Faschos schreien dich an

von Gabi Hift

Wien, 12. September 2019. Die neue Ära hat begonnen, mit Pomp und Pauken. Zur Eröffnung der Intendanz von Martin Kusej hat das Wiener Burgtheater nun endlich auch eine Monumentalinszenierung von Ulrich Rasche bekommen. Wie es sich gehört, soll die Maschine, die für diesen feierlichen Anlass gebaut wurde, die bisher größte und teuerste von allen sein: sechs riesige Laufbänder, die sich paarweise gegeneinander heben, kippen und drehen lassen.

Im Takt der Technik

Seit etwa einem Jahrzehnt feiert Rasche Erfolge mit diesen monströsen Junggesellenmaschinen, auf denen sich Chöre – meist sind es schwarz uniformierte junge Männer – in schwefligem Gegenlicht an der unbarmherzigen Kraft der Maschine abarbeiten. Im Rhythmus eines nie abreißenden Klangteppichs aus Minimal Music skandieren sie dabei ihre Texte – Wort für Wort, extrem langsam und abgehackt. 

Bakchen3 560 Andreas Pohlmann uIm schwefligen Gegenlicht kämpft er gegen die höhere Macht der Maschine: der Chor © Andreas Pohlmann
Am Burgtheater nun "Die Bakchen" des Euripides, die wie die Faust aufs Auge zu Rasches System zu passen scheinen, steht doch ein Chor im Mittelpunkt und greifen äußere Mächte ins Geschehen ein: nämlich der Gott Dionysos (Franz Pätzold). Der zieht mit seinen Anhängerinnen, den Bakchen oder Mänaden, nach Theben, wo Pentheus, der neue Herrscher (Felix Rech) sich weigert, Dionysos als Gott anzuerkennen. Um ihn dazu zu zwingen, hat Dionysos sämtliche Frauen Thebens, unter ihnen auch Pentheus' Mutter Agaue (Katja Bürkle), in seinen Bann gezogen und sie zu seinen Mänaden in die Wälder gelockt. Pentheus hasst die Bakchen und ist überzeugt, dass es ihnen nur darum geht, sich hemmungslos der freien Liebe hinzugeben. Er verhaftet Dionysos, der in Menschengestalt erschienen ist, und will ihn vernichten. Dionysos befreit sich und rächt sich fürchterlich: Er bietet Pentheus an, ihn bei einer Orgie einzuschleusen, sorgt dafür, dass die Frauen ihn entdecken und ihn – verblendet – für einen Berglöwen halten. Pentheus wird von seiner eigenen Mutter zerfetzt. Dieses Stück ist so ambivalent, dass es schon bei seiner Uraufführung zutiefst verstört hat.

Feier des Irrationalen

Anders als bei den Tragödien von Sophokles gibt es keine Moral. Wer ist der wirkliche Despot? Pentheus, der sich von den irrationalen Seiten der menschlichen Natur dermaßen bedroht fühlt, dass er sie ausrotten will? Oder Dionysos, der die Frauen in seine Gefolgschaft zwingt? Das Ausmaß der Grausamkeit, mit der er sich rächt, die Gewalt, die aus den Mänaden herausbricht, ist ein Schock. Das Stück stellt ethische Fragen in den Raum und beantwortet sie nicht. In den Siebziger bis Neunziger Jahren stand das Dionysische hoch im Kurs. Die Bakchen mit ihren wilden Rauschgiftfesten, ihrem Schwärmen in der Natur, ihrer freien Liebe, waren wie die Hippies. Der Absturz in die Gewalt wie die Katastrophen in verschiedenen Sekten: Bhagwan, die Manson Family, Jonestown, und, nah an Wien, die Kommune von Otto Muehl. Überhaupt feierten die Aktionskünstler die Befreiung des Irrationalen, das Orgienmysterientheater von Hermann Nitsch ist bereits zu Burgtheaterweihen gekommen.

