Arabesken des Grauens

3. Oktober 2019. "Tanz: Eine sylphidische Träumerei in Stunts" heißt der Abend in voller Länge. Das bezieht sich auf das Ballett "La Sylphide" von 1832 die Luftgeister, die sitzentanzend hindurchschweben. Bei Florentina Holzinger hängen sie jetzt unter anderem am Fleischerhaken.

Von Martin Thomas Pesl

Wien, 3. Oktober 2019. Wie schön, das reimt sich, auch wenn's nicht danach aussieht: Tanz und Stunts! Florentina Holzingers neue Performance bietet beides, romantisches Ballett und spektakuläre Einlagen wie Ritte auf hängenden Motorrädern oder das Hochziehen einer Frau an Haken, die ihr zuvor in Live-Video-Großaufnahme deutlich sichtbar unter die Haut gebohrt wurden. Da baumelt sie dann zu lieblicher "Schwanensee"-Musik – muss ein Trick sein, aber wie? Als dritte Ebene kommt, gespickt mit Märchenmotiven wie Wald, Hexen und bösem Wolf, die Atmosphäre von 1970er-Horrorfilmen dazu. So schließt sich der Kreis, "Suspiria", jüngst neu verfilmt, spielt ja sogar im Tanzmilieu.

Stellvertretendes Aufschreien

"Tanz: Eine sylphidische Träumerei in Stunts" bezieht sich konkret auf das Ballett "La Sylphide" von 1832 und die durch dieses hindurchschwebenden Sylphen, also Luftgeister. Das Aufgeben der Bodenhaftung beschwört eingangs Beatrice Cordua. Die legendäre 79-jährige Primaballerina aus John Neumeiers Hamburger Companie weist den "Maestro" (Sounddesigner Stefan Schneider) wieder und wieder freundlich an, neue Klänge einzuspielen, während sie bei den jungen Performerinnen die Haltung an der Stange korrigiert, sie lobt und lustvoll übergriffig ihre Vaginas inspiziert.

Tanz2 560 EvaWuerdinger uHaltungskorrektur: "Tanz" © Eva Würdinger

Ach so, ja, Cordua ist nackt, und innerhalb kürzester Zeit haben sich auch die anderen zehn Frauen ausgezogen. Das war schon bei Holzingers letzter Arbeit "Apollon" so. Es dient der Provokation, der Entzauberung, vielleicht der besseren Beweglichkeit. Und natürlich dem Showeffekt. Denn die 33-jährige will bei aller Kunst auch immer Action, sie bezieht "niedere" Unterhaltung wie Akrobatik in ihre Abende mit ein. Wenn ein Raunen durchs Publikum geht, weil eine Einlage geklappt hat; wenn sich die Leute vor Kunstblut und -kotze ekeln; wenn sie stellvertretend vor Schmerz aufschreien, weil die Darstellerin des bösen Wolfs (logischerweise nicht wirklich, aber täuschend echt) gepfählt wurde, ist Holzinger in ihrem Element und nimmt grinsend das Jugendverbot für ihr Stück in Kauf.

Unblutiger Hokuspokus

2013 verletzte sie sich im Zuge eines Auftritts schwer, die Strapazen der Genesung thematisierte sie im Stück "Recovery". Dieser noch eher im kleinen Rahmen stattfindende Abend bildete den Beginn der Körpertrilogie, die mit "Apollon" weiterging und mit "Tanz" ihren Abschluss findet. Nun freilich ist nach der Uraufführung im Tanzquartier Wien, Österreichs größter einschlägiger Institution, ein ganzer Schwanz an europaweiten Kooperationspartnern aufgelistet. Und ab 2021 will René Pollesch an der Volksbühne mit ihr arbeiten. Zu seinem Diskurstheater bieten Holzingers Schauwerte einen feinen Komplettkontrast.

