Die One-Man-Show funktioniert nicht mehr

11. Oktober 2019. Vor zwei Jahren fragte die Kulturratsstudie "Frauen in Kultur und Medien" erstmals nach Repräsentanz von Frauen und Männern im Kulturbetrieb und stellte eine massive Schieflage fest. Um Ursachen ging es noch nicht. Diese Lücke füllt nun Thomas Schmidt.

Interview Simone Kaempf

Die One-Man-Show funktioniert nicht mehr

Thomas Schmidt im Interview mit Simone Kaempf

11. Oktober 2019. Vor zwei Jahren fragte die Kulturratsstudie "Frauen in Kultur und Medien" erstmals nach Repräsentanz von Frauen und Männern im Kulturbetrieb und stellte eine massive Schieflage fest. Um Ursachen ging es noch nicht. Diese Lücke füllt nun Thomas Schmidt, ehemals Geschäftsführer am Deutschen Nationaltheater Weimar und heute Professor für Theater- und Orchestermanagement in Frankfurt am Main.

Seine repräsentative Befragung von knapp 2000 Theater-Mitarbeiter*innen gibt detailiert Auskunft über Theaterstrukturen, Macht und deren Missbrauch. Die Befragten berichten von verbalem, körperlichem und sexuellem Missbrauch, ausgeübt zu 65 Prozent durch Intendant*innen und Regisseur*innen. Schmidt hat aber auch nach Arbeitsbedingungen, Bezahlung, Arbeitszeiten, sozialem Status gefragt. Im Ergebnis scheint beides eng miteinander verbunden zu sein. Die Künstler*innen verdienen im Theaterbetrieb nicht nur am wenigsten, sie werden auch am schlechtesten behandelt. Macht wird offenbar missbraucht, um Theater zu steuern. Mit Thomas Schmidt hat nachtkritik-Redakteurin Simone Kaempf über die Studie gesprochen.


nachtkritik: Sie sind der Erste, der in einer Studie konkret nach Machtmissbrauch an Theatern und nach dessen Ursachen fragt. 1966 Mitarbeiter*innen aus dem deutschsprachigen Theaterbetrieb haben an der Studie teilgenommen, zu fast drei Vierteln aus dem künstlerischen Bereich, knapp 62 Prozent arbeiten an Stadt-, Staats- und Landestheatern. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Thomas Schmidt: 55 Prozent der Befragten haben Machtmissbrauch erfahren. Das ist mehr als ich erwartet habe. Überrascht war ich auch, dass mehr als die Hälfte der Befragten so wenig verdient, dass man von prekären Arbeitsverhältnissen sprechen muss. In den Thesen, die auf Vorgesprächen basieren, bin ich von 15 bis 20 Prozent ausgegangen. Es gibt einen strukturellen Machtmissbrauch im deutschsprachigen Theater, der die Ursache für den psychischen und physischen Missbrauch ist. Kurz gesagt: Die aktuellen, völlig veralteten Theaterstrukturen erlauben einer einzigen Person, meist dem Intendanten oder Regisseur, alle Macht bei sich zu konzentrieren. Intendanten missbrauchen Macht zu oft nach ihrem persönlichen Gutdünken, um Theater zu steuern – die Strukturen verleiten sie dazu. Macht wird so zu einem regulären Management-Instrument. Das ist eine völlig neue Erkenntnis.


Arbeitszeiten

1 MuS Arbeitszeiten

Diagrammserie zu den Zahlen der von Thomas Schmidt veröffentlichten Studie "Macht und Struktur im Theater" (von Anne Peter / nachtkritik.de).

 

Über sexuelle Übergriffe wird seit #MeToo relativ häufig gesprochen. Welche anderen Formen von Machtmissbrauch tauchen im deutschen Theaterbetrieb gehäuft auf?

Am häufigsten ist der psychische Machtmissbrauch. Das fängt an bei Mobbing, Diskriminierung und gezielten Eingriffen in die Entwicklung junger Künstler*innen, geht über schlechte und ungleiche Bezahlung, Bevorzugung bei der Rollenvergabe bis dahin, dass der NV Bühne als unzureichendes Vertragsmodell immer die Drohung beinhaltet, dass der Vertrag nicht verlängert wird. Er ist de facto Künstler*innen-feindlich. Es besteht quasi keine vertragliche und damit keine soziale Sicherheit. Das ist für mich auch ganz klar eine Form von Machtmissbrauch. Und eben die sexuellen Übergriffe, 121 Befragte bestätigten in der Studie, dass sie sexuelle Gefälligkeiten geleistet haben, 284-mal wurde das Angebot von Leitern und Regisseuren ausgesprochen, Rollen und Engagements gegen sexuelle Gefälligkeiten bevorzugt zu vergeben.

Die Intendanten kommen in der Studie bei den Befragten besonders schlecht weg. Sie haben die Führungskultur der deutschen Theater bereits in der Vergangenheit kritisiert. Was hat sich jetzt noch einmal konkretisiert?

Die One-Man-Show des Intendanten und das auf ihn konzentrierte Führungsmodell funktioniert so nicht mehr. Die Aufgaben und die Arbeit, die einem Intendanten obliegen – künstlerische Entscheidungen, Planung, Organisationsentwicklung, Stakeholder- und Lobbyarbeit, Personalmanagement, Finanzen, Investitionen, Fundraising, Kooperationen, Rechtsfragen –, sind nicht mehr von einer Person allein zu erfüllen. Im Wirtschafts- oder NGO-Bereich gibt es kaum noch Unternehmen, die mit Ein-Mann-Spitze arbeiten, außer bei kleineren Familienunternehmen. Unternehmen dieser Größenordnung, die noch dazu öffentlich sind, müssen von Teams geleitet werden.

ensemble 1632IMG 1942 560Begrüßung bei der 2. Bundesweiten Versammlung des ensemble netzwerk im Mai 2017 in Potsdam. Vom 18. bis 20. Oktober 2019 findet die Versammlung zum vierten Mal statt, diesmal an der Volksbühne in Berlin. Die Hauptfragen auf der Agenda lauten: Was hat sich verändert? Wie sollen die nächsten Schritte aussehen? © ensemble netzwerk

Es gibt sicher auch Ausnahmen. Der Theaterbetrieb funktioniert heute jedoch noch viel zu oft nach dem alten Modell: Die letzten Entscheidungen im Theater zielen immer wieder auf eine Person, den Intendanten, vor allem Männer, denen oft die profunde Ausbildung zum CEO fehlt – das, was ein Intendant de facto sein möchte, aber nicht leisten kann.

Würde eine Frauen-Quote für Intendant*innen Abhilfe schaffen?