Genau die Ambivalenz, die in den "Bakchen" schmerzlich unaufgelöst bleibt, hat in Rasches Arbeiten immer eine zentrale Rolle gespielt: einerseits hat das gebetsmühlenartige Sprechen – wie Sutren oder Psalmen – einen Sog ausgeübt, hat in den Zuschauer*innen den Wunsch geweckt, Teil des Rituals zu werden. Andererseits wurde seinen Chören oft die Nähe zu faschistischen Aufmärschen, das Martialische vorgeworfen. Man war also gespannt, ob Rasche durch das Brennglas dieses Stücks den Blick auf die Verhältnisse in seinen eigenen Produktionen richten würde.

Bakchen2 560 Andreas Pohlmann uGott oder rechter Demagoge: Dionysos (Franz Pätzold) © Andreas Pohlmann

Aber im Gegenteil, die Ambiguität der Vorlage scheint Rasche nun seine eigene völlig ausgetrieben zu haben. Schon im Vorfeld hat er verlauten lassen, Dionysos sei überhaupt kein Gott, sondern ein rechter Demagoge. Schließlich sage Pentheus das ja auch, und der sei wiederum ein "prima Mensch" und Verteidiger der Demokratie. Da könne man viel für die heutigen Verhältnisse lernen. Statt eines verführerischen Gottes aller Genüsse steht da also ein von Anfang an brüllender Hassversprüher. Dabei traut man dem als neuen James Dean angekündigten Franz Pätzold verführerische Fähigkeiten absolut zu. Nur dass er eben hier nichts davon einsetzen darf. Sogar die eingestreuten Nietzschetexte aus dem "Zarathustra", denen man beim Lesen unweigerlich verfällt wie süßem Gift, muss er mit monotonem Geschrei zerstampfen. "Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können – ich sage euch – IHR. --- HABT. ---- NOCH. --- CHAOS.---- IN. ---- EUCH!" Rumms. Spätestens da hat man's nicht mehr.

Völlig ausgemerzt hat Rasche auch den Antagonismus Weiblich/Männlich. Für ihn "sei das keine Frage der Geschlechtlichkeit". Dass die Bakchen aus archaischeren Regionen mit Naturreligionen kommen, dass sie den Wald und alles Sinnliche lieben, dass die Frauen wilde Tiere an ihren Brüsten trinken lassen, Milch, Honig, Rausch, Brüste, Tanz, Thyrsosstäbe: alles gestrichen. Dass Pentheus eine lächerliche panische Angst vor all den Manifestationen der Weiblichkeit hat und dann von Dionysos dazu gebracht wird, sich selbst als Frau zu verkleiden, um zu den Frauen in den Wald zu gehen: gestrichen (bei Euripides bricht das unterdrückte Weibliche in ihm heraus und zerreißt ihn dann von innen und außen).

Bakchen1 560 Andreas Pohlmann uIm Versmaß marschieren statt tanzen © Andreas Pohlmann

Immerhin dürfen im Chor ein paar Frauen dabei sein – fünf von fünfzehn – aber als dann die üblichen nackten Oberkörper kommen, dürfen nur männliche Brustwarzen zu sehen sein (genau wie bei Facebook!), die weiblichen Chormitglieder haben ein Band aus Strumpfhosenstoff um die Brust gewickelt. Getanzt wird natürlich nicht, sondern immer nur langsam marschiert marschiert marschiert. (Mein Gott! Euripides hat für den Bakchenchor ein eigenes Versmaß geschaffen. Es wurde damals das "Barbarenmotiv" genannt und war – im Walzertakt! Und nichts davon in Wien!) Wenn abgehackt skandiert wird: "Nichts gab es, was vom Taumel nicht ergriffen würde", dann ist das unfreiwillig komisch. Nie war weniger Taumel!

Doch auf einmal: lustig und menschlich

Ein paar kleine Freuden: Links am Portal sitzt das kleine Orchester, rechts die Schlagzeugerin (Katelyn King), die das ganze Stück durch an einer Batterie Trommeln den Rhythmus vorgibt. Sie spielt so tänzerisch und mit einer Art innerer Heiterkeit, dass rund um die Trommeln eine andere bessere Welt entsteht und ich minutenlang nur zu ihr hinsehe. Einmal ist die Bühne für eine Minute leer und man sieht den sich drehenden Unterbau der Laufbänder, in der oberen Hälfte ein auf Gaze projiziertes Bild desselben Untergerüsts. Ein wunderschönes und beeindruckendes Bild.

