Der kleine Faschist in mir

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 18. August 2019. Ach wäre es doch bloß eine Leiche im Keller, damit könnte man leben. Diese aber ist peinlicherweise in einer Kiste mitten im Büro der Bürgermeisterin verstaut. Wie ist sie dorthin gekommen? Ein Bruder der Bürgermeisterin ist mit dem Auto in eine Menschengruppe gerast. Selbstmord oder Unfall, ein Attentat gar? Noch ist die Identität des Täters nicht publik gemacht, und so hat die Bürgermeisterin mit Hilfe eines weiteren Bruders die Leiche gestohlen. Negative Publicity wäre das Letzte, was sie mitten im Kommunalwahlkampf braucht.

Boulevard, von ernsthaften Gedanken ausgebremst

Zwischen Screwball-Comedy und Populismus-Satire schwankt Theresia Walsers neues Stück "Die Empörten", das sie im Auftrag der Salzburger Festspiele und des Schauspiels Stuttgart geschrieben hat und das nun in Salzburg uraufgeführt wurde. "Finstere Komödie" steht im Untertitel, von Groteske spricht die Autorin im Programmheft-Interview. Regisseur Burkhard C. Kosminski hat der Sache noch einen entschiedenen Drall zur Farce gegeben. Ein wenig fühlt man sich als Publikum zwischen die Stühle gesetzt. Keine Frage: Wir haben es mit Boulevardtheater zu tun, das aber dann doch ausgebremst wird von ernsthaften Gedanken übers derzeitige Politiker-Selbstverständnis.

Empoerten1 560 SF Ruth Walz uEmörte unter sich: Sven Prietz (Anton), Caroline Peters (Corinna Schaad), Anke Schubert (Frau Achmedi), Silke Bodenbender (Elsa Lerchenberg) © Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Nun surren also schon die Fliegen um die Kiste, eine Trauerfeier für die in den Tod Gerissenen steht an, mit Medienaufmerksamkeit ist zu rechnen. Die konkurrierende Wahl-Kandidatin, eine aus dem Fremdenfeindlichkeits-Eck, rüstet verbal auf, um die Causa für sich auszuschlachten. Schon wurde das Gerücht gestreut, der vermeintliche Amokfahrer habe "Allahu akbar" geschrieen. Die Volksseele ist also zum Kochen gebracht worden: Es seien ohnedies schon zu viele Ausländer angesiedelt in der Gemeinde.

"Das Kreuz können Sie ruhig hängenlassen"

Caroline Peters ist die Bürgermeisterin, die sich plötzlich eingebremst sieht in ihrer Schönwetter-Politik. Vom ersten Satz an erleben wir eine exaltierte Karrieristin, die in knalligen Stehsätzen denkt und argumentiert. Jede Wortmeldung wird mit Riesengesten untermalt. Bruder Anton (Sven Prietz), der beim Leichen-Diebstahl geholfen hat, sieht die Schwester und ihre Polit-Karriere – die Dame träumt von Brüssel – kritisch, er gibt sich aufmüpfig. Der Widerspruchsgeist in Person. Im Business-Look, mit Intellektuellenbrille, wirkt die geradlinige Populistin Elsa Lerchenberg (Silke Bodenbender) so zielstrebig wie selbstbewusst. Mit dem Satz "Das Kreuz können sie ruhig hängenlasssen“ platzt öfter mal eine Frau mit Kopftuch herein. Frau Achmedi (Anke Schubert) hat eben ihren Mann verloren. Diese "Ausländerin" nehmen sowohl die Bürgermeisterin als auch ihre Polit-Widersacherin mit falschem Mitgefühl ins Visier. Der Schönheitsfehler ist nur, dass die "Fremde" keine ist, sondern im Land geboren. Sie steht für Lebensnähe, klagt Vernunft und Gerechtigkeit ein.

Empoerten4 560 SF Ruth Walz uBleibt die Kirche im Dorf? Caroline Peters (Corinna Schaad), André Jung (Pilgrim) © Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Und dann ist da noch einer, der nicht recht einzuordnen ist. Pilgrim (er hat nur einen Vornamen) ist das Faktotum im Bürgermeisteramt. Überlange Frackschöße zieht er hinter sich her als Sinnbild für die Seriosität seines mediokren Amtes. Ein beflissener Ja-Sager, bewährt als dienstbarer Geist und Redenschreiber. Hinterlistig versorgt er die Bürgermeisterin und ihre Widersacherin mit derselben Trauerrede.

