Hoppe, hoppe Reiter

von Grete Götze

Darmstadt, 7. Juni 2019. Ein häufig unternommenes, aber nichtsdestotrotz kühnes Unterfangen: Heinrich von Kleists Novelle auf die Bühne zu bringen, die Geschichte des Pferdehändlers "Michael Kohlhaas", der im sechzehnten Jahrhundert wegen eines kleinen ihm widerfahrenen Unrechts eine Eskalation der Gewalt in Gang bringt. Pausenlos, fast absatzlos ist der Text, in dem der Protagonist zum Räuber und Mörder wird, weil der Junker Wenzel von Tronka seine als Pfand erpressten Pferde zu Schanden ritt. Seine Bemühungen um einen fairen Prozess werden durch Vetternwirtschaft torpediert, so trommelt Kohlhaas eine Bande von Plünderern und Brandstiftern zusammen, um sich auf eigene Faust Recht zu verschaffen – Kohlhaas, "einer der rechtschaffendsten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit".

"Komm endlich, Du Gaul!"

Wie aber kann man diesen epischen Text, fast ohne direkte Rede, durchgehend in der dritten Person geschrieben, schlüssig in ein Drama überführen? Jedenfalls nicht so, wie es Dominic Friedel in seiner Darmstädter Inszenierung tut, die alles ein bisschen möchte, sich aber für keinen klaren Weg entscheidet und dem zugrundeliegenden Text schlicht misstraut.

Kohlhaas2 560 Nils Heck uRitt auf dem Erwachsenen-Rücken: Szene mit Victor Tahal, Béla Milan Uhrlau, Elias Grünewaldt © Nils Heck

Er macht zum Beispiel den Versuch, die Geschichte über den Einsatz von Kindern erfahrbar zu machen. Friedel stellt 15 Jungen und Mädchen zwischen sieben und zwölf Jahren von der Kinderstatisterie des Theaters auf die mit drei kahlen Bäumen versehene Bühne. Sie verteilen untereinander die Rollen und sprechen im Wechsel einzelne Textpassagen, durchgehende Figurenzuordnungen gibt es nicht. Der Schlossvogt, ein kleines Mädchen mit Turnschuhen. Kohlhaas, ein Junge in lila Jogginghose.

Der Abend beginnt, indem der Junge abwechselnd auf zwei als Pferde verkleideten erwachsenen Schauspielern im Vierfüßlerstand reitet, und sie "Komm endlich, Du Gaul!"-rufend auspeitscht. Schließlich holt ihn ein Mädchen aus der Kindergruppe in ihre Mitte und fragt, ob er auch so behandelt werden möchte, wie er die Pferde gerade behandelt hat. Wird das eine eigene Beschäftigung der Kinder mit den Inhalten der Geschichte, eine Umkehrung der Kind-Erwachsenenverhältnisse, eine kindliche Neuinterpretation des Textes?

Harmloses Gewusel

Offenbar nicht, denn im Folgenden sprechen sie abseits kleiner Ausnahmen Kleists Verse, im Wechsel mit drei erwachsenen Schauspielern. Das Interesse daran, was Kinder heute noch an dieser Geschichte aus dem 19. Jahrhundert reizt, inwiefern auch Erwachsene ständig die von ihnen selbst aufgestellten Regeln brechen – verschenkt.

Auch die Aufteilung von Kohlhaas' Rolle in einen rechtschaffenen und einen entsetzlichen Protagonisten wird zwar zunächst durch Victor Tahal und Béla Milan Uhrlau eingeführt, aber nicht konsequent verfolgt.

Kohlhaas4 560 Nils Heck uDisput am Käfig: Bela Milan Uhrlau und Lara Linstädt © Nils Heck

Aus unerfindlichen Gründen hat sich das Team außerdem vorgenommen, diese höchst komplexe Geschichte, in der nebenbei das legitime Recht auf politischen Widerstand als rechtsphilosophische Frage thematisiert wird, in nur einer Stunde zu erzählen. So rast das Ensemble durch den Text, kapriziert sich nur auf die Momente, welche die Handlung vorantreiben. Die große Schlachtszene, ein harmloses Kindergewusel auf der Bühne mit ein paar bedrohlichen Tönen dazu. Bei der zentralen Unterredung von Luther mit Kohlhaas über die Legitimität seines Handels sind die Schauspieler nicht einmal richtig zu sehen, sondern verschwinden in einer Bretterbude im hinteren Teil der Bühne. Im zweiten Teil der Handlung sind auch die Kinder plötzlich verschwunden, dafür darf der Laiendarsteller Karl Müller vom Bürgerensemble noch ein paar Sätze sagen.

Mit dieser Inszenierung hat Friedel niemandem einen Gefallen getan, weder den Kindern, die den Text nicht eigenmächtig nach für sie interessanten Themen wie kindlicher Ohnmacht und erwachsener Willkür befragen durften, noch den Erwachsenen, die sich auf Kleists Sprachgewalt gefreut haben, darauf, wie man von einer Gattung in die andere schwingen kann. Und schon gar keinen Gefallen hat er den drei Schauspielern getan, die immer wieder mit wenigen Sätzen die Handlung vorantreiben müssen, bevor die nächste unentschiedene Szene beginnt.

 

Michael Kohlhaas
nach Heinrich von Kleist
Regie: Dominic Friedel, Bühne und Kostüme: Heike M. Goetze, Dramaturgie: Karoline Hoefer, Regieassistenz und Abendspielleitung: Michael Enax, Ausstattungsassistenz: Elitza Stateva, Kostümassistenz: Veronika Sophia Bischoff, Inspizienz: Gabriele Reisdorff, Soufflage: Michèle Haghuber.
Mit: Victor Tahal, Béla Milan Uhrlau, Judith Niederkofler, Karl Müller und der Kinderstatisterie des Staatstheaters Darmstadt.
Premiere am 7. Juni 2019
Dauer: 1 Stunde 5 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-darmstadt.de

 

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