Caligula - Jette Steckel zeigt Albert Camus' Erstling in der Box des DT
Posen der Verzweiflungsgrausamkeit
von Anne Peter
Berlin, 11. September 2008. Sie geht es ziemlich offensiv an. Auch das berüchtigt raue Theaterpflaster der Hauptstadt kann Jette Steckel offenbar nicht schrecken. In der Box des Deutschen Theaters gab die 1982 geborene Regisseurin jetzt mit einer selbstbewussten Inszenierung von Albert Camus' "Caligula" ihr Berlin-Debüt. Das Erfahrungs-Polster, das sie mitbringt, ist enorm: Unter anderem in Hamburg, Köln, Wien und Kassel hat sie schon gearbeitet, wurde in der Theater heute-Umfrage zur Nachwuchskünstlerin des Jahres 2007 gekürt, erhielt in diesem Frühjahr den "Eysoldt-Preis für junge Regisseure" und gastierte beim "Radikal jung"-Festival.
Wie Steckel und ihre Darsteller-Crew war auch der Autor Mitte Zwanzig, als er 1938 die legendenumrankte Lebensgeschichte des von 37 bis 41 regierenden römischen Skandal-Kaisers zum Stoff für sein erstes Drama machte. Dabei strebte er erklärtermaßen nicht nur danach, dessen "leidenschaftliches Verlangen nach dem Unmöglichen" in seiner "Maßlosigkeit darzustellen", sondern verfolgte auch noch "ganz schlicht die Absicht, selber die Rolle Caligulas zu übernehmen" – woraus dann (kriegsbedingt) nichts wurde.
Einzeln in die Ablichtungsschleuse
Wie gesagt, Jette Steckel geht es offensiv an, und versetzt das Vieles gewöhnte Hauptstadt-Publikum bereits beim Einlass in eine leicht unwohlige Hab-Acht-Stellung. Ähnlich wie schon bei ihrer Studienabschlussarbeit für die Hamburger Theaterakademie, "Die Gerechten" ebenfalls von Camus, werden die Zuschauer vorm Betreten der kleinsten DT-Spielstätte einzeln in die Ablichtungsschleuse gebeten. Auf Anweisung von Caligula-Darsteller Mirco Kreibich ("Nase hierhin und Augen zu, bitte") muss jeder sein Gesicht in den Kopierer halten.
Später werden die verzerrten Copy-Porträts als Totengalerie lautstark an die Rückwand getackert. Und das Kopiergerät wird zum Hauptrequisit mit Hinrichtungsfunktion: Kopf auf die Platte und – Exit. Das erspart eine Menge Kunstblut und röchelnde Sterbeszenen, denn der vom Nihilismus gepackte Schreckensherrscher befördert im Verlauf des Abends eine Unzahl Patrizier ins Jenseits.
Die sitzen bei Jette Steckel mit im Zuschauerraum, von dessen Rändern sich immer wieder auch die Schauspieler erheben. Der Text ist entsprechend leicht umgemodelt und auf zwei Stunden zusammengestrichen. In der ersten Reihe wird einer zum Gehen aufgefordert (und will wirklich gehen), eine andere wird auf die Bühne gebeten, um dort doch bitteschön selbst mal Gott zu sein (will aber nicht) – Steckel nimmt alle in Mitmachangsthaft.
Frontal durch die vierte Wand
Schon die erste Rede, die Camus' Caligula an seinen Oberhofmeister richtet, zielt hier frontal durch die Vierte Wand: "Wer denkt wie ihr, muss diese Schlussfolgerung" – dass nämlich Geld und Menschenleben gleichwichtig sind – "anerkennen und das Leben für nichts achten, da ihm das Geld alles bedeutet." Dieser holzhammernde Publikums-Affront beruht zwar auf einem Vorurteil, bewegt sich aber letztlich innerhalb der alles nivellierenden Caligula-Logik, die Camus vorführt: alle sind schuldig. Und diese, unsere Schuld verortet Steckel irgendwo im konsumistischen Mitläufertum.