Und Martin Schwab! Der Doyen der Produktion, er spielt den alten Kadmos, will, dass sein noch älterer blinder Freund Theiresias ihm zeigen soll, wie man tanzt. Die beiden Greise wollen in den Wald und sich mit den Bakchen vergnügen. Und wie Schwab da einen kleinen Hüftschwung probiert, ist das auf einmal lustig und ganz menschlich. Und Stunden später, als er seiner Tochter Agaue klar machen muss, dass das, was sie in Händen hält, kein Löwenkopf ist, sondern der ihres Sohns, kommt Martin Schwab ein tiefer, grässlicher Klagelaut aus der Brust. Auch das kommt wie aus einer anderen Welt. Wenigstens einer hat noch Chaos in Herz und Hüfte. Katja Bürkle spielt das Entsetzen darüber, was sie getan hat, sehr gut. Doch man ist nicht berührt, weil der Chor von Anfang an ein mordlüsterner Mob war – daher hat das Ende keine Fallhöhe.

Alles andere lässt sich unter der Überschrift: "Faschos brüllen dich an" subsumieren. Wie man davon – positiv – beeindruckt sein kann, ist mir ehrlich gestanden ein Rätsel. Aber am Ende gibt es Jubel und viele Bravos.

 

Die Bakchen
von Euripides
Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Komposition und musikalische Leitung: Nico van Wersch, Kostüme: Sara Schwartz, Mitarbeit: Regie Dennis Krauß, Mitarbeit Bühne: Sabine Mäder, Chorleitung: Toni Jessen, Jürgen Lehmann, Licht: Friedrich Rom, Video: Sophie Lux, Dramaturgie: Sebastian Huber.
Mit: Franz Pätzold, Felix Rech, Katja Bürkle, Martin Schwab, Hans Dieter Knebel, Markus Meyer. Chor: Justus Pfankuch, Yannik Stöbener, Jeanne-Marie Bertram, Aleksandra Corovic, Zelal Kapcik , Anna Kiesewetter, Andreas Gaida, Pascal Groß, Sören Kneidl, Elias Krischke, Sam Michelson, Philipp Quell, Maren Streich, Felicitas Franz, Tobias Resch. Sowie: Antonia-Alexa Georgiew (Violine 1), Nikolai Tunkowitsch (Violine 2), Lena Fankhauser (Viola), Melissa Coleman (Cello), Katelyn King (Schlagwerk) Christian Wendt (Bass).
Premiere am 12. September 2019
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Rasches beherzte Schwarz-Weiß-Malerei setzt ein klares Zeichen gegen den gegenwärtigen Rechtsruck. Der intendierte Widerstreit kommt auf der Bühne aber nicht wirklich zum Tragen. Das mag auch daran liegen, dass die Kontrahenten Pätzold und Rech einander vom Typ her, von der Körpersprache und Sprechführung her, viel zu ähnlich sind", schreibt Petra Paterno in der Wiener Zeitung (13.9.2019). "Der Furor des Stücks, der innere Aufruhr verpufft so zuweilen."

"Ein einseitiger, aber starker Abend", titelt Stephan Hilpold im Standard (14.9.2019). "Eines der ältesten Dramen der Menschheitsgeschichte wird zur Rohmasse für ein großes theatrales Statement". Franz Pätzold presse "Schritt für Schritt und Paukenschlag für Paukenschlag seine Silben hervor, ein verbitterter, wütender Gott.". Die Lesart der "Bakchen" sei dabei ziemlich eigenwillig und auch ziemlich einseitig geraten.. Um das intellektuelle Abwägen oder gar um ein Sowohl-als-auch gehe es an diesem Abend nicht. Fazit: "Die Form des Abends konterkariert aufs Schönste die Botschaften, die man sich auf die Fahnen geheftet hat. Das ist der Widerspruch, der diese starke Eröffnungsinszenierung so reizvoll macht und auch viel vom Wesen des Theaters an sich erzählt."

"Wuchtig-plakativ" findet Norber Mayer in der Presse (14.9.2019) den Abend. Auch weil Chor und Darsteller "perfekt durch eine Schlagzeugerin begleitet werden, kann man sich diesem Stampfen, Deklamieren, Schreien und Flüstern kaum entziehen". Man komme sich nach diesem stundenlangen Generalangriff betäubt vor, wenn nicht sogar taub. "Aber das ist nur ein Teil des Ganzen. Denn diese Aufführung ist raffiniert vielschichtig, voller Kraft,  sie hat enorme Faszination."