Wenn sich die Situation nicht bald ändert, brauchen wir vorübergehend eine Quote. Ich war lange dagegen, aber inzwischen bin ich dafür, Leitungspositionen zu quotieren. Um – wie etwa bei den "Grünen" – ein neues Selbstverständnis zu entwickeln, bis sich das eingepegelt hat.

Das würde auch eine andere Erkenntnis der Studie betreffen: Mehrheitlich geht der Missbrauch von Männern aus.

Ja, in einer großen Mehrheit der Fälle, in über 90 Prozent. Die große Gruppe der Benachteiligten sind Frauen.

Sexuelle Übergriffe vermischen sich in den Aussagen der Befragten oft mit Mobbing, Manipulation, psychischem Druck und verbalem Missbrauch, zu 30 Prozent sind Intendanten involviert, zu 35 Prozent Regisseure, also diejenigen, die in der Regel auf Intendantenposten aufrücken.

Es betrifft allerdings immer nur einige Intendanten, gelegentlich sind es Mehrfachtäter. Mit psychologischen Gutachten sollte deshalb zukünftig eine Anfälligkeit für Machtmissbrauch ausgeschlossen werden. Die Stadt Zürich handhabt das beispielhaft: Dort müssen sowohl die Intendanten als auch die kaufmännischen Direktoren ein psychologisches Assessment Center von einer unabhängigen Personalberatung durchlaufen. Das finde ich vorbildlich. Wenn man solche verantwortungsreichen Posten vergibt, auf denen über fünf Jahre oder länger die Entwicklung von sehr viel Personal verantwortet und Riesenbudgets verwaltet werden, dann sollte so eine Investition der öffentlichen Hand gut abgefedert sein.

Man fragt sich, wie systematisch der sexuelle Missbrauch verbreitet ist. Zum Beispiel bei der Aussage, wo geforderte sexuelle Gegenleistung für eine Rolle, einen Regieauftrag oder ein Engagement stattfanden. Auf der Bühne, im Probenraum, in der Garderobe, aber auch in angemieteten Hotelzimmern – neun Teilnehmer*innen haben das genannt. Das weist ja nicht auf ein sich spontan ergebendes erotisches Zusammenknallen, auf eine Affekthandlung hin, sondern wirkt systematisch und geplant. Waren das neun unterschiedliche Fälle? Was kann man den Ergebnissen entnehmen?


Man kann einiges entnehmen. Die Befragten hatten die Möglichkeit, ein Textfeld frei auszufüllen. Viele haben das auch gemacht, und man konnte Orte entnehmen, die wir in der Studie natürlich nicht nennen. Aber hier handelt es sich um neun unterschiedliche Fälle von sexuellem Missbrauch.

In der Öffentlichkeit regiert immer noch das Bild des Intendanten als Vorbild und engagierter Künstler. Warum hält sich das so hartnäckig?

Die Medien favorisieren dieses Bild noch immer. Und auch von der Kulturpolitik wird dieses Image hochgehalten. Das deutet auch auf eine geschickte Lobbyarbeit einiger Intendanten in eigener Sache hin.

Glaubt der Theaterbetrieb selbst noch, dass ein erfolgreicher Künstler am Ende auch ein guter Theaterleiter wird?

Das ist schon lange nicht mehr so. Die Mär vom Künstler-Intendanten als allein seligmachendem Modell hat ausgedient. In vielen Theatern wünschen sich die von Macht betroffenen Ensembles und Mitarbeiter*innen nicht zwingend, dass jemand, der künstlerisch arbeitet, auch das Theater leitet. Man wünscht sich Teams oder neutrale Leiter*innen, die besser intervenieren können, wenn ein Opern-, Schauspiel- oder Ballettdirektor seine Arbeit schlecht macht. Wir alle kennen Fälle aus den vergangenen Jahren – und jeder Krisenfall ist in der Außendarstellung der Theater insgesamt ein Super-GAU. Darauf sollte viel mehr geachtet werden.

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Und dennoch werden solche "gebrannten" Theaterleiter, die mitverantwortlich sind für den schlechten Ruf mancher Theater, immer wieder neugewählt, selbst von Frauen in Findungskommissionen, und das zeigt mir, dass das System nicht funktioniert. Oft sind diese Kollegen vielleicht bessere Künstler, aber weniger gute Manager. Das Selbstverständnis, das vielleicht aus ihrer künstlerischen Arbeit entsteht, darf nicht auf den Intendantenposten übertragen werden – für beides braucht es unterschiedliche Kompetenzen.

Sie beschreiben in Ihrer Studie den Mechanismus in Findungskommissionen, dass sich bestimmte Typen durchsetzen und in die Ämter gewählt werden.

Ja, in Findungskommissionen finden sich ja selbst meist Intendanten, die vom Bühnenverein entsandt werden. Dort wird nach bestimmten, oft subjektiven Indikatoren und Fragen entschieden: Wie gut kennt man den Kandidaten. Wie ähnlich ist er den eigenen Leitmotiven. Passt er in die Bühnenvereins-Policy. Und wie stark lässt sich der zu wählende Intendant mit dem eigenen Netzwerk verbinden. Dieser Mechanismus muss durchbrochen werden. Intendanten sollen nicht Intendanten wählen, das ist eine verkehrte Welt, erinnert mich an ein Kurfürsten-System und das hat mit Demokratie im 21. Jahrhundert sehr wenig zu tun.

Der Bühnenverein verteidigt dieses System. Wäre vieles einfacher, wenn man sich dort endlich weiter öffnen würde?

Ganz klar, ja. Der Bühnenverein ist ein Zwittermodell, ein Hybrid. Arbeitgeber-Verband und Theaterverband in einem, in dem angestellte Intendanten Mitglieder sind. Jeder Organisationssoziologe würde vorschlagen, dass man diese Bereiche institutionell trennen muss. Wenn wir diese Klarheit hätten, könnte man die Aufgaben zwischen den Gruppen neu verteilen. So bleibt der Bühnenverein ein hermetisches Gebilde, das sich nicht in die Karten schauen lässt. In Lübeck wurde im vergangenen Jahr mit dem Verhaltenskodex ein erster Schritt getan, aber eher reagierend als progressiv. Es gibt zudem kein Monitoring, ob und wie die Kodizes eingehalten werden.

Seit zehn Jahren kommen immer wieder unterschiedlichste interne Führungskrisen ans Licht. Sie analysieren im übergeordneten Teil der Studie detailliert die Strukturen des deutschsprachigen Theatersystem, das ja eigentlich hochgelobt ist. Aber genau diese als Stärke geltenden Strukturen scheinen ein großes Problem zu sein. Warum hat sich der Betrieb so entwickelt?

