Sprengen mit Rammstein, Schwimmen mit Bob

von Andreas Jüttner

Heidelberg, 12. Mai 2007. "Fang mit einem Erdbeben an und steigere dich dann stetig." Dieses Prinzip gilt nicht nur für das Krawallkino von Jerry Bruckheimer, für das es erfunden wurde. Es funktioniert auch mit rumänischem Powertheater.

Sogar besser: Da wird man als Zuschauer nämlich nicht zugeballert, sondern man hebt mit den Akteuren ab – wie bei Radu Alexandru Nicas Inszenierung von Fritz Katers "zeit zu lieben, zeit zu sterben", mit der das Teatrul National Radu Stanca aus Sibiu beim Heidelberger Stückemarkt gastierte.

In den ersten vier Minuten wird gleich die Historie weggesprengt: Vorhang auf, Musik an, Video ab. Zu stampfendem Rammstein-Rock zucken Filmbilder von Arbeitern, Paraden, Panzern und Politikern, hier winkt Ceaucescu, dort mahnt Gorbi, und immer wieder fliegt alles wuchtig in die Luft. Der Schnitt zu lustigen Zeichentrickmännlein lenkt den Blick aufs Private, und dann wird der kindliche Spaß des Cartoons mit groovegenauen Schnitten überlagert von Warenmarken. So werden Heranwachsen und Ostalgie in einem Aufwasch erledigt, und wenn der Vorhang danach wieder zufährt, glaubt man, noch knackiger könnte es nicht werden. Irrtum. 

Pas de deux der verpassten Chancen 

Schon die darauf folgende Chorsequenz in einer Art Schuluniform ist ein Musterbeispiel gewitzter Choreografie: Die Biografiefetzen, mit denen Katers Figuren hier am Beispiel von Ostpubertäten Zwänge und Lust der Jugendzeit heraufbeschwören, werden gemeinsam hervorgesprudelt, jeder Name bekommt eine chorische gestische Untermalung und doch sind die Textelemente so geschickt verteilt, dass jede Figur ein individuelles Gesicht bekommt. So schließt man die ganze Bagage zwischen Klassenfahrt, Entjungferung, Komasaufen und Selbstmord richtig ins Herz. Zumal sie den Text deutlich gekürzt hat, was das hektische Mitlesen der Übertitel im Rahmen hält.

In Teil B wird klar, warum in anderen Sprachen die Worte "Künstler" und "Artist" nicht so getrennt sind. Konzentriert auf die Geschichte um die Brüder Peter und Ralf, ihre von Onkel Breuer nach der Republikflucht des Vaters getröstete Mutter und die in Peter verliebte Adriana kombiniert das Ensemble filmisches Overacting mit clownesk-sportivem Körpereinsatz und starkem symbolhaftem Spiel, ohne die Figuren aus den Augen zu verlieren. Wenn es etwa nach der Tanzstunde heißt "Peter schlendert wie schlendern nur geht" (die Regieanweisungen werden durchweg mitgesprochen), dann wird dies in einer veritablen Elvis-Imitation sowohl übertrieben als auch auf den Punkt gebracht. Wenn Adriana Peters Zurückhaltung nicht mehr erträgt, deshalb zu seinem Bruder Ralf geht und vor der Tür Peter begegnet, dann gelingt den Darstellern in einer langen wortlosen Sequenz ein herzzerreißender Pas de deux der verpassten Chancen.

Bobfather knarzt, die Jungen toben 

Passgenau verbindet der 1979 geborene Nica in seiner Inszenierung hier den expressiven Spielstil des osteuropäischen Theaters mit einem westlich geprägten Stücktext und einem entsprechenden Inszenierungsansatz. Nur so kann man sich wohl eine hinreißende Szene trauen wie den Ausklang von Teil B: Peter will mit Dirk nach Amerika ("sie wissen aber nicht genau wie"), die beiden gabeln Adriana auf und gehen unterwegs noch mal baden. Da knarzt Bob Dylan altersweise durch die Boxen und die drei Darsteller toben wild über die Bühne, bis man den See zu sehen glaubt – oder sind es die eigenen Tränen, die dieses ganz nah am todtraurigen Klamauk gebaute Theater irgendwann hervortreibt? 

Teil C, die Geschichte einer selbstzerstörerischen Liebe in einer fremden Stadt, läuft dann über Mikros zu allmählich anschwellendem Soundteppich, szenisch untermalt durch Ringen, Rennen, Finden und Verlieren, Klammern und Fliehen, kulminierend im Textherausschleudern auf einem immer heftiger zum Drehen gebrachten Bett. Und so wie darauf anfangs Peter, Ralf, die Mutter und ihr Vater hereingefahren wurden, so wird am Schluss das gesamte Bühnenbild samt Ensemble hinausgerollt. Der ganze großformatige, großartige Bühnenzauber kommt und geht auf einem Bett. Wie ein Leben.

 

zeit zu lieben, zeit zu sterben
von Fritz Kater
Inszenierung: Radu Alexandru Nica.

www.theaterheidelberg.de
www.sibfest.ro

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