kann Menschen sehr schlecht behandeln. Das ist in der Szene bekannt. Wenn ein Regisseur wie er keinerlei Verständnis für Repertoiretheater zeigt und Kollegen öffentlich bloßstellt, von der Technischen Leitung bis zum Bühnenarbeiter, dann hat das Folgen. Es führte dazu, dass die Frankfurter Premiere fast nicht stattgefunden hätte. Ich habe mich dann vor die Technik gestellt. Der Mensch Rasche hat sich aufgrund seines Erfolges zu einem Machtmenschen entwickelt, der seine Macht missbraucht. Ich habe dann gesagt, dass ich mit Rasche nicht mehr arbeiten werde. Wir haben als Konsequenz einen schriftlichen Kodex gegen sexuellen Missbrauch und Machtmissbrauch für die Städtischen Bühnen entwickelt. Das habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Bernd Loebe von der Oper getan."
Keinen Machtmissbrauch erlebt
Der Intendant, dem erst vom Kritiker der FAZ indirekt Machtmissbrauch unterstellt worden ist, beschuldigt nun seinerseits den Regisseur Ulrich Rasche des Machtmissbrauchs, auf Grund dessen im Theater ein Verhaltenskodex verabschiedet worden sei. Im gleichen Atemzug insinuiert Weber unterschwelllig auch sexuellen Missbrauch. Erst auf Nachfrage der Interviewer*innen Judith von Sternburg und Claus-Jürgen Göpfert stellt Weber klar, dass er Rasche nicht auch sexuellen Missbrauch vorwirft. Die Härte dieser öffentlichen Vorwürfe bewegten dann offensichtlich die bislang beharrlich schweigende Marion Tiedtke dazu, sich mit einer knappen Erklärung zu Wort zu melden, die auch nachtkritik.de vorliegt: "Mein Dramaturgenteam und ich haben auf Anregung und Empfehlung des Deutschen Bühnenvereins dessen Entwurf zum Verhaltenskodex überarbeitet, der dann vom Betriebsrat und den Intendanten sowie Geschäftsführern der Städtischen Bühnen Frankfurt angenommen wurde. Als Produktionsdramaturgin der 'Perser' habe ich die Fälle von Machtmissbrauch durch Ulrich Rasche nicht erlebt."
Der "wertebasierte Verhaltenskodex zur Prävention von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch" – wie der vollständige Titel des Kodex' lautet, auf den sich die Erklärung von Marion Tiedke bezieht, wurde bereits im Juni 2018 auf der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins in Lübeck verabschiedet. Die Premiere der "Perser" fand in Salzburg erst im August 2018 statt. Die Verabschiedung des Kodex nach langer und emotionaler Debatte bei der Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins war eine Konsequenz der schon seit einigen Jahren heftig geführten Debatten über zunehmend als problematisch empfundene Hierarchien und Machtstrukturen an den Theatern insgesamt. Seine Verabschiedung in Lübeck war im Juni 2018 mit der Empfehlung an die Mitgliedstheater und -orchester des Bühnenvereins verbunden, den Kodex in ihren Häusern kommunizieren und individuell weiterentwickeln, wie es am 9. Juni 2018 in der dazugehörigen Presserklärung des Bühnenvereins hieß. Tiedtke ist dieser Empfehlung in ihrer Eigenschaft als Chefdramaturgin eigenem Bekunden zufolge nachgekommen. Und zwar ohne jeglichen Kontext zur Produktion von Ulrich Rasche in Frankfurt, wie sie sagt. Während wiederum Weber behauptet, die Anpassung des Kodex an Frankfurter Verhältnisse mit dem Intendantenkollegen von der Oper Bernd Loebe als Reaktion auf Rasches Verhalten ins Werk gesetzt zu haben.
Dem Interview mit Anselm Weber sind in der Frankfurter Rundschau anonymisierte Zitate aus dem Bericht eines Schauspielers aus dem Ensemble angefügt, der über seine Erfahrungen im Zusammenhang mit den Perser-Proben berichtet. Die Art, wie die Zitate in dem Kasten unter dem Interview arrangiert sind, erweckt den Eindruck, die Anschuldigungen Webers gegen Rasche zu belegen. Der ganze Text allerdings, der nachtkritik.de vorliegt, liest sich eher wie der Bericht von dem Clash, den die Ankunft eines Starregisseurs mit seinen Stammspieler*innen als Gäste und einem radikalen wie hochformalisierten Regiekonzept an einem Theater verursachen kann: Wenn sich die Ensembleschauspieler*innen zu Statist*innen degradiert fühlen, und für einige die ebenso trotzige wie nachvollziehbare Frage entsteht: Wie weit muss sich ein Ensemble eigentlich vor einem angereisten Starregisseur und dessen Konzept ducken? Wie weit muss sich ein*e einzelne*r, sich als mündig begreifend*r Schauspieler*in durch ein Regiekonzept anonymisieren und standardisieren lassen? In der Folge des Weber-Interviews erschienen in der Rhein-Main-Ausgabe der FAZ in den beiden Tagen darauf gleich drei Artikel, die die Vorwürfen gegen Rasche aus dem Interview noch einmal zusammenfassten und unhinterfragt und mit falsch zugeschriebenen Äußerungen weiter zuspitzten.