In den 70er Jahren hat man Reformchancen verpasst. Damals gab es eine Reformbewegung, die aber noch nicht ausreichend zu Ende durchdacht, organisiert und strukturiert war, mit der das Intendanten-zentrierte Modell aber schon stark angezweifelt wurde. Hochgelobt sind heute lediglich die Dichte des Theatersystems und die künstlerischen Arbeiten. Strukturell kann man nicht davon sprechen. Wir diskutieren seit 2015, dass Gefahr in Verzug ist und dass wir dabei sind, das Theatersystem aufs Spiel zu setzen. In den vergangenen zehn Jahren gab es 50 Fälle von publik gewordenen Leitungskrisen – das ist nicht mehr nur punktuell.

Heißt das, dass das Phänomen flächendeckend ist oder konzentriert sich Machtmissbrauch doch auf einige wenige Theater oder Personen?

Flächendeckend ist es noch nicht, und ich möchte nochmal betonen, das es eine ganze Reihe gut geführter Theater gibt. Aber die Probleme tauchen keinesfalls nur punktuell auf. Wenn von 1966 Befragten über fünfzig Prozent mitteilt, dass sie in der letzten Zeit unmittelbar von Machtmissbrauch betroffen waren, dann sind das alarmierende Zahlen.

Waren alle Mitarbeiter*innen an deutschen Theatern aufgerufen, an der Studie teilzunehmen?

Alle waren aufgerufen. Mit den knapp 2000 haben wir eine sehr repräsentative Auswahl, die auch den Verteilungen zwischen den Theatertypen, den Regionen entspricht. Schwerpunkt-Gruppe sind die Künstler*innen. Bezogen auf die Gesamtzahl der Teilnehmer*innen haben am Ende 38,5 Prozent Darsteller*innen, 26,4 Prozent künstlerische Mitarbeiter*innen, 5 Prozent nicht-künstlerische Mitarbeiter*innen und 5,6 Prozent Mitglieder der Leitungsebene teilgenommen.

Der Aufruf lief aber allein über die E-Mail-Verteiler und Facebook-Seiten Ihres Lehrstuhls sowie des ensemble netzwerks.

Wir haben laut und deutlich zur Multiplikation aufgerufen. Zudem sind die beiden Medienseiten sehr stark vernetzt in das gesamte Theatersystem hinein. Über den Algorithmus ließ sich ermitteln, dass wir etwa 7000 bis 8000 Leute angesprochen und damit 20 Prozent der Mitarbeiter*innen aller Theater direkt erreicht haben. Die indirekte Ansprache über Mund-zu-Mund-Propaganda und Aushänge war noch viel größer. Entscheidend ist die Zahl der Teilnehmer: 1966. Unsere Erwartung lag bei 400, damit wäre die Studie bereits repräsentativ gewesen, so ist sie es noch um einiges mehr und deutlicher. Die hohe Teilnahme ist insofern auch ein großes Geschenk. Studien in Amerika zu ähnlichen Themen oder in Deutschland im Wissenschaftsbereich werden mit weniger Teilnehmer*innen durchgeführt und gelten als repräsentativ.

Man könnte dagegen halten, dass die geantwortet haben, die schlechte Erfahrung gemacht haben, dafür ein Bewusstsein entwickeln und sich nun zu Wort melden.

Das ist richtig. Auf der anderen Seite konnten sich über mehr als 100 Tage auch alle diejenigen melden, die gute Erfahrung gemacht haben. Hier stellt sich die Frage, wenn es sie denn gibt, warum haben sie nur in geringem Umfang reagiert? Ich weiß, dass die Umfrage in der Intendantengruppe des Bühnenvereins diskutiert wurde, woraufhin dann mehr Leitungsmitglieder, immerhin 5,5 Prozent, und künstlerische Mitarbeiter*innen teilnahmen. Andererseits: Jede empirische Studie weckt vor allem das Interesse derjenigen, die dazu etwas zu sagen haben. Cover Macht und Struktur 280Die wichtigste Aufgabe war jedoch, Grundlagen-Material zu sammeln und zu ermitteln, wo der Notstand liegt. Zahlen, die sich nicht leugnen lassen, wie die 284 Angebote gegen sexuelle Gefälligkeiten, nur um ein Beispiel zu nennen. Das ist die erste und wichtige Aufgabe dieser Studie, und das haben wir geschafft. Das Ergebnis darf auch gerne durch neuerliche Studien überprüft werden. Ich habe einen guten Kontakt zur Themis-Vertrauensstelle, der ich das Ergebnis auch übergeben habe und die auch selbst eine Studie plant. Die Zusammenarbeit mit dem ensemble-netzwerk hat den Teilnehmer*innen in unserem Fall aber vor allem zusätzliches Vertrauen gegeben, sich auszusprechen. Dafür bin ich sehr dankbar.

In den Ergebnissen steckt auch viel sozialer Sprengstoff. 28 Prozent der Befragten arbeiten jedes Wochenende. 29 Prozent können nur ausreichend, lediglich 9 Prozent gut von ihren Gagen leben. Von denen, die immer wieder täglich mehr als 10 Stunden arbeiten müssen, sind 65 Prozent Frauen. Niemand wünscht sich solche Arbeitsbedingungen.

Das Buch wird hoffentlich weiter aufrütteln und dazu führen, dass man erkennt, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss. An den Gagen definitiv, an den Arbeitszeiten, am Vertragssystem, an der Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, ganz zu schweigen davon, dass unsere Theater weder divers noch inklusiv sind.

Viele kleine Puzzlesteine stärken die Strukturen und das Machtgefälle, das macht Ihre Studie deutlich. Als zentrales Problem nennen Sie immer wieder den NV-Bühne-Vertrag mit seiner Nichtverlängerungsklausel bei unzureichenden künstlerischen Leistungen und mit seiner geringen Mindestgage. Sie schlagen auch ein Umverteilungsmodell vor, um die Gagen anzugleichen. Was macht die Veränderungen so schwierig? Was sind das für irrsinnige Widerstände?

Es herrscht die Angst, dass das ganze Gebäude einbricht, wenn man Zugeständnisse macht. Denn das System steht auf tönernen Füßen. Der NV-Bühne ist neben der Leitungsstruktur das Erste, was reformiert werden muss. Die Gagen müssten zudem wie in der Schweiz nach oben angepasst werden. Dort liegt die Einstiegsgage bei 4100 Schweizer Franken. Auch wenn die Lebenshaltungskosten höher sind als in Deutschland, entspricht das nach Abzug aller Kaufkraftverluste noch immer über 3000 Euro Gage in Deutschland, also 1000 Euro mehr als unsere Mindestgage. Warum zahlen die Schweizer mehr? Daraus ließen sich Argumente gewinnen. Im Prinzip hat man der Politik leider viel zu oft gezeigt, wir machen es euch auch für das Geld, das wir haben. Die Personalkosten – und damit die Subventionen für die Theater müssen aber in den kommenden Jahren dringend etwa 15 bis 20 Prozent nach oben angepasst werden. Darüber muss geredet werden, denn die Theater sind ein integraler Bestandteil der Gesellschaft und sollen es auch bleiben. Wir verlieren sonst Stellen und Substanz der Theater – die müssen dringend erhalten und weiter entwickelt werden.

