Macht contra Leben

von Shirin Sojitrawalla

Mannheim, 20. Juni 2019. Bei Schiller steht Elisabeth am Ende in ruhiger Fassung da und bezwingt sich, wie man das von ihr kennt, bis der Vorhang fällt. In Mannheim indes rutscht Elisabeth zusehends aus dem Fokus, und Maria Stuart schiebt sich auch zum Schluss wieder ins Scheinwerferlicht, bezwungen zwar, aber ruhig, und extrem lässig zündet sie sich noch eine Zigarette an, bevor das Licht ausgeht.

Vervierfachte Königinnen

Es ist die Schauspielerin Vassilissa Reznikoff als Maria, die diesen Abend in seiner letzten halben Stunde dominiert und zum Ereignis macht. Mit einer Stimme wie aus der Trollwelt-Gosse und einer Attitüde irgendwo zwischen Kleinkind, Barmädchen und Charlotte Roche. Dabei gibt es ihre Rolle gleich vierfach: Sowohl László Branko Breiding als auch Johanna Eiworth und Nicolas Fethi Türksever treten neben ihr als Maria in Erscheinung. Ihnen gegenüber stehen vier Elisabeths (Sophie Arbeiter, Sonja Isemer, Robin Krakowski, Patrick Schnicke). Kein Königinnenduell, sondern Mannschaftssport.

maria stuart3 560 Hans Joerg Michel uMaria und Elisabeth als vervierfachte Kontrahentinnen @ Hans Jörg Michel

Wesentliche Strippenzieher wie Leicester oder Burleigh werden aus dem nämlichen Schauspielerpool besetzt, was zuweilen etwas verwirrt, zumindest so lange, bis man sie anhand der Farbe ihre Kleidung auseinander hält. Andreas Auerbach hat sie zum Glück in knallig marshmallowfarbene Kostüme gesteckt, welche die Mode von damals zitieren und sie wie Spielkartenfiguren aussehen lassen. Das passt gut zur etwas schmalen Idee, den Boden der Bühne als Schachbrett zu gestalten. Ansonsten legt sich Patricia Talacko nicht eindeutig fest, ihre Bühne ist ein auswegloser Raum, von acht Hinterzimmern oder Nischen begrenzt. Oben drüber eine große Projektionsfläche, die Aufnahmen aus dem Inneren der Kabinen zeigt. Die sehen aus wie Schauspielergarderoben, davor jeweils ein PVC-Streifenvorhang, wie man ihn aus Kühl- oder Schlachthäusern kennt.

Zwei Frauen, zwei Prinzipien

Als kühle Königin eines höfischen Schlachthauses geht auch Elisabeth durch. Die Schottin Maria Stuart hält sie gefangen aus Angst vor deren Ungestüm und Jugend. Zwei Frauen, zwei Prinzipien. Macht contra Leben. Elisabeth wirkt da meist etwas streng, wie auch in Mannheim. Intriganten gibt es allerdings auf beiden Seiten, Speichellecker und Leisetreter. Die Schauspieltechniken der Macht werden an diesem Abend in all ihren Verrenkungen und in all ihrer Peinlichkeit vorgeführt.

maria stuart1 560 Hans Joerg Michel uDer Hofstaat und die Eingekerkerte: Ensemble, oben Vassilissa Reznikoff © Hans Jörg Michel

Höhepunkt bei Schiller ist das Aufeinandertreffen der beiden unterschiedlichen Königinnen, das mit dem Aus-der-Rolle-Fallen der Stuart endet. Regisseurin Claudia Bauer flutet die Bühne mit Trockeneis und bietet Vassilissa Reznikoff die Möglichkeit, in vollkommener Hysterie auszurasten und nach allen Regeln der Kunst vorzuführen, wie man seine Affekte nicht kontrolliert. Marias Wutausbruch, sie beschimpft Elisabeth als Bastard und unrechtmäßige Königin, besiegelt ihr Todesurteil. Von der Kreischattacke gleitet Reznikoff in einen zarten Jammer.

Ferngesteuerte Hofschranzen

Dabei sticht der Auftritt schon deswegen heraus, weil ansonsten eher Typen, keine Charaktere auf der Bühne stehen. Es sind programmierte Hofschranzen, die wie ferngesteuert zackige Bewegungen und Sätze ausführen, weswegen es schwer fällt, einzelne herauszuheben, etwa den robusten Burleigh von Patrick Schnicke oder den wetterwendischen Leicester von Robin Krakowski. Oft tragen die Akteure Masken vor den weiß geschminkten Gesichtern, Individualität gerät zur Nebensache, oft vollführen sie Tänze, höfisches Zeremoniell und mechanisches Ballett schräg zitierend.

Claudia Bauer inszeniert das Stück zum Auftakt zu den Internationalen Schillertage als grelle Travestie, legt dabei eher die Strippen frei als die Zieher. Ein überdimensionierter Reifrock dient der Inszenierung als Kerker, Liebesnest und Manifestation der Macht. Der Hysterielevel ist durchweg hoch, Stimmen quietschen, Musik plärrt, wenig dezent das alles. Die Hinrichtung dann der Höhepunkt. Erst köpft (sic!) Maria eine Flasche Sekt, als wolle sie auf den eigenen Tod als Befreiung anstoßen, dann steht sie mit einem Maria-Schwellkopf da, während die anderen Blut auf ihren Körper klatschen. Später kommt noch ein Hund dazu, wobei man denken könnte, die Idee sei auf dem Mist der Hundebesitzerin Claudia Bauer gewachsen, doch tatsächlich gibt es Erzählungen, die von einem Hund berichten, der Maria in ihrer letzten Stunde nicht von der Seite gewichen sei. Am Ende dann, als nichts mehr rückgängig zu machen ist, selbst wenn Elisabeth es wollte, steht Maria allein in einer der Nischen. Maskenlos. Blutbesudelt von oben bis unten, und doch eine Lebendige unter lauter Toten.