Starke Durchdringung
Auf Nachfrage von nachtkritik.de hat Ulrich Rasche die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestürzt bestritten und unter anderem auch die Darstellung Anselm Webers im Interview als unwahr bezeichnet, als Intendant habe er sich schützend vor die Techniker stellen müssen. Anselm Weber sei während der Proben in Frankfurt persönlich nämlich kaum in Erscheinung getreten. Ähnliches hatte auch Luk Perceval in Simon Strauß' Artikel schon zu Protokoll gegeben. In einem Gespräch mit nachtkritik.de über die Zusammenarbeit mit Ulrich Rasche hat auch Bettina Hering, die Schauspielchefin der "Die Perser" koproduzierenden Salzburger Festspiele, den Vorwürfen gegen Rasche widersprochen. Dagegen sprach sie mit großer Anerkennung darüber, wie gut vorbereitet die Produktion von Ulrich Rasche bei Probenbeginn gewesen sei, wie stark Rasche den Stoff ihrem Eindruck zufolge inhaltlich durchdrungen hatte. Dies ist auf den Vorwurf des von der Frankfurter Rundschau anonymisierten Schauspielerbriefs bezogen, wo unter anderem zu lesen war, Rasche habe auf inhaltliche Nachfragen "nervös" reagiert.
Der Autor des Berichts über die "Perser"-Proben mit Ulrich Rasche ist der Schauspieler Andreas Vögler, der seit 2017 zum Ensemble des Schauspiel Frankfurt gehört. Seinen Bericht hat Vögler, der auf Anonymisierung gar keinen Wert legt, wie er in einem Telefonat zur Sache klargestellt hat, ausschließlich als Antwort auf Ulrich Rasches im Artikel von Simon Strauß erhobenen Vorwurf verfasst, das Frankfurter Ensemble habe qualitative Probleme. Diese Aussage habe seinen Widerspruch provoziert, da er sich als an der Produktion Beteiligter auch seinem Ensemble gegenüber in der Verantwortung gesehen habe. In seinem vierseitigen Bericht schildert Vögler, wie er es wahrnahm, als Ulrich Rasche mit seinem Team und einem fertigen Konzept in Frankfurt ankam, dass alle Gäste für die Protagonistenrollen längst angefragt waren, und aus dem Frankfurter Ensemble nur noch der Chor zu besetzen war, es also auf eine Entscheidung Rasches zurückzuführen gewesen sei, mit so vielen Gästen zu arbeiten. "Ich habe deiner Leitung vorab klar mitgeteilt, dass ich nicht beabsichtige, Frankfurter Ensemblemitgliedern eine besondere Rolle bei dieser Produktion zuzumessen", zitiert Vögler in seinem Text eine Aussage Rasches, die bei einer Probe gefallen sein soll.
Auch im Chor habe es unter den insgesamt 15 Darstellern neun Gäste gegeben, so Vögler, die bereits zuvor mit Rasche gearbeitet hatten. "Hinzu kam ein neuer Gast, zwei Studenten des Studienjahrs Schauspiel Frankfurt und drei Mitglieder des Frankfurter Ensembles. (bzw. zwei, da eines nach den Vorstellungen in Salzburg entnervt hingeschmissen und die Produktion verlassen hat.) Bezeichnenderweise wurden bis auf eine einzige Ausnahme dann sämtliche kleinen 'solistischen' Partes innerhalb des Chores ausschließlich genau an jene neun Gäste verteilt, die bereits in den vergangenen Produktionen mitgewirkt hatten. (...) Ich muss mich aufgrund der Arbeitsweise während der Proben jedoch generell fragen was er da eigentlich genau meint, wenn er von 'qualitativen Problemen' spricht. Insbesondere unter der Annahme, dass er offentlichtlich ja ausschließlich Darsteller für den Chor gesucht hat, keine Solisten. Ich bewundere die Chöre von Ulrich Rasche und bin auch extrem stolz auf unserer Mannschaftsleistung – dass es da keine Missverständnisse gibt! (...) Bis auf die letzten Tage der Premiere wurde dann in der letzten Probenzeit so gearbeitet, dass man in der Regel mit zwei Chorführern acht Stunden täglich mit Metronom und meist als Trockenübung entweder auf der Stelle tretend, oder auf einem Fitnesslaufband den Text mit Schritten verbindet.