Gerade die jungen Künstler*innen, die am schlechtesten bezahlt werden, scheinen auch am schlechtesten behandelt zu werden. Es scheint sich ein seltsames Arbeitsklima an den Theatern eingenistet zu haben.

Das bringt es gut auf den Punkt. Im sozialen Marketing wird ein Produkt dann mehr wertgeschätzt, wenn es einen adäquaten Preis hat. Das sehen wir im Theater, wenn zum Beispiel Karten deutlich unter Preis vergeben oder verschenkt werden, ist der langfristige Effekt negativ, weil die Wertschätzung darunter leidet. Wenn ein junger Schauspieler zur Mindestgage engagiert ist, unbezahlte Mehrarbeit leistet, scheint das dazu einzuladen, auch ihn wenig zu wertschätzen oder schlecht zu behandeln. Deswegen kann man nicht oft genug wiederholen: Es muss angemessen bezahlt werden. Die Mindestgage muss dringend nach oben angepasst und die jungen Künstler*innen müssen besser geschützt werden.

Was könnten weitere Lösungen für all diese Probleme sein?

Das strukturelle Führungsmodell muss verändert werden, damit steht und fällt alles. Nur so lassen sich die problematischen Punkte verändern: Abbau von Hierarchien, die Förderung von Teamstrukturen, das Einsetzen von Verhaltens-Codizes, und auch eine systematische Aufarbeitung der Missstände. Viele Künstler*innen stellen sich jetzt erst Fragen. Auch die Hochschulen müssen viel besser aufklären. Ich berate eine Reihe von jungen Absolvent*innen aus dem Bereich des Schauspiels und stelle fest, dass gerade die großen Häuser oft versuchen, junge Absolvent*innen mit minimalen Gagen abzuspeisen. Und es braucht einen Einheitstarifvertrag, das bringe ich seit fünf Jahren ins Spiel, aber der Vorschlag wird immer wieder abgeschmettert mit der Begründung, dann gingen die Theater kaputt. Dann braucht es auch Ombudsstellen, unabhängige Ansprechpartner, die nicht von den Intendanten zur Rechenschaft gezogen werden können. Es sind in der Studie Fälle genannt, bei denen bereits der Gang zum Betriebsrat, als Vertrauensbruch empfunden, zur Kündigung führte. Außerdem Geschlechterparität, Diversität und Inklusion. Die große Gruppe der Benachteiligten sind in einem sehr hohen Maße Frauen. Und das bedaure ich am meisten.

Ihre Ergebnisse sind dazu angetan, den Betrieb aufzurütteln. Erwarten Sie, dass nun tatsächlich eine Diskussion einsetzt, die etwas verändert?

Ich hoffe es sehr. Das ensemble-netzwerk hat enorm viel erreicht. Ohne diese Arbeit würde vieles noch in den Kinderschuhen stecken. Aber es muss jetzt weitergehen, alle müssen mit anpacken. Es gibt viele junge Intendant*innen, einige Namen habe ich in der Studie auch genannt, die vorbildlich sind – und daran muss das Theatersystem sich orientieren. Ich spüre den Gegenwind auf die Studie, aber ich erwarte, dass man die Ergebnisse nicht abschmettert, sondern sich damit auseinandersetzt, auf allen Seiten. Insgesamt ist der Zuspruch jedoch sehr hoch, und der Dank gilt den Teilnehmer*innen, die sich so ernsthaft mit den Fragen auseinandergesetzt haben, dem ensemble-netzwerk und meiner Hochschule.



Thomas Schmidt kleinThomas Schmidt ist Professor für Theater- und Orchestermanagement, Direktor des gleichnamigen Masterstudiengangs an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied des ensemble-netzwerks. Er war Mitbegründer, Produzent und Autor am neuen schauspiel erfurt, von 2003 bis 2012 Geschäftsführer des Deutschen Nationaltheaters Weimar und in der Spielzeit 2012/13 dessen Intendant. Seine viel beachtete Studie Theater, Krise und Reform. Eine Kritik des deutschen Theatersystems erschien 2016, sein Buch "Programm und Spielplangestaltung im Theater" Im Juni 2019. Das Buch zur Studie "Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht" ist seit September 2019 im Verlag Springer VS erhältlich (Leseprobe auf google Books).

 

Mehr zum Thema Ungleichbehandlung im Theatersystem: Anne Peter schrieb im Mai 2018 über die Gründe für die strukturelle Benachteiligung von Frauen und mögliche Lösungsansätze. Und im Februar 2019 interviewte sie die Regisseurin und Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann über Geschlechtergerechtigkeit und die Frauenquote im Theater.

 

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Kommentare  
Interview Thomas Schmidt: Vorschrift killt Inspiration
Nun ist es auch ein Machtfaktor - wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch - wenn in Berufen sehr viel mehr Nachwuchs ausgebildet wird und für den entsprechenden Arbeits-Markt bereitsteht als über Stellenplanungen und - Finanzierungen bezahlt werden kann. Also erwerbssichernd im erlernten Beruf tätig werden kann. Das ist ein Machtfaktor, der außerhalb des Theatersbetriebes liegt. Und das führt dazu, dass es bereits einen Machtmissbrauch geben kann zwischen jenen, die im Theater(betrieb) - selbst zu prekären Bedingungen - arbeiten und jenen, die das begründetermaßen ebenfalls möchten, weil sie es von der Sache her auch in mindestens gleicher Qualität wie die real Beschäftigten könnten.
Bevor man über die anderen Schieflagen sprechen kann, müsste man zunächst über d i e s e Schieflage sprechen.