Erfolglos im Kampf mit der Lichtschranke

André Jung ist dieser Pilgrim, der einzige Leise unter den überdrehten "Empörten", der manchmal ob der grassierenden Selbstgewissheit kluge Dinge einwirft wie: „Die Wahrheit braucht immer etwas um sich herum.“ Er selbst versichert glaubwürdig, keine oder alle Meinungen zugleich zu haben. "Die eine Meinung zerschlägt die andere. Ständig." Und deshalb stecke "die ganze Welt in mir drin … in mir steckt alles, und nichts verträgt sich". Ausgerechnet dieser zum Totlachen mediokre Geist wird dann über die "Unheimischen" reflektieren und er endeckt "den kleinen Faschist" in sich, was ihm ehrlich Angst macht. André Jung hat das schauspielerische Format, in kleinen Gesten, mit wie beiläufig servierten Sätzen die sonst in dieser Aufführung vorherrschende aufdringliche Geradlinigkeit der Farce zu brechen. Zuletzt wird er hockenbleiben auf der Stehleiter, hilflos das Kreuz in der Hand haltend, das er hätte herunternehmen sollen. Alte Werte taugen nichts mehr in der Umgebung der Populisten, sind nur mehr Versatzstücke.

Ein Running Gag ist die automatische Tür in der Glaswand hinter dem Eichenholz-getäfelten Bürgermeisterbüro, hinter dem heimische Bergmotive und Dorfidyllen mit Kirche (und einmal sogar einem Minarett in grüner Alpenlandschaft!) als Video vorbei ziehen. Vor allen geht die Tür auf, nur Pilgrim rudert erfolglos gegen die Lichtschranke an. Die Vox populi, für die er steht, hat es eben nicht ganz leicht an den Einlässen ins Reich der der selbsternannten Tribunen...

Im überdrehten Gesamtbild dieser Aufführung ist aber wenig Platz für Hintersinniges, das zwar im Text vorhanden, aber auf der Bühne eher niedergeredet und weggestikuliert wird. Vielleicht wären "Die Empörten" einen Zweitversuch wert – inszeniert mit spitzer Klinge der Ironie statt mit Holzhammer und Humorkeule.

 

Die Empörten
von Theresia Walser
Regie: Burkhard C. Kosminski, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Ute Lindenberg, Musik: Hans Platzgumer, Licht: Felix Dreyer, Video: Sebastian Pircher, Dramaturgie: Ingoh Brux.
Mit: Caroline Peters, Sven Prietz, André Jung, Silke Bodenbender, Anke Schubert.
Premiere am 18. August 2019 in Salzburg
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.salzburgerfestspiele.at
www.schauspiel-stuttgart.de

 

Kritikenrundschau

Versteckt im Outfit "einer ziemlich abstrusen Komödie" vesammle Walser "Thesen und Theorien über die finstre Welle des Rassismus, Nationalismus und Faschismus neuester deutscher Bauart", beschreibt Michael Laages den Abend auf Deutschlandfunk Kultur (18.8.2019) – in den Wortmeldungen einer Provinzpolitikerin, "die sich selber als (wieder mal) von der Vorsehung zur Retterin von Deutschtum, Volk und Abendland berufen stilisiert". Dass Walser "dieser fürchterlichen Politschranze (die nur ein bisschen Alice Weidel ähnelt) viel komplizierten biografischen Hintergrund verpasst, hilft gar nicht – die Wort- und Satzkaskaden aus Fremdenhass und biodeutscher Idiotie bleiben mit und ohne Hintergrund Grauen pur". Burkhard C. Kosminski inszeniere Walser "viel zu brav und unmutig mit dem Stuttgarter Ensemble, schlägt keine Erkenntnisschneisen durch Walsers krudes Konstrukt".

