Macbeth - Hamburger Theaterfestival
Mit Realitätseinbruch
von Falk Schreiber
Hamburg, 31. Mai 2019. Nach ungefähr 45 Minuten bricht die Realität in die Aufführung ein. 45 Minuten, in denen der "Macbeth"-Stoff routiniert von zwei Starschauspielern als Kammerspiel einer toxischen Ehe performt wurde: Wer hat Angst vor Virginia Macbeth? Der Mann (Oliver Masucci) ist ein skrupulöser Jammerlappen, die Frau (Catrin Striebeck) ein manipulatives Miststück, die beiden belauern sich auf minimalistischer Bühne (Volker Hintermeier) und mit wuchtiger Soundspur, und plötzlich fällt Masuccis Mikroport aus. Das Spiel mit Hall und Lautstärke war das einzige, was dieser etwas blutleeren Dreiviertelstunde Schrumpf-Shakespeare einen gewissen Reiz verliehen hatte. Regisseur Matthias Hartmann unterbricht die Premiere.
"Mehr Theater kriegen Sie nicht"
Und wie Hartmann da strümpfig auf der Bühne steht und nicht so recht weiß, wie er die Reparaturzeit überbrücken soll, da sieht man plötzlich einen König ohne Land, einen ehemaligen Burgtheaterdirektor, dem sein Stück zu entgleiten droht. "Wenn so etwas passiert, sind wir gar nicht mehr authentisch, sondern eher ängstlich", stammelt er, während Striebeck im Bühnenhintergrund genervt tuschelt, wobei ihr Mikroport im Gegensatz zu dem ihres Kollegen weiter funktioniert, weswegen man ihr Genervtsein deutlich hört. "Mehr Theater kriegen Sie nicht!", rettet sich der Regisseur, und kurz fragt man sich, ob dieser Moment womöglich keine Panne ist, sondern inszeniert.
Archäologie einer Paarbeziehung
Hartmann ist ein regelmäßiger Gast beim Hamburger Theaterfestival, das weniger mit Eigenproduktionen als mit hochkarätigen Gastspielen auf sich aufmerksam macht. Seit dem Gründungsjahr 2009 ist der umstrittene Regisseur und Ex-Intendant fast jedes Jahr in der Hansestadt dabei, teils sogar mehrfach – einzig 2015, als Hartmanns Burgtheater-Intendanz mit einem Skandal endete, setzte er aus. Seither aber hält Festivalleiter Nikolaus Besch ihm die Treue, auch wenn er nach seinem unrühmlichen Abgang aus Wien mittlerweile kleinere Brötchen backt.
Ein solches kleineres Brötchen ist dieser "Macbeth", eine Eigenproduktion, mit der sich das Festival in einer mittelgroßen Halle des Kulturzentrums Kampnagel eingemietet hat: John von Düffel hat den Shakespeare-Stoff auf zwei Figuren eingedampft und mit heutiger Sprache versehen, bleibt ansonsten verhältnismäßig nahe an der Vorlage. Als Zugriff ist das nicht wirklich originell: Dass "Macbeth" nicht nur als politischer Thriller interessant ist, sondern auch als Archäologie einer Paarbeziehung, das steht auch bei Shakespeare, von Düffel macht es nur überdeutlich. Und weil die extrem sparsame Inszenierung mit Nebel, Gegenlicht und einem riesigen Spiegelschrank in der Bühnenmitte dem wenig hinzuzufügen weiß, lastet die meiste Verantwortung für den Abend auf den Schultern von Striebeck und Masucci. Die erstmal hilflos zwischen Wahn und Großschauspielereitelkeit vor sich hinwurschteln.
Abgründiges Finale
Dann aber fällt Masuccis Mikroport aus und die Inszenierung vollends in sich zusammen. Und als es weitergeht, wirkt die Performance plötzlich konzentrierter. Tatsächlich war die Panne nicht inszeniert, aber sie tat dem Abend gut – die handwerkliche Sicherheit, auf die sich Hartmann eigentlich immer verlassen konnte, kommt nach der Zwangspause zurück, das Stück rundet sich und flutscht in ein abgründiges Finale, in dem der gehetzte Charakter der Erzählung plötzlich nicht mehr irritiert, sondern ein stimmiges Bild für sich überschlagende Ereignisse abgibt. Mord, Auftragsmord, Selbstmord, auf diese Abfolge lässt sich "Macbeth" eben auch bringen, und wie Masucci und Striebeck das in einer halben Stunde durchziehen, das ist zum Abschluss dann doch überraschend mitreißendes Schauspielertheater.
