Räume hacken, aber welche?

8. Juli 2019. Im Berliner Club "Mensch Meier" fand ein alternativer Volksbühnengipfel statt. Es wurden Zukunftsvisionen aber auch viel Ab- und Untergründiges verhandelt.

Von Sophie Diesselhorst

Berlin, 8. Juli 2019. Es brechen der Stadt die Orte weg, an denen die Gesellschaft sich selbst öffentlich verhandeln kann. Das sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm. Neben ihm sitzt auf dem abendlichen Panel im Berliner Club "Mensch Meier" eine Aktivistin, die genau um so einen Ort kämpft. Sie erzählt von einer Brache in Neukölln, die sie mit anderen zusammen erschlossen hat als Biotop einer diversen Stadtgesellschaft. Die Brache habe sofort Verständigungsprobleme produziert: Die eine will feiern, der andere in Ruhe im Garten abhängen. Wenn der Verhandlungs-Ort erhalten werden soll, muss seine mikrokosmische Gesellschaft sich dort selbst verhandeln – und klare Kompromisse finden.

Das Gespräch hat nichts mit Theater zu tun, ist aber die konzentrierteste Veranstaltung beim ziemlich diffusen "Alternativen Volksbühnen-Gipfel", den die Gruppe "Staub zu Glitzer" organisierte und ankündigte, noch bevor bekannt wurde, dass René Pollesch ab 2021 neuer Intendant der Volksbühne wird.

Vorbild Volksbühnen-Aura

"Staub zu Glitzer" hatten die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz im September 2017 für ein paar Tage besetzt. Pollesch unterstützte damals die Besetzung und hat mit Bekanntgabe seiner Intendanz noch einmal angekündigt, mit den Besetzer*innen zusammen arbeiten zu wollen. Mit seiner Stamm-Dramaturgin Anna Heesen und der Schauspielerin Kathrin Angerer war er nun auch im "Mensch Meier" zu sehen, wo am Samstag, den 6. Juli von nachmittags bis in die Nacht in etwas trister Geisterbahn-Atmosphäre gegipfelt wurde – drinnen im Dunkeln und draußen im Hof im Nieselregen, mit Cryptoparty- und Tanz-Workshops, mit Film-Interviews aus den Besetzungs-Tagen und bemalten Regenschirmen von Ute Bella Donner, die die Außenwand des "Mensch Meier" mit Porträts alter Volksbühnen-Helden zierten.

VBGipfel1 560 Immo Braeutigam uHenry Hübchen, Carl Hegemann & Co.: Regenschirm-Installation beim "Alternativen Volksbühnengipfel" vorm Mensch Meier in Berlin-Friedrichshain, wo klar wurde: der Stadt fehlt mehr als nur die alte Volksbühne © Immo Bräutigam

Mit Pollesch als freundlicher Volksbühnen-Macht und der Aura der auch von den Besetzer*innen idealisierten "alten Volksbühne" hatte der widerständige Geist, den der Gipfel befeuern wollte, es nicht leicht. Auf der Suche nach Feindbildern wurde in einem Panel zum kollektiven Arbeiten der Stadttheater-Betrieb gedisst, mit Schreckens-Anekdoten zum Beispiel aus der Welt einer Regie-Hospitantin, die einer Regisseurin, "die erst nach vier Wochen wusste, wie ich heiße", die Kohlensäure aus der Apfelschorle rühren musste. Eine "Sprecherin" von Staub zu Glitzer verglich die Volksbühne mit einer Gebärmutter und verirrte sich in eine radikalfeministisch gewandete, esoterisch verschwimmende Vision, die nicht nur Kathrin Angerer zum Kichern brachte.

Radikal offen gehalten

Jede*r konnte das Mikrofon ergreifen. Schon bei der Besetzung im September 2017 ließ sich keine klare gemeinsame Forderung aus der Wirrnis herauskristallisieren, nur ein diffuser Eindruck von Dringlichkeit: Der Stadt fehlt was. Das hört man schon länger auch woanders von den Dächern pfeifen, aber bei der Volksbühnen-Besetzung verdichtete es sich spektakulär.

vb Besetzung 61 12Zwei230 560 david baltzer xVolksbühnenbesetzung im September 2017 © David Baltzer

Im "Mensch Meier" wurde nun also an die radikale Offenheit der Besetzung angeknüpft. Das ist konsequent, führte aber im Endeffekt nur zu einem eher deprimierenden Stimmungsbild, in dem sich die vielen Projektionen, die die Dercon-Volksbühne als große Leerstelle angezogen hatte, noch einmal sammelten und überlagerten – wie schon im Juni 2018, als es beim Symposium zur Zukunft der Volksbühne in der Akademie der Künste zeitweise hoch herging.