Wenn man all den Vorschlägen von Prof. Schmidt folgte, kann ich mir vorstellen, dass man dann gewiss ganz vorbildlich Leitungen besetzen kann. Und supervorbildlich nur Assessment-bewährte LeiterInnen in Kollektiv-Leitungen lassen könnte. Und dass man dann ganzganz vorbildlich nach Verhaltenskodex strengstens kontrolliert arbeitende MitarbeiterInnen-Stäbe hätte an den Theater -

Nur keine, die auch noch LUST haben, miteinander Kunst zu machen. All die Vorschriften und Kontrollmechanismen jenseits einer bewusst paritätischen Stellenbesetzung und gleichen Bezahlung unabhängig vom Geschlecht in allen Bereichen der Theaterarbeit und einer ganz normalen Umgangsformenpraxis sind nämlich Inspirationskiller. Freilich kann man dadurch Studien und Bücher generieren, Theaterkunst fördert man so m.E. aber nicht.
Interview Thomas Schmidt: Wissen ist da
Danke. Sowieso an Thomas Schmidt, aber auch an nachtkritik dieses Thema immer wieder zu highlighten. Das Wissen ist da. Jetzt bitte handeln.
Interview Thomas Schmidt: wichtiger Wandel
@1
Das neue an dieser Studie ist, dass erstmals klar und offen benannt wird, dass die Ursache der zahlreichen letztjährigen Theaterkrisen hausgemacht ist und auf den Strukturen der Häuser und der historisch so entwickelten Intendantenposition beruht. Es wird klar benannt, dass der NV Solo noch immer ein völlig veralteter GAV ist, mithilfe dessen dieser strukturelle Machtmissbrauch konsequent durchgesetzt wird. Mag sein, sollte man alle Vorschläge und Richtlinien so umsetzen, dass man nicht zur künstlerischen Arbeit inspiriert wird, und womöglich als Teil des Managements gar nicht die Zeit dazu hätte. Aber genau darum geht es! Es geht darum, aufzuzeigen, dass die deutschsprachige Theaterlandschaft systematisch und immer wieder von Dilletanten geführt wird. Von Personen, zumeist Männern, die überhaupt nicht ausgebildet worden sind für das Tätigkeitsfeld, das ihnen, zumeist für ein sehr fürstliches Honorar, übergeben worden ist. Ein*e Regisseur*in ist noch kein*e gute*r CEO, genausowenig wie sie oder er professionell ein Theater leiten kann. Trotzdem sind das oft die einzigen Auswahlkriterien. Ein Name, Vitamin B, ein Ruf.
Die Art und Weise wie wir derzeit überwiegend an Theaterhäusern arbeiten ist nicht künstlerisch inspirierend. Es ermöglicht strukturell keine Kunst, sondern behindert sie vielmehr. Und wenn wir gar an die ganzen sich weiter entwickelnden Kunstformen denken, partizipative Arbeiten, Stückentwicklungen, Gruppen, spartenübegreifende Projekte... dafür wurden die bisherigen Strukturen einfach nicht entwickelt. Es ist Zeit an diesen Setzungen zu arbeiten und das Buch hier ist ein Leitfaden dazu. Nicht perfekt, nicht optimal - aber ein Anfang. Und ein wichtiger noch dazu.
Interview Thomas Schmidt: Fragebogen
Ist es möglich den Fragebogen zu veröffentlichen, damit man einsehen kann, was überhaupt erfragt wurde?
Interview Thomas Schmidt: Fragebogen
lieber herr baucks,
der fragebogen befindet sich in der publikation.
im buch wird frage für frage einzeln ausgewertet, mit jeweils einem tabellarischem überblick der ergebnisse und einer verbalen auswertung zu jeder frage.
das buch sollte flächendeckend an allen unibibliotheken vorhanden sein, da da Springer VS (Julius Springer, Heidelberg) diese regelmäßig mit neuerscheinungen versorgt. mir ist es leider technisch nicht möglich den fragebogen auszukoppeln und hier zu verlinken.
beste grüße, thomas schmidt
Interview Thomas Schmidt: Vorschläge, nachjustiert
Gute Studie, wobei das alles nicht so neu ist, wie behauptet – in meinem Bekanntenkreis redet man von alldem schon seit eh und je. Gute Vorschläge, aber bitte nicht denken, dass, nur weil Männer zugegeben meist die schlimmeren Tyrannen sind, künftige Frauen in nach wie vor patriarchal und aristokratisch geprägten Strukturen irgendwas maßgeblich ändern würden. Kann aus eigener Erfahrung sagen, dass auch ne Frau an der Spitze einen ganzen Stadttheaterstab in den Burnout treiben kann. Es darf einfach generell nicht mehr möglich sein, dass LeiterInnen frei nach Gutdünken agieren können.

Und wenn von großen Mindestgagen gesprochen wird, die natürlich ne dringend überfällige Sache sind, dann wäre es allein im Sinne der Solidarität nett, diese auch gesetzlich verpflichtend für die Freie Szene zu fordern, was allerdings zu einer sofortigen Verfünffachung der Mittel führen würde. In der freien Szene gibt es zwar nämlich weniger Hierarchien und Machtmissbrauch, dafür aber eine Form der (Selbst-)Ausbeutung, die Zustände annimmt, die einem das Gruseln lehren.
Interview Thomas Schmidt: Künstler-Intendanz und Findungskommission
Dass es mehrheitlich so ist, dass Künstler-intendant/innen nicht undbedingt seeligmachende Intendant/innen-Arbeit leisten unbenommen.
Allerdings halte ich es ebenfalls für eine Mär, das KEIN/E Künstler/in fähig wäre zur sehr guten Intendanz mit allem drum und dran. Das SAGT ja Prof. Schmidt auch, dass es solche ausnahmen gäbe. Aber FORDERN tut er den künftigen Ausschluss dieser Leitungsmöglichkeit auf der Grundlage seiner Studie. Und damit fordert er im Grunde den Ausschluss der Fähigsten aus Prinzip. Das ist - mit Verlaub - intellektuellenfeindlich.

Dass er auch die Wahlmodi in Findungskommissionen anspricht, finde ich gut. Doch auch hier wäre ich dagegen, Intendant/innen aus Findungskommissionen auszuschließen. Ich wäre allerdings dringend dafür, dass diese Findungskommissionsintendant/innen nicht mehrheitlich in Gestalt des Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins (bei allem Respekt, Ulrich Khuon) ge/bestellt werden.
Ich finde es ein kulturpolitisches Unding - gerade WEIL der Bühnenverein eine Art Hybrid ist! - dass der/die Präsident/in des Deutschen Bühnenvereins gleichzeitig ein/e aktive/r Intendant/in ist! Das sollten weder der Bühnenverein noch Theaterbetrieb und Kulturpolitik dulden.

