Studie zu Macht und Struktur im Theater
Überstunden und Machtmissbrauch
3. Oktober 2019. Eine neue Studie der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) Frankfurt am Main und des Ensemble Netzwerks unter der Leitung von Thomas Schmidt, Leiter des Masterstudiengangs Theater- und Orchestermanagement an der HfMDK, beschäftigt sich mit "Macht und Struktur im Theater", so auch ihr Titel. Sie erforscht im Rahmen von über dreißig Fragestellungen die soziale Situation und den Gebrauch von Macht an den Theatern.
Es wurden Antworten von knapp 2.000 Theaterschaffenden ausgewertet. Befragt wurden vor allem Darsteller*innen und andere künstlerische Mitarbeiter*innen (71,5 % der Teilnehmer*innen (1.276), damit 14,9 % ihrer Gruppe an deutschen Theatern).
Die Studie ergab laut Pressemitteilung des Ensemble Netzwerks u.a. folgende Erkenntnisse:
– Weit mehr als die Hälfte (57 %) aller Teilnehmer*innen kann nicht, kaum oder gerade so von ihrem Einkommen leben und existiert unter prekären Bedingungen. Vor allem deshalb gehen 58,7 % der Künstler*innen Nebenbeschäftigungen nach.
– 54 % arbeiten bis zu zehn und mehr Stunden täglich, 14,5 % mehr als zehn Stunden. Der Anteil der Frauen nimmt zu, je höher die täglichen Arbeitsbelastungen sind: er liegt bei über zehn Stunden Arbeitszeit bei 65 %.
– 42 % der Teilnehmer*innen leiden unter psychischem Missbrauch, die Zahl steigt bei den Frauen auf 47 % und bei den Künstler*innen auf 49 %.
– 9,4 % der Teilnehmer*innen waren von sexuellen Übergriffen betroffen. Der Anteil der Männer unter den von den Teilnehmer*innen benannten Tätern, die entsprechende Angebote unterbreitet und/oder Übergriffe ausgeführt haben, liegt bei 96,5 %. Die Teilnehmer*innen berichten von 284 mehrheitlich von Intendanten und Regisseuren ausgesprochenen Angeboten von Rollen, besseren Gagen und Engagements gegen sexuelle Gefälligkeiten. 121 Teilnehmer*innen berichten, in jüngerer Vergangenheit für eine Rolle, eine Regiearbeit, ein Engagement oder eine Gagenerhöhung eine sexuelle Gefälligkeit geleistet zu haben.
(Ensemble Netzwerk / sd)
Hier gibt es eine 48-seitige Leseprobe von Thomas Schmidts im Verlag Springer VS erschienenen Studie "Macht und Struktur im Theater".
Interview mit Thomas Schmidt, anlässlich des Erscheinens der Studie, auf nachtkritik.de (Oktober 2019).
Im April 2017 entwarf Thomas Schmidt im Rahmen unserer Stadttheaterdebatte die Vision eines neuen Mitbestimmungstheaters.
Im Januar 2017 erschien Thomas Schmidts "Theater, Krise und Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems" – hier unsere Buchkritik.
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Das aber hat sich schon seit Jahren verändert! D.h.die Prozentzahl der Schauspieler/innen,die 2/3 Jahre in ein festes Engagement wollen, wenn überhaupt, ist inzwischen stark gesunken. Lieber frei arbeiten, all die Möglichkeiten nutzen, die heute geboten werden. Das aber bedeutet auch ein Umdenken, umdisponieren an den Theatern, bedeutet u.U.auch dass es teurer wird mit mehr Gästen zu arbeiten oder das Arbeitspensum der "Festen" zu erhöhen.
Ich halte eine Diskussion über das Profilbild der "neuen" Schauspielergeneration für dringeñ notwendig!
Aber die angesprochenen Taten sind Straftaten,sexueller Ausbeutung aufgrund perverser Machtgefälle im Theater.
Nehmt den Herren endlich ihre feudale,absolutistische Macht.Die bürgerlich-demokratische Gewaltenteilung mit etwa gleichberechtigten Partnern hat in den deutschen Stadttheatern noch nie stattgefunden.
Angesichts dieser Häufung wirklich krimineller Zustände ist ein Nichhandeln der Verantwortlichen (Bühnenverein,Politik) eigentlich unterlassene Hilfeleistung.
Es wäre schön, wenn die Gesetze der Bundesrepublik eines Tages auch in den Theatern gelten.
