Die Stunde der Burn-Out-Clowns

von André Mumot

Berlin, 17. August 2019. Einer macht nicht mit. Weil Arbeit stresst. Die die Unterhaltungsarbeit ganz besonders. Während um ihn herum die berufsbedingte gute Laune eskaliert, hat sich Mazen Aljubbeh mit Paketband den Mund verklebt und das Gesicht mit Mullbinden eingewickelt, aus denen nur die rote Aufsetznase hervorsticht. Dafür liegt er aber umso entspannter mitten auf der Bühne, während seine Clownskolleginnen und -kollegen um ihn herumwuseln und mit dem überemphatischen Ausperformen ihrer Clownshaftigkeit beschäftigt sind.

Singen, Grinsen, Zaudern

Sie überschlagen sich und rufen einander über ihre bunten Halskrausen hinweg Befehle zu, klettern auf die Kulissen, die sie so zusammenbauen, dass sie selbstverständlich sofort wieder in sich zusammenstürzen, zwingen sich zum Singen, zum Grinsen, breiten in sinnlosem Triumph die Arme aus und kommen kein Stück voran. Ajubeeh geht währenddessen zur Tür und raucht. Erst gegen Ende reiß er sich das Klebeband von den Lippen. Um endlich etwas zu sagen? Nein, um sich das Mikrofon in den Mund zu stopfen und bloß hörbar genervt hineinzuatmen. Clown sein geht anders.

herzstueck1 560 ute langkafel maifoto uLächeln und nicht verzweiflen: Maryam Abu Khaled, Elena Schmidt und Dominic Hartmann © Ute Langkafel / Maifoto

Während die meisten Bühnen zum Spielzeitbeginn auf Vollgas schalten, bremst Regisseur Sebastian Nübling den eigenen Betrieb formschön aus, indem er ein Nichtstück aufführt, aus dem er dann auch noch ein Loblied auf die Arbeitsverweigerung ableitet. Ganz nebenbei schließt er damit an seine Version der "Hamletmaschine" an, die er bereits 2017 mit dem Exil Ensemble des Gorki Theaters als abgründige Clowns-Performance inszeniert hat, als Auseinandersetzung mit den von Heiner Müller herbeigeraunten "Ruinen von Europa" und der brutalen politischen Realität.

"Arbeiten und nicht verzweifeln"

Nun, im neuen Container, den sich das Maxim Gorki Theater vors Haus gestellt hat, um wegen der dringenden technischen Nachrüstungen der Hauptbühne eine Ausweichspielstätte zur Verfügung zu haben, werden inhaltlich leichtere Töne angeschlagen – mit jenem "Herzstück", das Müller Anfang der 1980er für zwei Clowns geschrieben hat und das bloß aus vierzehn kurzen Zeilen besteht. Ein sich antastender Liebesdialog als sanfte Kalaueraustauschung. "Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen?" lautet der erste der wenigen Sätze, auf den das Gegenüber so aufgeschlossen, wie großzügig antwortet: "Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen." Aber es kommt eben auch die Zeile "Arbeiten und nicht verzweifeln" vor, die zur Steilvorlage für die Inszenierung wird.

herzstueck2 560 ute langkafel maifoto uHerz-Stück geladen: Die Bühne für den Heiner-Müller-Abend richtete Eva-Maria Bauer in der neuen Container-Ausweichspielstätte des Gorki Theaters ein © Ute Langkafel / Maifoto

Tatsächlich wird das Stück rezitiert, eingebettet in einen virtuosen Rasanz-Monolog von Vidina Popov, in dem sie sich in wahnsinnige Selbstausbeutungsbegeisterung hineinsteigert und bei der kurzen Ankündigung, was hier eigentlich gespielt werden soll, den ganzen vierzehnzeiligen Text herunterrattert. Vor allem aber geht es in ihrer von frenetisch geschmetterten Popsongzitaten punktierten Rede darum, was sie als Schauspielerin alles leisten muss, welche Fähigkeiten sie sich antrainieren, wie viel Flexibilität sie an den Tag legen muss, um gecastet zu werden, um spielen zu dürfen. Schließlich bedankt sie noch im tränenseligen Oscarreden-Modus bei "ihrer Intendantin" Shermin Langhoff dafür, ins Ensemble aufgenommen worden zu sein. "Girl Power!" ruft sie in schnappatmender Glückseligkeit und redet dann gleich weiter.

