Presseschau vom 24. Januar 2020 – die Frankfurter Allgemeine Zeitung setzt sich mit den Fragen um Neubau oder Sanierung des Frankfurter Theaters auseinander

"Muss die Zukunft unserer Bühnen wirklich Milliarden kosten?"

"Muss die Zukunft unserer Bühnen wirklich Milliarden kosten?"

24. Januar 2020. Diese Frage stellt ein einigermaßen entnervter Niklas Maak in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.1.2020) angesichts der hohen Kosten, die sowohl für den Neubau (809 bis 874 Millionen Euro) als auch für eine mögliche Sanierung (826 bis 918 Millionen Euro) von Oper und Schauspiel Frankfurt gestern bekannt gegeben wurden.

Die Stadt, schreibt Maak, rechne einen "zwingenden Abriss" herbei. Nach Ansicht von Kulturstadträtin Ina Hartwig seien alle Renovierungs-Varianten "nicht zukunftsfähig, nicht wirtschaftlich und nicht nachhaltig". Hartwig spreche sich "dementsprechend für Neubauten aus", die den "Stand der Technik" erfüllten und einen "zukunftsfähigen" Betrieb ermöglichten.

Was heißt "nachhaltig", was "zukunftsfähig"?

Maak stellt nun diese Sprachregelung in Frage. Unter verschiedenen Gesichtspunkten.

Architektonisch bedeute der Abriss den Verlust eines weiteren "klassisch modernistischen, großzügig verglasten öffentlichen" Baus im "Stil der Mies-van-der-Rohe-Moderne", mit "der sich Deutschland nach 1945 eine neue Identität gab".

Zweitens, warnt Maak, könne die Sehnsucht nach einer "Frankfurter Elbphilharmonie" leicht in ein ähnliches finanzielles Desaster führen wie beim Hamburger Signaturbau oder dem Museum der Moderne in Berlin, beides öffentliche Bauten, bei denen die Kosten explodiert seien.

Drittens stellt er den Begriff "Nachhaltigkeit" in Frage, mit dem Hartwig operiert. Eine Sanierung der Theaterdoppelanlage sei "nicht nachhaltig", heiße es seitens der Stadt. "Während alle Welt betont, wie wichtig es angesichts der verheerenden CO2-Bilanz von Neubauten wäre, den Bestand schonend zu sanieren". Zugleich würden aber Sanierungen durch die absurden "Dämm- und Komforterwartungen" quasi unmöglich gemacht.

Auch der geforderte "zukunftsfähige Betrieb" auf dem aktuellen "Stand der Technik" stößt Maak auf. Er argwöhnt, es handele sich hier um die konsumistische Lust an den neuesten teuren technischen Spielereien. Dabei wisse heute überhaupt niemand, ob das Publikum zum Zeitpunkt, an dem diese neuen Theater fertig würden, überhaupt noch Lust habe auf "technisches Überwältigungstheater".

Milliarden für den Bau, Hungerlöhne für die darin Arbeitenden

Noch absurder sei, dass die "kargen Ausstellungsetats, untertariflichen Hungerlöhne und prekären Arbeitsverhältnisse" in den Kulturbauten oder Theatern "in keinem Verhältnis" stünden zu den "Phantasiesummen", die für ihren Bau ausgegeben würden.
Dabei sei es "gut", wenn "sich eine Gesellschaft Kulturbauten viel kosten lässt", weil in und vor diesen Bauten "Gesellschaft im Wortsinn" stattfände. Aber "wie viel Techno-Luxus" müsse wirklich sein?

Die neuen Bühnen, "die in der Architekturwelt gerade am meisten diskutiert werden, weil sie ganze Stadtteile wiederbeleben und verzaubern", seien "ganz einfache Konstruktionen", "Holzbauten" und "zu Kinos und Bühnen umgebauten Tankstellen" oder das geniale Aufklapptheater im nordamerikanischen Lyons. Diese "gefeierten neuen Low-Budget-Theater" ließen "das Improvisierte als Befreiung" empfinden und "die Schauspieler nicht gegen den Bombast von Räumen und Inszenierungen anspielen".

 

Aufstockung des symbolischen Kapitals

24. Januar 2020. In einem zweiten Artikel im heutigen Feuilleton der FAZ beschäftigt sich Hubert Spiegel zwei Spalten lang mit der Frankfurter Diskussion. Der Anfang seines Textes indes klingt wie eine vorweg genommene Argumentationshilfe gegen die AfD und andere Völkische, die sich gerne populistisch über die immensen Kosten für die Hochkultur echauffieren.

Der Kommodifizierung Grenzen setzen

Investitionen in "bestehende Kultureinrichtungen wie Museen, Schauspiel- und Opernhäusern" seien "Investitionen in eine gegebene Infrastruktur", die "erhalten" und gelegentlich auch "modernisiert" werden müsse. Mit "jedem sanierten Opernhaus" werde immer auch "das symbolische Kapital aufgestockt, das eine Gesellschaft angesammelt hat".

Wir hätten uns daran gewöhnt, schreibt Spiegel weiter, "dass sich alles kapitalisieren lässt". Aber welchen Gegenwert habe "private Beschäftigung mit Kultur"? Wie viel Geld sei "sinnvollerweise" in den Erhalt von Kulturbauten zu investieren? Zur Kultur gehöre, "dem Kapitalisieren von allem und jedem Grenzen zu setzen". Kulturinstitutionen etwa trügen "zum Erhalt von Meinungsfreiheit und Rechtssicherheit" in einer Gesellschaft bei. Frankfurt solle, bitte schön, über solche Fragen nachdenken, schreibt Spiegel.

Thema für den Wahlkampf

Aus den in Frankfurt berechneten Kosten für die Varianten Neubau oder Sanierung zwischen 809 und 918 Millionen Euro lasse sich "keine eindeutige Handlungsanleitung" für die Stadt ableiten. Es brauche andere Argumente. Eine inhaltliche Diskussion.

Aber die steht aus. Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig habe sich erstmal in der Standortfrage entschieden: sie wolle zwei Neubauten, einen am jetzigen innerstädtischen Standort, – das "künstlerische Herz der Stadt" – und einen Neubau in attraktiver Lage (die Alternative ist zwei oder ein Doppel-Neubau in anderer Lage). Man brauche dann nur eine Interimsspielstätte und könne einen so frei werdenden Teil des Grundstücks am Willy-Brandt-Platz teuer verkaufen, führt Spiegel aus. Allerdings werde die Trennung der beiden Häuser von beiden betroffenen Intendanten abgelehnt.

Angesichts der divergierenden Positionen der an der Rathaus-Koalition beteiligten Parteien könne man voraussehen, dass die Angelegenheit Theater-Neubau zum Komunalwahlkampfthema werden würde.

Welche Stücke wollen die Zukünftigen sehen?

Und einen weiteren Aspekt diskutiert Spiegel: "Für den Planungs- und Bauzeitraum" würden etwa acht Jahre veranschlagt. "Mit welchen Stücken wird man 2030 oder 2035 Oper und Schauspiel eröffnen? Wird der Dramenkanon weiter so rasant erodieren wie in den letzten Jahren? Ist eine Guckkastenbühne noch sinnvoll, wenn das Zuschauerbedürfnis nach Partizipation wachsen sollte? Und ist es wirklich undenkbar, dass ein Haus im Herzen einer Stadt, das eine knappe Milliarde kostet, für die Öffentlichkeit länger nutzbar ist als zwei bis drei Stunden am Abend?"

(jnm)

 

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