Geschichten an der Feuerglut

von Maximilian Pahl

Zürich, 23. Januar 2020. Sie wollten sich wahrscheinlich ums Feuer versammeln und nicht drei Meter daneben. Aber hier im Zürcher Neumarkt Theater ist vieles verschoben. Als hätte sich der Treffpunkt, die Feuerschale, bei Ankunft vom Treffen verabschiedet. Der Sitzkreis als Minigalaxie, wo um die Glut die Erzählungen kreisen – dieses archaische Gefüge ist von Katharina Pia Schütz' Raumgestaltung sanft zerschlagen. Alleinig lodert die Feuerschale und sonst wo ranken sich die Märchen, womit zumindest szenisch die gut einstündige Performance umschrieben wäre. Den äußersten Orbit bildet das auf Schaumstoff gebettete Publikum.

Im Reich der Tiere, Götter und Pflanzen

Vom "letzten großen Kampf der Menschen gegen das Reich der Tiere, Pflanzen und Götter" ist die Rede, der irgendwo in Japan rund um das 15. Jahrhundert wütet. Zwischen diese Fronten gerät der Junge Ashitako mit seinem roten Elch, der mal hier, mal dort mitprügelt.

Als Vorlage diente den Regisseuren Felix Rothenhäusler und Hendrik Weber der 1997 erschienene Anime "Prinzessin Mononoke" von Hayao Miyazaki, einer der erfolgreichsten Trickfilme aus Miyazakis ikonischem Studio Ghibli. So grausig die Walddämonen, so mutantenhaft die Wildschweine und Affen in diesen Filmen auch anmuten – gegen den Raubbau der Menschen sind sie zahm. Netflix hat zeitgeistreich für Februar eine Neuaustrahlung der Öko-Animes vom Studio Ghibli angekündigt.

Mononoke1 560 Philip Frowein uIm Kreis: Sascha Ö. Soydan, Anna Hofmann, Brandy Butler, Jakob Leo Stark und Leon Pfannenmüller in "Mononoke" © Philip Frowein

Die Filmhandlung wird im Neumarkt kollektiv umgenutzt. Die fünf Performerinnen erzählen sie in improvisierter Abfolge, Hauptsatz um Hauptsatz, geleitet vom Prinzip Einfachheit: Subjekt, Prädikat, Objekt, Sprecherwechsel und von vorne, alles im Schneidersitz. Sie fallen einander schmunzelnd ins Wort oder erzeugen abweichende Schwebungen im Verbteil. Bei der einen heißt's: der junge Mann "stürzte", beim anderen: er "kollabierte", beim dritten: er "röchelte". Was denn nun, liebe mündliche Überlieferung, fragt sich das Publikum, doch eindeutige Frontverläufe oder Tatsachen gibt es ja schon in der Vorlage kaum. Ashitako stirbt, aber lebt wieder. "Seine Wunde schmerzte" heißt es gleichzeitig wie "seine Wunde wuchs".

Ashitako zwischen den Fronten

Der Abend bleibt eine minimale Andeutung von Theater, als konzeptuelle Anordnung aber auch minimalistisch konsequent. Performerin Brandy Butler spricht als Einzige Englisch, laut ihr machen die Waldgeister auch "Bootyshakes". Aber nur, wenn die japanische Eisenstadt inmitten des Waldes nicht gerade das Tierreich massakriert. Der Hochofen läuft dort tagein, tagaus, die Bewohner roden die Bäume und schmelzen den eisenhaltigen Sand, um Schusswaffen zu produzieren. 

Den Waldgott höchstpersönlich will die Stadthalterin nämlich um jeden Preis erlegen, um die tierische Mobilmachung zu stoppen. Unter ihr wird der Wald "ein Massengrab, überall riecht es nach verbranntem Fell". Mit ihrer Gegenspielerin, der martialischen Wolfsprinzessin Mononoke (laut Butler "the most nonbinary princess ever seen"), verbündet sich schließlich Ashitako – im Neumarkt bleibt aber seine letzte Entscheidung genauso offen wie die öfters postulierte Frage: "Können wir nicht einfach in Frieden miteinander leben?" Die kollektive Erzählung kennt den Ausgang nicht. Aber sie probiert neue Vergleiche aus: "blutiger als Tarantino-Filme", "größer als VW-Tuaregs", "Blitzlicht wie tausend Paparazzi" – was komisch unbeholfen wirkt.

Suche nach neuen Erzählungen

Auf die im Programmheft angekündigte "Suche nach neuen Erzählungen" muss man dann auch mehr Lust haben als auf die Rasanz der Anime-Vorlage, denn Felix Rothenhäusler überlässt die Reichhaltigkeit dieser Performance der eigenen Vorstellungskraft. Und Co-Regisseur Hendrik Weber, als Pantha du Prince ein angesehener Produzent in verschiedenen elektronischen Musikstilen, spart uns seine Komposition, abgesehen von sublimen Soundeffekten, bis zum Schluss auf.

Eine dreiviertel Stunde lang dimmt sich das Bühnenlicht, schleichend wie die Dämmerung, bis der Sitzkreis im Dunkeln spricht. Dann rauscht und wummert ein kleines Baumkonzert vom Band mit Cello, Synthesizern, Plattenglocke und Gambe durch die Dunkelheit. Als es gerade hypnotisch werden könnte, ist schon Schlussapplaus. Es bleibt die gemeine Hoffnung, in all den Andeutungen noch einen feinen Clou zu entdecken. "Mononoke" hat vom Zuwenig etwas Zuviel erwischt. Das allerdings zeigt Wirkung.

 

Mononoke
von Felix Rothenhäusler und Hendrik Weber, frei nach dem Trickfilm "Prinzessin Mononoke" von Hayao Miyazaki
Regie: Felix Rothenhäusler und Hendrik Weber, Raum: Katharina Pia Schütz, Kostüme: Elke von Sivers, Musik: Hendrik Weber (Pantha du Prince), Hartwig Groth, Friedrich Paravicini, Dramaturgie: Nikolai Prawdzic.
Mit: Brandy Butler, Anna Hofmann, Leon Pfannenmüller, Sascha Ö. Soydan, Jakob Leo Stark.
Premiere am 23. Januar 2020
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theaterneumarkt.ch

 

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