Landestheater S-H: Protest gegen künftigen Schauspieldirektor
Schlichtweg skandalös?
26. Juni 2019. Das Schauspielensemble des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters wendet sich mit einem Offenen Brief an die designierte Generalintendantin Ute Lemm gegen den künftigen Schauspieldirektor, der 2020/21 seinen Posten antreten soll. Das berichteten die Schleswiger Nachrichten.
"(D)ie Entscheidung für Rolf Petersen, seit vielen Jahren Leiter der Niederdeutschen Bühnen in Schwerin und Flensburg, ist eine Personalie, die schlichtweg als Skandal bezeichnet werden muss", heißt es in dem Offenen Brief, der auch nachtkritik.de zuging (hier im Wortlaut). In Zweifel ziehen die Unterzeichnenden, ob Petersen über die Erfahrung und die Netzwerke verfügt, um das Schauspiel des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters "in aktuellen theatralen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Diskursen" zu verorten. Auch in einer eigens einberufenen Spartenversammlung konnte Petersen das Ensemble offenbar nicht von seiner Eignung überzeugen. "Daher fürchten wir um die regionale und überregionale Attraktivität, die das Schauspiel am Landestheater für Publikum, Künstler*innen und Feuilleton bislang hatte", schreiben die die 24 Erstunterzeichner*innen in ihrem Offenen Brief.
Am Donnerstag steht intern ein Gespräch zwischen der designierten Generalintendantin Ute Lemm und einem der Unterzeichner an, wie dieser nachtkritik.de gegenüber äußerte. In einem weiteren Artikel der Schleswiger Nachrichten zeigte sie sich unterdessen "ziemlich überascht, sowohl vom Inhalt, als auch vom Vorgehen, das ich für falsch halte". Weiter zitiert das Blatt Lemm mit den Worten: "Ich regele solche Dinge lieber intern und nicht in der Öffentlichkeit. Sie sei von Petersen "hundertprozentig überzeugt" und beklagt eine Vorverurteilung, da er noch keine Pläne habe vorstellen können: "Er ist meine Wahl und er bleibt es auch."
Über die Unruhe im Schauspielensemble zeigte sich der noch bis Mitte 2020 amtierende Generalintendant Peter Grisebach in den Schleswiger Nachrichten besorgt: "Das Ensemble war teilweise kaum arbeitsfähig", wird Grisebach zitiert, und auch die Proben zu den ersten Premieren der kommenden Spielzeit hätten aufgrund der Debatte gelitten.
(Schleswiger Nachrichten / eph / geka)
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Und die Vorstellung, man könne "das Problem" intern lösen ist bei den bestehenden Machtstrukturen innerhalb eines Hauses naiv. (...)
Frau Lemm, die Herrn Petersen ja aus Schwerin kennt, bleibt nur, auf ihn zu verzichten oder ihn durchzusetzen mit der Konsequenz, alle Unterzeichner des Briefes zu entlassen. Oder, wie es beschönigend heißt, die Verträge nicht zu verlängern. Egal wie sie handeln wird, ihre erste Nagelprobe in der neuen Funktion hätte sie nicht bestanden.
Aber ich schließe, eh ich mich noch in einer Textanalyse ergehe und fruchtbar aufrege. (...)
Ich finde es sehr mutig, dass sich die Künstler nicht mehr alles gefallen lassen. Sie stehen dafür ein, mit ihrem Namen. Das beweist Mut. Und macht deutlich, dass es ihnen ernst ist und um die Sache geht. Diese Diskurse müssen endlich öffentlich geführt werden.
Ich finde es sehr mutig, dass sich die Künstler nicht mehr alles gefallen lassen. Sie stehen dafür ein, mit ihrem Namen. Das beweist Mut. Und macht deutlich, dass es ihnen ernst ist und um die Sache geht. Diese Diskurse müssen endlich öffentlich geführt werden."
Ich, lieber Pierre, fände es gut, wenn auch Künstlerinnen mitreden dürften. Und wenn KünsterInnen nicht gleich zur Diskreditierungsmaschine greifen würden. Und wenn sich "die Öffentlichkeit" wirklich für Theaterinterna interessierte. Und wenn es jemandem im Theater tatsächlich mal um "die Sache" ginge. Mit ihrem populistischen Stuss hat das alles jedenfalls nichts zu schaffen.
