Stunde der Hochstapler - Berliner Ensemble
Ringelpiez mit Rüsseltieren
von Frauke Adrians
Berlin, 14. Dezember 2019. Der Stücktitel stapelt tief: In Wahrheit dauert "Stunde der Hochstapler" nicht eine Stunde, sondern fast zwei. Eine hätte aber auch gereicht. Das Stück hinter dem Titel ist wie ein Sammelsurium witzig gemeinter Ideen, die vermutlich bei Alexander Eisenachs Inszenierung von Thomas Manns Felix-Krull-Romanfragment am Berliner Ensemble übriggeblieben sind und weder mit Krull noch mit Mann noch mit Hochstapelei sonderlich viel zu tun haben.
Stapelweise Wahrheiten
Die Themen, die man heute auf die Bühne bringen kann, sind ja so viele: künstliche Intelligenz, Realität und Illusion, Kunst und Künstlichkeit, das Materielle und das Ideelle, nur zum Beispiel. Eisenach verrührt alles zu einem schrillfröhlichen Eintopf, und das Premierenpublikum im Neuen Haus des Berliner Ensemble feiert das Ergebnis ebenso fröhlich. Es macht ja auch immer wieder Spaß, guten Schauspielern beim hemmungslosen Overacting zuzusehen, auch wenn Alexander Eisenachs Verständnis von Ironie in diesem Fall eher grob ist.
Marc Oliver Schulze, der in Eisenachs Krull-Inszenierung den Titelhelden spielt, ist in der Doppelstunde der Hochstapler als Filmregisseur zu erleben und als Steinzeitmensch, als Retter des Opfers eines misslungenen Hirn-Experiments und als Elefant, der von einem Brontosaurus gespielt wird. Das umreißt in etwa den Horizont des Stückes.
Ansonsten treten auf: drei weitere Rüsseltiere, eine Prophetin (Cynthia Micas), die den Höhlenmenschen die Abkehr vom Mammut-Materialismus predigt, ein Philosoph (Wolfgang Michael), der halbherzig die wissenschaftliche Erkenntnis gegen das allseits Ungefähre verteidigt, und eine Gefühlsmenschin (Cordelia Wege), die ein herzergreifendes Plädoyer für das Staunen und für eine Welt jenseits der kalten Logik hält. Und dann ist der Abend immer noch erst zur Hälfte rum.
Tipps von der Zukunftsprophetin
Ein Stückautor (Peter Moltzen) ist auf der Suche nach dem Ursprung der Lüge in der Welt – Achtung: hier lauert der so ungefähr einzige Bezug zum vorgeblichen Thema des Abends – und erkennt schließlich: "Die erste Lüge, das ist die Wahrheit."
Wem das zu hoch ist, der mag sich beruhigen: Es stapelt sich noch höher. So hoch, dass man es zwingend für Plattitüde halten muss, der wiederum eine ironische Brechung widerfährt. Denn ist nicht jede Konstruktion von Wahrheit subjektiv gefärbt? Leben wir nicht alle in einem Tunnel der Selbstbestätigung? Hach!
Als einzigen Ausweg aus der allgegenwärtigen Realitätsverzerrung empfiehlt die Zukunftsprophetin das Meta-Brain, eine leider noch recht unausgereifte KI-Anwendung, die den Menschen auf das reduzieren soll, was er im Kern sei: Information auf Trägermaterial.
Rettungsversuche
Der Hirnumwandlungsversuch geht ziemlich schief, die Welt versinkt im Hochwasser, da vor lauter Selbstbespiegelung offenbar niemand an den Klimawandel gedacht hat, und beim Versuch der Rettung dessen, was eventuell noch zu retten wäre, erschießen sich alle gegenseitig. Nur der Philosoph überlebt und bewahrt die letzte Kugel für sich selbst auf; nach diesem Abend kann man es ihm nicht verdenken. Dem Publikum wurden vor Stückbeginn Viererpackungen Ohropax ausgehändigt, die leider nicht sinnvoll verwendet werden können, da der Einsatz von Konfettikanonen, Knallpistolen und anderem Ballerspielzeug – von überlautem Sprech durchs Mikrofon ganz zu schweigen – stets ohne Vorwarnung erfolgt.
