Apokalypse now!

von Stefan Forth

Hamburg, 8. September 2019. Es ist aber auch wirklich zum Verzweifeln mit der Menschheit: Statt endlich mal die Welt zu retten, macht sie in Dauerschleife immer wieder die gleichen Fehler. Und wenn dann doch ein paar versprengte Typen in die Lage versetzt werden, die Geschicke des Planeten nachhaltig zu verändern, kriegen sie Angst vor der eigenen Courage. Im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses Hamburg soll der sowjetische Science Fiction-Stoff "Stalker" zum Gleichnis werden für politische Ohnmacht im Angesicht (klima-)wissenschaftlicher Erkenntnis.

Wunscherfüllungs-Expedition in die verbotene Zone

Tatsächlich verliert sich die Inszenierung von David Czesienski (Prinzip Gonzo) vor allem in wabernder Endzeitstimmung. Grün-gelb schimmert das Bühnenlicht von Andreas Juchheim auf einer rostigen Ansammlung in die Jahre gekommener Büromöbel, die wie zufällig über zwei schräge Flächen vor unverputzten Sichtbetonwänden verteilt sind. In diesem Loch von einer Stadt gäbe es schon längst gar keine Perspektive mehr, wenn nicht unbekannte Außerirdische (oder vielleicht auch ein Meteorit) irgendwann mal wortlos ein paar kosmisch energiereiche Restposten in der Nähe abgeladen hätten. Fluch oder Segen – wer weiß das schon, und so haben die Machthaber die Fundstelle vorsichtshalber zur verbotenen Zone erklärt.

Das ist die Ausgangslage in der Filmvorlage von Andrei Tarkowski aus dem Jahr 1979, die wiederum auf Motive des Romans "Picknick am Wegesrand" von Boris und Arkadi Strugatzki zurückgreift. Auf der Hamburger Bühne (in der Fassung des Regisseurs und seines Dramaturgen Bastian Lomsché) schicken sich nun vier zusammengewürfelte Figuren an, in der Zone nach einem Ort zu suchen, der die geheimsten Wünsche erfüllen soll, darunter ein Wissenschaftler, eine Schauspielerin und eine Art Finanzinvestor (aasig gierig gut und immer ganz überzeugt bei sich: Maximilian Scheidt). Allein werden sie den Weg nicht finden, und so bedienen sie sich der Hilfe eines so genannten Stalkers, der ansonsten mehr schlecht als recht davon lebt, außerirdische "Akkumulatoren" zum Rest der Menschheit zu schmuggeln.

Aus dem Spruchkalender gegriffen

Ganz so leicht ist die Reise zum vermeintlichen Glück aber natürlich auch mit einem erfahrenen Führer nicht, denn sonst wäre der ganze Theaterabend ja auch noch schneller und schmerzloser zu Ende, als er es ohnehin schon ist. In wechselnder Besetzung gerät die Gruppe etwa in so genannte "Verschiebungen" von Raum und Zeit, so dass sie (mit leichten Variationen) immer wieder zurück an den Anfang ihrer Expedition geloopt wird. In immer neuen szenischen Schleifen lässt die Regie ihren Darstellern Raum für allerhand komische Hysterie und kostet die Absurdität der Situation voll aus – etwa wenn der Stalker mit der heimischen Kneipe telefoniert und sich selbst (oder seinem zukünftigen Ich) ausrichten lässt: "Sag mir, wenn ich zu Hause bin, dass ich mich anrufen soll."

Stalker 9 560 Marcel Urlaub uDas "Stalker"-Ensemble in farbenfroher Expeditions-Uniform: Maria Walser, Johannes Kühn, Maximilian Scheidt, Jonas Hien, Matti Krause, hinten: Christoph Jöde © Marcel Urlaub

In der allzu zotigen apokalyptischen Zuspitzung wirken allerdings die zu einem guten Teil den Vorlagen entlehnten Daseinsweisheiten umso hohler: Wer etwa die Zone als Sinnbild des Lebens begreifen möchte, der wird unter anderem darüber belehrt, dass darin der direkte Weg nicht immer der kürzeste sei, dass immer alles in Bewegung gerate, sobald ein einzelner eintritt, dass Härte und Stärke die Gefährten des Todes seien. Damit ließen sich locker einige Seiten im Sprüchekalender füllen, wäre die Ausgangslage nicht so düster.