Mit den Künstlern am Haus hat aber niemand geredet, so lese ich den Brief. Und sie mal gefragt, was für Theater sie machen wollen. Vielmehr wurde Ihnen einfach ein neuer Schauspieldirektor vor die Nase gesetzt. Und mit dem sind sie unzufrieden. Ohne eine Öffnung nach aussen wird ihr Anliegen kein Gehör finden. Das wissen Sie genauso gut wie ich.
Schade das sie da von populistischem Stuss reden.
Ich finde das Anliegen klingt sehr verzweifelt, obwohl auch ich den Schreibern etwas mehr Zurückhaltung empfohlen hätte.
Trotzdem muss sich hier die designierte Leitung hinterfragen. Nicht das Ensemble.
Darin wird auch klar, dass es weder ihr noch Herrn Petersen im Vorfeld gelungen ist, ihr "Konzept" oder ihre künstlerischen Vorstellungen so zu skizzieren, wie es das Ensemble in dem Brief vermochte. Das ist ein Armutszeugnis für jemanden, der so ein Haus leiten möchte und von dem diese Menschen letzten Endes abhängen werden (und der von der Personalie so überzeugt ist).
Die Unveränderlichkeit ihrer Haltung, wie sie Frau Dr. Lemm beim NDR an den Tag legt, zeigt, wie nötig eine deutliche Wortwahl und der Weg über die Öffentlichkeit waren. Und sie zeigt, dass die überkommenen Machtverhältnisse am Theater keineswegs in Aufweichung begriffen sind. Frau Dr. Lemm hat sie im Gegenteil beglaubigt.
Offen gestanden mahlen meine Mühlen hier immer wieder langsamer, und so ist mir nicht unwesentlich Erscheinendes immernoch sehr unklar. Zunächst sehe ich im oben angezeigten Interview mit Frau Lemm, meiner Lesart zufolge, weniger die Ungehaltenheit über den Vorgang als die Enttäuschung bzw. Überraschung über diesen; das erscheint mir zunächst einmal nachvollziehbar, menschlich-persönlich, genauso im übrigen wie die Tatsache, daß sie wohl schlecht so stoßartig von ihrer Überzeugung, den richtigen Mann für den Schauspielleiterposten zur Seite zu haben, jetzt: gehabt zu haben, Abstand nehmen kann. Ganz ehrlich, das ginge dann schon eher in Richtung Skandal, wenn eine Generalintendantin so wetterwendisch wäre. Fast klingt es in dem einen oder anderen Kommentar, als sollte sie genau zu dieser Einsicht bereits gelangt sein: das ist ziemlich absurd. Der Zyniker würde an dieser Stelle vermutlich den Einschub machen:"Warum regen die sich jetzt da in SH so auf ? Käme ein Schauspielleiter mit großem eigenen Netzwerk, mit über Jahrzehnte gewachsenen Arbeits- und Vertrauensverhältnissen zu einer ganz und gar für ein Ensemble hinreichenden Schauspielerinnen- bzw. Schauspielergruppe, so würde dieser, bis auf die Unkündbaren, die es wohl gibt, jedenfalls sehe ich einige Spielerinnen und Spieler dort auch schon (oft gerne) eine längere Zeit, vermutlich nicht zögern, wirklich recht Übliches zu tun, nämlich tatsächlich tabula rasa zu machen !" Frau Dr. Lemm und Herr Petersen haben aber doch wohl weitestgehend mit diesem Ensemble geplant, wollten auf dieses Ensemble und wohl auch auf eine gewisse Kontinuität hin aufbauen beziehungsweise zurückgreifen, nun ja, und das wäre wohl auch besser einmal so gesagt worden, hm., umso überraschender prima facie also die plötzliche Hitzigkeit ! Menschlich fällt es mir schwer, ganz ehrlich, mir vorzustellen, daß das Ganze jetzt erst mit der Nennung Herrn Petersens so hochkochen soll, ohne daß es nicht schon im Vorfeld irgendwie gegärt hat, allerdings sehe ich -in meiner zugegeben begrenzten Kenntnis- noch nicht so recht, wann , wo und zu welcher Gelegenheit sich das entzündet haben mag. Als NK am 25. Januar die Generalintendanz meldete, da gab es lediglich einen (sehr positiven !) Kommentar von "Johannes Beckmann", der in seiner Zugewandtheit denjenigen Kommentaren Rainer Schmedemanns zum Ensemble sehr