Walser gebe in ihrem Stück den Gutmenschen ebenso eine Stimme wie den nur leidlich verkappten Nationalen, den Abwägern wie den Totschlägern, den Dummdreisten wie den Opfern, so Bernd Noack auf Spiegel Online (19.8.2019). "Nur – und das ist die zugunsten heiterer Haltlosigkeit ein bisschen arg versteckte Erkenntnis: Die Vernünftigen sterben aus." Allerdings: "ein bisschen Haltung hätte schon sein können". Der Slapstick lauere unterm Deckel der Leichenkiste "und Regisseur Burkhard C. Kosminski lüpft ihn denn auch oft, wie er überhaupt gerne auf dem Boulevard der komödiantischen Beliebigkeiten herumschlittert". 

"Walser ist zwar nicht so gewitzt wie die an amerikanischen Vorbildern geschulten israelischen Theatermacher, etwa Yael Ronen, dafür wagt sie sprachlich mehr", schreibt Barbara Petsch von der Presse (19.8.2019). "Burkhard C. Kosminski hat dieses Laborstück, das so sophisticated wie erdig ist, ideenreich inszeniert. Das Ensemble ist hinreißend."

Der In­halt erinnert Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.8.2019) "in den stärks­ten Mo­men­ten an die schwä­che­ren Sze­nen von 'Ar­sen und Spit­zen­häub­chen'". Die schau­spie­le­ri­schen Leis­tun­gen seien durch­weg bei­na­he bril­lant zu nen­nen. "Kos­mins­kis In­sze­nie­rung tut ge­nau­so ihr Bes­tes, dem mat­ten Text wit­zi­ge Mo­men­te ab­zu­ge­win­nen. Aber, wie man so sagt, die Sup­pe bleibt zu dünn."

Walsers boulevardeskes Stück wirkte bei den Salzburger Festspielen "deutlich deplatziert", wie Margarete Affenzeller im Standard (20.8.2019) schreibt. Es wolle "eine gesellschaftspolitische Diskussion führen, allerdings in endlos abgegriffenen Koordinaten aus gefühlten zehn Jahren Migrations- und Integrationsdebatte". Diese "redselige Rathaus-Schrulle" bleibe auf der Bühne "eine erratische Anordnung mit matten Witzen", von Burkhard C. Kosminski mit André Jungs Bravourstücken auf der Leiter und einem lukullischen Bühnenbild von Florian Etti inszeniert. Das könne allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, "dass er eine Fernsehepisode auf zwei Stunden Sprechtheater erfolglos hochzujazzen versucht".

"Theresia Walser, zu wenig sekundiert von Kosminski, wälzt sich anklagend im Klischee, traut sich wirklich die auf Vorurteilen und Vereinfachungen tänzelnde Farce", so Manuel Brug in der Welt (21.8.2019) . "Sie stürzt nicht ab, sie ist mutig, obwohl sich in den kräftig-kurzen Schlussapplaus ein paar Buhs mischen, aber sie findet kein echtes Ende." Walser schiele immer wieder nach dem unübertroffen melodisch-virtuosen Menschheitsbeschimpfer Thomas Bernhard, "aber dessen Koloratur des Negativen erreicht sie nie".

Die Figuren in "Die Empörten" seien einem derart hohen Druck im Dampfkessel des politischen Überlebenskampfes ausgesetzt, "dass sie wie festgewurzelt auf einem schnell fixierten Empörungslevel verharren", schreibt Jürgen Berger in der taz (21.8.2019). Kosminski inszeniere das als "starre Versuchsanordnung".

"Ist ja kein schlechter Plot für Hohn und Spott über unsere Polithyänen und -sumpfhühner", befindet Michael Skasa in der Zeit (22.8.2019). "Jedoch, es kommt nichts! Das Dramolett heißt 'Die Empörten', aber die sind alle bestenfalls ein wenig verstört." Kosminski mache aus Walsers einfallsarmem Stück eine einfallslose Aufführung.