Wenn Caligula seiner Geliebten Caesonia (Alwara Höfels) angesichts der getroffenen Enterbungs- und Entleibungs-Pläne trocken erklärt, das sei "Pädagogik", beschreibt er also durchaus auch das Wirkungswollen der Regie, die das Publikum in ein aktuell-dringliches Lehrstück zu zwingen sucht – zurücklehnen gilt hier nicht. Das geht durchaus mit dem Text konform, denn auch Camus' Caligula schraubt seinen willkürlichen Staatsterror nicht zuletzt deshalb in immer schauerlichere Höhen, um die von ihm Gequälten zum endlichen Widerstand, zur Rebellion zu provozieren. Die notwendig seine Auslöschung bedeuten muss.
Drahtig, blondzottig, virtuos
Insofern erzählt Camus eine Geschichte des Selbstmords als einer Kapitulation vor der absurden Unverständlichkeit und Sinnlosigkeit des Lebens. Ist diese bei ihm noch konkret motiviert durch den Tod Drusillas, der Schwester und inzestuösen Geliebten des Herrschers, streicht Jeckel dieses Motiv. Damit treibt sie die existentialistische Allgemeingültigkeit noch weiter und begünstigt die Verheutigung. Caligula wird ihr dabei, in Gestalt des drahtig-blondzottigen und wirklich furiosen Mirco Kreibich, zu einer Art Kurt Cobain, der Caesonia-Courtney kaputtliebt und nicht, wie im Drama, am Ende ermordet wird, sondern selbst den tödlichen Copy-Knopf drückt.
Vorher gibt er virtuos vielgestaltig den Schauspieler-Tyrannen: stolziert im überzogenen Stechschritt, ballettöst und rockt zu "The End" der Doors im Mondlicht-Spot (den Mond, das Unmögliche bekommt Caligula nicht). Er ganzkörperfotokopiert die Kreuzigungspose zusammen, schwitzt und wühlt sich durch alle Posen der Verzweiflungs-Grausamkeit. Sein Caligula findet in den Mitspielern – mit Ausnahme Alwara Höfels, die ihm flapsig bis liebesleidend die Stirn bietet – kaum angemessene Gegner. Im Publikum auch nicht. Das hat jedenfalls wenig Widerstand geleistet.
Caligula
von Albert Camus, übersetzt von Uli Aumüller
Inszenierung: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners. Mit: Mirco Kreibich, Alwara Höfels, Franz Konstantin Beil, Andreas Christ, Matthias Ziesing, Nikolai Plath, Simon Zagermann.
www.deutschestheater.de
Mehr zu Albert Camus: Der Fremde in Oldenburg, Regie: Albrecht Hirche, Jarg Patakis Fremdwerden I - III in Freiburg.
Mehr zu Regiearbeiten von Jette Steckel: Die Kaperer von Philipp Löhle, März 2008 im Wiener Schauspielhaus; Fremdes Haus von Dea Loher, im Februar 2008 in Köln; Gerettet von Edward Bond, im November 2007 in Hamburg.
Kritikenrundschau
Dass der Kaiser Caligula nie ein Maß fand, sondern wütete und mordete, und seine Erkenntnis zum Todesurteil für viele wurde, "dafür haben die Regisseurin Jette Steckel und Bühnenbildner Florian Lösche ein ungeheuer sprechendes Bild gefunden", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (13.9.). Es ist ein alter Kopierapparat, der unerbittlich summt, "Spiegel und Guillotine für den Gewaltherrscher zugleich und schillernder Dreh- und Angelpunkt ihrer spannungsreichen Inszenierung einer Tragödie der Erkenntnis". Fast jeder, auch jeder Zuschauer, werde an diesem Abend einmal sein "Gesicht auf das Gerät gelegt und ein Bild von sich produziert haben, das später an der Hinterwand hängt in einer gespenstigen Galerie." Und trotz mancher "Slang-Billigkeit", die sich einschleiche, blitze in der "falschen Freiheit" dieses Caligula auch der Keim auf, der wahr spricht, so das Fazit.
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Außerdem bin ich es etwas müde, mit anzusehen, wie Dramenfiguren benutzt werden, um das uninteressante Überdrussgefühl von Mittebubis und Schanzenvierteltussis auszudrücken. Und wenn Römer unüberhörbar Dialekt gefärbtes Hochdeutsch reden, stört mich das auch.