ähnelt(e). Seit dieser Zeit, von Beginn an, habe Frau Lemm, so besagtes Interview, ihre jederzeit bestehende Offenheit für Nachfragen signalisiert. Gab es solche Nachfragen ? Nun ja, meiner Kenntnis entzieht sich das; was ich dagegen aus den Artikeln im Flensburger Tageblatt vom 27. und 28.6. bzw. dem Interview erfahre ,ist, daß ein Gespräch mit dem Ensemble (es ist wohl im Interview auch jene Spartenversammlung vom 28.6., 9 Uhr gemeint, oder ?) mittlerweile stattgefunden hat, von dessen "Ausgang" in den beiden Threads zur Causa bzw. aus sonstigen Medien nichts bekannt ist (ob das nun aus einer Geschlossenheit der Veranstaltung resultiert oder einer Nachdenklichkeit in den verschiedenen Redaktionen oder auch einer gewissen Gleichgültigkeit mag befragt werden) -vielleicht kann NK nachhaken- und daß dem ersten SHZ-Artikel mit der Stellungnahme Frau Dr. Lemms ein zweiter offener Brief (Wortlaut ??) gefolgt war, dem wiederum die Ladung zum Spartentreff am Folgetag folgte. Schade, daß ich am 28.6. nicht in Flensburg sein konnte, aber noch bedauerlicher, nicht mehr vom 28.6. in Rendsburg erfahren zu haben. Post scriptum: Daß die NDR-Interviewerin , siehe Brieglebartikel in der Süddeutschen (an so was könnte eine Journalistin anschließen), nicht eine Probe aufs Exempel gemacht hat und die Gelegenheit genutzt, Frau Dr. Lemm nach den Lübecker Ereignissen zu befragen (vielleicht wäre die Antwort ja überraschend kompetent ausgefallen), ist desweiteren darüberhinaus zu bedauern, finde ich..
Der zweite offene Brief schildert diesen Vorgang, er wurde von den KN veröffentlicht. Natürlich fragt ein Ensemble nicht die Generalintendantin, ob sie ihre Entscheidung doch nochmal überdenken würde und natürlich ist die Generalintendantin "enttäuscht", wenn die Fragwürdigkeit ihrer Entscheidung öffentlich wird.
Für mich sieht der Vorgang bis jetzt immernoch so aus, daß Frau Lemm wie Herr Petersen -offenbar wiederholt, im Falle Herrn Petersens, es soll ja vor dem ersten offenen Brief zwei längere Runden, darunter eine Spartenversammlung, gegeben haben, es heißt ja, er habe eine Woche Zeit gehabt sich vorzubereiten vor der den 1. Brief auslösenden Versammlung- massiv die Dringlichkeit unterschätzt haben, die seitens des Ensembles zu bestehen schien (so lese ich auch die einräumenden Passagen aus dem Interview) bzw. heute noch scheint, eine Dringlichkeit zudem, die offenbar sogar so groß ist, daß aktuelle Probenprozesse dadurch (gemäß Intendant Grisebach) stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind -auch das berichtete die SHZ in diesem Zusammenhang, daß Herr Grisebach die Sache zur Unzeit aufkommen sieht (ist das ein zu vernachlässigendes Detail ?), obschon Frau Lemm überhaupt erst in der Spielzeit 2020/2021
übernehmen soll. Woher die Unduldsamkeit bzw. auch nicht wirklich professionell erscheinende Gefährdung der aktuellen Arbeiten ? Es hieß doch auch im Artikel nach dem ersten Brief, daß es bereits seit der Nennung Herrn Petersens im Ensemble gärte, fragt sich dann, wirklich noch einmal ein wenig den Ablauf zurückblickend, ob diese Gärung bereits vor dem ersten Termin mit Herrn Petersen bestand oder erst quasi durch sein Auftreten evoziert wurde. Ist eine solche Dringlichkeit zur Darlegung konkreter künstlerischer Programme bei der Vorstellung einer Personalie und so früh vor ersten Strichen zur Spielplanaufstellung wirklich üblich und unbedingt zu erwarten ? Ist es ein Kriterium, wieviele Inszenierungen ein künftiger Schauspielchef in dem betreffenden Theater bislang gesehen hat ?? Das klingt mir auch ziemlich provinziell mit Verlaub, wenn dem so wäre. Ich sehe insofern immernoch nicht so recht durch. lg aus Kiel