Später Charme

Es dauert eine Weile, bis der Abend auf diesen und weitere hinreißende Kulminationspunkte zusteuert. Vorher breiten sich die Anlaufschwierigkeiten der ladegehemmten Clownsmannschaft in ermüdender Gedehntheit aus, und man muss einiges an zirkuserprobter Geduld aufbringen, bis das "Herzstück" echten Charme und profunde Selbstironie aufsprudeln lässt. Dann verdichtet es sich allerdings zur erfreulich leichtgängigen Feier des Abbruchs, der Nicht-Leistung, der Kapitulation vor der eingeforderten (Theater-)Großartigkeit, in dem die planlos in der Gegend herumspringenden Clowns wie schrille Stiefgeschwister der lebensuntüchtigen Zauberer und Nebelmaschinenfabrikanten aus dem Thom-Luz-Universum wirken.

Ihnen gilt ohne Zweifel Sebastian Nüblings Sympathie, für Professionalität und Effizienz aber müssen andere sorgen. Ganz am Schluss, als noch einmal Heiner Müllers Stimme aus dem Off das winzige "Herzstück" darbietet, übernehmen es zwei runde Saugroboter, die Bühne zu putzen. Vertraulich schubbern sie an den Körpern der erschöpft ausgestreckten Clowns entlang, bleiben in Mikrofonkabeln hängen und piepsen empört auf, weil sie nicht verrichten können, was verrichtet werden muss. Einer von beiden saugt sich in seinem Eifer sogar selbst zur Tür hinaus, was für derartig laute Publikumsbegeisterung sorgt, dass die letzten Worte des abwesenden Autors übertönt werden. Die Inszenierung hat inmitten der Burn-Out-Clowns ihren eigentlichen, fleißigen Hauptdarsteller gefunden. Ein kleiner Roboter: Held der Arbeit, Held des Abends.

 

Herzstück
von Heiner Müller
Regie: Sebastian Nübling, Bühne und Kostüme: Eva-Maria Bauer, Musik: Tobias Koch, Video: Maryvonne Riedelsheimer, Jesse Jonas Kracht, Licht: Gregor Roth, Dramaturgie: Ludwig Haugk.
Mit: Maryam Abu Khaled, Mazen Aljubbeh, Karim Daoud, Dominic Hartmann, Kenda Hmeidan, Vidina Popov, Elena Schmidt.
Premiere am 17. August 2019
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Als "strukturell ausgreifendes wie menschlich ergreifendes Denkspiel um Schein und Sein, große Erwartungen und kleine Realitäten", beschreibt Doris Meierhenrich die Inszenierung in der Berliner Zeitung (18.8.2019) – wie echte und falsche Hoffnungen aufgezogen und wie beides fruchtbar miteinander verbunden würde. Die Kritikerin kann sich kaum eine gelungenere Eröffnung der temporären Spielstätte des Theaters vorstellen, "als die Clownsnummer, die Sebastian Nübling und das 7-köpfige Exilensemble des Gorki nun aus Heiner Müllers 12-zeiligem 'Herzstück' machten".

"Wenn das kein denkwürdiger Saisoneinstieg ist", schreibt Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (18.8.2019). Der Regisseur und seine Akteur*innen nähmen Müllers "Herzstück" zum Anlass einer Nummernrevue über das Verhältnis von Kunst und Arbeit. Und treten aus Sicht der Kritikerin bei dieser Gelegenheit den Beweis an, "dass selbst die leichtgängigste Kopfmaloche deutlich zeitintensiver ausfallen kann als buchstäblich knochenharte Handarbeit."