(Liebe/r undsoweiter - der Kommentar wurde wegen unbelegbarer Tatsachenbehauptungen gelöscht. Siehe auch unsere Kommentarregeln.
nachtkritik-Redaktion)
2. Dank für die Einbeziehung der Arbeitsbelastung durch Nebenbeschäftigung. Da wird greifbar gezeigt daß für viele Frauen nach wie vor das Streben nach Eigenständigkeit und Handlungsfreiheit in eine Sackgasse führt; zumal die angesprochene Ausbeutung (Überstunden, Übergriffe) ebenso für das zweite Standbein gelten kann. Und da heben wir noch gar nicht von Elternschaft etc gesprochen.
(Anmerkung der Redaktion:
Die Studie ist im Verlag Springer VS erschienen. Eine 48-seitige Leseprobe findet sich hier: books.google.de/books?id=SSmsDwAAQBAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_vpt_buy#v=onepage&q&f=false)
Ein Möglichkeit wäre es , der NK eine unabhänigige Alternative entgegenzustellen, in der Leute schreiben, weil ihnenen was am Medium Theater liegt und nicht an der Institution mit all ihren Inhumanitäten...
Knutscha Ihr Looser*
http://www.buehnenverein.de/de/presse/pressemeldungen.html?det=558
Mit persönlich fehlen auf jeden Fall eine Menge Unterscheidungen z.B. die von #6 beschriebenen. Außerdem hätte ich gern gewusst, wie genau prozentual die sexuellen Gefälligkeiten gefordert oder geleistet wurden: Direkt? Oder indirekt angedeutet? Wenn ja, in welchen konkreten Formulierungen/Handlungen? Gibt es Übereinstimmungen bei der Indirektheit von Formulierungen? Gibt es bevorzugte konkrete geforderte sexuelle Gefälligkeiten? Welche Gefälligkeiten wurden genau geleistet und wann genau? Im Anschluss an eine mit Angebot verknüpfte Forderung? Oder vorauseilend, bereits in Erwartung einer solchen? Um welche Art der Gefälligkeit handelte es sich? Um Duldung von unerwünschten körperlichen Sichtungen undoder Berührungen? Um Austausch solcher? usw. - Gab das zu differenzieren die Erhebungs-Software nicht her? Auch nicht im Zufallsprinzip?
Wenn nicht, warum macht man dann solche Untersuchungen software-basiert?
Wenn man doch ohne software-Einsatz schon genauere Fragen stellen kann?
Ist da irgendwem gar nicht an genaueren Antworten gelegen?
Ist irgendwem daran gelegen, dass bei einer Machtmissbrauchs-Untersuchung nur der ältere, weiße Mann in Machtposition als Schuldiger herauskommen k a n n?
Kann man nicht anders als durch scheinwissenschaftliche Schuldzuweisung zu einem paritätischen Leitungsverhalten kommen?
Zum Beispiel aus Gründen der gendergerecht paritätischen Verteilung von gleichen Erwerbsmöglichkeiten?
Das ist ja keine Frage der Schuld, sondern des geltenden Rechts (Die "Würde" des Menschen zu berücksichtigen reicht dabei völlig aus!), dem es an Umsetzung und Durchsetzung mangelt. Wenn es also z.B. 2000 Schauspiel-Stellen im Betrieb gibt, dann fallen davon 1000 auf Männer und 1000 auf Frauen. Desgleichen für die anderen Berufsgruppen. Zu gleichen Teilen und zu gleicher Bezahlung. Und wenn es 200 beantragte Projekte von Theater-Kollektiven gibt, dann entfallen 100 finanzierte auf mehrheitlich von Männern umgesetzte und 100 auf mehrheitlich von Frauen umgesetzte. Oder 200 auf durchweg paritätisch umgesetzte. Sowas kann man ja kontrollieren, ob sich an solche Finanzierungs-Vorgaben auch gehalten wird. Und ansonsten braucht man solche betrieblichen Vorgaben einfach nur laut und deutlich formulieren. Und selbst das "dritte" Geschlecht kann dabei berücksichtigt werden, weil es switchen kann, so es will, solange ein Projekt andauert oder es sich ad libitum in eine der Gruppen "Männer" oder "Frauen" verwaltungstechnisch im Vertrag zuordnet.