Mit oder ohne einsehbaren Studien-Fragebogen.
Interview Thomas Schmidt: Definitionsfrage
Danke lieber Thomas Schmidt,

ich frage, weil ich Schwierigkeiten mit dem Begriff „sexuelle Gefälligkeiten“ habe. Gefälligkeiten unter Freunden und Nachbarn sind beispielsweise Handlungen, zu denen man zwar rechtlich nicht verpflichtet ist, die man aber aus Gefälligkeit gerne leistet, weil einem jemand sympathisch ist oder nahe steht. Es sind an sich allesamt nicht justiziable Handlungen. Sie wechseln relativ flink von diesem Begriff zu der Bezeichnung Täter oder Mehrfachtäter. Taten sind aber beispielsweise sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung oder oder...Gefälligkeiten gehören an sich nicht dazu. Deshalb wollte ich genauer wissen, was da wie mit welchen Fragestellungen erfragt wurde.

Könnten Sie das freundlicherweise präzisieren? Wie definieren Sie sexuelle Gefälligkeiten?

Mit Dank im Voraus

Martin Baucks
Interview Thomas Schmidt: Antwort
lieber martin baucks, liebe kolleg*innen seltsam und bodolido,

eine sex. gefälligkeit ist eine sex. handlung, die einem anderen zum gefallen geleistet wird; sie ist dann problematisch, wenn sie in einem macht-kontext stattfindet, wie es in einem klaren weisungsverhältnis zwischen intendant*in/regisseur*in und darsteller*in/mitarbeiter*in der fall ist.

sie darf z.B. nicht im austausch gegen einen vorteil, wie gagenerhöhung, rolle, engagement, höhere funktion, etc. stattfinden. selbst im stand größter freiwilligkeit schwingen vorteilsgabe und vorteilsnahme mit - weil es nicht auf augenhöhe stattfindet, sondern immer durch einen mehr oder weniger latenten psychologischen druck, der aus der unterordnung unter einen leiter entsteht, der über die berufl. zukunft entscheidet. die hauptverantwortung trägt immer der/diejenige, die weisungsberechtigt ist, also eine leitungsfunktion innehat.

täterschaft hat übrigens nichts mit dem strafmass zu tun. mir geht es darum aufzuzeigen, dass der übergang zur justiziablen tat fließend ist, wenn nicht auf die aspekte geachtet wird, die ich oben nannte.

# 6, selbstverständlich wird macht auch von frauen in leitung ausgeübt - allerdings geht macht immer noch mehrheitlich von männern aus, worunter mehrheitlich frauen leiden, so die ergebnisse der studie; aber auch junge männliche künstler, PoC, u.a. werden benachteiligt.

einige ergebnisse der studie sind in der tat nichts neues, andere schon. bislang wurde vor allem viel hinter vorgehaltener hand und in kantinen darüber gesprochen. neu ist hier die systematische erfassung, auswertung und publikation.

prinzipiell verleitet eine einzel-leitung, wie eine intendanz, unabhängig vom geschlecht zu einem anderen verständnis von machtausübung, als in einer teamleitung. das ist der knackpunkt: machtausübung wird strukturell erst möglich gemacht, wenn eine person die alleine leitet, alle entscheidungsmöglichkeiten hat.
hierbei verschieben sich die grenzen des eigenen macht- und gerechtigkeits-verständnisses je länger ein intendant seine funktion ausübt. intendan*innen sprechen von "meinem haus", privat- und berufsleben gehen fließen ineinander über, man wird selbst zur institution, gesteht das aber nicht seinen künstler*innen zu, die jedes jahr vor der nichtverlängerung zittern müssen.

#7, ich fordere gar nichts, es sind vorschläge, ideen, empfehlungen. es gibt viele wege.
es geht auch gar nicht darum die "fähigsten" auszuschließen. diese sollten in teamleitungen eingebunden werden, in einem echten team, auf augenhöhe.
was wir aber derzeit haben, der künstler als künstl. leiter + CEO, also manager des hauses, muss schon an den inneren widersprüchen dieses konstrukts scheitern, denn es handelt sich um - mindestens - zwei berufe in einem, die miteinander nur dann vereinbar sind, wenn es gelingt, die eigenen künstl. interessen mit dem zu harmonieren, was haus und den mitarbeiter*innen gut tut. zu diesem ausgleich und dieser erkenntnis in der lage zu sein, ist eine immense intell. leistung, weil sie auch bedeutet, immer wieder auf die maximierung der eigenen künstl. ideen und auf deren verwirklichung zu verzichten und diese und sich selbst hinter die anliegen des hauses zurückzustecken.
deshalb sollte zuk. stärker darauf geachtet werden, als vorschlag, dass die emotionalen und fachl. voraussetzungen für diese aufgaben gegeben sind. um das zu beurteilen sollten politik, vertreter der ensembles, psycholog*innen + andere unabhängige gutachter*innen, die keine interessen vertreten, in auswahlgremien teilnehmen und sorge tragen, dass auch alternative modelle zum zuge kommen + teambewerbungen gefördert werden + in die endrunden einziehen, was bis auf marburg in den letzten jahren nirgendwo stattfand - obwohl sich teams bewerben.
Interview Thomas Schmidt: Nichtverlängerungen
Ein Misstand im Theatersystem ist die Möglichkeit für einen neuen Intendanten, so genannte Nichtverlängerungen auszusprechen. Für die Betroffenen, ich war dreimal davon betroffen, spreche aus eigener Erfahrung, bedeutet das enorme Belastungen (Suche nach neuer Arbeit, Umzug, Verlassen sozialer Netze, neue Schule für Kinder etc.). Ein neuer Intendant bzw. ein neues Leitungsteam muss verpflichtet werden, zunächst für zwei Jahre mit dem vorhandenen Ensemble zu arbeiten. Aber so lange die GDBA und VdO nicht bereit und in der Lage sind, hier in Verhandlungen mit dem Bühnenverein eine Veränderungen zu erreichen, wird sich am Missstand kein Deut ändern. Das Ensemblewerk kann Forderungen aufstellen, es ist nicht tarifmächtig, das sind nur Gewerkschaften. Die sind aber zersplittert und deshalb schwach, beschränken sich oft nur darauf, die von Ver.di verhandelten Tarifabschlüsse für den öffentlichen Dienst in Verhandlungen mit dem Bühnenverein für die Theater zu übertragen, was zumeist keine großen Schwierigkeiten macht.
Die Möglichkeit für Intendanten, innerhalb von vierzehn Jahren ohne letztendlich fundierte Begründungen Solo-Mitgliedern zu kündigen, denn eine Nichtverlängerung ist eine Kündigung, liefert diese aus und bereitet den Boden für Machtmissbrauch in jeder Hinsicht. Dass noch vieles anderes hinzukommen muss, ist mir natürlich klar, aber mir erscheint die angesprochene rechtliche Situation immens wichtig.
Interview Thomas Schmidt: Anmerkungen
Lieber Kollege Schmidt,

