Nazi-Sehnsüchte einer Androidin

von Jan-Paul Koopmann

Bremen, 13. September 2019. Schade ist es vor allem um diesen kleinen Moment der Erhabenheit: als das melancholisch unterkühlte Synthiegedudel gerade abklingt und noch eben so ein Funkeln über den Berg aus Spiegelglas und Champagnerschalen wandert. Ein wirklich winziger Augenblick konservierter Schönheit ist das – völlig belanglos für dieses Stück – der sich nur deshalb so hartnäckig in der Erinnerung verbeißt, weil es an diesem Abend der einzig erträgliche bleibt.

Attentat05 Alexander Angeletta Mirjam Rast Ferdinand Lehmann 560 Joerg Landsberg uMit vollem Einsatz, wie es der Text verlangt: Alexander Angeletta, Mirjam Rast (als Androidin Carla), Ferdinand Lehmann © Jörg Landsberg

Die Uraufführung von Mehdi Moradpours "Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig" gerät ansonsten schlicht laut. Pınar Karabulut, die zum Spielzeitauftakt erstmals in Bremen inszeniert, nimmt den Schwung des Textes auf und peitscht ihre Besetzung hindurch. Mit großem Einsatz wird gebrüllt, geschrien und einander nassgespritzt – immer so, wie es der Text formal verlangt, also mit antiker Schwere im Chor der Schicksalsmächte und hemmungslos in den Szenen, wo es geradezu krampfhaft ans Aktuell geht: Um Nazis, Künstliche Intelligenzen, das Klima und überhaupt.

Karabulut legt dabei eine sonderbare Ehrfurcht vor dem Text an den Tag, die seine oberflächlichen Stimmungen aufgreift und dann unbedingt passgenau lustig werden muss, dann schwermütig und in der zweiten Hälfte vor allem eskalaltiv.

Vulkanausbrüche, Nazis und andere Katastrophen

Dumm nur, dass sich "Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig" mit Händen und Füßen gegen jeden Versuch wehrt, ernstgenommen zu werden. Aus vorsätzlich wüst zusammengegoogelten Fragmenten erzählt Moradpour eine windschiefe Genealogie des deutschen Faschismus': aus der romantischen Literatur zum Burschenschaftler Carl Ludwig Sand, der 1819 den konservativen Dichter August von Kotzebue ermordet und weiter (ohne den Nationalsozialismus auch nur zu erwähnen) zum Nazi-Untergrund der Bundesrepublik: Wehrsportgruppe Hoffmann, NSU und so weiter. Basiswissen Antifa trifft auf Grundkurs Germanistik.

Attentat03 Bahrami Angeletta Lehmann Rast 560 Joerg Landsberg uAlles Science-Fiction? Das Ensemble in "Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig" © Jörg Landsberg

Über allem schweben noch die Ascheflocken des indonesischen Vulkans Tambora, der 1815 ausgebrochen und wahrscheinlich verantwortlich ist für die folgende kleine Eiszeit mit Hungersnot und vorrevolutionärer Stimmung in Europa. Achso, und dann ist da noch der Science-Fiction-Plot um Androidin Carla, die sich das oben skizzierte Wikipediawissen raufschafft, und darüber irgendwie selber auch Nazi sein will, wenn sie nicht mit den anderen was aus der "Rocky Horror Show" singt. Sie merken jedenfalls: es ist schon auch ein bisschen Quatsch im Spiel.

Themenbreite eskalativ

Und eben das ist in Bremen an der versammelten Mannschaft offenbar völlig vorbei gegangen. Mirjam Rast spielt mit bemerkenswerter Inbrunst das Robotermädchen, Ferdinand Lehmann und Elmira Bahrami gehen widerstands- und restlos auf in den ultraverplatteten Abziehbildern scheiternder Polit-Existenzen. Der Chor begleitet all das mit einer schleppenden Ernsthaftigkeit, die einen nur fassungslos machen kann.