Nur als Stück spannend ist es leider immer noch nicht. Spannend war Hartmann, wie er versuchte, die Panne in der Stückmitte zu überspielen.
Macbeth
Nach William Shakespeare, Bearbeitung und Übersetzung: John von Düffel
Konzept und Regie: Matthias Hartmann, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Malte Lübben, Musik: Karsten Riedel.
Mit: Catrin Striebeck, Oliver Masucci.
Premiere am 31. Mai 2019
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.hamburgertheaterfestival.de
Kritikenrundschau
"Die Idee, 'Macbeth' als Zwei-Personen-Stück aufzuführen, ist durchaus schlüssig. Mit seiner Regie dagegen kann Matthias Hartmann nicht überzeugen", so Heide Soltau vom NDR (1.6.2019). Bezogen auf die Bühne schreibt sie: "Man braucht den Hokuspokus nicht, um dem Kammerspiel von Catrin Striebeck und Oliver Masucci vorn auf der Bühne zu folgen." Catrin Striebeck und Oliver Masucci seien ein "eindrucksvolles, vielschichtiges Paar". Karsten Riedel liefere ihnen einen tollen Soundtrack.
Das Unglück dieser Inszenierung? Für Till Briegleb ist es "die Idee, das berühmte Meucheldrama nur mit den Macbeths zu erzählen, und das in zwei Wochen einzuproben", wie er in der Süddeutschen Zeitung (2.6.2019) schreibt. Heraus komme "eine hingehuschte Low-Budget-Produktion". Die Schauspieler nimmt der Kritiker in Schutz. "Wenn Oliver Masucci und Catrin Striebeck hier also viel zu früh in gestischen Aktionismus verfallen und die tiefe Hybris des Königsmords im eigenen Haus mit Hysterie überdecken, dann erkennt man als Zuschauer darin einfach eine hektische Inszenierungsentwicklung, die für psychologische Rollenarbeit keine Zeit hatte. Oder die fahrlässige Selbstüberschätzung eines Regisseurs, der meint, er könne das schwierigste, was es im Theater gibt, nämlich die präzise reduzierte Komplexität, so eben aus dem Ärmel schütteln."
Sehr routiniert und wenig dynamisch wirke das Spiel zunächst. "Auf die Dauer wäre das vielleicht etwas eintönig geworden. Nach der Zwangspause aber steigt die Konzentration, die Anspannung", schreibt Annette Stiekele vom Abendblatt (2.6.2019). Dennoch: Die Inszenierung sei keine künstlerische Offenbarung. "Sie verlässt sich auf einen Bühnenminimalismus und die kraftvolle Textarbeit von Düffels, eine eigene Idee zum Stoff entwickelt sie nicht. Sehenswert ist sie vor allem deshalb, weil die beiden Bühnenstars als Sparrings-Partner mit dem machtbesessenen Königspaar ein furioses Sprachkonzert abliefern."
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Das, was man dennoch mitgekriegt hat, war - wie schon erwähnt - nicht besonders originell - das Ganze wirkte lediglich wie der Teil einer Inszenierung. Als Bestandteil eines Gesamtpakets wäre es annehmbar gewesen, aber als Kammerspiel hätte es einer viel stärkeren Konzentration bedurft. Die Entwicklung der beiden wird nicht nachvollziehbar, weil sie nicht genügend Raum zu bekommen scheint - aber wo, wenn nicht hier?
Wenigstens war es nicht lang, und wir hatten noch etwas von dem lauen Sommerabend, aber den Eintrittspreis von stolzen 45 Euro pro Person hätten wir uns doch lieber gespart.
Umsetztung - schnell mal aus dem Ärmel geschüttelt, wie mir scheint. Die 2 Profis haben das routiniert runtergespielt. Persönlichkeiten haben sich mir nicht erschlossen. Die Artikulation des Macbeth war nicht gut, recht nuschelig.
Sehr unpassend eingesetzt fand ich die Akkustik. Bei einem Kammerspiel in einem kleinen Raum die Stimmen immer in gleicher Lautstärke, metallisch verstärkt zu hören, macht jede Atmosphäre kaputt. V.a. wenn die 5m vor einem stehen. Besonders Lady Macbeth hatte nie leise Momente, alles immer in der gleichen Mikrofonlautstärke... Da muß es heute bessere Lösungen geben.
Handwerklich auch nicht nachvollziehbar war es, dass das Publikum links und rechts der Bühne (waren ursprünglich die ersten Reihen), über weite Strecken nur ein Hörpsiel verfolgen konnte (um dem direkten Blick in je 40 Scheinwerfer zu entgehen.) Und der Tod der Lady von dort kann nicht zu sehen war! Musste mündlich durch die Reihen gegeben werden.