Anfangs wirkt der dem Text hinzugefügte Diskurs über Arbeit und Zwang auf René Hanimann von der taz (20.8.2019) eher übergestülpt. Er mit der Zeit findet die Inszenierung aus seiner Sicht "zu einer Kompaktheit, die endlich die ganze Bandbreite eines funktionierenden Theaters nutzt."

"Arbeits- und Sinnverweigerung als irgendwie subversiv gemeinte Geste rennt in Berlin, der Stadt der Langschläfer und Abhänger, natürlich offen stehende Türen ein", findet Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (21.8.2019). Erst recht wenn ein manisch produzierender Theaterbetrieb keine Kosten und Mühen scheue, das forcierte Nichtstun zu feiern. "Offenbar zappelt das Gorki-Theater zum Spielzeitauftakt in der Selbstreferenzfalle und verwechselt das mit einem wagemutigen Statement."

 

Kommentare  
Herzstück, Berlin: Stachel im Fleisch der Produktivität
Bald wird aus dem Müller-Satz, auf die Rückwand projiziert, seine Umkehrung: Verzweifeln und nicht arbeiten. Und so scheitert man minutenlang erst am Aufbau eines Gerüsts, dann am Aufhängen eines Holzherzens, dann an der Entsorgung von ersterem. Schnell wird besagtes Herz von Bühnenarbeitern abgenommen und durch ein blinkendes Show-Herz ersetzt. The Show Must Go On. Nur die Clowns wollen nicht funktionieren. Faszinierend, wie es der Inszenierung gelingt, jede*r einen eigenen unverwechselbaren Charakter angedeihen zu lassen, sie in ihrem Bemühen, Scheitern und Verweigern unverwechselbar zu machen, sie nicht zu Chiffren zu reduzieren, sondern darunter Menschen anzudeuten, Individuen, Alleingelassene, die sich jeden Tag auf die Laufbänder einer effizienzgetriebenen und Arbeit verherrlichenden Welt stellen und um ihren Markt- und gesellschaftlichen wert anrennen. Dabei ist der Abend gar nicht politisch oder kommt zumindest so nicht daher. Stattdessen spielt er – mit Erwartungen an Stringenz, an theatrale Mechaniken, an Darstellung und Repräsentation, aber auch die Bedeutung und den Wert von Arbeit, an die Vergötterung des Erfolgs und des Hineinpassens. Er probiert und verwirft, zitiert, parodiert und erweist sich als witzig leichter Stachel im Fleisch der Produktivität.

Das unspielbare und von Popov mit vollstem Körpereinsatz immer und immer wieder angepriesene Stück wird natürlich nicht gespielt, nur am Ende nochmals zitiert. Die Stimme ist die Heiner Müllers, der die vierzehn Zeilen trocken ironisch aus dem Off spricht, während auf der Bühne die übernommen haben, welche die Effizienzreligion unserer Zeit wirklich leben: zwei Saugroboter, ausgesetzt von Aljubbeh, die über die Bühne gleiten und die Worte Müllers mittels aufgebauter Mini-Lautsprecher mit sich tragen – sogar nach draußen, wie bei der Premiere von einem der beiden vorgeführt. Bei ihnen ist auch das Scheitern effektiv, Teil des Funktionierens, sie sich nicht ablenkbar, nicht ermüdbar, fokussiert. Während der Mensch verzweifelt, arbeitet der Roboter. Doch die Poesie, die weiter verfolgbaren, weiter denk- und fühlbaren Wege liegen bei ersterem, im nicht auf eine Aufgabe reduzierbaren Menschsein, im Scheiter als Chance und Denk- und Lebensraum. Dies feiert der Abend in seiner Langsamkeit, seiner Unwilligkeit, vom Fleck zu kommen. Ein Spielzeitauftakt, der kein Anfang sein will, sondern diesen verweigert. Das ist auch ein Statement.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/08/18/verzweifeln-als-chance/
Herzstück, Berlin: Verweigerung
Zur Spielzeiteröffnung lassen es die Theater meist richtig krachen. Prominente Namen sollen das Publikum anlocken. Gedankenschwere Konzepte werden als Leitmotive angekündigt und neue Ensemblemitglieder vorgestellt, um das aus dem Strandkorb zurück in den Alltag geworfene Publikum auf sich aufmerksam zu machen.