Im zentralen Rede-Raum präsentierten sich aktivistische Initiativen aus mehreren Stadtteilen, Währung war die Not, Leitfrage: Wem gehts am schlechtesten? Berichte von Wohnungslosigkeit und Verdrängung wechselten sich ab mit Manifesten, die dem Ideengut der "alten Volksbühne" hinterherhasteten und den Kopf dabei unter den Arm nahmen. Am Eingang wurden die Handy-Kameras abgeklebt, aber das Fotografierverbot minderte den allgemeinen Selbstdarstellungsdrang nicht.

Viele Räume sind gemeint

Nur die anwesenden Promis hielten sich zurück, weder Pollesch ergriff das Mikrofon, noch Evelyn Annuß, Initiatorin der Volksbühnen-Petition. Prominenteste Rednerin war die Schauspielerin Mateja Meded, die dazu aufrief "Räume zu hacken", aber offen ließ, welche Räume – physische Räume, Aufmerksamkeits-Räume, den öffentlichen Raum in Gestalt einer Brache oder den öffentlichen Raum der sozialen Medien, wo man doch mittlerweile eine viel größere, globalere Aufmerksamkeit erwarten kann?

Das Verhältnis physischer zu virtuellen Räumen untersuchte spätabends die Performance "Amok" der Filmemacherin Lydia Dykier, die in einen Raum performt und fürs Publikum in einen anderen Raum übertragen wurde – in diesem Umfeld der spontanen, eher oberflächlichen Eruptionen war "Amok" von wohltuender Komplexität, aber dem Hype, der den ganzen Gipfel über schon raunend aufgebaut worden war, wurde die Performance dann doch nicht gerecht, wirkte wie ein Mashup legendär gewordener Volksbühnen-Ästhetiken mit der Beigabe forcierter Mehrsprachigkeit. Mit aufgerissenen Augen sprachen die Performer*innen Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und Kauderwelsch in die Live-Kamera. Ein bisschen wie die zusammengeschnittenen Längen einer Castorf-Inszenierung, in denen das Publikum mit den Schauspieler*innen zusammen Stimmungstiefs durchleiden muss, um dann wieder in die Höhe fahren zu können. Aber eben ohne Höhen.

Neue Sammelbewegungen

Die Höhe produzierte dann am ehesten noch das stadtpolitische Panel mit Andrej Holm, in dem ganz klar und deutlich benannt wurde, worum es eigentlich geht, gehen könnte, gehen sollte: Räume der Verhandlung. In denen nicht nebeneinander her performt wird, sondern miteinander, wie auf der Neuköllner Brache. "Es muss nicht unbedingt die Volksbühne sein", sagte Andrej Holm irgendwann. Ja, vielleicht hat die Volksbühne schon wieder ausgedient als Bild für dieses Ideal einer Sammelbewegung.

Wie ein ironisches P.S. zu dem Samstag im Mensch Meier wirkte heute am Montag ein Artikel im Tagesspiegel, in dem der ehemalige Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner Künstler und Kreative dazu aufrief, Ideen für die Brache am Checkpoint Charlie zu produzieren. Tim Renner, der die Leerstelle Volksbühne überhaupt erst produziert hat, und damit, indirekt, auch den Widerstand – der jetzt vorerst ins Leere gelaufen zu sein scheint.

Der Alternative Volksbühnen-Gipfel
Panels, Lesungen / Vorträge, Workshops, Performances/ Inszenierungen
am 6. Juli 2019

staubzuglitzer.de

 

Mehr dazu: Wir berichteten von der Volksbühnen-Besetzung im September 2017 und vom Symposium "Vorsicht Volksbühne" vor einem Jahr in der Akademie der Künste in Berlin, wo über die Zukunft der Volksbühen diskutiert wurde.

Mehr dazu: den Redebeitrag von Luise Meier Die Vermessung des Schlachtfelds: Warum wir zwei, drei, viele Volksbühnen brauchen veröffentlichte die Berliner Gazette (9.7.2019).

 

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