Zombieland wird aufgespannt

von Christian Muggenthaler

Memmingen, 20. September 2019. Am Schluss, wenn das Blutsüppchen weidlich angerührt ist und so ziemlich alles tot daliegt, könnte das gesamte Geschehen sich sofort wiederholen. Wie schon zu Beginn hallt die Frage "Aber ist Euch auch wohl, Vater?" durchs Theater. Und die, die zuletzt das ganze Drama final entseelt haben, krabbeln, kriechen und wanken schon am Anfang wie die Zombies auf die Bühne. Damit macht Julia Prechsl gleich schon mal hinlänglich klar, was gemeint ist in ihrer wuchtigen, kräftigen Interpretation von Friedrich Schillers "Die Räuber": Dort, wo die Liebe fehlt, dort, wo Herzlosigkeit, Seelenlosigkeit, Unmenschlichkeit herrschen, dort werden Untote herrschen und den Grundton der Gewalt ins Land setzen: Wo das Herz fehlt, läuft das Blut aus.

Viel Herzensblut fließt

Und weil dieses Stück seit nun fast 240 Jahren immer und immer wieder gespielt wird, muss diese Geschichte von einer Gesellschaft, die ihre Mitte verloren hat, immer und immer wieder erzählt werden. Prechsl stellt nicht nur diese Aktualität gerade dadurch unter Beweis, dass sie der Zeitlosigkeit des Textes vertraut, ohne ihn deshalb mit viel oberflächlichen Gegenwartsbezügen aufzuhunzen, sondern unterstreicht auch, wie bärenstark und bissig er ist. So wie das Licht auf der Bühne kontinuierlich klare Konturen zeichnet, so konturieren die Spieler Schillers scharfkantige Sprache in ihrer ganzen Klarheit und dichterischen Präzision.

Raeuber 3 560 Forster uWer als was geboren wurde, ist nicht so klar: Das Ensemble in "Räuber" in Memmingen, mit Regina Vogel als Franz (2 v.l.) und Elisabeth Hütter als Karl (2 v.r.) © Forster

Prechsl erreicht diese Präzision, indem sie dem straff gekürzten Stück sein Pathos nimmt. Hier geht es nicht um hehre Worte, sondern sehr konkret darum, was totalitäres Denken und Terrorismus anrichten. Darum, was geschieht, wenn der Antrieb allen Tuns Hass und Rache sind: Zombieland wird aufgespannt. Die Regisseurin dreht Klassiker zur Neubetrachtung ihres Gehalts gern einmal um die eigene Achse, hinterfragt Männer- und Frauenrollen. Hier nimmt sie einfach Franz Moors Klage "Kann ich's ihm Dank wissen, daß ich ein Mann wurde?" wörtlich, lässt Karl und Franz Moor von Schauspielerinnen darstellen und Amalie von einem bärtigen Mann.

Ironisierte Rollenbilder

Auch die Räuber werden teils von Männern, teils von Frauen verkörpert. So ist dem Stück nicht nur schwuppdiwupp aller Testosteron-Schweißgeruch und mithin eben viel von seinem Pathos ausgetrieben, so können auch mal Rollenbilder hübsch ironisiert werden: Agnes Decker macht das in einem Auftritt als Kosinsky sehr fein, indem sie Schillersche Metaphern der Frauenanmut zerknackt wie eine komische Walnuss. Und die Rollenwechsel legen erstaunlich präzise das Augenmerk auf den tatsächlichen Motor der Handlung, der – siehe da – völlig geschlechtsunabhängig funktioniert. Auf diese Weise dringt diese Memminger Inszenierung zum Kern des Stücks vor.