Tanz1 560 EvaWuerdinger uFreischwingerinnen im Bühnenbild von Nikola Knezevic © Eva Würdinger

Denn natürlich bleibt es nicht bei der gemächlichen Ballettstunde auf dem weißen, in einen verschnörkelten Rahmen gefassten Untergrund. Auch beim Proben der Stunts sehen wir den Nackten in weiterer Folge zu: Sie werfen sich gegen Wände und auf Matten. Ulkige Clownereien und unblutiger Hokuspokus wiegen das Publikum in Sicherheit. In "Apollon" musste ein Zuschauer einen Drink mithilfe eines Strohhalms schlürfen, der durch Nase und Mund einer Performerin führte. Solche physischen Extremerfahrungen scheinen diesmal auszubleiben, denn das Intermezzo mit dem Publikum mündet diesmal in einem harmlosen Mentalistentrick: Holzinger errät den Aufenthaltsort eines versteckten 100-Euro-Scheins.

Demnächst auch ohne Kunst

Doch dann: Akt II. Das Bild eines gefährlich aussehenden Fantasy-Waldes umspannt nun die Hinterwand, die Buchstaben der Kapitelüberschriften, die den Abend auf zwei Bildschirmen eingeblendet strukturieren, zerfließen gruselfilmmäßig zu Blut. Aus Beatrice Corduas blutüberströmter Vagina wird ein merkwürdiges Kleintier herausoperiert, später verfolgt eine Kamera ihr besorgtes Gesicht wie im "Blair Witch Project". Und dann werden, eben doch richtig grausam, die Pfählung des Wolfes und die Marterung des Schwans zelebriert, bis am Ende auf einem Schlachtfeld aus Kunstblut der ewige Ballettunterricht mit Basislektionen in Körperempfindung wieder einsetzt.

Nicht alle der eindrucksvollen Bilder erschließen sich eins zu eins, schließlich heißt das Stück "Tanz". Dennoch ist in diesem Genre kaum ein Abend zugänglicher. Die zwischen Energie und Eleganz changierenden Performerinnen begeistern, und in der Verheiratung von Lieblichkeit und Düsternis, der Kritik und Freude am originellen Beackern des Körpers ist stets ein kluger dramaturgischer Gedanke erkennbar. Als nächstes plant Florentina Holzinger eine richtige Stuntshow. Stunts ohne Tanz, ganz ohne Kunst. Sie hat es sich verdient.

Tanz: Eine sylphidische Träumerei in Stunts
von Florentina Holzinger
Konzept, Choreografie: Florentina Holzinger, Videodesign, Livekamera: Josefin Arnell, Sounddesign, Livesound: Stefan Schneider, Lichtdesign, Technische Leitung: Anne Meeussen, Bühnendesign: Nikola Knezevic, Dramaturgie: Renée Copraij, Sara Ostertag.
Mit: Renée Copraij, Beatrice Cordua, Lydia Darling, Evelyn Frantti, Florentina Holzinger, Lucifire, Annina Machaz, Netti Nüganen, Suzn Pasyon, Laura Stokes, Veronica Thompson.
Premiere am 3. Oktober 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.tanzquartier.at

 

Kritikenrundschau

"Zutiefst unterschätzt" werde die hohe Kunst des Splatterns, bemerkt, historisch exkursierend, Helmut Ploebst im Standard (4.10.2019) über Holzingers Wiederbelebung des Grand Guignol als zeitgenössische Kunst. Actionhaft akrobatisch, überzeugt "Tanz" den Kritiker "mit unglaublich vielen Details samt brutalem Schmäh, hintergründig aufgelegten Plattitüden sowie überraschenden Brüchen und Wendungen". Dargeboten von einer hervorragend eingearbeiteten "Company aus Tänzerinnen und Artistinnen vom Feinsten", ist die Performance Ploebst zufolge der Choreographin "bisheriges Masterpiece".