Einen großen Namen fährt zwar auch das Gorki Theater auf: das kettenrauchende Orakel Heiner Müller, einen der bedeutendsten Dramatiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts, gefürchtet für seine voluminösen, oft unzugänglichen Stücke.

Und doch geht das Gorki den umgekehrten Weg. Nur eine kleine Clownerie, 75 Minuten kurz, soll es zur Spielzeiteröffnung sein. Dafür suchten sie sich den kürzesten Müller-Text aus, „Herzstück“, ein skurriler Dialog zwischen zwei Clowns, der nur 14 Zeilen füllt.

Die Verweigerung, das Aussteigen aus den Tretmühlen der Leistungsgesellschaft und den Zwängen des Kunstbetriebs: das sind die Themen von Hausregisseur Sebastian Nübling und seinen 7 Harlekinen, die über die Bühne des Containers stolpern, der neuen Spielstätte, die klobig neben dem Gorki-Schmuckkästchen errichtet wurde.

In langen Slapstick-Schleifen spielen sie die Verweigerungs-Haltung in mannigfachen Varianten durch. Dominic Hartmann (Neuzugang vom Schauspielhaus Zürich) kommt hochmotiviert, sehr dienstbeflissen und mit aufgesetzter Laune auf die Bühne. Doch ihm will erst mal keiner folgen. Mazen Aljubbeh klebt sich den Mund zu, trägt Protestplakate wie „Work is Diseaese“ durch die Gegend und qualmt in Null-Bock-Haltung im Türrahmen zum Garten. Vidina Popov versucht, die anderen anzustacheln und kündigt immer wieder an, dass es jetzt ganz bestimmt gleich mit dem Stück von „Heiner – bäm! – Müller“ losgeht. Aber es will einfach nichts klappen: die Gerüste brechen zusammen, Elena Schmidt nimmt die Schuld auf sich, weil sie es „ur versaut“ hat, wie man in ihrer Wiener Heimat sagt, und will seufzend wie Sisyphos von vorn beginnen.

Wie André Mumot in seiner Nachtkritik schrieb, muss man für diesen streckenweise sehr ermüdenden und oft zu erwartbaren Slapstick einiges an Geduld aufbringen. Als zwei kleine Staubsauger-Roboter nach 75 Minuten in Aktion treten, dabei aber sofort von den vielen Kabeln und Mikros, die ihnen im Weg liegen, ausgebremst werden, bekommt das Publikum nach aller ironischen, mit Marx-Zitaten auf dem Gaze-Vorhang und im Programmheft garnierten Verweigerung doch noch den kompletten „Herzstück“-Text im unverkennbaren Müller-O-Ton vom Band, nachdem ihn die hyperventilierende Vidina Popov so oft vergeblich angekündigt hat.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/08/19/herzstueck-gorki-theater-kritik/
Herzsstück, Berlin: mehr Lyrik
AB SOFORT MEHR LYRIK BITTE !

Wunderbar herrlich wie nervtötend zu sehen,
wie sich eine Schauspieltruppe abmüht,
ein kleines Gedichtchen zu präsentieren,
das am Ende noch vom Band kommt.

Vielleicht sollten nun DramatikerInnen
zukünftlich mehr Lyrik schreiben
inklusive perfekten Prolog wie das Poem zur Aufführung zu bringen sei.

Dann wären Dramaturgen & Dramapreisinjurien
doch ein wenig mehr entlastet vom Balast
engagierter "junge Dramatik".
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