Ein ganz besonderer Quereinsteiger

von Andreas Heinz

Wien, 10. Januar 2020. Niemand geringeres als der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in Österreich diese Woche die Marke für politische Satire unerreichbar hoch gesteckt. Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Versehentlich sendete der ORF die Angelobung, also die Vereidigung der neuen Regierung, in seiner Mediathek mit Untertiteln, die eigentlich für eine Telenovela bestimmt waren. Den meisten fiel der Fehler anfangs gar nicht auf, war doch durchaus plausibel, was da stand: Der Bundespräsident sprach den neuen, alten, jungen Kanzler mit "Du Küken" an. Dann hielt er missmutig fest: "Ich möchte das nicht" und fragte zur Sicherheit noch mal nach, ob Mama auch nichts dagegen habe. (Zum Best-of auf 1000things.at)

Wohnzimmertüren schlagen

Harte Konkurrenz für Yosi Wanunu und Toxic Dreams, die im WUK die finalen Episoden 7-10 von "The Bruno Kreisky Lookalike" präsentierten. 2018 gestartet (zur nachtkritik hier) und 2019 mit dem Nestroypreis für die beste Off-Produktion ausgezeichnet, hat die Serie mittlerweile eine kleine Fangemeinde. Aber man kommt auch als Neueinsteiger*in mit, dafür sorgt schon die Einführung zu Beginn des gut dreistündigen Abends. Und so kompliziert ist die Handlung auch wieder nicht, haben wir es doch hier mit einer Sitcom zu tun. Das Ambiente ist klassisch, die übliche Wohnzimmereinrichtung, Türen, durch die ständig wer hereinkommt, Leuchtschilder für das Publikum, damit es weiß, wann es lachen und klatschen soll.

Toxic Dreams Bruno Kreisky4 560 Tim Tom uRot oder Schwarz? Ratlose Testimonials, rechts Markus Zett als Swoboda © Tim Tom

Es geht um den recht durchschnittlichen Versicherungsmakler Hermann Swoboda (Markus Zett), der von der durchgeknallten Werbe-Chefin Sarah Kaufmann (Anna Mendelssohn) als Testimonial für diverse Produkte entdeckt wird: Parfum, Putzmittel, Champagner oder, in den aktuellen Folgen, die "Cream of Consciousness", die eine*n von diesem "weißen Denken" im Hirn befreit. Swoboda begann, sich immer mehr mit dem ehemaligen SPÖ-Bundeskanzler Kreisky zu identifizieren, was seine Analytikerin Dora Hartmann (Anat Stainberg) zu ihrem Buch "The man with someone else's qualities" inspirierte.

Suche nach sich selber

Nun aber ist Swoboda es müde, immer nur ein anderer, nämlich Kreisky, zu sein. Er will wieder er selbst, also Swoboda, sein. Nur anders. Da trifft es sich gut, dass der Politikberater Mister Red (Florian Tröbinger) zu berichten weiß, dass auch die SPÖ müde ist. Davon, immer nur zu verlieren. Sie wollen mal was Neues probieren. Einen Quereinsteiger. Das Kreisky Lookalike soll als Kanzler kandidieren. Und weil Susanne Gschwendtner als seine Frau Eva Swoboda-Braun (haha), die immer schon gerne Politiker*innen-Biografien las, auch mittun will, bewerben sie sich halt gemeinsam. Zwei zum Preis von einem.

Toxic Dreams Bruno Kreisky5 560 Tim Tom uWahlkampf-Truppe: Toxic Dreams "The Bruno Kreisky Lookalike" © Tim Tom

Genug zu tun also für ihren Tross: Sarah Kaufmann und ihre Mitarbeiter*innen (Isabella-Nora Händler und Dominik Grünbühel) kümmern sich um die Werbekampagne, die zu großen Teilen aus Clips besteht, in denen Kurz-Wortwitze getrieben werden ("Short people got no reason to lead"). Die Agentin Katharina Vogel (Stephanie Cumming) und Dora Hartmann coachen die Swobodas für das Aufeinandertreffen mit Journalist*innen.

Politspaß und Triebabfuhr

Nicht allein wegen der gnadenlos überzeichneten, mit sichtlicher Spielfreude auf die Bühne gebrachten Figuren macht das über weite Strecken großen Spaß. Es gibt viele Witze, die wirklich zünden, und schöne Einlagen wie jene, in der alle Spieler*innen Masken aktueller und vergangener SPÖ-Politiker*innen überziehen und ein Tänzchen hinlegen, um einen Albtraum Swoboda-Kreiskys zu illustrieren. Zwar hat der Abend einige Durchhänger und hätte ein paar Kürzungen vertragen, doch zumeist wird man in diesen drei Stunden ausnehmend gut unterhalten.

Das wirkliche Problem des Abends und überhaupt des Formates ist etwas anderes. Da, wo Wanunu und sein Team die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse analysieren, sind sie pointiert und gut – etwa, wenn festgestellt wird, dass der Kapitalismus sowohl den Sozialismus als auch die Demokratie besiegt habe und man die Wähler*innen deshalb einfach als Konsument*innen behandeln müsse. Letztlich bleibt der Abend aber substanzlos, weil ihn dasselbe Problem ereilt wie die SPÖ und linke Bewegungen überhaupt: In der Kritik ist er stark, aber es kann keine Vision, keinen Gegenentwurf präsentieren.

Was schuldig bleibt

Wo ist denn der Geist der alten Sozialdemokratie, wofür könnte sich eine Figur wie Kreisky heute einsetzen? Eine Antwort darauf bleibt der Abend schuldig. Er begnügt sich damit, Politspaß und Triebabfuhr für eine bestimmte Gruppe zu sein: desillusionierte, tendenziell linke Bildungsbürger*innen. Dazu passt, dass man den komplett englischsprachigen Abend nicht mit deutschen Übertiteln ausgestattet hat. Dabei wäre es schön gewesen, wenn sich auch eine etwas andere Klientel den Abend hätte anschauen können.

The Bruno Kreisky Lookalike. A Sitcom in 10 Episodes: Episode 7-10
von Toxic Dreams
Text und Regie: Yosi Wanunu, Produktion: Kornelia Kilga, Bühne: Paul Horn, Musik: Michael Strohmann, Video: TimTom, Michael Strohmann, Maske: Marietta Dang, Regie- und Produktionsassistenz: Shabnam Chamani.
Mit: Markus Zett, Susanne Gschwendtner, Anna Mendelssohn, Isabella-Nora Händler, Dominik Grünbühel, Stephanie Cumming, Anat Stainberg, Florian Tröbinger.
Premiere am 10. Januar 2020
Dauer: 3 Stunden, keine Pause

www.wuk.at

 

Kritikenrundschau

"Die drei Stunden bersten vor Witzen und Späßchen – sie kommen so dick, da kann man schon einmal den einen oder anderen nicht so gelungen finden und aussitzen", findet Michael Wurmitzer im Standard (13.1.2020). Die Demokratie sei heute dem Kapitalismus unterlegen und Politik sei Entertainment, lauteten zwei der politischen Analysen hinter dem Klamauk. "Man hätte manch Kürzung verkraftet. Toll die Genauigkeit und Lust, mit denen an Szenen gefeilt wird."

 

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