"Vor dem Hintergrund eines grassierenden Rechtspopulismus in Europa kehrt Ulrich Rasche die Verhältnisse um", so Christoph Leibold im Deutschlandradio (14.9.2019), ganz im Sinne, dass ein wenig kühle Rationalität nicht schaden könne, wo zunehmend mit gefühlten Wahrheiten argumentiert werde. "Und so ist Felix Rech als Pentheus in dieser ebenso überraschenden wie überzeugenden Umdeutung die Stimme der Vernunft." Die Inszenierung wirke nicht in erster Linie durch ihre Überwältigungsmomente, sondern erzeuge mitunter einen subtilen Sog.

Die Aufführung verlange den Zuschauern höchste Konzentration ab, "ohne jeden Anflug von Witz oder auch nur Ironie. Hier wird Ernst gemacht", so Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (14.9.2019). Dass Ulrich Rasche bisher noch nie in Wien inszeniert hat, steigere den Überraschungseffekt. Wer schon Arbeiten der Marke Rasche gesehen habe, dem komme Vieles bekannt vor. Wie in den "Räubern" beherrschen große Förderbänder den Bühnenraum. Wie in den "Persern" trete am Ende eine barbusige Schauspielerin auf. Die "allerschwärzeste unter den griechischen Tragödien" werde von Rasche und dem Dramaturgen Sebastian Huber aktuell politisch gelesen: Der fade, verklemmte Pentheus werde "zum Vorzeigedemokraten und Vertreter der Willkommenskultur (…) idealisiert", der charismatische Dionysos aber zum Identitären. "Ein bisschen brachial behauptet ist das schon, aber: kann man machen", befindet Kralicek. Im Sinne der Regierungserklärung wichtiger ist ihm etwas anderes: "Dass die Eröffnungspremiere nicht vom Chef persönlich inszeniert wurde, ist ungewöhnlich und durchaus als Statement zu verstehen. Botschaft: Kušej ist ein Teamplayer und keiner dieser Intendanten, die ihr Theater hauptsächlich als Ego-Vehikel begreifen."

Martin Lhotzky von der FAZ (16.9.2019) hält Rasches Inszenierung für gelungen: "(D)ie an der Bühnenrampe agierende Musik, links die Streicherinnen und Streicher, rechts das Schlagwerk, bedient von der grandios die Contenance bewahrenden Katelyn King, verleiht dem ganzen Abend die Aura eines Oratoriums von überwältigendem Ausmaß", schreibt er.

In der Neuen Zürcher Zeitung (16.9.2019) winkt Bernd Noack ab: "Zu Ulrich Rasche fällt auch dem geduldigsten Kritiker jetzt bald nichts mehr ein, weil der deutsche Regisseur mit dem Drang zum Überwältigen halt auch immer das Gleiche macht. Das zweifelhafte Konzept mit rotierenden Scheiben und endlosen Laufbändern, auf denen gedrillte Schauspieler im Dauermarsch die Sprache – und den Sinn – zerhacken, hat sich jetzt buchstäblich öde gelaufen."

"Was 'Die Bakchen' von der dunklen Seite der Vernunft wissen, ergreift Rasche in Wien seltsam unterkomplex nur mit der Kneifzange", schreibt Uwe Mattheiss in der taz (17.9.2019). "Über der Uniformität seiner Schrittfolgen sind Rasche Unterscheidungen verloren gegangen. Dionysos tritt auf als zu kurz gekommener Wutbürger, dem die Textbearbeitung den Jargon der Eigentlichkeit und moderne Abstrakta wie 'Identität' in den Mund legt."

