Weil ihr uns die Zukunft klaut

von Reingart Sauppe

Saarbrücken, 7. September 2019. Nachdem der flämische Autor und Regisseur Stijn Devillé als Reaktion auf die Finanzkrise und die europäische Sparpolitik mit seinen beiden Stücken "Habgier" und "Angst" in den Abgrund des globalen Turbo-Kapitalismus geblickt hatte, wollte er 2015 mit dem dritten Teil seiner Trilogie der Depression etwas entgegensetzen und schrieb das Stück "Hoffnung“, in dem er seine Figuren, Politiker und Finanzjongleure, zu besseren Menschen werden ließ. Wohl wissend, dass keine Utopie der Wirklichkeit standhält, endet das Stück mit dem Satz: "Die Zukunft ist unentschieden." Devillés Stück-Trilogie wurde in Flandern und den Niederlanden begeistert aufgenommen und erhielt 2017 den renommierten Preis für Bühnentexte der Königlichen Akademie für Niederländische Sprach-und Literaturwissenschaften (KANTL).

Fridays for Future auf der Theaterbühne

Vier Jahre später eröffnet nun das Saarländische Staatstheater seine Spielzeit mit der deutschen Erstaufführung des dritten, hoffnungsvollen Stücks. "Never ever change a winning system" orakelt düster und böse der alte konservative Politiker, der noch an die Segnungen des Kapitalismus glaubte. Doch der Change, der Wandel steht bereits in weißen Schutzanzügen auf der Bühne. Zehn junge Aktivisten der saarländischen Fridays-for-future-Bewegung beschwören als Gast-Spieler*innen mit heiligem Ernst und authentischer Leidenschaft die apokalyptische Prophezeiung ihrer Ikone Greta Thunberg und lesen den Zuschauern gleich mal die Leviten: "Wir sind die Zukunft, wir sind die Revolution. Wenn ihr nichts bewegt, sind wir bald alle tot."

hoffnung 0397 560 Kaufhold uSchwarz = böse Vergangenheit, weiß = gute Zukunft: Till Weinheimer, Ensemble der Fridays for Future-Aktivisten
© Martin Kaufhold

Die Welt ist ein düsterer Ort: Auf der Bühne stapeln sich schwarze Müllsäcke, weil die Müllwerker für bessere Löhne streiken und Bürgermeisterin Luc aus parteitaktischen Gründen die Situation eskalieren lässt. Die Hitze macht den Menschen zu schaffen, und ausgerechnet jetzt droht die Ministerin für Wirtschaft und Energie auch noch mit einem nationalen Abschaltplan, weil aufgrund der Sparpolitik die Stromversorgung nicht mehr gewährleistet werden kann. Die nassforsche Bürgermeisterin ist entsetzt: Bedroht der Abschaltplan nicht nur die kommunale Versorgung, sondern auch ihre kühnen Pläne, den Individualverkehr durch autonom gesteuerte elektrische Fahrzeuge zu ersetzen? Dabei setzen sowohl die hemdsärmelige Bürgermeisterin als auch die kontrollwütige Ministerin ihre Hoffnungen ganz auf die Innovationskraft des Jungunternehmers Egon Starck.

Die Ideale und die Müllabfuhr

Die softe Lichtgestalt in cremeweißem Anzug, die als nerdiger Visionär in Krzysztof Minkowskis Inszenierung mitunter messianische Züge annimmt, aber dämpft die Erwartung der Politik an ihn. Seine Botschaft: Für eine Veränderung braucht es nicht einen Unternehmer, sondern viele Idealisten, die Wellen machen statt nur mitzuschaukeln. Im Laufe des Abends wird Egon Starck noch viele gute kluge Sprüche von sich geben, die wie aus dem Baukasten von "Speakern" und Motivationsgurus klingen. Doch was helfen Ideale, wenn die Müllabfuhr nicht mehr fährt? Allzu verlockend klingt deshalb bald das Angebot eines großen Energiekonzerns an die Politik: Schaltet den AKW-Meiler wieder an, und wir lösen die Probleme der Kommune mit Geld und bauen obendrein einen Windpark.