Das ist zunächst reine Mathematik: der Text wird aufgebrochen, durchgezählt, rhytmisiert usw. Oft auch stundenlang ganz theoretisch im Kreis sitzend mit Bleistift und Textblatt in der Hand. Dies war quantitativ mit Abstand der größte Teil der achtwöchigen Arbeit. Irgendwann geht man auf die Originalscheibe und überträgt das zuvor Einstudierte. Dabei geht es wieder lange ausschließlich um technische Vorgänge: Geschwindigkeit der Scheibe, Größe der Schritte, Länge der Sicherheitsleinen usw. Irgendwann hat man eine erste Version, ein erstes Angebot, was dann Ulrich Rasche präsentiert wird. Ja, richtig, er ist in der Regel gar nicht dabei, ich habe ihn bis auf die Endproben ca. alle 5 Tage gesehen. Er überprüft das Zwischenergebnis, gibt Anweisungen und dann zieht man sich wieder mit den Chorleitern zurück und nimmt bis zum nächsten Treffen mit dem Regisseur die Korrekturen vor. (...) All das hat, wie gesagt, seine Berechtigung und ist zweifelsohne im Ergebnis sehr eindrücklich und virtuos, hat aber wenig mit den eigentlichen schauspielerischen Anforderungen zu tun, wie ich sie verstehe: Man studiert bei Rasche etwas Vorgedachtes, Vorgefertigtes ein, bis es perfekt funktioniert. Ähnlich einer Partitur. Ziel ist es zu erfüllen, nicht zu kreieren. Eine inhaltliche Auseinanderstetzung gibt es nicht, da es im Prinzip keinen Kontakt zum Regisseur gibt. Meine gesellschaftliche oder gar politische Haltung als Performer / Schauspieler ist somit auch nicht relevant, weil ich mich nie in einem Entstehungsprozess oder auf der Suche befinde."
Was also ist los im Frankfurter Schauspiel? Die initiale Problemfrage des Artikels in der FAZ, der die künstlerische Qualität des Theaters bemängelte und dem Haus ein Leitungsproblem unterstellte, wurde verschoben, in dem der angegriffene Intendant die Debatte auf einen Gewährsmann des FAZ-Angriffs, den Regisseur Ulrich Rasche, umlenkte. Rasche ist insofern ein dankbares Objekt, als die gigantischen Maschinerien, mit denen er seine Zuschauer*innen wie Spieler*innen gleichermaßen konfrontiert (und verzweifelt dagegen ankämpfen lässt), in unseren komplett technikbeherrschten Zeiten, in denen alle Technik jedoch hinter smarten und durchdesignten Benutzeroberflächen verschwindet, von archaischer, ja aggressiver Wucht sind. Daher könnte man diese Arbeiten leicht auch für ein Symptom oder gar Ausdruck dessen halten, wovon sie sprechen: dem Existenzkampf des Individuums gegen totalitäre und ausbeutende Systeme und Technologien.
Dem Dilemma, das die künstlerische Aussage im Verhältnis zu ihren Produktionsbedingungen produziert (die sich vielleicht am ehesten mit den Bedingungen des klassischen Balletts vergleichen lassen), ist so leicht nicht zu entkommen. Denn dieses Dilemma rührt an Grundsatzfragen künstlerischer Arbeit. Muss man also beispielsweise diesen harten und hochformalisierten Probenprozess tatsächlich schon als eine Form des Missbrauchs von Schauspieler*innen bezeichnen, die Degradierung von Individuen zu anonymem Spielmaterial? Eine Frage, die im Kontext so radikaler Entwürfe wie den Inszenierungen Rasches kaum zu beantworten ist – wenn man nicht ganze Ästhetiken unter Generalverdacht stellen und tabuisieren will.
So erscheinen die Beschuldigungen, die Anselm Weber gegen Rasche vorgebracht hat, widersprüchlich und kaum belegt. Ein Kern des Konflikts sind verschiedenen Quellen zufolge – darunter bereits der initiale Artikel in der FAZ – die undurchsichtigen Umstände der Trennung von Chefdramaturgin Marion Tiedtke, die aber zu ihrer eigenen Causa beharrlich schweigt. Auch Anselm Weber war zu keiner weiteren Stellungnahme bereit. Seine Äußerungen zu den Themen seien veröffentlicht und nach wie vor so gültig, wie er mitteilen ließ.