 

Kommentare  
Bakchen, Bonn: Weckruf am Burgtheater
Es ist ein sinnliches Schauerspiel: intensiv, lustvoll, gescheit.
Es wird wieder marschiert - und das neue Burgtheater lebt. Wird es in Österreich einen Weckruf auslösen?

https://blogs.taz.de/gameover/wien-es-wird-wieder-marschiert/
Bakchen, Wien: schwarz weiß
Taz: Die erste Premiere unter dem neuen Direktor Martin Kusej ist mehr als geglückt. Mit einer hydraulischen Bühnenmaschine, die drei Stunden lang unablässig neue Perspektiven bietet: sechs Laufbänder, die sich gegeneinander heben, bisweilen optisch bedrohlich wie die Startbahn eines Flugzeugträgers, dann wieder technisch animierend wie ein Blick vom River Café auf die Brooklyn Bridge. Wenn sich die Fließbänder im Fastdunkel von der Rampe in den Schlund des Burgtheaterbühnenhimmels aufrichten, kann sich der Zuschauer wie unter dem Bauch eines Transatlantik-Jets fühlen, der soeben beladen wird. Doch statt Gepäckstücken bewegen sich menschliche Bestien, gegen die Laufrichtung. So kommen sie nicht voran, doch ihre Tritte hinterlassen Spuren in den Köpfen der Zuschauer und in den Ohren. 15 Schauspieler rezitieren im Chor, stampfen, marschieren – rhythmisch, beängstigend, mitreißend. Wie Schwarzhemden Mussolinis, Recken von Chemnitz, österreichische Neonazis in Springerstiefeln. Und sie skandieren: „Wir werden immer mehr.“ Bühnenzampano Ulrich Rasche führte Regie, der griechische Dichter Euripides ist der Autor der 2400 Jahre alten Tragödie „Die Bakchen“.

Bravo.

Während bei der letzten Inszenierung Kusejs am Burgtheater (Arthur Millers „Hexenjagd“) die Diktatur noch schleichend Einzug hält, vollzieht sich der große Marsch in den totalitären Abgrund nun dröhnend. So manch biederem Premierengast ist das zuwider: Wegschauen, verdrängen liegt viel eher im Wiener Blut.