Ich bin nicht Gerhard Stadelmeier, aber Mirco Kreibich ist auch nicht Klaus Kinski.
(Die Redaktion erläutert: Harald Asel ist Kulturredakteur beim Radio Berlin Brandenburg)
da muss ich sie enttäuschen, das rausschicken einer person aus dem publikum an dieser stelle ist gesetzt, ich habe dies bereits in gleicher form bei den voraufführungen gesehen. nur führte es eben da nie zu solch ramba zamba wie gestern. teilweise kann ich ihre wut ja verstehen, teilweise. denn ich unterstelle ihnen jetzt mal, dass sie, soweit das ihre berufung erlaubt kerngesund sind und sie sich deshalb gewehrt haben kopiert zu werden weil sie es schlicht blöde fanden, das jedenfalls war es was ihr gesicht zum ausdruck brachte als sie ihrer kollegin triumphierend mitteilten, sie seien einfach durchgelaufen. ihre haltung war von beginn an abwehrend und diese haltung hat sie ja dann auch für den rest des abends in beschlag gehalten. wie schade. da wäre es doch wirklich besser gewesen, im passenden moment das weite zu suchen und zuhause bei einem kühlen bierchen darüber zu sinnieren wie die grenzen an einem theaterabend wohl am besten zu stecken wären...... damit es nicht wehe tut vielleicht? herr asel, wie gesagt, ich kanns ja verstehen, dass sie das rausgeschickt werden geärgert hat, aber sie sind selber schuld. sie wurden gebeten sich zu kopieren und falls sie dies nicht wollen, bekämen sie ihr geld zurück und sollten besser gehen. das war das angebot.
sie haben sich auf keins von beidem einlassen wollen, sondern sind schmollig wie ein kleiner bub auf ihren platz gestapft. es fing alles schon einach zu doof an...mal ehrlich, ab da waren doch die scheuklappen schon dicht, die neugier von argwohn überfrachtetet. man hat sie gekränkt, ihren wert nicht erkannt. demütigend. und darum geht es bei "calligula". und darum ging es gestern abend. das ist ein versuch, man mag darüber denken was man will und er ist sicher roh, ist kein ganzes, es befriedigt nicht, gar nicht. es verstört. zumindest mich hat es das. und das ist ein entscheidendes zeichen von repression. sie verstört aussenstehende betrachter zutiefst.
herr asel, ich lese hier, sie sind kulturjournalist. ich hoffe sehr sie sind ein neugieriger mensch.
Das ist ja interessant, was Sie alles in mich hineingelesen haben, würde mich wirklich interessieren, woher Sie diese Informationen haben. Wo haben Sie denn gesessen, dass Sie mein Innenleben meinen so gut zu kennen? Auf der Bühne können Sie jedenfalls nicht gestanden haben, denn dort hätten Sie meine nicht nachlassende Aufmerksamkeit verfolgt. Ich jedenfalls habe mich weit eher für die Problematik dieser Situation interessiert als für mich als Beteiligten. Es würde Sie wahrscheinlich überraschen, was ich zum Abend gesagt hätte, wenn ich weiter meinem Beruf hätte nachgehen können - aber als Teilnehmer einer Aktion lässt sich eben keine Kritik mehr darüber schreiben.
Eine inhaltliche, auch ästhetische Auseinandersetzung (die der Abend übrigens in der Tat verdient!) würde ich jedenfalls nie auf so eine banale, psychologisierende Weise ( "kleiner Bub", "Scheuklappen", "gekränkt") abwürgen.
Schade! Ich sehe darin eine Selbstimmunisierung gegen jedwede Form der Kritik. Und im Übrigen ein Verwechseln von Mottoparties, die Teilnehmer haben, mit Theater, das Zuschauer hat.