 

Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Patricia Talacko, Kostüme: Andreas Auerbach Musik: Friedrich Byusa Blam, Licht: Nicole Berry, Video: Hanna Green, Dramaturgie: Kerstin Grübmeyer.
Mit: Sophie Arbeiter, László Branko Breiding, Johanna Eiworth, Sonja Isemer, Robin Krakowski, Vassilissa Reznikoff, Patrick Schnicke, Nicolas Fethi Türksever.
Premiere am 20. Juni 2019
Dauer: 1 Stunde und 50 Minuten, keine Pause

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Kritikenrundschau

Daniel Stender schreibt auf der Website von swr2 (18.6.2019): Die Inszenierung erinnere an den Barock, "das Zeitalter der harten Etikette". So gut wie jede Handlung sei "ritualisiert". Theoretisch sei das interessant, "denn es verweist auf das Konzept von den zwei Körpern des Königs, den natürlichen und den repräsentativen, den physischen Körper und einen, der für den Staat steht und damit für ein abstraktes Prinzip". Allerdings würde diese gute Regie-Idee nicht durchgehalten. Claudia Bauer rücke Schillers Figuren "in eine abstrakte Ferne". Eine "individuelle Persönlichkeit" sei hier niemand. Hier fehle jemand, "bei dem man mitleiden kann". Das gewähre Bauer dem Publikum nicht.

"All dies wirkt sehr stilisiert, sehr gewollt und vor allem: sehr schrill", schreibt Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (22.6.2019) Claudia Bauer scheut sich aus Sicht des Kritikers nicht nicht davor, "mit prätentiösen Sprachrhythmen in die Fußstapfen Einars des Großen" zu treten. Mit den projizierten Livebildern aus Räumen, die den Zuschauern eigentlich verborgen sind, eifert die Regisseurin seiner Ansicht nach auch "dem mittleren und älteren Frank Castorf nach". Und die vielen Plastikeimer mit dem Theaterblut, mit dem bei Marias "krass geschilderter Enthauptung herumgepanscht wird", erinnern ihn an den Castorf der frühen 1990er Jahre. "Gut geklaut ist halb gewonnen, mag sich Claudia Bauer bei ihrer munter dekonstruierten Schiller-Sause gedacht haben. Aber was bietet die fest in Leipzig engagierte Regisseurin bei ihrer Mannheimer Klassiker-Verwurstung an Eigenem, an Neuem, an Originellem? Leider ziemlich wenig."

Claudia Bauer inszeniere Schillers Recherchen über Brutalität und Empfindsamkeit als schrille Übertreibung. "Auch die Sprache misshandelt sie“, schreibt Alfred Huber vom Mannheimer Morgen (22.6.2019). "Was chorisch skandiert, häufig wiederholt, mit viel Nachdruck gehetzt hervorgepresst, abgespult und mit gedehnten Vokalen ausgestattet wird, vermehrt Schillers ohnehin schon problematische Tendenz, im Theater die Realität extrem zu vergrößern, ins Unwahrscheinliche." Die Aufführung reduziere das Personal fast nur auf Typen.

Egbert Tholl schreibt in der Süddeutschen Zeitung (online 23.6.2019, 18:50 Uhr): Claudia Bauer bleibe sich treu. Ein "beeindruckend energiegeladenes Ensemble" ackere sich durch das Drama, das viel "textgetreuer wiedergegeben" werde, als es das Programmheft vermuten lasse. Vier Elisabeths und vier Maria Stuarts stünden auf der Bühne, die Wesen in ihren "pastellfarbenen, kubistischen Kostümen" spielten die anderen Figuren mit. Das sei rasant, ergehe sich aber in "sturen Wiederholungen und Hysterien", als wolle man jedes "echte Gefühl" vermeiden. Werde es aber mal ruhig, werde es auch "richtig gut".

"Bauer will den großen Bluff der Zuschreibung in Szene setzen," deutet Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.6.2019) die Inszenierung. "Alles ist Schein, alles ist Konstruktion. Die Körper und Geschlechter wandeln sich mit den Worten, die gesprochen werden, die Bewusstseinsformen wechseln je nach Maskenart. Der Text ist das einzig Konstante. Er nimmt sich nicht wichtig an diesem Abend und wirkt doch in das lustige Kostümfest der königlichen Cyborgs hinein und darüber hinaus." Am Ende, wenn sich "die phantastische Vassilissa Reznikoff" als einzig wahre, "weil eben todesbedrohte Maria herauskristallisiert" und in ihrem Käfig "von den feigen Opportunisten mit falschem Blut beworfen" werde, "dann bricht zuletzt doch alle Erfindung weg, und kalt und düster steht der Wahnsinn da." Den von Andreas Auerbach entworfenen Kostümen gibt der Kritiker das Prädikat "spektakulär".

 

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