"Radikal sowie schockierend ins 21. Jahrhundert" hole Holzinger die verklärte Zauberwelt des romantischen Balletts, schreibt Verena Franke in der Wiener Zeitung (4.10.2019). "Machtmissbrauch, Drill und Dünnheitswahn" seien Themen des parallel zum Wiener Ballettakademieskandal entstandenen Spektakels über die Disziplinierung des Körpers. "Wortwörtlich unter die Haut" gehe das Finale, in dem echtes und Theaterblut fließe, wenn einer Performerin Metallhaken unter die Haut gestochen würden: "Da, wo Sylphiden ihre kleinen Flügelchen haben". Holzinger wisse "trotz einiger Längen zu emotionalisieren – so, dass es schmerzt".

"Aus dem Baukasten der Methodenvielfalt, die die Postmoderne der Nachwelt zurückgelassen hat", so Uwe Mattheis in der taz (13.10.2019), bediene Holzinger "sich in dramaturgischer Finesse. Klamauk, Splatter, surreale Szenen, Innehalten, mehrstimmiger A-capella-Gesang, Hochseilübungen an am Schürboden aufgehängten Motocrossmaschinen, atemberaubende, aber wohlkalkulierte Stunts machen großes Theater, das auf große Bühnen gehört". Holzinger entwickele dabei eine "im besten Sinne maximalistische Ästhetik, die die Selbstreferenzialität und die spartenpflegende Kleingärtnerei im juste millieu einer gegenwärtige Tanz- und Performanceszene weit hinter sich lässt".

"Selbst dem vermeintlich abgebrühten, in die Jahre kommenden Berufstheatergänger, der doch schon alles gesehen haben und gut im Diskurs- und Distanzierungstraining sein müsste, wird da an der intimsten Gemütslage herumgetriggert", gibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (online 6.3.2020) zu Protokoll. Der Kritiker "leidet, fühlt sich missbraucht, angefasst, ausgeliefert und − unrettbar dumm". Versuche, sich gegen die "inneren Widerstände" zu verschanzen, entpuppten sich als "bornierte Machterhaltungs- und Abwehrstrategien" – und "empathische Reflexe geraten sofort unter Verdacht männlich-väterlicher Übergriffigkeit". Die Kritik schließt mit den Worten: "Aufhören! Ich konnte nicht klatschen."

 