Bei Schülertheater nachvollziehbar, aber bei Profis kaum. Es sei denn, es war eine last minute production.
Mir ist seine berufliche Historie völlig egal - Fakt ist, dass sein kreativer Anteil an dieser Produktion sehr gering war. Dank seines Egos wurde er selbst Opfer der Hybris des Macbeth - er unterbrach seine Premiere, um selber auf der Bühne zu stehen. Grotesk.
Zum Wesentlichen: John von Düffel ist ein kongeniales Exzerpt von Macbeth gelungen. "Virginia Macbeth" trifft es sehr gut. Die Interaktion zwischen Striebeck und Masucci riss niemals ab. Sie blieben jeden Moment dem dramaturgischen Bogen Shakespeares entsprechend in ihrer Rolle. Es ist nur Ihrer Routiniertheit und Grösse zu verdanken, dass sie nach Hartmanns Fauxpas innerhalb von Sekunden in ihr Spiel zurückfanden. Von "Großschauspielereitelkeit" keine Spur, denn sonst hätten sie zurecht aufgehört zu spielen.
Ich bitte doch die Dramaturgie des Stückes von der Darstellung der Schauspieler zu unterscheiden - die Macbeths sind nicht die Schauspieler! Die "Hysterie" und der "gestische Aktionismus" (Till Briegleb) entsprechen den erzählten Umstanden des Stückes und sind niemals ungefüllt. Und natürlich ist das Stück am Anfang und nach dem Trauma des ersten Mordes trotzdem "wenig dynamisch" (Annette Stiekele) - denn auch die Figuren müssen den Mord verarbeiten, bevor sie "hilflos" von ihrem Wahnsinn davongetragen werden. Man muss Hartmann seinen Instinkt lassen, den stückinternen dramaturgischen Wendepunkt für seinen Auftritt gewählt zu haben: Denn natürlich wurde das Stück danach "konzentrierter", weil das dramaturgische Level der Krise den Konflikt weiter konzentriert.
Alle Gänge, Haltungen, Bewegungen, Gesten und Sprechweisen (mit oder ohne Mikroport) von Catrin Striebeck und Oliver Masucci waren schauspielerisch mehr als korrekt. Das sind zwei grosse Schauspieler, auf deren Schultern die Verantwortung für dieses Stück lastete und die sie mit Bravour gestemmt haben. Ihre "psychologische Rollenarbeit" war in jedem einzelnen Wort zu erkennen. Das war das Werk der Schauspieler - dass Regisseur Hartmann gänzlich unreflektiert ist, hat er ja unter Beweis gestellt. Es war bei ihrer Körperlichkeit eben kein "Sprechkonzert". Es war eine sehr "präzise Komplexität" der beiden Schauspieler. Till Briegleb - was hätten Sie denn auf einer fast leeren Bühne noch reduziert sehen wollen? Oder wollten Sie Grossaufnahmen auf Videoleinwand?
Man kann die Macbeths sicher anders, aber nicht besser spielen.
Die Bühne von Volker Hintermeier erfüllte nicht nur den Sparzwang, sondern auch "das schwierigste, was es im Theater gibt, nämlich die präzise reduzierte Komplexität" (Till Biegleb). Dass Zwischengänge und Bewegungen hinter der Bühne sichtbar waren, ist wiederum Hartmanns Zeitmangel anzulasten. Die Kostüme von Malte Lübben waren modern, klassisch und zeitlos zugleich wie Shakespeare selbst. Die Musik von Karsten Riedel war nicht nur eine perfekte Ergänzung, sondern eröffnete den Blick in eine weitere Dimension.
Kampnagel ist nicht das Old Vic, nicht das Thalia oder das Deutsche Theater. Diese Produktion ist zu vergleichen mit Off-Broadway. Und es war der beste Shakespeare, den ich je live gesehen habe. Inklusive des Macbeth-Fluches, der Hartmann nun vollends vernichtete.
@Jette: Wenn Du eine komplette, klassische Fassung möchtest, kauf Dir eine kommentierte Ausgabe oder eine DVD. Die sind auch billiger.
@Anna: Das war die Theaterform der Shakespearschen Bühne. Es war Absicht, dass Du geblendet wirst und den Tod nicht siehst. Denk mal darüber nach, warum. Die Artikulation von Masucci war immer perfekt und so gewollt - und ich bin schon schwerhörig.
@Maria: Dass die Striebeck leise Töne kann, wissen wir alle. Ihre Lady Macbeth war nicht durchgeschrien, sondern der perfekte modus operandi einer Lady Macbeth. Hat das hängende Kleid etwa Deine Sensationslust nicht befriedigt?