Kreuzbrave Kreuzottern

von Christian Muggenthaler

Bamberg, 17. Januar 2020. Ein Stück wie ein bösartiger kleiner Drillbohrer: Das macht kleine Löcher in die Selbstgewissheit und das Selbstverständnis des Landes, die da lauten, es sei die "Mitte" – der Mittelstand, die Mittelschicht, das Mittelfeld, wie auch immer das eigentlich gemeint ist –, die für Deutschland, seine Demokratie und seine Sozialsysteme besonders wichtig und stabilisierend seien.

Bonn Parks Stück "Das Deutschland" bebildert die beunruhigende These, dass es auch andersrum sein könnte: Dass nämlich genau diese Mitte das Beet sein könnte, dem Gleichschaltungswahn und reaktionäre Gewalt entsprießen. Weil ein Mittelpunkt per se danach trachten muss, einer zu bleiben. Folglich darf sich bloß nichts ändern. Derlei Veränderungen machen der Mitte Angst, und deshalb muss alles, was sie bedroht oder Nicht-Mitte ist, ausgeblendet, zurechtgestutzt oder, wenn alles nichts hilft, beseitigt werden. Wer das macht, findet sich schon.

Bis das Blut quillt

In Parks nur auf den ersten Blick absurd wirkender Mischung aus Gegenwartsanalyse und dystopischem Horror-Märchen erscheint "Das Deutschland" wie eine Firma, die genau dieses Mittelmaß zum alleinseligmachenden und totalitären Maß aller Dinge gemacht hat. Das, so heißt es in einem ebenso flammenden wie zum Mittelmaß aufrufenden Appell kurz vor Ende des Stücks, dafür sorgt, dass beispielsweise zwar auch die Tomaten nur so mittel schmecken, Aromafreiheit dann aber wenigstens wahrscheinlich auch für Giftfreiheit bürgt. Das unbedingte Credo: Sicherheit geht vor Außergewöhnlichkeit. Und weil die bürgerliche Familie, frei nach Wilhelm Reich, sowieso ganz gut als kleinste gemeinsame Terrorzelle eines alle gleichschaltenden Gemeinwesens funktionieren kann, hat Park seine Drillbohrerthese in eine Familienerzählung gepackt: Die Familie als Tatort im Inneren der Geschichte.

DasDeutschland 1 560 MartinKaufhold uFamilie, ein Betrieb zur Gleichschaltung: Daniel Dietrich, Paul Maximilian Pira, Ewa Rataj, Clara Kroneck © Martin Kaufhold

So gerät die kleine Emulie (Clara Kroneck als eine süße Alice im Sich-permanent-wundern-müssen-Land) in eine scheinbar kreuzbrave Familie aus Vater-Mutter-Kind, die von der Deutschland-Firma den Auftrag bekommt, dieses augenscheinlich recht offene und freie Kind, das so anders ist als sie selbst, neu zu formatieren. Das gelingt: durch Angst. Die Kreuzbraven mutieren schnell zu Kreuzottern, die ihre eigene Brut (Daniel Dietrich als dauergrinsender Sohn-Mutant) so gehirnwaschen, dass ihm Blut aus dem Kopf quillt. Für Emulie wird das Schlangennest schnell zum Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Da ist wirklich keine Tür hinaus ins Freie: ein Horror-Szenario, ungut bekannt aus Film wie Wirklichkeit gleichermaßen. Es geht nur runter in die Hölle. Horror-Zwerge mit maskenhaften Lach-Emojis umstellen den Familien-Gleichschaltungs-Betrieb.