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Sie geben vor, die Hintergründe beleuchten zu wollen. Tatsächlich ergreifen Sie aber eindeutig Partei für Herrn Rasche und bezichtigen Herrn Weber der Lüge bzw. lassen es so erscheinen. Sehr bedenklich und journalistisch unseriös!
– – –
Sehr geehrter Herr Kubik,
ich bezichtige niemanden der Lüge sondern weise auf für mich in der Recherche nicht auflösbare Widersprüche in den Aussagen oder dem Verhalten verschiedener Parteien der Auseinandersetzungen hin.
Freundliche Grüsse, Esther Slevogt
Aber ein großes Problem in dieser ganzen Geschichte ist doch, dass Rasches Behauptung - “das Frankfurter Ensemble sei qualitativ nicht gut genug“ - einfach hingenommen wird. Das Ensemble ist meinetwegen verschiedenartig - ja! Aber wann war es ok für einen Regisseur SO zu sprechen?! Wieso muss man beledigend sein, wenn es einem darum geht sein Schauspielerteam mitzunehmen oder von mir aus einfach denkt die Schauspieler vom Haus passen nicht in das Konzept. Das kann man auch würdevoll und inhaltlich begründen. Oder ggf. ablehnen dort zu arbeiten - ich hoffe doch Rasche hat sich das Ensemble vorher angeschaut?!
Dispositions- und Zeitprobleme am Theater sind allerdings etwas was an alles Häusern mittlerweile ein rieseiges Problem ist. Die Vorgaben wie viele Vorstellungen gespielt werden müssen (Vorgaben vom Land, Stadt etc) knallen auf die Menge der Premieren (eher die Entscheidung der künstlerischen Seite)... und plötzlich hat man kaum noch Zeit zu arbeiten, weil weder Bühne noch Schauspieler Zeit haben.
Das ist allerdings ein anderes Thema - ich finde es grundsätzlich wichtig, dass sich in dieser Diskussion irgendwer vor diese Schauspieler in Frankfurt stellt!
1. Die Zitate aus dem Schreiben des Schauspieler Andreas Vögler finde ich total spannend. Das bietet einen Einblick in die Produktion, den ich sonst selten erhalte. Und ich finde es auch bemerkenswert, dass ein Schauspieler sich so engagiert einmischt.
2. Ulrich Rasche wird jetzt als "Star-Regisseur" bezeichnet und zum Teil wie ein Regie-Titan dargestellt, der nach Gutdünken durchs Land pflügt. Hier darf man vielleicht auch mal anmerken, dass Rasche in den letzten zwei, drei, vier Jahren mit seinen Aufführungen einmal großen Erfolg hat. Das ist vielleicht eine Welle. Ihn deshalb gleich zum Star-Regisseur zu "dämonisieren" ist m.E. übertrieben.
3. Andererseits zeigt der ganze Fall, und Kommentator #3 hat darauf schon hingewiesen, auch die Verirrungen unserer Zeit. Heute braucht halt jedes Theater, das gelten will, seinen Rasche, vielleicht klappt's ja mit dem Theatertreffen. Und dann gilt das als Frankfurter Produktion, obwohl es genauso auch in Stuttgart, München oder Dresden hätte laufen können. Nicht einmal mehr die Schauspieler/innen werden aus dem Ensemble gecastet. Das führt dann wiederum zu Dispositionsproblemen. Intendanten mit Mut und eigenen künstlerischen Ideen haben es eigentlich nicht nötig, den allgemeinen Wanderzirkus der gerade angesagten Regisseure mitzumachen.
Alles das weiß man aber im Vorfeld und Rasche formuliert auch in diesem Kontext sehr klar, was er braucht. Alles das ist kein Geheimnis, schon gar nicht in Frankfurt. Und wenn sich dann Weber und Tiedke auf den Deal einlassen, die drei Hauptrollen mit drei weiblichen Gästen zu besetzen, dann ist das eine Entscheidung der Theaterleitung. Diesen Vorgang zu hinterfragen - gerade auch intern vom Ensemble! -, ist in diesem Kontext die eigentliche Diskussion. Ein Herr Weber hätte dazu als Intendant - man kann es sich nach diesem Ich-bin-das-Opfer-Interview aber nicht vorstellen - auch nein sagen können. Aber jetzt so nachzutreten ist einfach nur peinlich. Und nichts davon, wirklich nichts!, hat etwas damit zu tun, dass Rasche ein vermeintlicher "Starregisseur" ist, sondern hier hat ganz offensichtlich eine Leitung komplett versagt und seinen Pflichten und Aufgaben in keinster Weise nachgekommen.
