The Party - Burgtheater Wien
Aufgetischt und abgekotzt
von Andrea Heinz
Wien, 21. September 2019. Das Burgtheater beliebt neuerdings zu scherzen: "Burgtheater sold white men" ist auf den Werbeplakaten zu lesen (sofern man die Schrift entziffern kann). Weiß die Marketingabteilung womöglich nicht, dass Neu-Intendant Martin Kušej ein weißer Mann ist? Oder soll das ein Scherz sein? Wahrscheinlich handelt es sich um ein Missverständnis: Geschlechtergerechtigkeit bedeutet nicht, dass Männer endlich auch öfter Opfer von Menschenhandel werden sollten. Niemand will das, das Publikum nicht und auch wir Kritiker*innen nicht. Oder, wie es einmal in "The Party" heißt, das Sally Potter ursprünglich als Drehbuch schrieb und das nun in der Regie von Anne Lenk auf die Bühne des Burgtheaters kam: "Männer sind nicht der Feind!"
Phänotyp: Sitzsack
Im Mittelpunkt von "The Party", das 2017 als Film herauskam, steht die erfolgreiche Londoner Politikerin Janet, die gerade zur Gesundheitsministerin ernannt wurde – wenn auch nur im Schattenkabinett. Dörte Lyssewski spielt diese Janet, auf dem Kopf eine seltsame Mischung aus Topf- und Prinz-Eisenherz-Frisur, erstarrt in unverbindlicher Freundlichkeit, auf den Lippen die einstigen Überzeugungen, die nur noch Phrase sind. Möglich wurde ihr Erfolg, weil Ehemann Bill auf eine Professur in Harvard, nein, Yale verzichtete, um ihr den Rücken freizuhalten. Jetzt hängt er da mit ausgestopfter Wampe und alt gewordener Hippie-Frisur und gleicht phänotypisch dem Sitzsack, auf dem er Platz genommen hat.
Im Sitzsack-Biedermeier: Peter Simonischek, Dörte Lyssewski © Matthias Horn
Peter Simonischek spielt das mit schön bräsiger Selbstverliebtheit (weißer Mann halt). Regina Fritsch stichelt als Janets älteste Freundin April mit Begeisterung an ihrem schwer esoterisch angehauchten Softie-Partner Gottfried (großartige Tanzeinlage: Markus Hering) herum – der ist nicht nur "Lebenscoach" und Heiler, sondern auch noch Deutscher (also: Nazi) und redet, das muss man zugeben, manchmal wirklich saublöd daher. Wären da noch Bills alte Studienfreundin Martha (Barbara Petritsch), Professorin, und ihre Ehefrau, die arg junge Jinny (Katharina Lorenz), die – dank künstlicher Befruchtung – mit Drillingen schwanger ist und ständig kotzt. (Es müssen, da ist man sich einig, wohl drei Buben sein.) Und schließlich Tom (Christoph Luser), Ehemann von Janets Kollegin Marianne, ein Banker. Er kokst ziemlich heftig, aber er ist schließlich auch der Böse, weil er, wie ihm Bill einmal vorhält, mit "schmutzigem" Geld zu tun hat, und nicht mit "echtem" Bargeld.
Alles muss raus
Nicht nur Jinny kotzt sich munter durch den Abend, schließlich gibt es Klischees bis zum Erbrechen. Es folgen ein paar unschöne Enthüllungen, die Party eskaliert zunehmend und alles kommt auf den Tisch, das Gesundheitssystem, die Demokratie, Feminismus, eheliche Treue und der Placebo-Effekt. Wie Potter da genüsslich das links-intellektuelle Biedermeier mit all seiner Selbstgewissheit und Heuchelei, Arroganz und Abgehobenheit zerlegt, das machte den Film zum großen Erfolg.