Und lässt seinen grellen Text quietschen

Das Stück wird zwischendurch sehr ungemütlich. So etwa, wenn Vater Thumas (unheimlicher Paul Maximilian Pira) und Mutter Sondra (Ewa Rataj als eine Art Rabenmutter der Nation) ein nicht enden wollendes Duett stumpfsinniger Sprüche aus der Mitte des Landes rezitieren, die schwarze, menschenverachtende, rassistische Gedanken im Gewäsch scheinbarer Analysefähigkeit weis- oder weißmachen wollen, während der Bengel in der Supermarkttüte hockt und beglückt Warentitel aufsagt. Dass dies alles nicht gut ausgehen kann und wird, macht den Betrachter spätestens nach der Hälfte der Spielzeit zu keinem besonders großartigen Propheten. Das Ende wirkt seltsam und logisch zugleich.

DasDeutschland 2 560 MartinKaufhold uIm Haus des Horrors: "Das Deutschland"-Ensemble © Martin Kaufhold

Bonn Park hat seinen Text selbst inszeniert, betont dessen absurde Bruchstellen, lässt seinen grellen Text quietschen wie die grellen Kunststoffkostüme der Gastgeberfamilie. Die wirken wie Zombies, nur das Mädchen darf ganz lang ganz natürlich sein. Statt Black gibt's zwischen den Szenen grelle Lichtakzente aus dem Hintergrund wie Satzzeichen. Das Licht erzählt hier ohnehin viel mit; öfters Mal wird mit Suchern gearbeitet, die Objekte und Figuren insektenhaft umschwirren. Die Regie gibt dem hier und da auch mal ins Überbordende neigenden Text einen übersichtlichen Rahmen: einen Spielkasten, den ihm Ausstatterin Julia Nussbaumer denn auch als viereckige Alptraumburg hinstellt.

Der Clou: Hier ist alles aus Holz, nicht nur die Möbel. Die hölzerne Anmutung erstreckt sich auch auf Tassen, Bücher, die Zimmerpflanze und die Sofakissen. Aus diesem Holz sprießt nichts mehr. Das will so bleiben, wie es ist. Im Stück steckt reichlich Potenzial für andere Regie-Sichtweisen, die Skala reicht von brutal bis albern. In Bamberg wird gedrillbohrt, bis durch die Löchlein ein großes Licht der Beunruhigung schimmert. Das muss auch so sein: Im Idealfall ist Theater immer Nicht-Mitte.

 

Das Deutschland
von Bonn Park
Uraufführung
Regie: Bonn Park, Bühne und Kostüme: Julia Nussbaumer, Dramaturgie: Victoria Weich.
Mit: Paul Maximilian Pira, Ewa Rataj, Daniel Dietrich, Clara Kroneck.
Premiere am 17. Januar 2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater.bamberg.de

 

In unserer Video-Interview-Reihe "Neue Dramatik in zwölf Positionen" spricht Bonn Park über Popkultur im Theater und über die Leiden der Jugend

 


Kritikenrundschau

Diese Uraufführung zeigt, wie "ein postmigrantisches Theater als ein Kammerspiel in der deutschen Provinz funktioniert", sagt Tobias Krone auf Deutschlandfunk Kultur (18.1.2020). "Park bespielt die kleine Studiobühne in stimmigen Proportionen und verarbeitet das romantisch-heimelige Ambiente der Weltkulturerbe-Stadt Bamberg in einen Zwergenchor, der drollig-rätselhaft den Horror verkörpert, nicht dazu zu gehören."

Im Kostüm einer schwarzhumorigen Horrorgroteske stelle 'Das Deutschland' unbehagliche Fragen über Integration und Assimilation, über das Fremde und das Eigene, schreibt Christoph Hägele im Fränkischen Tag (21.1.2020). "Weniger begabte Schauspieler hätten das Stück möglicherweise in eine übermütige Travestie verwandelt. Ewa Rataj, Clara Kroneck, Paul Maximilian Pira und Daniel Dietrich dagegen spielen auf völlig ungezwungene Weise derart gefühlskalt und entrückt, als wären sie eingesperrt in einer kollektiven Psychose. Aus ihren Worten, Gesten und Blicken sprachen Angst, Einsamkeit, Manie. Aus ihnen spricht: voll der Horror."

 

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