Oder, weil sie, hätten sie Lust aufeinander, vielleicht über der Lust aufeinander vergessen, dass sie eigentlich miteinander an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit arbeiten wollten bzw. sollten?
In jedem Fall sollten im Theater Menschen arbeiten, die Lust auf mit anderen zusammen Theater machen haben. Sie müssen dafür nicht auch noch Lust aufeinander haben, weil das dann nachrangig ist. Es ist sinnvoll, Strukturen zu fördern, bei denen Lust zur gemeinsamen Arbeit an Theaterkunst - auch einer gemeinsamen Arbeit von Menschen, die sich z.B. gar nicht kennen vor Arbeitsbeginn - oberstes Gebot ist. Und das Bewusstsein, dass man auch mit Menschen gemeinsam etwas schaffen kann, auf die man nicht vordergründig Lust hat, ein selbstverständlich vorhandenes und nicht erst zu schaffendes, ist. - Das ist übrigens auch genau das Politische am Theater, wenn man das verlangt als Bewusstsein bei den Machern und man dem Publikum diesen Willen zur Un-vor-Eingenommenheit konsequent vorlebt. - So denk ich mir das jedenfalls - aber ich habe ja keine Ahnung und mich deshalb schon oft verrechnet, was Theaterarbeit anlangt...
Was ich gar nicht gewusst habe: Dass Marion Tiedtke gar nicht Co-Intendantin, sondern stellvertretende Intendantin ist/war! Ich habe das damals angekündigt als Doppelspitze verstanden! Und ich habe mich deshalb extrem gewundert, dass zeitig nur noch Anselm Weber allein über das Theater öffentlich redete...
https://www.hfmdk-frankfurt.info/hochschule/fachbereiche/fb-3-darstellende-kunst/schauspiel-diplom/dozentendozentinnen/
Hier steht: "Marion Tiedtke war von 2007 bis Mai 2017 Ausbildungsdirektorin und ist von Juni 2017 bis August 2020 beurlaubt. In dieser Zeit arbeitet sie als stellvertretende Intendantin und Chefdramaturgin am Schauspiel Frankfurt."
Und: "Dr. Dagmar Borrmann leitet den Studiengang in der Zeit der Beurlaubung von Marion Tiedtke und unterrichtet Theorie, Theatergeschichte sowie Inszenierungsanalyse."
Das sind die Fakten. Nun noch eine Vermutung: Wahrscheinlich wäre die Studiengangsleitung vollständig an Frau Borrmann übergegangen, wenn Frau Tiedtke ihren Vertrag am Schauspiel Frankfurt verlängert hätte. Das ist eine übliche Praxis, wenn beurlaubte Personen nach einer vereinbarten Frist nicht zurückkehren.
Der Rest ist Spekulation. Wenn etwas Schwerwiegendes vorgefallen wäre, würde sich Frau Tiedtke dazu äußern. Vielleicht haben einfach zwei Menschen festgestellt, dass sie nicht gerne miteinander arbeiten. Das soll es geben.
Grundsätzlich stimme ich voll zu, dass keiner der Beteiligten hier eine gute Figur abgibt und die Debatte sehr peinlich geführt wird. Sie wirkt ziemlich verworren und vor allem vielschichtig. Ich wundere mich aber schon, dass Wenige hier speziell diese öffentliche Aussage Rasches über ein Ensemble in Frage stellen! Es scheint ja offensichtlich, dass hier das Frankfurter Ensemble ganz einfach für einen Konflikt zwischen ihm und Weber herhalten muss. Aber ganz egal was wirklich dahinter steckt, finde ich diese Aussage von einem momentan sehr erfolgreichen und somit medial einflussreichen Regisseur, grundsätzlich verantwortungslos. Um nicht zu sagen, fast schon missbräuchlich, was seinen derzeitigen Status und seine Position angeht...
Verzeihen Sie bitte meine Naivität, aber genau DIESES unethische Verständnis einiger Regienummern wie das Arbeiten am Theater mit Menschen funktioniert, wird doch genau von IntendantInnen fast immer klein geredet und relativiert... Mittlerweile habe ich sogar den Eindruck, dass dieses Verhalten sogar als die nötige Bezahlung akzeptiert wird, die man für überbewertete „Shootingstars“ gerne in Kauf nimmt... Sobald sich aber der Wind dreht, wird jenes Verhalten was einst von IntendantInnen und DramaturgInnen als unbedingte künstlerische Herangehensweise den Ensembles gegenüber verteidigt wurde, ganz plötzlich von den selben Leuten angeprangert...