Ich meinte das so: die Fähigsten sind in der Lage ein Team um sich zu scharen und es auch eigenverantwortlich und sogar in den Verantwortungsübernahmen routierend arbeiten zu lassen. Sie sind sozusagen Künstler und Team-Logistiker gleichzeitig. Sie sind zu solchen Dingen OHNE Vorschriften und Codici in der Lage. Und sie sind unter anderem zu solchen Dingen in der Lage, weil sie charakterliche und intellektuelle Voraussetzungen dazu mitbringen und zwar nicht durch Vorschriften etabliert. Mit Vorschriften wie Sie ihnen vorzuschweben scheinen, begegnet man ihnen nicht auf "Augenhöhe". Die sogenannte, vielbeschworene "Augenhöhe" ist durchaus keine Einbahnstraße, sondern der größte Blödsinn innerhalb von Kommunikationsstrukturen, die ich je gehört habe. Den Begriff so inflationär verwenden kann man eigentlich nur, wenn man selbst eben eine Gleichheit von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, mit unterschiedlichen sexuellen Präferenzen, beiderlei Geschlechts, sozialer Herkunft usw. eben NICHT selbstverständlich verinnerlicht hat.

Etwas finde ich noch zumindest eigenartig: Sie sprechen davon dass prinzipiell künstlerische Ziele und Interessen eines Theaters nicht miteinander in Einklang zu bringen wären, und deshalb im Grunde Künstler/In die/ der ihre/seine künstlerischen Ideen zu maximieren gedenkt und Manager/in zwei Berufe wären, bei denen der Künstler seinem privaten, künstlerischen Egoismus frönt was dem Haus prinzipiell nicht gut tut und der Manager selbstredend dem Wohle des Hause dient, eben WEIL er/sie KEINE Künstlerin ist?
Und dann: Wo leben Sie egentlich? Ich habe wirklich noch NIE einen Betrieb kennengelernt und auch keine politischen Entscheidungen, die von Leuten herbeigeführt wurden, die KEINE! Interessen haben. Und - mit verlaub - im Moment in Deutschland schon gar nicht.
Ich fände Team-Bewerbungen als Alternative zu allen möglichen anderen Bewerbungsformen auch gut und da lohnt es sich vielleicht wirklich zu fragen: Warum bitte kommen die in Bewerbungsverfahren nicht bis in die Endrunden???? Vielleicht kann sich dazu einmal jemand äußern, der in einer Kommission saß, bei der sich Teams für eine hausleitung beworben haben? - Das fände ich großartig und ein sehr gutes Ergebnis Ihrer Studie.

Und wegen der sex. Gefälligkeiten: Wenn man Ihrer Definition folgen möchte, wären genau jene Leitungsstrukturen problematisch, bei denen die Weisungsmacht eben nicht so eindeutig auf einer Person liegt sondern auf mehreren, was Sie doch aber präferieren für die Zukunft! Wenn ich Sie richtig interpretiere -
Es könnten sich dann lediglich noch mehr Personen als zuvor sex. Gefälligkeiten mit psychisch ausgeübten Druck erbeuten von vermeintlich Abhängigen... napravo
Interview Thomas Schmidt: Augenhöhe
wie wäre denn ein öffentliche für alle Personenen zugänglichen Debatte genau darüber? Eingeladen sollten Alle IntendantInnen der sog. A-Häuser wie z.b.: beide Hamburgrer Theaterter, die drei großen Berliner Theaterater und das Gorki, die beiden Münchener und definitiv das Bochumer... Dazu müsste dann noch der Bühnenvorstand und natürlich jene, die unter ihren Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen erheblich leiden... Das wäre doch mal Augenhöhe... Aber dazu fhelt denen mit Macht oftmals die nötige Chuzpe, denn Macht ist j auch oft wie ein Fähnchen im Wind...

...dass IntendatInnen daran kranken, eben weil diese sich von der bundesdeutschen beriebtswirschaft unreflektiert vorscheiben lassen, wie sie zu entscheiden und zu verteilen haben und dass all ihr tun nur einem ziel folgen muss: einschaltquoten// zusacheuerkarten... diese intendatInnen haben zum teil dieses system ad absurdum getrieben und sind nunmehr nichts weiteres als ceo-angestellte eines öffentlich subventionierten privatkonzerns... kurz: eben der einzig des geistes der freien ökonomie hat das theater doch erst in diese krise getrieben..., leute leute leute... es schein wirklich, als könne ein jeder von euch sich eher den untergang des planeten vorstellen kann als den untergang einer kultur der ökonomie...
Interview Thomas Schmidt: Domestizierungen
Lieber Thomas Schmidt,

das, was Sie dort beschreiben, läuft auf eine Domestikation und eine Neuordnung der möglichen sexuellen Beziehungen zwischen Personen der Leitungsebene und dem Personal in allen Bereichen, nicht nur dem Künstlerischen hinaus. Ich schicke einmal voraus, dass ich ihren Überlegungen nicht feindlich gegenüber stehe. Sie benutzen den Begriff Täter und Täterinnen im nicht juristischen Sinne, also dergestalt, dass jemand eine Missetat, etwas moralisch Verwerfliches vollzieht. Sie oder Er folglich ein Übeltäter, aber nicht zwingend ein StraftäterInn ist oder sein muss. Das sollten Sie deutlicher aussprechen. Es handelt sich bei den 284 Taten also mehrheitlich um keine Straftaten? Und da es mehrfach TäterInnen gibt, ist die Anzahl der Taten nicht gleichzusetzen mit der Anzahl der TäterInnen.

Demnach sind diese nicht justiziablen Fälle aus mindestens zwei Perspektiven zu beurteilen. Einmal aus der Perspektive derjenigen, welche die sexuelle Gefälligkeiten empfingen und aus der Perspektive derer, die jene sexuelle Gefälligkeit zur eigenen Vorteilsnahme freiwillig gewährten. Dabei muss man feststellen, dass beide Seiten TäterInnen sind, sowohl die gewährende, wie auch die empfangende Seite. Sie legen sich in dem Sinne fest, dass der empfangenden Seite, falls sie in der Leitungsebene tätig ist, die Hauptverantwortung zufällt. Ich würde dem erwidern wollen, dass dies eine Einzelfallentscheidung bleiben sollte, da es verschiedenen Formen der Abhängigkeit gibt, neben der arbeitsrechtlichen gibt es auch immer beispielsweise die Form der seelischen Abhängigkeit oder andere Formen im materiellen oder familiären Bereich.