Majestätisch thront die Plattensammlung im Bühnenbild von Bettina Meyer © Matthias Horn
Und auch in Wien wird erstmal vieles richtig gemacht: Die Bühne (Bettina Meyer) etwa mit den über- und nebeneinander gestapelten Kästen, in denen sich die einzelnen Bereiche des Hauses befinden und auf der immer genau jener Bereich beleuchtet wird, in dem sich gerade etwas abspielt. Das bringt viele Gelegenheiten für schöne Bilder, zum Beispiel, wenn man auf der einen Ebene die Neuankömmlinge im Profil vor der Tür stehen sieht und auf einer anderen, frontal in Richtung Zuschauerraum blickend, die Gastgeberin, die ihnen öffnet. Hervorheben muss man unbedingt auch die Kostüme (Sibylle Wallum), die nicht nur sehr schön sind, sondern wirklich etwas über die Personen erzählen, die sie tragen. Ist ja auch nicht immer der Fall.
Nichts ballt sich
Die Spieler*innen machen aus ihren Figuren großartige Karikaturen – nur, und da beginnen die Probleme, sie spielen kaum zusammen. Immer wieder stehen sie auf der Bühne herum, als wüssten sie nicht, wohin mit sich, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Von Anfang an fehlt dem Ganzen zudem das Tempo. Wo beim Film die "Zusammenballung von Energie und Komik" ("Die Zeit") gelobt wurde, da ballt sich hier gar nichts, stattdessen herrscht lähmende Schwere. Selten hat man das Gefühl, dass das Ensemble wirklich ins Spielen kommt – was vielleicht auch an den Ab- und Aufblenden liegt, wenn von einem Schauplatz, einem Raum zum nächsten gewechselt wird. Statt schneller Schnitte, die es gebraucht hätte, wirkt das hier immer etwas umständlich und behäbig.
Lenks Debüt am Burgtheater ist kein völlig misslungener Abend: Vieles ist gut gedacht und gemacht, aber die einzelnen Teile finden nicht zu einem zündenden Ganzen zusammen. Kein Funke springt über. Die Bosheit, der Zynismus, der Witz: alles an diesem Abend bleibt fahl wie die Farben der Kostüme.
The Party
von Sally Potter
Regie: Anne Lenk, Bühne: Bettina Meyer, Kostüme: Sibylle Wallum, Licht: Norbert Joachim, Michael Hofer, Musik: Camill Jamall, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Dörte Lyssewski, Peter Simonischek, Regina Fritsch, Markus Hering, Barbara Petritsch, Katharina Lorenz, Christoph Luser.
Premiere am 21. September 2019
Dauer: ca. 1 Stunden 30 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
"Auf einmal wähnte man sich wieder in guten alten Burgtheater-Zeiten", gibt Bernd Noack auf Spiegel Online vor – nur um sogleich fortzufahren: "Von aktueller politischer Haltung keine Spur, dafür gepflegte Theaterkunst und bisweilen auch nochmal dieses sonore, wohlige Burg-Nuscheln, in das sich die Schauspielerinnen und Schauspieler gerne fallen lassen, auch wenn man in der achten Reihe schon kein deutliches Wort mehr versteht." Das Wiedersehen mit den "Lipizzanern der hohen Schauspielkunst" sei womöglich der "einzige Grund, dieses Werk überhaupt auf die Bühne zu bringen", das, so Noack, "ein well-made play sein will, tatsächlich aber ziemlich schlecht gebaut ist."
Wolfgang Kralicek von der Süddeutschen Zeitung (23.9.2019) findet den Abend gelungen. "Während der in Schwarzweiß gedrehte Film etwas Surreales, Künstliches, Gebrochenes hat, stellt (...) Anne Lenk die Weichen in Richtung Komödie. Das funktioniert nicht zuletzt deshalb so gut, weil das ganze Ensemble hoch motiviert bei der Sache ist. Und weil die Bühnenbildnerin Bettina Meyer für die Herausforderung, die schnellen Szenenwechsel der filmischen Vorlage möglich zu machen, eine ebenso spektakuläre wie funktionelle Lösung gefunden hat."