So ähnlich funktioniert auch die Politik der CDU/CSU- was sag ich... Genau so funktioniert die gesamte Außen- wie Innenpolitik Bundesrepublik... Wenn TheaterleiterInnen dieselben marktorientierten Entscheidungen und Äußerungen fällen, dann haben nicht die AfD oder sonst jemand das Theater auf dem Gewissen, sondern Theaterleute selbst.
Und, Schweigen kann manchmal mehr bedeuten, als viele Worte. Wenn aber zwei Manager nicht einmal in der Lage sind, zwei Jahre miteinander auszukommen, ist es nicht immer nur Schuld der einen oder der anderen Person - daran haben beide ihren gehörigen Anteil. Und so peinlich und beleidigt in der Öffentlichkeit zu reagieren und die Kommunikation einzustellen, ist absolut unprofessionell und zeigt wieder einmal deutlich die fehlenden sozialen Kompetenzen der Künstlerischen Leitungen.
Insofern finde ich die von den Medien provozierte, sehr einseitige Stellungnahme gegen Weber in allen Auseinandersetzungen nicht fair und eher kläglich, ebenso wie die Instrumentalisierung von Regisseuren, die vom Intendanten eines renommierten Hauses vielleicht nicht in dem Maße gebauchpinselt werden können, wie es an kleinen Bühnen üblich ist. Vielleicht aber, sind sie von der Dramaturgie auch abgeschottet worden - man kennt ja das eifersüchtige Hüten goldener Kontakte in der Theaterszene. Zudem muss ich Schlichter recht geben. Tiedtke war immer nur für drei Jahre angekündigt worden - insofern ist es nicht o.k., da jetzt eine ungute Geste Webers hinein interpretieren zu wollen. Tiedtke ist stark genug, dass für sich allein entschieden zu haben, oder?
Beide - inzwischen Mitte 50 und erfahren genug - wussten, worauf sie sich eingelassen haben. Wenn sie so wenig Resilienz besitzen und so wenig Kommunikationsfähigkeit, die Dinge im Sinne ihres Theaters miteinander zu lösen, dann ist es nur folgerichtig, dass sich die Bindung auflöst.
Es wäre nur rechtens, auch die Leitungsskandale anderer Häuser in dem Maße journalistisch aufzuarbeiten, wie es Esther Slevogt hier für Frankfurt mutig macht, und damit auch der strukturellen Debatte eine Bresche schlägt. Ich kann nur hoffen, dass sich das in Zukunft mit gleicher Intensität bei vergleichsweise weitaus heftigeren Skandalen (Halle, Bern, Schwerin, Darmstadt) in Zukunft fortsetzen wird, denn sonst machen solche Soli keinen Sinn und wirken schnell sehr parteiisch.
Diesen martialischen 20er/30er Jahre-Bombast braucht kein Mensch. Ich sehe seit meinem 13. Lebensjahr die überwiegende Anzahl der Frankfurter Inszenierungen. In über einem Vierteljahrhundert war es das erste Mal, dass ich mehrfach eingeschlafen bin. Die vorigen Frankfurter Arbeiten waren eine Zumutung, diese schlicht nur noch langweilig, weil nicht nur die Inszenierungen durch stundenlange Wiederholungen gedehnt werden, sondern auch die einzelnen Arbeiten ebenso redundant sind.
das alles erinnert irgendwie an das politische Mediendreieck zwischen Seehofer, Gabriel und Merkel... Alle sind für alles verantwortlich und eine schweigt sich durch...
Und eine von drei Hauptdarstellerinnen ist wahrhaftig nicht gerade ein Pluspunkt für die Arbeit mit dem Ensemble... wobei ich die Gästefrage als solche ja gar nicht angreifen will - er kann natürlich künstlerisch einfordern was er braucht, vor allem wenn das Theater es möglich macht!
Aber zu behaupten, es wäre „naiv“ wenn man als Schauspieler Rollenerarbeitung erwartet (diese gibt es auch in formalen und chorischen Arbeiten), weil ja JEDER weiß, dass Rasche so nicht arbeitet ist atemberaubend arrogant. („individuell“ war nicht die Erwartungshaltung - Achtung! Sorgfalt! Inhaltlich heißt nicht individuell) Das heißt im Endeffekt, dass Schauspieler daher auch keine Menschen und Künstler mit eigenem Anspruch und künstlerischen Erwartungen mehr sein dürfen, wenn sie mit Rasche arbeiten wollen. Heißt auch; der allgemeine Schauspieler in Deutschland hat das Gespräch mit seinem Intendanten zu suchen, weil ein Rasche/Castrof/Breth/Talheimer sich nicht mehr vorstellen braucht. Und auch wenn Sie das SO nicht schreiben, bedeutet es aber genau das! Denn - hier eine Info - man darf Regisseure hinterfragen, befragen und kritisieren - vor allem wenn sie einem sagen „tja Kollege, qualitativ bist du problematisch“.