Raeuber 2 560 Forster u Im Gestänge: Elisabeth Hütter, David Lau, Regina Vogel © Forster

Dieses Bestreben, den Kern des Werks kenntlich zu machen, spiegelt sich auch im Bühnenbild (Ausstattung: Birgit Leitzinger), das ein nur anfänglich von Bildwerk umhülltes, bald aber ein nacktes, bloßgestelltes, schiefes Gestänge-Gebilde aus Metallrohren und Kellergittern bildet. Die Kostüme haben, Zombiekluft eben, leichte Verlumpungstendenzen, die saftigen Musikeinspielungen von Fiete Wachholtz sorgen für düster dräuenden akustischen Unterbau: Wachholtz macht das Unheimliche hörbar.

Gefährlich beiläufige Gewalt

Der ganze Abend zeigt eine wache, klare Haltung zum Stoff. Die Gewalt im Stück wirkt hier so beunruhigend, weil sie hinunterdramatisiert, eher beiläufig wirkt: Wie das eben in Zombieland so ist. Das geht in dieser konzentrierten Konsequenz auch deshalb, weil das Memminger Ensemble bei diesen "Räubern" insgesamt glänzend disponiert ist, allen voran Regina Vogel als natternböser, giftiger Franz, der seine Sprache wie eine Rasierklinge im Mund führt, und Elisabeth Hütter als ein hochcharismatischer Karl Moor, dessen Mischung aus kaltblütigem Vorwärtstreiben und melancholischer Nachdenklichkeit bewundernswerte Basis des Handlungsablaufs ist.

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Julia Prechsl, Bühne & Kostüme: Birgit Leitzinger, Musik: Fiete Wachholtz, Dramaturgie: Thomas Gipfel.
Mit: Regina Vogel, Elisabeth Hütter, André Stuchlik, David Lau, Klaus Philipp, Tobias Loth, Tim Weckenbrock, Miriam Haltmeier, Agnes Decker.
Premiere am 20. September 2019
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.landestheater-schwaben.de

 

Kritikenrundschau

"Es hätte der fulminente Auftakt einer kämpferischen und politischen Spielzeit werden können", findet eine mit "as" signierte Kritik in Die LOKALE Zeitung Memmingen (23.9.2019), "doch dazu war die Inszenierung von Julia Prechsl nicht bewegend und im Wortsinne bewegt genug und wirkte dadurch stellenweise etwas langatmig." Die Figuren redeten "teilweise gleichzeitig aneinander vorbei, bis alles schließlich in Blut ertränkt wird." Beeindruckt zeigt sich die Kritik jedoch von Agnes Decker als Kosinsky, der die Regisseurin viel Raum gebe, "um ihre Figur und das Geschehen um sie herum auf witzig-spielerische Weise zu hinterfragen und den Räuberwald, ansonsten eine humorfreie Zone, ordentlich aufzumischen."

Harald Holstein schreibt in der Memminger Zeitung (23.9.2019): Regisseurin Julia Prechsl habe "Die Räuber" mit "Blick auf die Gender-Debatten gelesen" und einige Männerrollen mit Frauen besetzt, auch die Brüder Franz und Karl Moor. Dieser "interessante Ansatz" einer "Frauenperspektive" auf eine Männer-Macho-Räuberwelt bringe jedoch "keine neuen Erkenntnisse". Das "tief psychologische und sprachlich feinfühlige Werk" bleibe in der Inszenierung "verschlossen und fiel als schwerer, meist nur halbdunkel ausgeleuchteter Brocken vor die Füße des Premierenpublikums". Die Inszenierung erstarre in postdramatischen Konventionen. Das Geschehen werde "ohne viel Bewegung und Körperlichkeit" nicht voll ausgespielt. "Chorisches Sprechen, akustische Dauerberieselung mit wenigen Ruhemomenten und ein Stahlgerüst mit mehreren Ebenen und Schrägen betonten den Oratoriencharaker". Die Schauspieler wirkten "merkwürdig eingeklemmt" in eine Inszenierung, die "zu sehr auf Gesten und Zuspiel verzichtet". Aber auch hier wird Agnes Decker positiv herausgehoben.

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