Wer fragt, warum es sich auch heutzutage lohnt, ins Theater zu gehen – das Burgtheater an der Ringstraße liefert gegenwärtig eine Antwort. Ein sinnliches Schauerspiel. Da darf schon an eine Nominierung für das Theatertreffen 2020 in Berlin gedacht werden.
Bakchen, Wien: Langsames Grauen
Vielen Dank, dass Gabi Hift die Schlagzeugerin namentlich erwähnt: Katelyn King. Ich bin öfters „ausgestiegen“ und ständig auf das Orchester geschaut, denn auf der Bühne langweilt es doch sehr, wenn alles in einem Ton, in einem sinnbefreiten, aber quasi-emphatischen Dauertonfall gebrüllt wird. Muss ich die Handlung kennen, um zu kapieren, was gerade „passiert“? Jeder, der zwei Rasche-Inszenierungen kennt, kann sich, nach Anschauen einiger Photos, vorstellen, wie es auf der Bühne zugeht... Einzige Überraschung: am Ende muss Katja Bürkle ihren Text mit großen Pausen ausdehnen, und seeehr langsam marschieren (gehen), dass ist dann „das Grauen“ ...
Nun hat sich die Rasche-Maschine weitergedreht, demnächst in Berlin und Basel ...
Eine Anmerkung: Ist der „Doyen“ der Bugtheaters nicht Michael Heltau?
Bakchen, Wien: Affirmation der Maschinen
Eine Welt ohne Ambivalenz, ohne Widerspruch, rein ästhetischer Natur, wie Maschinen funktionierend, ist doch, was zutiefst gerade begehrt wird, und es läuft nach der Logik von dem, was man „früher“ den Todestrieb nannte. Aber ohne Eros wird es nur tödlich. Daher die Faszination: Kein Widerspruch, keine Ambivalenz: reine Kraft und Technik. Ist erschreckend. Theater sollte ein Ort sein, wo gerade diese Mechanismen entlarvt werden sollten, wie die Tragödie es normalerweise vorführt, aber das Theater hat sich für etwas anderes entschieden: die reine Affirmation der Maschinen. Kein Widerspruch, kein Scheitern, kein Mangel. Alles da zur Verfügung. Alles abrufbar. Laut. Früher hätte man das „Perversion“ genannt. Heute ist es reiner Genuss. Applaus!
Bakchen, Wien: Aktualitätsgebrüll
Es wird zum zunehmenden Problem unseres sogenannten Gegenwartstheaters, daß es eine der unangenehmsten Eigenschaften der Gegenwart formal totalisiert: ihre Feindschaft gegen Vergangenheit und Zukunft. Die Gegenwartstheaterapostel können uns aber die Welt, geschädigt von der Feindseligkeit ihres Lieblingsprogramms gegen das, was war und das, was sein könnte, nicht länger besser erklären, als sie sie diese Welt selbst verstehen, nämlich immer weniger: es gab eine Zeit, Vergangenheit genannt, in der der thebanische Dionysos ein halbgöttlicher Gottessohn war - sein gegenwartsnäherer Nachfolger aus Nazareth hat das von jenem gestiftete Theater bereits hinter sich gelassen und damit den Startschuß für die in Wien praktizierte Umdeutung seines Vorläufers in einen „rechten Demagogen“ abgefeuert - ein Fortschritt, der für das Theater, dem hier sein Gott abhanden kommt, auch dann ein Rückschritt bleibt, wenn der Nazarener zwar noch an der Brust einer menschlichen Mutter saugen darf, aber das Theater seiner Ägide unter Gottlosigkeitsverdacht bzw. er selbst unter den Verdacht trampelnder faschistoider Ambitionen gerät. Das Gegenwartstheater vermag sich nicht so schnell zu erneuern, wie es die Welt, aus der es entstanden ist, zu begraben wünscht. Es zerrt lediglich, unter Aktualitätsgebrüll, die Bedingungen seiner Entstehung mit sich in den Abgrund.
Bakchen, Wien: alle klopfen
Wohlfeil dargelegt von FPS. Die Feier des eigenen Untergangs im Namen einer Konzeptkunst, die beliebige Inhalte in dasselbe Gefäß gießt. Unbenommen mit intellektuellem Ornament, aber in diesem Fall scheint sie sich - aus welchem Grund auch immer - sehr unsicher geworden zu sein, wenn sie Katja Bürkle einen solchen Schlusstext in den Mund schreibt, der nun wirklich weder mit Euripides noch mit gutem Theater zu tun hat. Aber gut. Die Maschine läuft und alle klopfen sich auf die Schultern.
Bakchen, Wien: im Gegenteil
ad Kommentar #2 : Die Bakchen und Dionysos sind alles andere als eine Warnung vor einer Diktatur, ganz im Gegenteil: Dionysos und seine Bakchen repräsentieren die pure Lebensfülle, Geühle, Ekstase, Freude, Vergnüngen, aber natürlich auch die Schattenseiten, weil die zu unserem Leben gehören. Nur wenn diese unterdrückt werden, haben Diktaturen eine Chance.
Schade, dass dieses Chaos, das Leben an sich, hier so militant bis in die letzte Minute unterdrückt wird und an der eigentlichen Aussage der Bakchen vorbeischrammt.
Bakchen, Wien: Skandal-Suche
"hat in den Zuschauer*innen den Wunsch geweckt, Teil des Rituals zu werden" hoho, in mir weckte das Rasche-Gebläse eher schon nach 5 Minuten den Wunsch, schnell sein Luftwaffen-Gedöns zu verlassen und ein schönes Glas Wein zu trinken. Narzisstische Männer in engen Hosen. Dett isses. Mehr is da nich. Kusej suchte verkrampft nach seinem Skandal-Stück, das dann in der "Krone" verhöhnt wird. Sozusagen Rasche als Testlauf, wie weit dumpf-dumme Männerfantasien noch eine Maus hinter dem Ofen hervorlocken. Lieb gemeint, aber entbehrlich, gelle.
Bakchen, Wien: Schleef für Arme
Aber es war doch der gleiche Rasche wie immer ... bisher hat doch auch nie interessiert, ob der Inhalt in der eintönigen Form was zu suchen hat. Quasi Schleef für sehr, sehr Arme ...
Bakchen, Wien: Ramstein meets Chippendales
rasche startete in berlin. singing. damals noch ohne laufbänder, sondern mit licht, das laufbänder simulierte, es hatte poesie. weil es im palast der republik war? gefühlte 30 jahre später: selbe sache. nur mit viel geld, ohne poesie und sinnvollem gedanken. das spiel mit der faschistischen ästhetik wird nie aufgelöst und klar ist faschistische ästhetik wirkungsstark.
elitär ist der abend. wer bakchen nicht kennt, kann scheissen gehen.
das ende wird dann aber ewig zu ende erzählt und quält ewig... warum sind die bakchen keine frauen?
als eröffnung 2019 an einem theater in einem land, das den rechten gehört: nicht gut! falsche zeichen.
Bakchen, Wien: was bliebe, wenn
Nach der 5. Inszenierung, die ich von diesem Regisseur gesehen habe, bin ich müde und ratlos aus dem Theater gegangen - und habe mich gefragt, was von diesem Abend übrig bliebe, würde jemand einen Kurzschluss verursachen, der Strom wäre weg und die Maschinen zum Stillstand gebracht werden.
Bakchen, Wien: ein Beispiel
Eröffnungsszene des Films WHERE DO WE GO NOW von Nadine Labaki.
https://www.youtube.com/watch?v=j0CWjD38znE
Bakchen, Wien: Intertextualität
@ Kommentar Nr 11: Danke für die Aufklärung, Herr Steckel!! Konnte mich nicht mehr an den Filmtitel erinnern...
Bakchen, Wien: kompetente Kritik
Danke. Endlich mal eine kompetente Kritik. Endlich jemand, die sich mit Stück und Versmaß überhaupt auseinander gesetzt hat.
Bakchen, Wien: Stromausfall
Nach dem nunmehr 6. Aufführungsbesuch einer Inszenierung von Herrn Rasche, wünsche ich mir für den Regisseur einen Stromausfall und eine Stadt, die keine Schauspielschule hat, damit es wieder mal spannend wird.
Bakchen, Wien: angekettet
Ich bin in der Pause gegangen. Mehr geflüchtet. Unverständlicher Text. Durch den Chor und die herausgekotzte Sprechweise. Das Ganze eine Zumutung. Dass die Schauspieler alle angebunden waren, damit sie von den schiefen Ebenen nicht herunterfallen, erschien mir symbolisch: Die Inszenierung hat sie angekettet und am Schauspiel gehindert.
Die Bakchen, Wien: Kein Ausweg
Bei Ulrich Rasche wird der euripidäische Stoff zu einer Parabel über den Totalitarismus, über die tödliche Attraktivität einfacher Antworten und Weltentwürfe, dem Sog des Versprechens, zu einer simpleren, klareren, besser zu verstehenden Welt zurückzukehren. Pätzolds Dionysos könnte auch ein Identitärer, ein so genannter Rechtspopulist unserer Zeit sein, der hinzugefügte, mehrfach wiederholte Slogan „Wir holen uns unser Land zurück“ macht das vielleicht ein wenig zu deutlich. Dabei hat er Mitstreiter, allen voran Markus Meyer als Chorführer, dessen rollendes R einschlägige Assoziationen hervorruft. Rechs Pentheus reagiert auf den populistischen Sog mit einer eigenen Form autoritärer Härte, einem Fallen ins andere Extrem, auch dies eine Gefahr unserer – wie jeder krisenhaften – Zeit. Die Diktatur der vermeintlichen Vernunft ist kaum weniger gefährlich als ihr Gegenstück, nur vielleicht ein bisschen weniger sexy. Dazwischen platziert Rasche Martin Schwabs Kadmos, der zu beginn fast spielerisch den Avancen Teiresias‘ sich Dionysos anzuschließen, folgt und am Ende wie ein weiser Lehrmeister, Agaue (am besuchten Abend gespielt von Sylvie Rohrer, die sich die Rolle mit Katja Bürkle teilt) nur noch die Hoffnungslosigkeit der Wahrheit vermitteln kann, wenn alles schon verloren ist, die Gewalt auf beiden Seiten gesiegt hat. Da wird der Puls der Gewalt zum Pochen des sicheren Todes.