Daniel Wollenzin hat eine hübsche zweistöckige Jahrmarktsbude auf die Drehbühne gebaut, die dem Publikum eindeutig signalisiert: Bitte, bitte, nehmt das hier nicht ernst. Aber auf die Idee käme wohl ohnehin niemand.
Stunde der Hochstapler – Das Krull-Prinzip
von Alexander Eisenach
Uraufführung
Regie: Alexander Eisenach, Bühne: Daniel Wollenzin, Kostüme: Julia Wassner, Dramaturgie: Amely Joana Haag, Musik: Sven Michelson
Mit: Cynthia Micas, Wolfgang Michael, Peter Moltzen, Marc Oliver Schulze, Cordelia Wege.
Premiere am 14. Dezember 2019
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.berliner-ensemble.de
"'Wir sind, also lügen wir' kann man die Eisenach’sche Metaphysik auf den Punkt bringen, die sich in mäandernden Arzt-Patient-Urmensch-Filmfuzzi-Gesprächen immer denkfauler und fortschrittskritischer in ein durch und durch sophistisches, im besten Fall dadaistisches Netz aus leeren Behauptungen und Folgerungen einspinnt", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (16.12.2019). "Halbwegs Treffendes über das Werden des Bewusstseins oder zumindest ein Quäntchen Gegenwartskritik verpufft im Budenzauber."
"Was mit vielen Fragen beginnt, wird zu einem tollen Stück und einer großartigen Inszenierung: Alle hoch komplexen Fragen über Erkenntnistheorie, über die Matrix, in der wir als Informationshäppchen dahin schlummern, über die Lügen-Maschine, die uns in eine Zukunft treibt, in der wir bald nur noch Algorithmen einer Datenbank sind, die unser Leben und unser Bewusstsein formt, – all das wird in eine bizarr überdrehte, hirnrissig absurde Szenen-Collage verwandelt, das hochtrabende Theorie-Gewäsch wird schräg und schrill intoniert, in tausend Stücke und in kabarettistisch-satirische Miniaturen zerdeppert", so Frank Dietschreit vom RBB (16.12.2019).
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Stattdessen mäandert er ziellose zwei Stunden, mixt B-Movie und Fantasy-Motive mit pseudo-philosophisch raunenden Monologen. Wie schon beim Vorgänger-Abend "Felix Krull. Die Stunde der Hochstapler", der im August die Spielzeit auf der großen Bühne des BE eröffnete und als deren Spin-Off dieser Abend im Neuen Haus gedacht ist, verliert sich der Abend in Beliebigkeit. Damals konnten aber immerhin noch einige Soli aus der Nummernrevue überzeugen. Diesmal wirkt der Abend noch unfertiger und wahllos zusammengestückelt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/12/14/stunde-der-hochstapler-theater-kritik/
Das klingt zuweilen nach René Pollesch und ist dfoch wenig mehr als Klamauk. Die Assoziationsketten steigern sich so weit in sich selbst hinein, dass sie irgendwann ihre Bedeutung abschütteln und – das passt immerhin – fernab jeglicher Realität durch den Theater-Kosmos driften. Viel zu spät merkt der Zuschauer, dass hier nicht mehr behandelt wird als die Beliebigkeit, die dieser kaum strukturierten Materialsammlung ohnehin innewohnt. So korrelieren Form und Inhalt und negieren einander in einem Strom leerer Assoziationsketten, die nirgendwohin führen als zum nächsten Witz und zum nächsten Einfall. So gelangt der Abend am Ende dann doch wieder zu sich, denn auch er ist vor allem eines: Hochstapelei. Sinnbehauptung, wo keiner intendiert ist, vermeintliche Tiefe, wo nur Breite ist, Diskursvorspiegelung, wo nur geplappert wird. Felix Krull wäre stolz.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/12/15/felix-krull-ware-stolz/