Schließlich: dass das Rausschicken geplant war, macht es nicht besser, es ist eine Art "Authentizität als Effekt", der zeigt, dass ich als Zuschauer/Adressat/Opfer/was auch immer
den Beteiligten herzlich egal bin, so dass selbst das Bemühen um meine Rückkehr nicht ein Ringen um mein Verstehen, sondern eine einstudierte Show geworden ist. Wenn es aber der Produktion darum ginge (was ich nicht glaube), jemanden öffentlich zu demütigen ("demütigung. darum geht's"), dann sollte es auch so angekündigt werden. Ich wette, der Saal wäre jeden Abend übervoll.
Natürlich bin ich selber schuld, wie Sie zu recht sagen, sowohl wenn ich gehe, als auch, wenn ich bleibe. Camus würde dem nicht widersprechen. Aber - und auch darum geht es an diesem Stück in den leider zusammengestrichenen Figuren im Umfeld von Caligula -es geht dabei um das Wort "selber".
Mutmaßungen über die Nichtneugier von Kritikern sind wohlfeiles Theatergeschwätz. Zumal: Wenn Herr Asel sich von Mirco Kreibichs Bitte persönlich gemeint fühlte, ist das doch eher ein Zeichen von Sensibilität, nicht? (Hatten wir die Diskussion nicht vor einem Jahr schon mal, bei der Box-Premiere von "Weine nicht"?)
sie haben recht, ich habe eine voraufführung gesehen und die premiere, also zwei aufführungen, entschuldigen sie diese unkorrekte ausführung meinerseits. dem haus/der produktion nahe zu stehen habe ich mit keinem satz behauptet, was auch eine glatte lüge wäre. die voraufführung war meiner ansicht ja eine öffentliche. ich hatte aus meiner beobachtung der situation eine meinung und die habe ich kundgetan, was mein gutes recht ist. mein name spielt dabei, mit verlaub, keinerlei rolle. ich verstehe, dass sie herr koberg als ehemaliger kritiker ihren kollegen in schutz nehmen wollen, auch wenn ich dafür keinerlei grund sehe, da ich ja nun nicht gerade mit unsachlichen beleidungen um mich geworfen habe. warum auch? es war mein eindruck und den habe ich dargelegt. eindrücke/kommentare sind subjektiv, immer, dafür muss man nicht teil ihres hauses sein. und mit "theatergeschwätz" wie sie es nennen hat mein kommentar erst recht nichts zu tun. dies halte ich nun eher für eine unsachliche unterstellung ihrerseits. aber bitte.
abgesehen davon handelte es sich bei meiner äusserung nicht um eine "verteidigung", sondern um ein in-den-kontext-stellen des verhaltens von herrn asel und der danach folgenden auseinandersetzung zu meiner auffassung der inszenierungsaussage.
aus diesem blickwinkel war die kleine eskalation nämlich durchaus interessant. es war nämlich gewissermaßen eine denunzierung und diese sind doch recht typisch für jedwede diktatur. am premierenabend hat es eben herrn asel erwischt, er musste damit rechnen. ob man das an einem theaterabend ertragen will, steht dabei auf einem ganz anderen blatt.
ABER: Das Herausschicken der Besucher (wohlgemerkt, es sind keine Schauspieler gewesen, die Dame hatte sich auch geweigert sich kopieren zu lassen und wurde dann ca. 10 Min. nach Beginn des Stückes bestraft: "Bitte verlassen Sie den Saal! Verlassen Sie den Saal, sonst spiele ich nicht weiter") war völlig daneben.
Es folgten Buhs und Worte der Empörung den Schauspielern gegenüber im Publikum, als die Dame (und dann auch ihre Begleitung) den Saal verließen. Da half auch kein Hinterherrennen und Aufhalten der anderen Schauspieler. Dieses Paar war sicher (Spekulation) zum letzten Mal im DT.
Wir bekamen im Publikum Eier verteilt, (einkalkulierte Provokation, die Eier auf der Bühne wurden zerquetscht von den Darstellern, es stank höllisch die weiteren 60 Minuten im Saal) und ja, ich war davor, eins zu werfen (konnte mich aber beherrschen). Wenn das Publikum mit ins Spiel einbezogen wird, darf es dann nicht auch reagieren? Gehen sowieso, aber auch agieren?! Ich denke ja. Aber das traut sich natürlich niemand.
Aber Mirco Kreibich war wirklich gut.
Aber was bleibt?