Kommentare  
Tanz, Wien: der Markt des Zirkus
Leider ist an diesem Abend nicht alles Kunstblut und täuschend echt. Wenn eine Tänzerin an ihrer eigenen Haut im Raum aufgehängt wird, um den sterbenden Schwan zu tanzen, dann rinnt echtes Blut aus der Wunde. Dann ist der Schmerz real, noch schlimmer als in den Ballettschuhen des Corps des Balletts, wenn dieser den Schwanensee tanzt. Und ich sitze eingesperrt in der Sitzreihe und kann nichts anderes tun, als mir die Augen zuzuhalten vor dieser grauenvollen Szene. Grauenvoll weil ich weiß, dass diese Frau sich nicht freiwillig aufhängt. Der Markt des Zirkus hat sie dazu gebracht, dieses Kunststück zu erfinden, um aufzufallen. Nur so wird sie mit ihrer Einlage gebucht. So wie jetzt von Frau Holzinger. Und das ist ein schlimmer Vorwurf.
Tanz, München: genervt
Heute war die erste von zwei Vorstellungen in München und nun bin ich doch sehr verwundert ob der Kritiken. Es mag ein paar ganz nette Ideen gegeben haben, aber es herrschte gähnende Langeweile, das ist der erste und größe Vorwurf an den Abend. Und was wollen mir diese 10 nackten Frauen erzählen? Will Frau Holzinger provozieren? Mit Nacktheit geht das nicht. Und ich will auch keine Frauen sehen, die in Eimer pissen und dann "abschütteln". Ist das emazipatorisch? Ich will es nicht sehen, genau so wenig wie meine Geschlechtgenossen, die öffentlich gegen Bäume pissen. Und Rockerbräute auf Motorrädern gehen mir genau so auf die Nerven wie ihre männlichen Pendants. Und schießlich: Ich habe keinen Bock dabei zuzusehen, wie sich jemand im Namen der Akrobatik selbst verstümmelt, auch wenn die Dame nicht dazu gezungen wird, soll sie es doch hinter verschlossen Türen tun. Ich finde so was so widerlich wie lächerlich und es evoziert keinerlei künstlerischen oder akrobatischen Respekt. Damit war der Wille, dem Abend irgendetwas Positives abzugewinnen, endgültig vorbei. Eigentlich nervt es mich tierisch, wenn Zuschauer*innen den Saal verlassen, heute hatte ich Verständnis für die vielen, die das taten, und das hat absolut nichts mit Prüderie meinerseits zu tun, meiner Meinung nach auch nicht der Grund für die meisten, die gegangen sind. Und zu guter Letzt: Frau Holzingers Mentalistenkunststück hat heute auch nicht geklappt...
Tanz, Berlin: Ziel erreicht
Gekommt spiel TANZ mit Unterhaltungs- wie Kunstformen, Genren, Kniffen, die Zuschauer*in bei der stange (!) zu halten. Ein Schreckenskabinett, eine Nummernrevue des Spektakulären, ein Horrorfilm und eine Ballettstunde, eine blutgetränkte Aktion und ein schauern machendes Märchen, eine eindrucksvolle Stuntshow und eine gelungene Kleinkunstdarbietung. Der Abvend führt vor, wie sich Körper für den Schauwert instrumentalisieren lassen – und zugleich, warum das so gut funktioniert. Und teil dieses Warum ist die willige Mitarbeit der performer*innen. Wo beginnt Zwang, wo hört er wieder auf, zu welchen Extremen ist man selbst bereit zu gehen und wofür? Für die Karriere oder die Kunst? Um Teil des Systems zu bleiben oder aus genuinem Forscherdrang, eigenem (Kunst)Willen, der Lust an der Auslotung eigener Grenzen? Fragen, die der Abend in seinem zirzensischen Eklektizismus stellt, aber nicht beantwortet. Vielleicht auch, weil es diese Antworten – zumindest in einer irgendwie verwertbaren Allgemeingültigkeit – gar nicht gibt. Am Ende hängen auch wir als Zuschauer*innen am Haken, zwischen voyeuristischer Begeisterung und rechtschaffenem Ekel. Ziel erreicht, Stunt gelungen.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2020/03/06/am-haken/
Tanz, Berlin: ungewöhnlichst
Ihr eilt ein Ruf als Radikalperformerin voraus. Damit kokettiert Florentina Holzinger auch, als sie sich nackt vor dem Publikum aufbaut und zu einer kulturwissenschaftlichen, feministischen Lecture Performance ansetzt.

Etwa die Hälfte ihrer Performance „Tanz – eine sylphidische Träumerei in Stunts“ ist bereits vorbei, als sie das bis dahin Gesehene zusammenfasst: Die fast 80jährige Beatrice Cordua, die in Hamburg bei John Neumeier Ballett-Geschichte geschrieben hat, gibt die strenge Zuchtmeisterin. Sie zwingt die jungen Elevinnen an die Barren, korrigiert ihre Bewegungen und fordert sie auf, nach und nach ihre Kleidung abzulegen.

Vom Drill und der Zurichtung der weiblichen Körper im Namen der Kunst erzählt der Abend: die mittlerweile komplett nackten Tänzerinnen müssen ihre Körper nicht nur zu immer grazileren Verrenkungen zwingen, sondern werden am Ende des ersten Aktes von ihrer Einpeitscherin in einem bitterbösen #metoo-Kommentar von allen Seiten begutachtet. Sabbernd fordert Cordua die Jahrzehnte jüngeren, durchtrainierten Frauen auf, die Beine zu spritzen und ihre Vagina zur Inspektion zu präsentieren. Was als radikale, feministische Kritik an Übergriffen im Kunstbetrieb gedacht ist, gerät allerdings derart drastisch-explizit, dass es von einigen Zuschauer*innen auch voyeuristisch-pornographisch konsumiert werden kann.

