Leif is Leif

von Jens Fischer

Bremen, 6. Juni 2019. Das Trennende überwinden, das Gemeinsame leben – als Ode an die entgrenzenden Möglichkeiten der Freundschaft ist das ein beliebtes Sujet, von Mark Twains Abenteurern Tom Sawyer und Huckleberry Finn bis zu Wolfgang Herrndorfs "Tschick"-Personal. Mit der Macht der Liebe münden solche Konfrontationsgeschichten auch gern in einer Hochzeitsfeier, auf der sich Menschen ungleicher Milieus näherkommen. Wie in "Shirin & Leif", der Clash-of-Culture-Komödie des Autorenbruderpaars Akın Emanuel und Edis Arwed Şipal, eine Auftragsproduktion fürs Theater Bremen: Die Protagonistin kommt aus einem reichen Elternhaus mit iranischen Wurzeln, ihr Angetrauter aus deutschen Kleinbürger-Verhältnissen.

Kurz vorm Explodieren

Der schönste Tag des Lebens als Wette auf die Zukunft ist für Shirin und Leif vor allem eine Belastung. Erwartungsfroh nervös huschen sie durch den marmorkalten Festsaal eines in die Jahre gekommenen, zuwuchernden Prachthotels. Spielen verstecken. Frisch getraut, aber längst nicht vertraut starten sie immer neue zarte Annäherungen, die den ganzen Abend über misslingen. Was auch an der gegensätzlichen Besetzung liegt. Deniz Orta beeindruckt mit federleicht warmherziger Natürlichkeit. Ferdinand Lehmann hingegen ist ein 1000-Volt-Mime, der mit jeder Geste jeden Winkel der Bühne zu elektrisieren versucht, kurz vorm Explodieren.

ShirinLeif 560 JoergLandsberg uHochzeitsfeier mit Hindernissen: Mirjam Rast, Lina Hoppe, Gabriele Möller-Lukasz, Deniz Orta, Ferdinand Lehmann, Verena Reichhardt, Guido Gallmann, Alexander Angeletta © Jörg Landsberg

Der Anlass dafür schleicht überkandidelt perückt und karikierend gewandet herein: die Hochzeitsgesellschaft, schrillpuppige Theatermaschinen wie von Herbert Fritsch choreografiert. Mal in Zeitlupe, mal eingefroren in den Bewegungen, mal trubelig kobolzend hetzen sie den Text aus sich heraus und arrangieren ihn im Schnatterfortissimo. Dazu gibt es Tür-auf-Tür-zu-Verfolgungsjagden. Die Kinder der Familien planen einen Anschlag auf die Hochzeitstorte. Leifs Vater stürzt derweil aufs Abendmahl-Büfett. Ein debil Trockenfutter knabbernder Schoßhund räsoniert mit einer Wasserpfeife schmauchenden Katze in Lackstiefeln über menschliches Verhalten und spiegelt die vermeintliche Annäherung des Disparaten auf tierischer Ebene.

Wo bleibt die die interkulturelle Komödie, die alle erwarten?

Mit den Familien prallen nicht kulturelle Missverständnisse und Unterschiede aufeinander, sondern rücksichtlose Egoisten. Was bisher noch mühsam unter dem Teppich gehalten wurde, kommt auf den Festtagstisch – zur generationenübergreifenden Abrechnung. Shirins Mutter etwa ist eine neoliberale Machtmatrone, die Leif bestechen will, ihre Firma zu übernehmen. Sie nervt das Hochzeitspaar mit der Frage nach Nachwuchs. Leif quält derart expressiv das Bekenntnis heraus, unfruchtbar zu sein, dass dies einer der wenigen Momente ist, an denen das Dauerlächeln als Rezeptionshaltung einem empathischen Interesse weicht. Einen weiteren liefert Shirins Mutter, als sie ihr hartherziges Unternehmerinnentum mit dem Tod des Gatten erklärt.

ShirinLeif01 560 JoergLandsberg uAnnäherungen, die misslingen: Ferdinand Lehmann, Deniz Orta © Jörg Landsberg

Ideologisch verstockt bis haltlos präsentiert sich Leifs Familie. Vater Ralf zwingt die Gäste zu salzlosen, veganen Speisen, Bruder Ole profitiert als AfD-Politiker und Versicherungskaufmann vom Sicherheitswahn der Deutschen. Bis Shirin-Schwester Azita mit ihm liebäugelt. "Beginnt jetzt die interkulturelle Komödie, die alle erwarten?", fragt die Katze.

"Endlich mal was Interkulturelles, was Spaß macht."

