Tristesse ironique
von Michael Wolf
Berlin, 8. September 2019. Unlängst erschien in Frankreich der Spielfilm "Thalasso", in dem Gerard Depardieu und Michel Houellebecq in einem Wellnesshotel aufeinandertreffen. Sie spielen sich selbst, oder zumindest tragen die von ihnen verkörperten Figuren ihre Namen. Wie viel Houellebecq tatsächlich in seiner Figur steckt, das ist eigentliches Thema des Films. Der französische Autor ist ein Meister der Selbstinszenierung, das Spiel mit seiner Persönlichkeit lässt sich als integraler Bestandteil seines Werks bezeichnen. Hier setzt Ivan Panteleev in der Kammer des Deutschen Theaters mit "Ausweitung der Kampfzone" an. Er adaptiert nicht nur den Roman, sondern kommentiert zugleich das politische Weltbild des Autors.
Houellebecq als Blender und Stümper
In Houellebecqs 1999 auf Deutsch erschienenem Debüt taumelt ein dreißigjähriger IT-Ingenieur schwer depressiv und von Selbsthass zerfressen durch die französische Provinz. Die Segnungen des Kapitalismus versprechen ihm keine Linderung, seine Gesellschaftsanalyse fällt düster aus. Alle stehen ununterbrochen im erbarmungslosen Wettkampf miteinander, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sexuell. Nur noch schlechter dran ist sein Kollege, der – von der Natur mit Hässlichkeit geschlagen – im romantischen Prekariat vegetiert.
Panteleev beschränkt sich nicht auf den Roman, sondern verschneidet ihn mit Fremdtexten und Interviews des prominenten Autors. Ob die Figur des unglücklichen Kollegen bestraft werden sollte und deswegen bei einem Autounfall sterben musste, wollte der Spiegel in einem Gespräch aus dem Jahr 1999 wissen. Und Samuel Finzi (als Houellebecq) antwortet, das habe keine Strafe sein sollen. "Ich wusste nur nicht, was ich mit dieser Figur noch anfangen sollte." Houellebecq, das soll hier wohl gezeigt werden, ist nicht der Prophet, als der er sich so gern zu erkennen gibt, sondern in Wahrheit ein Blender und Stümper. Die Welt will er uns erklären, dabei hat er nur Sex im Kopf. Passend dazu reibt Kathleen Morgeneyer im Affenkostüm ihren Hintern gegen die Lenden ihrer Spielpartner. Die Szene ist in dreifacher Hinsicht symptomatisch für diesen Abend.
Planlose Poetik
1. Seine Kritik ist nicht eben neu. Um Houellebecq sein Geschlechterbild vorzuwerfen, braucht man im Jahr 2019 keinen Theaterabend zu produzieren. Frauenhass wird ihm schon seit 20 Jahren zur Last gelegt. 2. Die Inszenierung meint das Werk mit den eigenen Waffen des Autors schlagen zu können, indem sie diesem in einem authentischen Moment auflauert. Dabei sind Houellebecqs Interviews eben auch Teil seines literarischen Werks. 3. Die Aufführung selbst folgt der vermeintlich planlosen Poetik, die in dem Spiegel-Gespräch zur Sprache kommt. Sie selbst wirkt nicht zwingend, nimmt die fragmentarische Struktur des Buchs allzu leichtfertig zum Anlass für eine zerfaserte Nummernfolge.
Panteleev scheint Houellebecqs spielerische Kommentierung des eigenen Werks folgen zu wollen, jedoch schillert seine Meta-Inszenierung nicht, ist nicht verletzend, nicht provokant, nicht zynisch, sondern verharrt auf der Ebene simpelster Ironie. Da fährt vom Schnürboden eine gigantische weibliche Gummipuppe hinab. Da fuchtelt Samuel Finzi mit riesigen, grauen Händen herum als Referenz an Donald Trumps "strong, big hands" und Houellebecqs Begeisterung für den US-Präsidenten. Die Geschichte wird nur erzählt, um ihren Autor zu diskreditieren. Das ist eine schwere Hypothek für diesen ohnehin statischen, allzu monologischen Abend.
Bitte kein Gefühl
Fahrig huschen die Schauspieler mal in diese, mal in jene Figur. Identifizierung wird systematisch ausgeschlossen. Als Jeremy Mockridge etwas Gefühl, etwas Atmosphäre reinbringt und in einem harten, traurigen Monolog vom Unglück einer Jugendfreundin des Ingenieurs erzählt, hampelt Lisa Hrdina mit einer Mikrowelle als Helm hinter ihm herum. Und wenn der Kollege des Erzählers sich aus Rache mit einem Messer in der Hand einem jungen Paar nähert, imitiert Samuel Finzi Hitchcocks berühmten Mord in der Dusche.
