From Gezi with Love

von Steffen Becker

Stuttgart, 31. Oktober 2019. "Die Türkei ist anders, als Sie denken", sagt die Autorin Ebru Nihan Celkan in einem Vorbericht zur deutschen Erstaufführung ihres Werks "Last Park Standing" am Schauspiel Stuttgart. In der ersten Einblendung auf dem Monitor des Kammertheaters soll man die Situation der Türkei auf hiesige Verhältnisse übertragen und sich vorstellen, dass man verklagt wird, wenn man an die Proteste gegen Stuttgart 21 erinnert. Klar ist die Türkei anders. Gezi Park, der Putsch, der Autokrat – alles, nur kein Europa. Im weiteren Verlauf arbeiten der Text und die Inszenierung von Nuran David Calis aber wirkungsvoll daran, dieses bequeme Differenz-Empfinden zu stören.

Istanbul – Berlin

"Last Park Standing" erzählt die Geschichte einer Liebe – der Berlinerin Janina und der Istanbulerin Umut. Sie lernen sich zur Zeit der ersten Gezi-Park-Proteste 2013 kennen – "am Anfang war alles eine riesige Gaswolke. Aus der ging das Leben hervor". Sie entwickeln eine heftige Beziehung. Und gehen doch nicht den Schritt des Zusammenlebens in Berlin. Umut will ihre Freunde nicht im Stich lassen, vor allem nicht den verletzlichen Ahmet. Ein Stück ohne Hetero-Figuren, reflektierend, dass die Gezi-Park-Proteste mit geprägt waren von der LGBT*-Community, geschrieben von einer Dramatikerin, die erst Bulldozer verkaufte und heute Gender-Seminare u.a. beim Fußballclub Fenerbahçe gibt – "Die Türkei ist anders als Sie denken".

last park standing2 560 bjoern klein uJosephine Köhler, Anne-Marie Lux als Umut und Janina © Björn Klein

Als Zuschauer*in ist man überrascht, wie viel Raum die Beziehung einnimmt in einem Stück, das sich dem Titel nach um Politik dreht. Die Irritation legt sich zum einen, weil Anne-Marie Lux als Janina und Josephine Köhler als Umut ein in jeder Hinsicht großartiges Paar abgeben. Die Chemie stimmt – beim Tanzen, Saufen, Streicheln, Streiten und Leiden. Zwei toughe Figuren zeigen, wie sie unter dem Druck der Verhältnisse allmählich die Nerven verlieren. Die große Politik ist nicht zu sehen und doch omnipräsent in der Beziehung der Frauen – die Angst, dass Umut etwas zustößt, die Paranoia, der Konflikt zwischen Liebe und Revolte zerreiben die Protagonistinnen. Damit gelingt "Last Park Standing" ein intensiveres Bild von der Belastung und Zerrissenheit der türkischen Gesellschaft als es die Darstellung von Protest-Action vermocht hätte.

Das Internet als Protest- und Liebesmedium

Dennoch ist die Inszenierung kurzweilig. Regisseur Nuran David Calis hat die Bühne in zwei Glasboxen mit Verbindungsstück aufgeteilt. Mit dieser Drehtür wechselt die Geschichte blitzschnell zwischen Berlin und Istanbul – oder sie versperrt die Wege zwischen Janinas und Umut (Gefühls-)Welten. Ein einfacher, aber effektiver Bühnenkniff, den die Inszenierung noch verfeinert, indem sie immer wieder die Smartphones der Protagonistinnen auf die Leinwand streamt. Videobotschaften und Social-Media-Aktivitäten ermöglichen noch schnellere Schnitte, Überlappungen und "Split Screens". Die Ästhetik der Inszenierung spiegelt damit sowohl das Bild einer Fernbeziehung als auch online vernetzter politischer Bewegungen. Wohltuend auch, dass die beiden Bühnen-Pole – die Wohnungen der Frauen – sich abgesehen von Kleinigkeiten wie einer türkischen Tee-Kanne nur im persönlichen Stil, nicht aber in kulturellen Zeichen unterscheiden. Es geht um Frauen einer akademischen Elite, die sich überall zurechtfinden könnten. Ihre Liebe wird nicht durch kulturelle Unterschiede, sondern durch äußere Gewalt auf die Probe gestellt.

last park standing4 560 bjoern klein uJosephine Köhler, Valentin Richter © Björn Klein