Ich kann mit dem Patriarchats-Geheul absolut nichts anfangen, denn auch in Zeiten des Matriarchats ist unmenschlich mit einem Geschlecht umgegangen worden. Es geht um Unterdrückungsmechanismen ALLGEMEIN. Ohne auch Frauen-Macht, die das Paternale in der Kommunikation stützt, funktioniert kein Patriarchat. Wie ohne auch Männer-Macht, die das Sexuelle in der Kommunikation stützt, kein Matriarchat funktioniert. Männer unterdrücken Frauen und Frauen Männer immer dann, wenn entweder Männer zu viele Männer unterdrücken (Matriarchat) oder Frauen zu viele Frauen unterdrücken (Patriarchat).
Es fragt sich, ob und wie unter solchen Umständen so etwas wie ein über allem schwebender Theatergeist je wieder hervortreten kann, der im deutschsprachigen Raum doch zumindest einmal geherrscht HAT, es ist noch gar nicht so lang her.
Ich dachte, Theater sei mehr als bloß Strukturen. Mehr und etwas anderes als ein Standort, wo Theateraufführungen stattfinden. Im Theater werde etwas aufrecht- und hochgehalten, habe ich gedacht.
Hoffentlich wird, analog zur besprochenen Studie, auch einmal eine „Studie zum Geist im Theater“ in Angriff genommen. Diese könnte allerdings erst recht desaströse Erkenntnisse zutage fördern.
es ist so, wie Sie im dritten Absatz beschreiben, und Sie denken richtig: "Ich dachte, Theater sei mehr als bloß Strukturen. Mehr und etwas anderes als ein Standort, wo Theateraufführungen stattfinden. Im Theater werde etwas aufrecht- und hochgehalten, habe ich gedacht."
Herzliche Grüße
- Antowort: NEIN -- die selbe Hierarchie, Missbrauch auf anderen ebenen (Arbeitsteilung z.B.), schlechte Bezahlung, langweilige Ästhetiken, neurotische Verhältnisse wegen des Produktionsdrucks, Drohungen wie überall, falls etwas nicht "optimal" läuft, Kälte wie in manchen anderen Stadttheatern
2. Ist es in der sogenannten Freien Szene etwas Besser oder wo "Kollektive" an der Spitze sind?
- Antwort: TEILWEISE ja, teilweise DEFINITIV NEIN, sogar schlimmer -- Vetternwirtschaft, Hochmut, leise aber perfide Hierarchie, weil Zwang zum Konsens, Hauptsache "kollektiv" (d.h. meistens drei oder vier Gleichgesinnte), Hauptsache Konsens, Hauptsache Liebe heißt meistens: Selbstliebe und Ironie, aggresive Marketingsstrategien, Begeisterung für neoliberalien Extremismus, was Selbstausbeutung und Flexibilität angeht
3. Was tun?
-- Antowort: Vielleicht:
- nicht immer denken, es wird alles besser, weil nur Männer oder Weiße weg sind und Frauen und Queere Leute kommen! Es wird nicht besser, nur weil es glänzt
- Vielleicht lieber etwas gegen das gesamte System und den neoliberalen Staat unternehmen
- MEHR Gelder für ALLE Kulturschaffende und Theaterleute verlangen, nicht nur für weibliche, junge, hipe und queere und extravagante Leute
- SOLIDARISCH denken und handeln, nicht nur für Gleichgesinnte stehen
(Der Kommentar wurde um eine Passage, die nah an der Unterstellung war, gekürzt. Grüße aus der Redaktion / jeb)
Was ist mit Männern, die unter Patriarchat und patricahrchalen Verhaltensweisen der leitenden Frauen leiden und zugrunde gehen?
Ich bin eigentlich ganz froh, dass sich die NK-Redakteure hier auf einen Journalistischen Standard berufen. Sonst könnte ich ja auch einfach behaupten:
"!" hat versucht mich zu vergewaltigen, außerdem hat "!" sich öfters rassistisch, homophob und Antisemitisch geäussert. Schon in seiner ersten Station am Theater in "..." hat "!" viele meiner Kollegen*innen belästigt und bedrängt.
Wäre ihnen das lieber?
Unter dem Patriarchat, unter patriarchalen Verhaltensweisen und toxischer Männlichkeit leiden Frauen UND Männer, Frauen UND Männer können Opfer solcher Verhaltensweisen sein, Männer UND Frauen können Täter sein, indem sie nach patriarchalen Mustern handeln.
Allerdings, hier scheint die Studie klar (siehe Meldung oben): "Der Anteil der Männer unter den von den Teilnehmer*innen benannten Tätern, die entsprechende Angebote unterbreitet und/oder Übergriffe ausgeführt haben, liegt bei 96,5 %."
Was zu tun bleibt? Patriarchat abschaffen. Weil es für ALLE das Beste wäre.