Compagnie Copflos

von Elena Philipp

22. Januar 2020. Berlin vermeldet das Scheitern eines weiteren kulturellen Großprojekts: Unerwartet beenden Johannes Öhman und Sasha Waltz ihre Doppelintendanz am Staatsballett Berlin. 2016 ernannt, war Johannes Öhman knapp zwei Jahre für das Ensemble tätig, Sasha Waltz stieß offiziell erst in dieser Spielzeit dazu. Viel vorgenommen hatten sich die beiden, wie sie bei ihrem Antritt im Februar 2018 verkündeten: Umbauen wollten sie das Staatsballett zu einem das Zeitgenössische und Klassische verbindenden Ensemble und zu einer modernen Institution. Ziel war die Weltklasse.

Aus dem Schatten geführt

Manches erreicht hat der leitungserfahrene ehemalige Tänzer Johannes Öhman, der ein Jahr vor der noch mit dem 25-jährigen Jubiläum ihrer Berliner Compagnie Sasha Waltz & Guests befassten Choreographin Sasha Waltz in die Intendanz einstieg. Aufbauen konnte er dabei auf den Reformansätzen des Vorgängers Nacho Duato, welcher – ebenfalls nur kurz im Amt, da vor der Berliner Ablehnung kapitulierend – das Staatsballett bereits vorsichtig aus dem Schatten russischer Balletttradition führte, indem er zeitgenössisch geprägte Tänzer*innen einstellte und das Repertoire ins Heutige öffnete.

Sasha Waltz Johannes Oehman 280 Andre RivalSasha Waltz und Johannes Oehman © Andre RivalÖhman (und zu einem unbekannten Anteil auch Sasha Waltz als Co-Intendantin) etablierte ab 2018 eine mit unterschiedlichen Tanz-Idiomen vertraute und zunehmend wendige Balletttruppe nach skandinavischem Vorbild. 2019 wurde das Staatsballett Berlin von den Kritiker*innen der Fachzeitschrift tanz zum Ensemble des Jahres gewählt. Mitnehmen konnten Öhman und Waltz auf diesem Weg, anders als Nacho Duato, weite Teile der Presse und ebenso das Publikum. Diese Entwicklung bricht nun abrupt ab.

Vision der Zeitgenossenschaft

Im Raum stand eigentlich – pointiert vorgetragen von der Journalistin Astrid Kaminski – die Frage nach einer langfristigen eigenen Vision fürs Staatsballett. Einkaufen genügt nicht mehr: Eineinhalb Spielzeiten füllten der vorzeitig angetretene Johannes Öhman und Sasha Waltz mit Einstudierungen von Choreograph*innen wie Jefta Van Dinther oder Anouk Van Dijk und ersten Auftragsarbeiten an Richard Siegal, Alexander Ekman oder Sharon Eyal. Gesucht wurde mit diesen Produktionen der Anschluss an die internationale Spitze des Balletts ebenso wie an Berlins ausdifferenzierte zeitgenössische Tanzszene. Was durchaus gelang.

Für April 2020 geplant ist die erste Uraufführung von Sasha Waltz am Staatsballett, Sym-phonie 2020 mit Auftragskompositionen von Georg Friedrich Haas. Da Neukreationen eine der tragenden Säulen ihres Konzepts sein sollten, wäre dieser Abend der erste Lackmus-Test in Fragen der Vision gewesen. Nun wird er ungeplant ein Abschiedswerk.

Master of Desaster

Bemerkenswert bei diesen überstürzten Vorgängen ist zudem, dass die Staatsballett-Misere die zweite spektakulär geplatzte Berufung des ehemaligen Kulturstaatssekretärs Tim Renner ist. Unter der Ägide des Regierenden Bürgermeisters und damaligen Kultursenators Michael Müller hat Renner schon das Volksbühnen-Desaster mit Chris Dercon zu verantworten. Jetzt angesichts des Zeitdrucks – Öhman und Waltz gehen bereits zu Ende 2020 – eine stabile Weiterentwicklung des Staatsballetts zu ermöglichen, bedeutet eine Großaufgabe für den derzeitigen Kultursenator Klaus Lederer und seinen Stab.

Zum Spielball der Ereignisse geworden ist dabei leider einmal mehr das Ballettensemble: Von Johannes Öhmans persönlicher Entscheidung für den Posten als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter des Dansens Hus in Stockholm wussten vor der heutigen Bekanntgabe laut Presseabteilung des Staatsballetts wohl nur Kultursenator Klaus Lederer und Co-Intendantin Sasha Waltz. Wie die Öffentlichkeit wurde auch das Ballettensemble erst vormittags informiert. Nachhaltigkeit und Transparenz? So schnell sind große Vorhaben nurmehr Makulatur.

 

Presseschau

Für die Berliner Zeitung (online 22.1.2020) kommentiert Ulrich Seidler: "Die letzten Staatsballettpremieren wurden vom Publikum begeistert und von der Kritik wohlwollend aufgenommen. Über interne Problemlagen, die möglicherweise komplex und individuell sein können, drang nichts in die Öffentlichkeit. Die steht bedröppelt da: Jetzt haben wir euer Projekt gerade nicht nur geschluckt, sondern sogar gefeiert. Und ihr lasst uns allein?"