Auch Christine Dössel wird in der Süddeutschen Zeitung (22.8.2019) unter dem bissigen Titel "Komödnis" deutlich: "Das Stück ist voller Wortwitze, Kalauer, politisch inkorrekter Sprüche und Ausbrüche, darauf versteht sich die Komödienspezialistin Walser. Sie entzündet ihre Witze an Populismus, Rassismus, an der Integrations- und Migrationsdebatte. Nur leider sind sie oft abgestanden, was die Autorin nicht daran hindert, jeden besseren Witz mindestens einmal zu wiederholen." Dass Kosminski sich als Regisseur nichts traue, dass er den Text breit ausgewalzt eins zu eins umsetze, "ohne Reibung und Raffung, ist Teil des Problems an diesem unerwartet matten Politboulevardtheaterabend".

Kommentare  
Die Empörten, Salzburg: Frau Achmadi
90 Minuten hätte gereicht für diesen Schwank, leider sind die Personen so eindeutig gezeichnet, dass es nach 5 Minuten langweilig wird, da ja auch jeder so übertrieben spielt. Nichts neues also, es ist die Fortsetzung der Serie der der Walser / Kosminski Uraufführungen in Mannheim ...
Was mich interessiert: Frau Achmadi sagt, ich bin hier geboren, hat die Probleme der Einheimischen (Wohnungsnot), ist tolerant gegen das Kreuz usw. also das Gegenteil vom Klischee eines “Ausländers / Flüchtlings“ und als Person interessant durch das, was sie nicht ist, was andere aber in sie sehen, und dann lässt Walser sie ununterbrochen sagen: ”mein Mann hat gesagt“. Als etwa rhetorische Figur a la Thomas Bernhard? Doch ein Klischee? Das macht leider diese Person nicht interessanter oder widerspüchlicher, wenngleich Anke Schubert, die große Komödiantin seit schon über 30 Jahren, seit ihren Anfängen in Darmstadt, alles tut, dieser Person Leben einzuhauchen ...
Die Empörten, Salzburg: Ironie
Bitte nicht. Bitte keinen Zweitversuch dieser „finsteren Komödie zwischen Screwball-Comedy und Populismus-Satire“, in der sich „Allahu akbar“-Rufe bloß als Gerücht erweisen, die Kopftuchfrau „Vernunft und Gerechtigkeit“ anmahnt und überhaupt alte Werte sich in der Umgebung der Populisten als untauglich erweisen, als nichts als „Versatzstücke“.

Die Lage ist doch viel zu ernst, als dass wir sie zum x-ten Mal und scheinbar ad infinitum der Ironisierung überlassen dürfen. Was heißt „Der kleine Faschist in mir“, @ Reinhard Kriechbaum, schon im Titel des Artikels eine unangebrachte Banalisierung der Problematik!?

Im deutschsprachigen Theaterraum des frühen 21. Jhdt. steckt und stockt man also nach wie vor in der Ironisierung, wohingegen man andernorts bereits zu einem neuen Ton gefunden hat. (Ich meine “Ça ira“ von Joél Pommerat in Paris: hier meine ich keinerlei alle und alles verkleinernden, ironisierenden Unterton zu vernehmen; alles scheint groß und ernsthaft und trotzdem leicht, trotz oder wegen der internalisierten, tödlichen Woge von 1789, da verbieten sich Witzchen).

Meine Abneigung gegenüber Auftragungswerken hat sich wieder einmal bestätigt.

(Werte Ava, die Titel werden in der Regel von der Redaktion gemacht, können also nicht dem Autor des Textes angelastet werden.
MfG, Georg Kasch / Redaktion)
Die Empörten, Salzburg: Rohfassung
Hat Nachkritik darüber berichtet, dass dieses Stück nicht übernommen wird in das Repertoire des Schauspiels Stuttgart aus dispositionellen und künstlerischen Gründen, wie es heisst? Ja das Stück müsste umgeschrieben werden (was ja in Ordnung geht), aber bei zwei gut beschäftigten Gästen gab es wohl nicht die Möglichkeit, das zeitlich zu schaffen (meine Interpretation). In Salzburg war die Rohfassung eines Stückes zu sehen und eine Absage dort kam wohl nicht in Frage ...
Die Empörten, Salzburg: Hinweis
Himmlische Marotten, Ihre Interpretation dürfte der Wahrheit nahe kommen.
https://www.kultura-extra.de/extra/notizen.php#2646
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