Große Fragen im Theaternebel

So atmosphärisch dicht die Bühne von Lisette Schürer im überzeugend komponierten Lichtdesign an die (Un-)Möglichkeitsräume von Tarkowskis sowjetischem Filmklassiker erinnert, so ungerührt lässt die Regie ihr Ensemble um die beiden abgehalfterten Stalker von Christoph Jöde und Johannes Kühn wie auch die Zuschauer mit den mal eben schnell aufgeworfenen großen Zukunftsfragen im Theaternebel allein: Wollen wir ernsthaft, dass Maschinen unsere Arbeitskraft überflüssig machen? Kann künstliche Intelligenz Künstler ersetzen? Ist ein anderes Gesellschaftssystem denkbar? Wollen wir die Kontrolle an Algorithmen abgeben?

So weit, so relevant. Nur geht das Nachdenken über diese Themen irgendwo im unheilvoll schwiemelnden Endzeitsound von Vera Pulido unter, während sich die Inszenierung mit einem Mal aus den Wiederholungsschleifen befreit und unvermittelt schnell ihrem Schluss entgegeneilt. Flugs hat die Reisegruppe ihre bunten Ganzkörperplastikanzüge, mit denen sie auch gut jeden Fernseh-Tatort hätte untersuchen können, gegen noch farbenfrohere, pseudo-religiöse Auserwählten-Outfits getauscht, da könnte es auch schon an die ersehnte Wunscherfüllung gehen. Allein: Die Möchtegern-Erlösten trauen sich nicht. Wer weiß schließlich, welche verdrängten geheimen, vielleicht unheilvollen Wünsche sich am Ende in ihren dunklen Seelen verbergen? Und wohin soll das überhaupt führen, wenn des Menschen Wille Wirklichkeit wird?

Noch mehr Fragen, noch mehr Ratlosigkeit. Und kein Konzept, um damit umzugehen. Nach Falk Richters Houellebecq-Uraufführung "Serotonin" begnügt sich das Deutsche Schauspielhaus zur Saisoneröffnung nun schon zum zweiten Mal damit, die unterstellte Endzeitstimmung unserer Zeit einigermaßen plakativ auszustellen, während Intendantin Karin Beier am selben Wochenende ein Gastspiel als (Staats-)Opernregisseurin gibt. Im Vergleich der Abende gerät "Stalker" dabei erstaunlich beiläufig – mehr eine verspätete und verknappte Hommage an das "Picknick am Wegesrand" der 70er denn eine Expedition in die Gefahrenzonen des Jahres 2019.

Stalker – Picknick am Wegesrand
nach Andrei Tarkowski & Arkadi und Boris Strugatzki, in einer Fassung von David Czesienski und Bastian Lomsché
Regie: David Czesienski (Prinzip Gonzo), Bühne: Lisette Schürer, Kostüme und Musik: Vera Buhß, Licht: Andreas Juchheim, Dramaturgie: Bastian Lomsché.
Mit: Jonas Hien, Christoph Jöde, Matti Krause, Johannes Kühn, Maximilian Scheidt, Maria Walser, Michael Weber.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

"Czesienski hat einen auf den ersten Blick stimmigen Zugriff gefunden", schreibt Falk Schreiber im Hamburger Abendblatt (10.9.2019). Und er habe augenscheinlich Spaß an szenischen Lösungen für das Nichtzeigbare. "Allein: All das Remixen, Samplen, Loopen des Stoffs mag interessant aussehen, erreicht aber weder die spannungsgeladene Handlung des Strugatzki-Romans noch die philosophische Tiefe von Tarkowskis Verfilmung." Selbst der politische Gegenwartsbezug, den das Programmheft mit einem Auszug aus Yuval Noah Hararis "Homo Deus" andeute, bleibe Behauptung.

 

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