hoffnung 0253 560 Kaufhold uAuferstehung aus Müllbergen: Mirjam Kuchinke, Ensemble der Fridays for Future-Aktivisten @ Martin Kaufhold

Lässt sich Bürgermeisterin Luc korrumpieren und geht auf den Deal mit der pinkfarbenen Tussi vom Energiekonzern ein, oder wird es der Idealist und Technologie-Nerd Egon Starck schaffen, einflussreiche Akteure wie den lakonisch über die Welt labernden Anwalt David Ackermanns und den spielsüchtigen Ex-Börsenmakler Carl Jacobs für seine hochfliegenden Pläne zu gewinnen, die Ölindustrie für Schäden an Umwelt und Menschheit juristisch zu belangen und ein "smart grid" zu entwickeln, das regenerative Energie dezentral steuert und fossile Energieträger überflüssig macht?

Das Theater als Akteur für die gute Sache

Wie in einer gutgemachten TV-Serie a la "Borgen" oder "Bad Banks" verbindet Stijn Devillé intelligente Gesellschaftsanalyse mit persönlichen Geschichten und entwirft ein Szenario, in dem die Widersacher schicksalhaft miteinander verbunden sind. Das wäre im besten Falle nicht nur erhellend, sondern auch unterhaltsam. In der Inszenierung von Krzystof Minkowski aber wird die scharfsinnige, ironisch überzeichnete Polit-Sitcom zum deklamatorischen Agit-Prop-Theater, das aus widersprüchlichen Figuren Agitatoren in farblich sortierter Einheitskleidung macht, die visionär über den Zuschauerraum blicken oder kämpferische Parteitagsreden halten. Spätestens als der zwielichtige Carl Jacobs aus dem Bühnenraum heraustritt und die Zuschauer auffordert, eine Bürgerkooperative zur Stromerzeugung zu gründen, ist klar: Das Theater will sich selbst zum Akteur für die gute Sache machen.

Den Original-Schlusssatz "Die Zukunft ist unentschieden" hat man dementsprechend gestrichen und huldigt der neuen Bewegung, ganz so, als ob die Zukunft mittlerweile zum Guten entschieden wäre: In ihren weißen Schutzanzügen stehen die Fridays-for-Future-Schüler am Bühnenrand und skandieren emphatisch: "Die Interessen der Bürger müssen über den Interessen der Lobbyisten stehen. Unsere Leidenschaft wird die Politik ändern. Jede Sekunde zählt." Licht aus! Etliche Zuschauer springen von ihren Plätzen und applaudieren begeistert. Der Coup ist gelungen. Die Bewegung hat ihr Publikum erreicht. Wer hätte gedacht, dass die grüne Revolution ausgerechnet von Saarbrücken ausgeht? Im Saarländischen Staatstheater sitzt man an diesem Abend wie in einer anderen Welt. Ach wenn es doch so einfach wäre, wer bräuchte dann noch das Theater?

Hoffnung
von Stijn Devillé
aus dem Flämischen von Uwe Dethier
Regie: Krzystof Minkowski, Dramaturgie: Corinna Popp, Bühne und Kostüme: Konrad Schaller.
Mit: Michael Wischniowski, Gaby Pochert, Till Weinheimer, Bernd Geiling, Martina Struppek, Thorsten Rodenberg, Sébastien Jacobi, Mirjam Kuchinke und 10 Aktivist*innen der saarländischen Fridays-for-Future Bewegung.
Deutsche Erstaufführung am 7. September 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.staatstheater.saarland

 

Kritikenrundschau

Ohne den Chor der Aktivisten wäre die deutsche Erstaufführung von "Hoffnung" "zweifellos ein verkopftes Aufsage-Theater geblieben, gespickt mit der landläufigen Argumentationsware aus der Tagesthemen-Talkshow-Kiste", so Cathrin Elss-Seringhaus in der Saarbrücker Zeitung (9.9.2019). Doch mit den jungen Leuten kämen "Herz und Schmerz und Angst und Wut" in den Abend. Minkowski bohre nicht nach psychologischer Tiefenschärfe, sondern inszeniert intellektuell herausfordernde Rededuelle.

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