Im zweiten und dritten Akt wird die „Tanz“-Performance immer surrealer: Hexen und Zombies bevölkern die Szenerie. Anspielungen auf Splatter-Filme, Tarantino und vor allem den Giallo-Klassiker „Suspiria“ von Dario Argento mischen sich mit Bachs „Komm süßer, Tod“-Sehnsucht.

Bilder und Szenen verschwimmen zu einem wilden Mash-up voller Kunstblut, der Festsaal der koproduzierenden Sophiensaele ist am Ende derart eingesaut, wie es die Wiener Aktionisten der 60er und 70er Jahre, auf die sich ihre Enkelin Florentina Holzinger ausdrücklich bezieht, nicht besser hinbekommen hätten.

„Tanz“ von Florentina Holzinger ist nicht nur eine Zumutung für ihre Tänzerinnen, mit denen sie gemeinsam auf der Bühne steht, sondern vor allem auch für das Publikum, allein schon wegen der in quälender Grausamkeit zelebrierten Szene, in der eine Tänzerin an Fleischerhaken wie Schlachtvieh in die Höhe gezogen wird. Wenn sich die Haken in ihre Haut hineinkrallen, ist schon das bloße Zuschauen äußerst schmerzhaft.

Vor einigen Jahren war Florentina Holzinger, damals noch gemeinsam mit Vincent Ribeek, ein skurriler Live-Act am Rande großer Festivals. Bei „Foreign Affairs“ durften sie beispielsweise auf dem Parkdeck des Hauses der Berliner Festspiele performen. Langsam entwickelte sich Holzinger zum Off-Theater-Geheimtip, die ersten beiden Teile ihrer aktuellen „Körper als Spektakel“-Trilogie blieben noch unter dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit.

Holzingers Ritterschlag war die Pressekonferenz von René Pollesch im Frühsommer 2019, bei der er in gefühlt jedem dritten Satz von den radikalen Performances der 34jährigen Österreicherin schwärmte und verkündete, dass sie in seinen Plänen für die Intendanz an der Volksbühne ab 2021 eine wichtige Rolle spielen wird.

„Tanz“ ist als exzessiver Stilmix, der sich manchmal etwas zu platt und wahllos bei feministischer Theorie, drastischer Pornographie, Stunts, B-Movie-Anspielungen und vielem mehr bedient und sein Publikum mit selbstverletztender Autoaggresivität konfrontiert, sicher einer der ungewöhnlichsten Abende dieser Theater-Spielzeit. Holzinger polarisiert, proviziert und verstört große Teile des traditionellen Theater-Publikums.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/03/07/tanz-florentina-holzinger-sophiensaele-theatertreffen-2020-kritik/
Tanz, Berlin: Holzingers Fleischerhaken
Ich bin kein traditioneller Zuschauer und auch nicht verstört, wie die ach so differenzierten Produzenten, Vermarkter, finanziellen Förderer (!) und auch Rezensenten dieser Sich-Selbst (?) Verstümmelung oft und auch hier säuseln.
Ich toleriere (fast!) alles auf der Bühne.

Nicht aber diesen Abend!

Ich bin wütend und entsetzt. Nicht einmal in erster Linie über Holzinger (spätgeborene "Kollegin" von mir und anderen an der SNDO, einer leider praktisch untergegangenen herausragenden Tanzhochschule, die u.a. auch Sasha Waltz
und viele mehr "hervorbrachte"...),

nein, ich bin vor allem entsetzt über das Publikum dieser Abende der (freiwilligen?) Selbstverstümmelung, welches den Saal NICHT verlässt und damit denen, die dort auftreten und Regie führen den Eindruck vermittelt, es sei menschlich in Ordnung, künstlerisch angesagt und irgendwie wild, kreativ und cool, die Zurichtung und schleichende Zerstörung weiblicher Körper durch die Tanz- und Polit-Ästhetik der letzten 500 Jahre GENAU DURCH DASSELBE, nämlich die reale Verstümmelung eines weiblichen Körpers live und in Farbe auf der Bühne im 21. Jahrhundert ANZUKLAGEN.