Im Dschungel lauern die Spitzel

Diese Sicherheit in der Wahl der Stilmittel hält "Last Park Standing" nicht in allen Punkten. Die Figur des Ahmet wirkt an die Beziehungsgeschichte angeklebt – als inhaltlich notwendiges Hindernis für eine Flucht aus der Türkei. Darüber hinaus interessieren sich Autorin und Regisseur nicht sonderlich für ihn. Was schade ist um Schauspieler Valentin Richter. Er könnte aus der Rolle richtig was machen. Seine Schilderung einer Verhaftung ist eindringlich, aber eben nicht melodramatisch. Allerdings steckt die Inszenierung ihn dabei in einen Kaftan – er hat dem konservativen Druck stattgegeben und kleidet sich aus Angst religiös; ein gebrochener Mann. In die "zuviel des Guten"-Kategorie fallen auch die weißen Masken, die Calis im Pflanzen-Dschungel des Bühnenhintergrunds platziert – um den Spitzelstaat dann doch zu zeigen.

last park standing3 560 bjoern klein uProtestierende unter Druck eines Spitzelstaats © Björn Klein

Immerhin: Valentin Richter bekommt noch eine Chance, zu glänzen. Als Nebenfigur einer Drag Queen, die Umut zum Schluss zu einer weiteren Demonstration animieren will. Zu einem Lied, dessen Titel sich mit "Dieb der Hoffnung" übersetzen lässt. Gesungen von einem transsexuellen Superstar. Nur ein Detail, aber auch hier: "Die Türkei ist anders, als Sie denken."

Last Park Standing
von Ebru Nihan Celkan
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Nuran David Calis, Bühne: Irina Schicketanz, Kostüme: Geraldine Arnold, Musik: Meredi, Licht: Stefan Schmidt, Dramaturgie: Bastian Boẞ.
Mit: Anne-Marie Lux, Josephine Köhler, Valentin Richter.
Premiere am 31. Oktober 2019 im Schauspiel Stuttgart
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de

 

Kritikenrundschau

Eine "furchtlos zum Kitsch entschlossene Hymne auf die Liebe zwischen Umut und Janina" hat Wolfgang Höbel für Spiegel Online (1.11.2019) gesehen: "Konsequent wird das Publikum mit Bildern und Geräuschen von großer Intimität konfrontiert, was durch die Leinwand-Präsentation von Bildtelefonaten noch verstärkt wird." Den Darsteller*innen bescheinigt Höbel "bewunderungswürdige Lässigkeit", wengleich sich Regisseur Calis "ein bisschen zu sehr" darauf verlasse, "dass die Liebesgeschichte von Umut und Janina ganz von selbst auch als politisches Gleichnis funktioniert."

Selbstverständlich verhandle Ebru Nihan Celkan in ihren Stücken, was in der Theaterliteratur bis heute nicht ernsthaft angekommen sei: sexuelle Vielfalt, schreibt Adrienne Braun in der Süddeutschen Zeitung (2.11.2019). Allerdings gehe ihrem Stück "jegliche Kunstfertigkeit" ab, so Braun, es setze "auf Plattitüden und auf schlichte Umgangssprache, … garniert mit poetischen Ausreißern wie 'In mir ist alles voller Scherben'". Nuran David Calis versuche das mit stimmungsvollen Bildern zu kompensieren, doch plastisch würden die Ereignisse in der Türkei nicht: "Denn das Konzept – die Drastik der politischen Situation durch die pathetische Überhöhung der jugendlichen Liebe spürbar zu machen – geht nicht auf."

Gute Absichten machten noch keine gute Kunst, bemerkt Roland Müller in der Stuttgarter Zeitung (1.11.2019). Weit hinaus aufs gefährliche Feld wage sich die Istanbuler Autorin Ebru Nihan Celkan mit ihrem Gezi-Park-Stück, das "nicht zuletzt ein Statement für die türkische Regenbogen-Community" sei. Aber in der "mit platten Metaphern beladenen Inszenierung" kämen Anne-Marie Lux und Josephine Köhler, "sonst wunderbare Darstellerinnen", der Seelennot ihrer Frauen nicht nah: "Freud und Leid spielen sie nicht, sie behaupten und simulieren es nur." "Last Park Standing" überzeuge – "jetzt muss es raus", so Müller – weder als Drama noch als Inszenierung.

 

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