Das ist eine derartige Überbewerung des Regisseurs (egal von welchem wir sprechen), dass ich kaum fassen kann was Sie da Schreiben!
Wirklich "kaum zu beantworten"? Oder nicht doch eher sehr einfach zu beantworten: diese mathematischen Sprechdehnungsfugen fallen einfach nicht in die Sphäre der künstlerischen Arbeit. Es hat mit Kunst schlicht nichts zu tun. Aus gegebenem Anlaß hier again die fantastischen Essays von Fabian Hinrichs, die mittlerweile an allen maßgeblichen Kunsthochschulen (insbesondere Hochschulen der Darstellenden KÜNSTE) Pflichtstoff sind; insbesondere der zweite geht auf die geisteswissenschaftlichen Ursachen mechanischer Theaterformen ein. Lest sie, denn sie sind nicht einfach nur eine weitere Meinung, sondern leuchten hinein in das Dunkel des hermeneutischen Imperiums:
1. https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=15434:rede-ueber-die-schauspielkunst-der-fabian-hinrichs-denkt-als-alleinjurors-des-alfred-kerr-darstellerpreises-beim-berliner-theatertreffen-ueber-seinen-berufstand-nach&catid=1635:theatertreffen-2018&Itemid=100190
und
2.https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/fabian-hinrichs-gastbeitrag-zum-berliner-theatertreffen-16183304.html
Man liest es und auf einmal wird klar: das Dilemma, das für Frau Slevogt universell gültig und universell unauflösbar zu sein scheint, ist tatsächlich lediglich das von Frau Slevogt selbst, stellvertretend für große Teile der Theaterkritik, eben die Schichtdienst-Hebammen im "Kreissaal der Absicht"(siehe FAZ). Alle anderen schlafen übrigens bei irgendeinem der vollkommen austauschbaren Abende von Herrn Rasche einfach ein oder gehen 'raus, um der künstlerischen Versteppung nicht weiter beizuwohnen. Viel Lärm um Nichts einfach.
(Liebe*r Neill, wir bitten um Entschuldigung, Ihr Kommentar war uns zwischendurch verlorengegangen, keine Absicht, dass er nicht schon gestern veröffentlicht wurde. Mit freundlichem Gruß, sd/Redaktion)
https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=15435:michael-waechter-alfred-kerr-preistraeger-2017-antwortet-auf-fabian-hinrichs-alfred-kerr-preisrede&catid=1635&Itemid=100190
Ich gebe zu, Ihren Reflex, "das kann doch jeder Regieschüler nachmachen", habe ich auch manchmal, wenn mich ein Theaterabend der oben genannten nicht überzeugt hat.
Aber als langjährige Dramaturgin kann ich Ihnen versichern, das stimmt nicht. Wie immer man die Arbeiten künstlerisch einschätzt, ihr Entstehen ist stark an die jeweils inszenierende Persönlichkeit gebunden. Und diese gibt mehr in die Proben als die offenliegenden und kopierbaren einzelnen formalen Mittel. Was für deprimierende Arbeiten entstehen können, wenn sich Regisseur*innen nicht auf sich selbst verlassen, sondern einen angesagten Stil zu kopieren versuchen, kann man an vielen Theatern immer wieder sehen. Das "Problem" liegt viel mehr darin, dass sich ein so ausgeprägter Personalstil einfach nicht gleich gut für alle Texte eignet. Aber auch Regisseur*innen mit einer weniger eigenwilligen Handschrift landen ja bekanntlich nicht nur Treffer.
Deswegen kann ich mich #34 nur anschließen: Mit Diffamierung kommt man in der Debatte nicht weiter. Vielleicht freuen wir uns lieber über die Vielfalt der deutschen Theaterlandschaft, auch wenn sie vielleicht beim TT nicht abgebildet wird.
"Ich sehe nur zwei Regisseure, die im Augenblick noch einen Namen haben und sich darum bemühen, mit der Form zu arbeiten. Ich meine Thalheimer und Rasche. Ansonsten wird weder mit der Form noch mit der Sprache gearbeitet. Anderes steht im Vordergrund. Vor allem das Ego."
sowohl bei Bösch als auch bei Borgmann spielen, wenn auch nur im Einzelfall, Gäste mit. Produktionen im Schauspielhaus aus der aktuellen Spielzeit wie "Furor" (Dietmar Bär) oder zuletzt "Peer Gynt" (Max Simonischek) stützen sich ganz
auf prominente Gäste. Eine Produktion wie "The Nation" wäre ohne Gäste in Frankfurt gar nicht zu realisieren, da das Ensemble dafür nicht divers genug ist. Wahnsinnig viel scheint sich da nicht getan zu haben.