NEIN!

Reale Haken in lebendigen (und zahlreich vernarbten) Rücken haben auf meiner und unserer Bühne des Lebens nichts zu suchen. Leider steigerungsfähig: realer Mord auf der Bühne als Anklage und Kritik realer (Völker)Morde im "wirklichen" Leben...

Wann kommt das?

Und wird von Förderinstitutionen wie bei Holzinger (mit dem Who ist Who der europäischen Förderszene…), von "Tanz-Theater-Rezensenten" und dem Publikum gefeiert und mit Applaus bedacht???

An einem solchen Abend erreicht die Entfremdung und schizophrene Abspaltung fast aller Menschen (von ihrer inneren und äußeren Natur...) vor, auf und hinter der Bühne einen wahrlich perversen wie traurigen Höhepunkt. Pervers auch deswegen, weil ein potentiell gesellschaftskritisch aufgeklärtes Publikum, welches zu dieser Art der Vorführung kommt, offenbart, wie sehr es zum Anhänger einer kaputten Ästhetik geworden ist, die ernsthaft glaubt, dieselbe Un-Menschlichkeit real auf der Bühne praktizieren oder erleben zu müssen, die es vermeintlich ja eigentlich aufdecken und anklagen will. All dies auch gesponsort und gehypt u.a. auch von meinen und vieler Bürger:Innen Steuern, die durch die Förderinstitutionen in diese Produktion geflossen sind.

Es ist an der Zeit umzukehren. Neinsagen wäre das Gebot der Stunde. Die Freiheit des Lebens und des Tanzes wird beim Fleischerhaken Holzingers ad absurdum geführt, mitten im angeblich aufgeklärten Teil des ästhetischen Bildungsbürgertums. Diese Perfomance ist ästhetisch eine umfassende Bankrotterklärung, weil sie einen Beitrag zur menschlichen Selbstverstümmelung leistet.

Die Aufmerksamkeits-Ökonomie unserer Wahnsinns-Wirtschaft triumphiert. Was das Kino immer schon macht, allerdings fiktiv, macht der Tanz jetzt genauso, aber real. Die Besonderheit der Theaterbühne, immer auch in sich vollständig wirklich und real zu sein, wird bei Holzinger auf die unmenschlichste Art aufs Podest gehoben.

Das hätte ich fast überall erwartet, aber nicht auch hier.
NICHT bis hierhin und nicht weiter!
Tanz, Wien/Berlin: Gibt es nicht
@Norbert Heckelei:
"haben auf meiner und unserer Bühne (...) nichts zu suchen."

Zum Glück, lieber Norbert, stehen da Spielerinnen die selbst entscheiden was sie auf IHRER Bühne machen. Was du auf DEINER Bühne machst, ist denen wahrscheinlich relativ egal.

"Unsere Bühne" gibt es nicht. Und noch weniger gibt es -zum Glück- einen Norbert, der meint er müsse Frauen vorschreiben was auf "unserer" Bühne geht und was nicht.
Tanz, Wien/Berlin: Unsere Bühnen
#6: Wie immer man zu der Aufführung/Inszenierung steht: Die Bühne, die sich #5 vorstellt, IST sehr wohl SEINE Bühne, deshalb darf der das auch so sagen/schreiben..
Und die mit Steuergeldern subventionierten Bühnen sind UNSERE Bühnen. Sofern wir Steuern zahlen. Sie können vergeben und auch entzogen werden als zur Verfügung gestellte Auftrittsorte.
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