Wie jemand ernsthaft auf den Gedanken kommt, dieser Text bräuchte noch die Dopplung durch Bühnenpersonal anstatt wie-auch-immer-produktiver Zerspielung – es bleibt das ungelöste Rätsel dieser Inszenierung. Aber genau das ist es eben, was diesen Abend mit der Zeit aus Harm- und Belanglosigkeit ins offene Ärgernis kippen lässt.

Während sich Bettina Pommers (übrigens sehr schöne) Spiegelbühne ununterbrochen im Kreis dreht, geht es auch oben drauf nicht weiter. Da toben sie eben herum in knallbunten Post-Hipster-Klamotten mit Tüllvolant und Neonfarben. Nur Robotercarla bleibt eine fleischfarbene Kreatur.

Post-Hipster-Knallbunt

Was der Science-Fiction-Plot nun eigentlich will, erschließt sich in Bremen nicht. Mirjam Rast geht nach einer sehr langen Stunde plötzlich von Null auf Nazi und brettert wie im Rausch über die Brüche hinweg, die ihren Text eigentlich interessant machen würden. Moradpours durchaus poetische Sprache demontiert sich eigentlich selbst, weil sie gespickt ist mit hässlichsten Zitaten. Da klingt unvergessen AfD-Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland nach der Bundestagswahl 2017 an: "Wir werden sie jagen". Auch die neu-rechte "Zurüstung zum Bürgerkrieg" stolpert hier "in Barbaren-Manier" durch zarte Roboterträume.

Gerade wo das Drama Geschichtsschreibung zu sein vorgibt, ist es tatsächlich ein widersprüchliches Gebilde voller Sollbruchstellen. Karabulut hat sich für die Flucht nach vorn entschieden und bügelt leider nicht nur den offenkundigen Unsinn, sondern auch all die hübschen Brüche mit aufgesetzter Wildheit platt. Als am Ende alle schreien, einander vergiften, Schaum spucken und in Champagner duschen bleibt nur noch weißes Rauschen.

Postdramatische Belastungsstörung

Von einer "postdramatischen Belastungsstörung" kalauert einen der Text etwas verdruckst von der Seite an. Auf der Bremer Bühne wird daraus das Triumphgeheul eines völlig eingekapselten Theaters, das nichts mehr will von der Welt und seinem Publikum. Ach, und von wegen Rechte und Provokation: ja natürlich gehen nationalkonservative Reaktionäre an die Decke bei sowas, weil sie die Zumutung schlicht nicht ertragen können. Nur geht das hier eben auch allen anderen so.

 

Attentat oder frische Blumen für Carl Ludwig
von Mehdi Moradpour
Regie: Pinar Karabulut, Bühne: Bettina Pommer, Kostüme: Bettina Werner, Licht: Joachim Grindel, Musik: Daniel Murena, Dramaturgie: Simone Sterr
Mit: Mirjam Rast, Alexander Angeletta, Elmira Bahrami, Ferdinand Lehmann.
Premiere: 13. September 2019
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theaterbremen.de

 

Kritikenrundschau

"So viel Spektakel ist selten; so wenig Sinngehalt, der sich zu einer Synthese schürzen ließe, an der Lust- und Erkenntnisgewinn des Publikums zu bemessen wäre, allerdings auch", schreibt
Hendrik Werner im Wester-Kurier (14.09.2019). Ebenso unbändig wie unlesbar sei die Uraufführung. Das Stück bleibe wegen seines bildungshubernden Hermetismus befremdlich und äußerlich, sei "so verzichtbar wie seine L'art-pour-l'art-Inszenierung".

"Es bleibt geheimnisvoll und nebulös. Was gewiss zu einem geringeren Teil daran liegt, dass Karabulut über 90 Minuten in einem immer robusteren Körpertheater immer wieder vernachlässigt, dass es da auch noch einen Text gibt, der verstanden werden könnte", schreibt Rolf Stein in der Kreiszeitung (16.9.2019). Zwar lasse sich ein gewisser Schauwert ebenso wenig leugnen wie ein gewisser Humor, der Rest aber sei "Radau".

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