Sandra Luzina schreibt im Tagesspiegel (online 22.1.2020): "Überraschend kommt die Nachricht vom vorzeitigen Aus hingegen nicht. Hinter den Kulissen soll es in letzter Zeit gekracht haben, war aus informierten Kreisen zu hören. (…) Die nicht wenigen Gegner der Berufung von Waltz und Öhman dürften sich nun bestätigt fühlen." Und sie deutet Kompetenzgerangel in der Leitung an: "Man spürte deutlich, dass Sasha Waltz, kaum war sie im Boot, den Hut aufhatte. Johannes Öhman wirkte wie ein blasser Sidekick. Womöglich kam es schnell zu einer Schieflage, zu einem Machtgefälle zwischen Waltz und Öhman."

Ähnlich blickt Manuel Brug von der Welt (23.1.2020) auf die Doppelspitze "Während Öhman in dem Jahr Alleinintendanz einigermaßen angekommen war, funkte nun die Walz dazwischen, nicht eben als Teamspielerin bekannt. Von Auseinandersetzungen mit Tänzern, Gruppen in der Gruppe, war zu hören, auch von Friktionen mit Öhman, den sie eifersüchtig beäugt haben soll." Zudem sei Sasha Waltz als "in Berlin auf kaum glaubliche Weise gepäppelte Künstlerin" zu "ballettfern, um hier am richtigen Platz zu sein". Man habe ihr mit der Berufung seinerzeit "offenbar einen Versorgungsposten" verschaffen wollen", weil die Kulturpolitik es seit den 1990ern nie geschafft hatte, Waltz "eine stabile Arbeitssituation zu schaffen".

Empörung über die Entscheidung des Intendanz-Duos bekundet das Ensemble in einer Erklärung, wie u.a. die Süddeutsche Zeitung (23.1.2020) meldet. Seit 2014 sei das Land Berlin nicht in der Lage, dem Staatsballett Kontinuität und künstlerische Perspektive zu garantieren. "Mehr noch sind wir enttäuscht, dass wieder einmal wir Tänzerinnen und Tänzer die Leidtragenden dürftigen Kulturmanagements sind", heißt es in der bereits am Abend des 22. Januar 2020 offenbar nur an ausgewählte Medien versandten Stellungnahme. Erschüttert sei das Vertrauen in die Fähigkeit des Berliner Senats, die Kompanie "wohl überlegt in die Hände einer ehrlich engagierten Ballettdirektion zu geben". Fraglich sei, "warum wir bis in die Mitte der nächsten Spielzeit mit einer künstlerischen Leitung weiter zusammenarbeiten sollten, die uns ohnehin kurzfristig verlassen will". Dies werde zu einer weiteren chaotischen, von Umstellung geprägten Spielzeit führen.

Schon ab 1. März 2020 wird Johannes Öhman als künstlerischer Leiter des Dansens Hus agieren, wie Petra Kohse für die Berliner Zeitung (24.1.2020) aus den Pressemitteilungen des Hauses herausgelesen hat. "Falls hier wirklich ein geordneter 'Ruf an seine Heimatstadt Stockholm' erfolgt sein sollte, wie es das Staatsballett nahelegt, würde man die Schweden von einer ganz neuen, überaus spontanen Seite kennenlernen", kommentiert Kohse. "Wahrscheinlicher ist, dass der Abgang schon von längerer Hand vorbereitet wurde. Oder es handelt sich um eine Flucht."

"Haben nicht auch Künstlerinnen und Künstler ein Verantwortungsbewusstsein, wenn sie Leitungspositionen übernehmen", fragt Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (24.12020), "Verantwortung für andere, nicht nur für sich selbst?" Sasha Waltz ziehe irgendwie eher einen "Ego-Trip" durch. Oder es zeige sich, was ihr wirklich wichtig sei: ihre eigene Kompanie Sasha Waltz & Guests. Kurz vor der Uraufführung am Staatsballett seien an der Volksbühne Berlin drei ältere Arbeiten ihres eigenen Ensembles zu sehen. "Unglücklicher könnte die Terminierung nicht sein." Klar ist für Schaper jedenfalls: "Ohne Öhman schaffte sie es nicht am Staatsballett. Sie hätte sich aber auch der Aufgabe stellen und einen neuen Partner suchen können."

Wiebke Hüster schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (online 24.1.2020, 22:48 Uhr): "Was da gerade begonnen hatte, muss als State of the Art of Ballet Direction gelten, um Klassen besser als alles, was die Vorgänger Vladimir Malakhov oder gar Nacho Duato zeigten." Es packe "einen die Angst", wenn man zurückschaue. Wer solle jetzt über die zukünftige Leitung entscheiden? Eine internationale Expertenkommission wäre wünschenswert, meint Hüster, und nennt auch gleich mögliche Namen. Jedenfalls müsse eine "Chefsache" vermieden werden. Wer müsse ausgewählt werden? Kein "Kurator", sondern "jemand, der klassisch getanzt hat und darum weiß, was klassische Tänzer brauchen, was man von ihnen verlangen kann und wie man sie dabei unterstützt, als Ensemble zusammenzuwachsen und sich zu steigern". Gleichzeitig dürfe "die Auffassung dessen, was der zeitgenössische Tanz auch für Ballettcompagnien bedeuten kann", weder "konventionell" noch "unintellektuell", noch "kommerziell", noch am "postchoreographischen Tanz" orientiert sein. Schreibt Hüster und nennt abschließend ein paar ihrer Wunschkandidatinnen.

 

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