Rasches Lesart ist konsequent, wenn auch kaum subtil. Seine Inszenierung interpretiert das Stück als Gleichnis einer derzeit überall in der westlichen Welt – und nicht nur dort – zu beobachtenden gesellschaftlichen Spaltung, die jegliches Leben auszulöschen droht, je mehr die Ränder Überhand gewinnen. Der Abvend hat einige Längen, insbesondere die Agaue-Kadmos-Sequenz am Ende leidet an abnehmender Spannung, was verstärkt wird durch jeglichen Verzicht auf die bei Euripides recht deutlich angelegte weibliche Perspektive. Die Gewalt ist männlich, Frauen bestenfalls Opfer – das ist dann doch ein wenig einfach geraten. Auch manche Gimmicks müssen nicht sein, etwa die im Takt schwankenden nackten Körper in riesenhafter Projektion, die totalitäre Ikonografien ein wenig mehr zu Spiegel scheinen, als sie sie entlarven. Und doch entwickelt der Abend den Rasche-typischen Sog, der den Zuschauer hineinzieht in die Mechanik menschlicher macht und Gewalt, die Anziehungskraft gesellschaftlicher Bewegungen, die „Heimat“ verkaufen und einfache antworten bieten. Zwei davon duellieren sich hier, verfolgen einander, begegnen sich, vernichten den Gegner. Doch das Laufband der Welt geht immer weiter. kein Stillstand, kein Ausweg.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/10/10/der-puls-der-gewalt/
Die Bakchen, Wien: bedrohlich
Den Machtkampf zwischen Gott Dionysos und dem Herrscher Pentheus liest Rasche nicht primär als Kampf zwischen Rausch und Vernunft, sondern ganz aktuell als Auseinandersetzung zwischen populistisch aufgepeitschten Massen und einem starken Staat, der die herrschende Ordnung verteidigen will.