Nichts als Trash ist Houellebecqs Roman also, das scheint Panteleev zeigen zu wollen. Fragt sich, warum er den Text dann auf die Bühne gebracht hat. Eine Amazon-Rezension hätte es doch auch getan.
Ausweitung der Kampfzone
nach dem Roman von Michel Houellebecq
Regie: Ivan Panteleev, Bühne: Michael Graessner, Kostüme: Daniela Selig, Licht: Robert Grauel, Dramaturgie: Bernd Isele.
Mit: Samuel Finzi, Lisa Hrdina, Marcel Kohler, Jeremy Mockridge, Kathleen Morgeneyer.
Premiere am 8. September 2019
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
"Kampfzonenanalyse verfehlt", schreibt Tom Mustroph in der taz (11.9.2019). Und: "Trockenes Literaturtheater", viel mehr als auf dem Laufband laufen oder auf dem Gerüst herumturnen falle Panteleev szenisch nicht ein. Und er bohre "sich leider nicht tief genug in die Seelenzustände jener Gestalten". Das sei schade, denn natürlich habe die Beobachtung Potenzial, "dass der Sex zum Wettbewerb geworden ist, den man bestehen muss, und der brutale Folgen für den und die haben kann, die dabei nicht reüssieren".
Wie man ein Buch von Houellebecq niemals auf die Bühne bringen sollte, zeigt der Regisseur Ivan Panteleev, so Irene Bazinger in der FAZ (11.9.2019). "Er zerrupft das Geschehen in viele kleine, völlig beliebige Szenen und lässt das fünfköpfige Ensemble im Leerlauf überhitzt durchdrehen." Die albern aufgedrehte Spielweise habe mit dem eisig sezierenden Stil der Vorlage nichts gemein, der Berliner Abend verfehle den Roman auf unschönste Weise.
Die Szene auf dem Laufband ist "nur das beste Ideechen von ungefähr 160, mit denen die Schauspieler in immer neuen Kostümen und Ausstaffierungen an die Rampe treten, Handlungssplitter, philosophische Exkurse und Assoziationen referieren", so Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (9.9.2019). "Alle Kinkerlitzchen − von einer turmhohen Frauenpuppe in Pink über ein paar gebratene Lenden hin zum Houllebecq-Pappkopf − waren hoch geeignet, die Ödnis der Grundidee der Das-Leben-ist-sinnlos-Ironie in Grund und Boden zu variieren, bis es wirklich nicht mehr wehtut."
"Man muss solche Romane nicht ständig auf die Bühne bringen", argumentiert André Mumot auf Deutschlandfunk Kultur (8.9.2019). "Sich diesen Abend im Deutschen Theater anzusehen ist aber im Grunde bereichernder als den zutiefst deprimierenden Text von 1994 noch einmal zu lesen. Weil hier der neurotische Kampf um beruflichen und sexuellen Erfolg zum ernsten Spiel und gleichzeitig zur ironischen Show wird, weil dieser Abend ambivalent und hilflos und lebendig ist und so – wenigstens manchmal – tatsächlich berührt."
"Bei all der Überfülle bleibt wenig hängen von streckenweise durchaus bedenkenswerter Gesellschaftskritik, durch aktuelle Essays Houellebecqs zu Feminismus und Dschihadismus noch aufgepumpt", so Ute Büsing vom RBB (9.9.2019). Das Aufgekratzte und Überdrehte fast jeder Aktion, jedes Vortrags, rotiere doch zunehmend ins Leere und überfordere die Rezeption. "Eine Haltung zu den steilen, spaltenden Thesen des französischen Schriftstellers entwickelt der bunte versöhnliche Abend auch nicht. Die Zuschauer müssen sich aus der Überfülle der spielerischen Angebote selbst ein Bild machen."
"Panteleevs Inszenierung funktioniert, weil sie ein Mittel verwendet, das Houellebecq nie zur Verfügung stand: Selbstironie“, schreibt Emeli Glaser in der Welt (16.9.2019). "Offenbar ist Panteleev der Meinung, es sei genug mit bitter-sakralen Abgesängen auf die gute alte Männlichkeit – und Zeit, sich über ihre hysterischen Verfechter lustig zu machen."
"Eine Art Nummernrevue hochtrabender Welt-Abhandlungen und saublöder Situationen ist aus der Erzählung geworden", schreibt Bernd Noack in der NZZ (20.9.2019). "Wie zweifelhaft Houellebecqs verschwurbelte gesellschaftspolitische Ansichten und frauenmissachtende Sottisen auch sein mögen, ist freilich nicht Sache des Abends."
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