- Zunächst einmal finde ich Herr Vögler hat sich in seiner Motivation und seinem Anliegen glasklar geäussert. Es ist sehr befremdlich, was da alles hineininterpretiert wird.
- Unabhängig von der Qualität Rasches kennt sein Theater seine Vorläufer. Ich muss mich sehr wundern, daß in diesem Zusammenhang noch kein einziges Mal das „Freie Theater München“ (Froscher/Bildstein) gefallen ist, die diese Ästhetik und Form de facto entwickelt haben (https://www.youtube.com/watch?v=m7XBKrZVxhc)
- Zum Stichwort „Wasserträger“, so grundsätzlich: Urteilsvermögen wird in jeder Ausbildung trainiert. Professionell ist die Person, die Potential erkennt und ausarbeitet.
armes theater. angepasste mitarbeiter mit ausnahme der immer exzentrischer werdenden regisseure.
ich würde eher sagen, Anselm Weber ist angezählt und auch seine Art, sich und seine Arbeiten zu inszenieren.
Warum erschrickt eigentlich keiner vor den Gedanken hinter Rasches Ästhethik?
Ein Individuum das nicht vorkommen soll.
Der einzelne der sich einem größeren, bedeutenderem Willen unterordnen soll.
Das Subjekt das in einem Rhythmus in eine Richtung marschiert.
Ich komm aus dem Osten und ich finde das sehr, sehr gruselig.
Was man aber nicht sein muss deswegen: defizitär im Umgang mit Menschen, letztlich in der Mitarbeiterführung. Und da, so scheint es, nehmen sich Weber und Rasche nicht viel.
1. Die Doppelspitze am Schauspiel Frankfurt wird nicht weiter geführt.
2. Die Arbeiten von Herrn Rasche haben eine sehr starke Ästhetik.
3. Man muss diese Ästhetik nicht mögen.
4. Die Arbeitsbedingungen für diese Ästhetik sind für Schauspieler teilweise grenzwertig.
5. Herr Rasche ist eine starke Künstlerpersönlichkeit mit all ihren Eigenheiten.
6. Das Schauspiel Frankfurt arbeitet mit einer Vielzahl an Gästen, die die Disposition von Stücken erheblich erschwert bzw. sogar verhindert.
7. Die Ensemblepolitik am Schauspiel Frankfurt ist für das eigene Ensemble nicht ideal.
8. Herr Weber engagiert “Star-“Regisseure, ohne sich mit diesen während des Arbeitsprozesses auseinanderzusetzen.
9. Stattdessen unterstellt Herr Weber diesen “Star-“Regisseuren öffentlich Machtmissbrauch und suggeriert sogar eine sexuelle Komponente.
10. Sämtliche Formen des Machtmissbrauchs durch Herrn Rasche werden von mehreren weiteren Beteiligten nicht bestätigt.
Ich persönlich bin kein Fan der Arbeiten von Herrn Rasche - aber wenn ich mir diese 10 Thesen so richtig ansehe, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass Herr Weber seine Leitungsposition nicht entsprechend wahrzunehmen versteht (wenn ich Regisseure wie Herrn Rasche engagiere, sollte man wissen, womit man sich auseinanderzusetzen hat) und auf höchst fragliche Art und Weise Herrn Rasche benutzt, um von den eigenen Problemen abzulenken. Oder - wie bereits von Esther Slevogt im Ausgangsartikel punktgenau beschrieben:
“Die initiale Problemfrage des Artikels in der FAZ, der die künstlerische Qualität des Theaters bemängelte und dem Haus ein Leitungsproblem unterstellte, wurde verschoben, in dem der angegriffene Intendant die Debatte auf einen Gewährsmann des FAZ-Angriffs, den Regisseur Ulrich Rasche, umlenkte.”
Ähnlich verhalten sich Kinder, wenn sie auf einen Fehler aufmerksam gemacht werden. Oder aber - biblisch gesprochen - den Splitter im Auge des Bruders, nicht aber den Balken im eigenen Auge erkennen…
Auch nach der zwischenzeitlichen Diskussion lohnt es sich zur Erinnerung an die eigentliche Konfliktlinie Esther Slevogts Beitrag erneut zu lesen.
Ich möchte noch daran erinnern, dass Frau Tiedtke als Produktionsdramaturgin aus eigener Anschauung die Machtmißbrauchs-Vorwürfe gegen Ulrich Rasche zurückwies. Dem schließe ich mich an.