Als Euripides seine „Bakchen“-Tragödie schrieb, war die attische Demokratie in der Krise und das kurze „Goldene Zeitalter“ vorbei. Rasche schlägt den Bogen ins heute zu einer Demokratie unter Druck und lässt seinen Chor mit einem berühmten Schlachtruf von Gauland und Höcke marschieren: „Wir holen uns unser Land zurück!“, skandieren die jungen Männer und wenigen Frauen. Bedrohlich wälzt sich der Mob dem Publikum entgegen: einer der eindrucksvollsten Momente des Abends.

Rasches Sympathie liegt ganz bei Pentheus, der mit harter Hand durchgreift. Mit seinen Polizeistaatsmethoden ist er jedoch alles andere als ein Vorbild für eine weltoffene, liberale Demokratie.

Denkwürdig ist vor allem eine Szene, in der Rasches Regiestil ironisch auf die Schippe genommen: Martin Schwab, einer der Burgtheater-Heroen seit Peymanns Zeiten, erscheint als Ex-Herrscher Kadmos, einer der Überläufer zum Dionysos-Kult, auf der Bühne, wird wie alle anderen mit Gurten und Seilen auf der abschüssigen Spielfläche gesichert und beginnt zu lamentieren: Wie soll ich nun tanzen? Wie muss ich nun die Beine heben?

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/10/28/die-bakchen-ulrich-rasche-burgtheater-kritik/
Bakchen, Wien: Ton
Mich wundert, dass weder in Kritik noch Kommentaren sich jemand daran stört, dass durchwegs mit Mikrofon gesprochen wird. Wer Überwältigung durch unnatürlichen Lärm sucht, wird in der Disco bestimmt mehr Spaß und bessere Unterhaltung finden. Und mehr mit dem Stück werden seine dortigen Erlebnisse vielleicht auch zu tun haben.
Im Theater aber haben Mikrofone nichts zu suchen. Zumal bei einer derart monotonen Inszenierung werden die Sprecher (von Akteuren zu sprechen, wäre zu viel) ununterscheidbar, wenn ihre Stimmen alle aus derselben Richtung der selben Boxen dröhnen. Wenn Theater nicht mehr live ist, schau ich doch lieber Fernsehen.
Aber vielleicht ist das in Wien immer so? Ich komme ja nur alle paar Jahre als Tourist in die Stadt, vor ein paar Jahren im "Faust" war es dasselbe. Findet man keine Schauspieler mehr, die hörbar sprechen können? Und ich dachte, am Burgtheater käme man an Leute, die das gelernt haben...
Immerhin, bis zur (sehr späten) Pause habe ich mir den Unsinn angetan, aber mehr aus Sparsamkeit: man hat ja immerhin für die Karte gezahlt.
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