Grundsätzlich muss man feststellen, dass sie mit diesen Fällen beschreiben, das künstlerische Aufträge in bis zu 15% aller Fälle auf Grundlage einer nicht künstlerischen Ebene vergeben werden. Das ist immer wieder erschreckend und ebenso bekannt. Wobei man hinzufügen muss, dass, wer einen solchen Auftrag unter diesen Bedingungen annimmt, nicht zwingend unbefähigt sein muss, ihn auch ausführen zu können; sie oder er diesen Auftrag aber auf unmoralische Weise erlangte. Die Gefahr besteht immer, dass auf diesem Wege auch nicht qualifizierte Kräfte zu Aufträgen gelangen. Das ist von Übel.

Es versteht sich von selbst, dass die Zahl der Personen, die in solche Fälle verwickelt sind, sich nach dem Geschlechteranteil in der Leitungsebene ausrichtet, folglich in einer männlich dominierten Leitung hauptsächlich Männer die Empfangenden und Frauen mehrheitlich die Gewährenden sind, ausgenommen die Fälle, die auf der Basis eines nicht heteronormativen Verhältnisses basieren. TäterInnen sind beide Seiten, sowohl die weibliche, wie die männliche Seite.

Bei der Neuordnung der sexuellen Beziehungen zwischen der Leitungsebene und dem Personal sind also von der Kritik und Verwerfung naturgemäß ebensoviele Frauen wie Männer im heteronormativen Bereich betroffen. Es geht Ihnen also darum diese Verhältnisse auf beiden Seiten der Geschlechter zu verunmöglichen, um eine reine künstlerische Auswahl zu gewährleisten. Verstehe ich das richtig?

Kurz gesagt, es dürfen keine sexuellen Beziehungen mehr zwischen der Leitungsebene und dem Personal geführt werden, da man die Gefahr einer unmoralischen Vorteilsnahme nicht einsehen und verhindern kann.

Daran schließt sich die Frage an: Warum wollen sie den letzten Bereich des kulturellen Wildwuchs, die Kunst domestizieren? Zum Vorteil der Kunst? Oder zum Vorteil der Moral?
Interview Thomas Schmidt: Abhängigkeit
Aber Herr Baucks, das ist doch offensichtlich, zum Vorteil derer die durch Personen in Leitungsfunktionen bereits domestiziert werden.Häufig, wie wir der Studie entnehmen.
Eine sexuelle Gefälligkeit ist auch zwischen Lehrer und Schüler ein Problem- auch wenn volljährig.
Das Problem ist die Abhängigkeit und die ist im Theater gigantisch vertraglich, besezungstechnisch, finanziell, arbeitszeitenbdzüglich, etc.
Interview Thomas Schmidt: Schul-Regeln?
@Rico
Sie wollen also die Regeln, die zwischen LehrerInnen und SchülerInnen gelten auf das Theater übertragen?
Interview Thomas Schmidt: Bewahren! Oder?
Was Herr Baucks so vehement verteidigt, nennt sich eben Patriarchat, wo man der Schauspielerin oder der Hospitantin halt auf den Arsch haut, wo man sexistische und homophobe Witze in der Kantine macht, wo Männer das Sagen und Frauen zu gehorchen haben. Und wo auf der Bühne schwache, schöne Frauen starke Männer anhimmeln.

Und die gute Nachricht für Herrn Baucks: ca. 95% des deutschsprachigen Theaters wollen exakt dieses System auch weiterhin. Es wäre besser, sagen sie. Wie sagt der Kommandant so treffend: "Besser heißt nie für alle besser."
Interview Thomas Schmidt: falsche Info in NZZ
Es gibt keine Kommentarfunktion unter dem NZZ-Artikel... darum schreibe ich hier. Was will denn Daniele Muscionico wieder behaupten? Ich bin Schauspielerin aus der Schweiz, lebe in Berlin und arbeite viel in der Schweiz und habe die Umfrage wie einige andere KollegInnen bekommen. Die Umfrage richtete sich an die KünstlerInnen, nicht an die Theater. Sie soll durch diese Falschbehauptung in der NZZ in ein falsches Licht gerückt werden. Vielleicht kann sich NK von Schmidt bestätigen lassen, dass auch SchweizerInnen teilgenommen haben und das nicht stimmt.
Dass Frau Krempl, die durch ihre Beziehung zu einem Intendanten in den grössten Schweizer Theaterskandal der letzten Jahre verwickelt war, jetzt als Opfer von Machtmissbrauch bezeichnet wird, wäre zum Lachen, wenn es nicht traurig wäre.
Komisch ist, dass sich Iris Laufenberg, die doch eine kluge und immer fair agierende Intendantin ist, an so einem Artikel beteiligt.

(Der erwähnte NZZ-Artikel: https://www.nzz.ch/feuilleton/machtmissbrauch-am-theater-wer-missbraucht-wen-ld.1527565, d. Red.)
Interview Thomas Schmidt: NZZ – gefährlich
Es ist bedenklich, was dieses NZZ Blatt, das seit Jahren nun Steilvorlagen für AfD gibt, wieder für Signale nach Deutschland aussendet. Was Frau Krempl sagt ist höchst bedenklich. Die Ausweitung des „künstlerischen“ auf alle Gebiete der Produktion ist ja grad das Problem, das Thomas Schmidt und andere beschreiben. Was früher ein Sekretariat war - mit Mitarbeiterschutz - ist heute „künstlerischer Disponent“ = eine Art non stop zur Verfügung stehender Haussklave; mit dieser kitschigen, aber gefährlichen Definition von „Kunst“ werden hier Arbeitsrechte ausgehebelt. Hochhaltung der Kunst meint hier, Rechtfertigung von Willkür, nicht nur gegenüber Schauspielerinnen. Zudem ist der Text ein völlig wirres Geschreibsel, das sich sogar noch dauernd widerspricht.
Interview Thomas Schmidt: Machtmissbrauch?
man kann sich die weiterlektüre schon ab dem punkt sparen, wo die nichtvertragsverlängerung als machtmissbrauch bezeichnet wird. wenn strukturell macht zu besitzen schon automatisch identisch mit ihrem missbrauch ist, lohnt sich eine auseinandersetzung mit dieser sogenannten studie einfach nicht mehr. (...)
Interview Thomas Schmidt: Gebot der Stunde
@#19
Danke. Genau das ist das Problem. Leider wird allzuoft Machtausübung mit ihrem Missbrauch gleichgesetzt.
Und das Ergebnis der „Analyse“ steht schon vorher fest.
Bei genauer Beobachtung der Verfehlungen die Widersprüche die ein Offener Und ehrlicher Umgang miteinander Immer beinhaltet, auszuhalten, das wäre für mich das Gebot der Stunde, um einen notwendigen Diskurs zu ermöglichen, welcher tatsächlich Ergebnisoffen ist.
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