Die Antwort lautet: nein. Über diese in Bremen durchaus geschürten Erwartungen – etwa mit Akın Emanuel Şipals Liederabend "Istanbul" (2015) und Sultanat Erdoğans Deutschtürken-Auswanderergeschichte Ein Haus in der Nähe einer Airbase (2018) – macht sich das Stück lustig. Eine Handgranate entdecken die beiden Aggrokids, nennen sie "Chinaböller aus Polen“ und kommentieren: "Endlich mal was Interkulturelles, was Spaß macht." Ole arbeitet auch nicht seine Vorurteile gegenüber Ausländern an Azita ab, sondern tritt gleich zum Islam über. Diesen Umgang mit der AfD könnte man leichtfertig nennen.

Es geht den Şipals scheinbar nicht um irgendeine tiefgründige Auseinandersetzung, um Entwicklung von Charakteren, Handlung oder einem Spannungsbogen. Sie wollen Spaß und nutzen das Hochzeits-Setting als groben Rahmen für eine flotte Sketchrevue. Regisseur Michael Talke hat kaum weitergehende Ambitionen, mixt aber sehr geschickt extra komponierte Songs und Pop- wie Schlagerzitate ins Geschehen: Aus Opus’ "Live is life" wird "Life is Leif", Rammstein-Liedgut zum Stichwort Heimat dahingekaspert.

Was den Abend ins Ziel rettet, sind die Schauspieler, die famos die Grotesk-Typisierungen zelebrieren, und die Dichte der Pointen. Auch wenn die nicht erkenntniserhellend feuerwerken, nur im Stile der Sitcoms aneinandergereiht werden. Etwa diese, die der genital höchst erregte Ole seiner Angebeteten unterbreitet: "Bist du gut versichert? Du hast mir gerade eine Beule in die Hose gemacht." Oder wie der Hund immer wieder betont: "Wuff, wuff."

 

Shirin & Leif
Uraufführung
Hochzeitskomödie mit Musik von Akın Emanuel Şipal und Edis Arwed Şipal
Regie: Michael Talke, Musikalische Leitung: Johannes Mittl, Bühne: Thomas Rupert, Nanako Oizumi, Kostüme: Emir Medic, Licht: Norman Plathe-Narr, Dramaturgie: Simone Sterr.
Mit: Deniz Orta, Ferdinand Lehmann, Gabriele Möller-Lukasz, Verena Reichhardt, Guido Gallmann, Alexander Angeletta, Alexander Swoboda, Simon Zigah, Mirjam Rast, Lina Hoppe, Bastian Hagen, Franziska Schubert, Julian Anatol Schneider und Johannes Mittl (Piano), Stefan Ulrich (Schlagzeug) sowie Claudius Tölke (Bass).
Premiere am 6. Juni 2019
Spieldauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.theaterbremen.de

 


Kritikenrundschau

"Zeitweise intelligentes Boulevardtheater" hat Marcus Behrens von Radio Bremen (7.6.2019) gesehen. Insgesamt schätzt der Kritiker den Abend als "gelungene Komödie" ein. Das Konfliktpotential sei "nur auf Komödienniveau ausgespielt" worden. "Dass es beim Zusammentreffen von Kulturen, Religionen, Weltanschauungen und sozialer Herkunft auch richtig knallen kann, das vermögen Autoren und Regisseure wie Wajdi Mouawad oder Ayad Akhtar deutlich besser auf die Bühne zu bringen."

Diese Uraufführung kann Iris Hetscher vom Weser-Kurier (7.6.2019) "nur selten wirklich überzeugen". Über den Text heißt es: "Zu den Klischees und Vorurteilen, die in 105 pausenlosen Minuten abgehandelt werden, ist den Autoren wenig Neues eingefallen. Die Dialogfeuerwerke beginnen manchmal durchaus originell, enden dann aber erschreckend oft in einer Aneinanderreihung von Kalauern." Regisseur Michael Talke habe "mit sehr hohem Tempo, Lust an der Choreografie und der Eskalation inszeniert. Unter der Geschwindigkeit leidet ab und an allerdings die Textverständlichkeit."

"Befreiend blöd", ist die Rezension von Jan-Paul Koopmann in der Kreiszeitung (7.6.2019) betitelt: "Shirin und Leif" sei "ein Befreiungsschlag in alle Richtungen, zwischendurch ein unerwartet feinfühliges Stück über den Menschen – und dabei durchgehend aufs Herrlichste blöd. Manchen zu sehr, wie der unverdient klamme Premierenapplaus vermuten lässt."

 

 

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