Laut Margarete Affenzeller vom Standard (22.9.2019) plätschere der "verschwenderisch besetzte Abend" müde dahin. Das schwer konstruierte Kammerspiel komme weder inhaltlich noch sprachlich an Yasmina Rezas Edelboulevardkomödien heran und wirke in seiner Oberflächlichkeit im Burgtheater "arg deplatziert".
Sozial genau verortete Figuren mit Tiefgang hat Barbara Petsch von der Presse (23.9.2019) bei Autorin und Filmerin Sally Potter gefunden.Anne Lenk hingegen habe "ein etwas beliebiges Vergnügen" inszeniert, mit einerm versierten Ensemble, "mit viel Lustspiel-Slapstick, Bewegung und Kunstfiguren, die zeigen, was sie können", so Petsch. Ihre Gesamtbewertung: "kurz, bündig, ordentlich, aber ein Abend ohne Wow".
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"Die Figuren sind so überzeichnet und die Konflikte so erwartbar wie an einem Reißbrett entworfen, dass dieser starbesetzte Film deutlich hinter den hohen Erwartungen zurück bleibt", war 2017 mein Fazit (daskulturblog.com/2017/07/25/the-party-tragikomisches-kammerspiel-aus-der-britischen-oberschicht/).
Der Satz "Statt schneller Schnitte, die es gebraucht hätte, wirkt das hier immer etwas umständlich und behäbig" passt auch für die Filmvorlage wunderbar.
Dass 2 Jahre nach der Filmpremiere erst die deutsche Erstaufführung kommt, zeigt doch auch, dass da keiner angesprungen ist. Was im Film nicht gut ist, kann dann auf der Bühne nicht plötzlich besser werden.
Ich war dann erstaunt, dass die Bühnenumsetzung tatsächlich viel mehr aus den Figuren holt, als dass Frau Potter in ihrem eigenen Film geschafft hat.Bill ist viel interessanter, als im Film, wo er wie ein schon toter alter Mann gezeichnet wird. Simonischek ist agil und potent und sympathisch, da bleibt man dran. Er hat Humor und man mag ihn. Das ist wirklich toll gelungen.
Die Regie ist eine Katastophe, kein Handwerk, kein Rhythmus, keine Ideen, keine Schauspielerführung. Frau Lenk, bitte bleiben Sie Wien fern und erfreuen Sie fürderhin das dt. Feuilleton mit Ihrer Langweiligkeit! Das Ganze eine Peinlichkeit für die ansonsten erfreuliche Burgtheateraufführungsserie.
Hey Claus! Mal fürderhin ganz locker bleiben. Life is a Party and no campari no party!
Hdgdl, dein thommy
Die Kaskaden immer neuer Enthüllungen wirkt in dieser Umgebung denn auch wie die Klischeeparade, als die sie auch im Film schon angelegt ist. Und spätestens hier wirken auch die „Schnitte“ kontraproduktiv, zumal die Black-Phasen mit zunehmender Dauer an Länge gewinnen. Auch wenn der Abend nur 90 Minuten dauert, ist er doch 20 Minuten länger als die Vorlage, ohne dieser irgendetwas hinzuzufügen, was dazu führt, dass die spürbaren Längen den Fluss bremsen und am Ende aus dem satirischen Feuerwerk, als dass es wohl intendiert war, eine zähe Enthüllungs- und Gag-Revue wird. So kratzt diese Party an der Oberfläche, gerät sie um Längen harmloser als der Film, überzeugt sie eher als ein wenig voyeuristischer Blick hinter die Kulissen eines sich selbst betrügenden intellektuellen Bürgertums denn als Satire einer sich verlaufen habenden linksliberalen Gesellschaftsschicht, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Ziele längst betrogen hat. So bleibt perfekt gespielter Edel-Boulevard, nicht mehr.
Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2019/10/09/perfekt-weggespielt/