Zur Auswahl des Berliner Theatertreffens 2020 – Videointerview mit den Juror*innen Shirin Sojitrawalla und Franz Wille
Im Zeichen der Quote
Interview von Elena Philipp
Berlin, 29. Januar 2020. Kaum war sie verkündet, die Auswahl der zehn Einladungen zum Theatertreffen 2020, trafen wir die beiden Jury-Mitglieder Shirin Sojitrawalla und Franz Wille im Haus der Berliner Festspiele zum Interview. Sojitrawalla und Wille sprechen über ein Jahr Theatertreffen-Sichtung im Zeichen der Frauenquote, über politische Theaterkunst und einen Schub Körperlichkeit in der Auswahl. Und natürlich über die immerwährende Suche nach Neuem.
Mehr zum Thema: Die Einladungen zum Berliner Theatertreffen 2020.
Im Zeichen der Quote
Interview von Elena Philipp
Berlin, 29. Januar 2020. Kaum war sie verkündet, die Auswahl der zehn Einladungen zum Theatertreffen 2020, trafen wir die beiden Jury-Mitglieder Shirin Sojitrawalla und Franz Wille im Haus der Berliner Festspiele zum Interview. Sojitrawalla und Wille sprechen über ein Jahr Theatertreffen-Sichtung im Zeichen der Frauenquote, über politische Theaterkunst und einen Schub Körperlichkeit in der Auswahl. Und natürlich über die immerwährende Suche nach Neuem.
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Ich glaube nicht an eine Auswahl, die politische Zwecke verfolgt. Für mich ist Theater gerade der Ort an dem man alle Zwecke in Frage stellen darf. Es gibt kein Glaubensbekenntnis des Theaters, welches bestimmt: Jetzt sind aber mal die Frauen und Queeren dran, die Schwarzen und Postmigranten. Im Theater stehen alle Ansprüche ausnahmslos auf dem Prüfstand, entweder komisch oder tragisch, dekonstruiert, bizarr, diskursive oder auch im Dialog. Nichts hat dort Bestand, außer das Menschliche. Und das darf von keinem Zweck dominiert werden und schon gar nicht von einem spezifisch politischen, sondern höchstens von einem allgemein gesellschaftlichen. Theater ist gut, wenn es offen für überraschende Ergebnisse ist. Da kann dann auch mal die schwarze Frau böse und der alte weiße Mann gut sein, selbst wenn die politische Programmatik etwas anderes fordert. Diese Grundregel legt die Auswahl lahm. Das ist langweilig und durchschaubar. Ich werde wohl zu Hause bleiben, oder besser noch, mein eigenes Programm machen. Das ist ja heute sehr einfach. Ich brauche diese Jury nicht. Sie ist für mich nutzlos und überschätzt.
Was wäre denn Ihr eigenes Programm, wenn es sehr einfach ist? Ich frage wirklich interessiert.
da ist kein Denkfehler. Es hilft ja nicht, wenn die eine Nicht Ideologie Freie Wahl durch die nächste Nicht Ideologie Freie Wahl ersetzt wird. Beides schlimm und ätzend. Eben kein Fortschritt. Und was bitte ist menschlich daran, wenn nun eine heterogene und anders diverse Mehrheit von Minderheitsgruppierungen als homogen weiß und ignorant stigmatisiert wird, was sie nicht ist. Das alles geschieht mit so einem hohen Maß an fehlender Selbstkritik und Selbstironie, dass einem übel werden könnte.
Ausgerechnet Sigmund Freud als Ausgangsbasis für eine Kritik am Elitedenken und "weißer" Kulturhegemonie "zu Wort kommen zu lassen" ist absurd. Da weiß man nicht ob man lachen oder weinen soll, wenn man diese Nominierung liest. Ganz unabhängig von der Qualität der Aufführung.
"Die Frau als Kulturfeind" https://www.udo-leuschner.de/psychologie/f2.htm
Ende 19. / Anfang 20. Jhdt war ausnahmslos alles, was nicht direkt mit dem Überleben in Zusammenhang stand, den Eliten vorbehalten. Der habsburgische Vielvölkerstaat war der Inbegriff des Elitären, der seine slawischen Kronländer ausschließlich dazu benutzte, ihre Rohstoffe auszupressen. Bis dann halt die Ungarn nicht mehr mitspielen wollten.
Da muss eine peinlich missglückte Recherche vorangegangen sein. Sigmund Freud hat zu keiner Sekunde daran gezweifelt, dass eine "weiße männliche Menschheit im weißen Körper verankert ist." Das wurde mitgedacht und ironisch gebrochen, nehme ich an? In diesem Zusammenhang dürfte dann auch nicht der Holocaust außen vor sein.
Die Neuzugänge umweht das Lüftchen von Skandal, sind maximal weit entfernt vom klassischen Sprechtheater, für das ja das Theatertreffen steht?! Oder stand?! Tanz, Performance und Sprechtheater haben zwar den selben Ausdrucksraum, die Bühne, arbeiten aber mit komplett entgegengesetzten Mitteln und Hintergründen und wählen komplett verschiedene Ansätze. Schauspiel und Tanz erzählen in Bögen und mit Stringenz, Performance mit vollkommen entkoppelten Botschaften. Auch das thematisiert niemand. Weil? Weil man die unterschiedlichen Produktionsprozesse zu wenig bis gar nicht kennt? Sehr traurig. Sie sind ja auch sichtbar.
Schauspiel hat vor allem auch eines: Geld. Die große Bühne ist Tummelplatz der großen Investitionen in Ausstattung etc. Ist auch der Platz, des größtmöglichen Zuspruchs vom Publikum, der Platz der am meisten "gesehen" werden muss (Auslastung).
Die beiden Arbeiten sind absolute Nischenprodukte, das Tanz-und Performancepublikum um ein vielfaches kleiner, ist sehr kolleg*innen durchmischt, beinahe ein "Fachpublikum". Sehr wenig Geld, für einen erlauchten Kreis. Der durchschnittlich Zuschauende rümpft die Nase: durchgeknallte, abgehobene Expertenkunst. Was darf man sich nun denken? Frauen zurück auf die kleine Bühne, wo sie sich ausspinnen, und das bürgerliche Publikum nicht in Bedrängnis bringen können? Dann ist ja auch noch Freud mit an Bord, er hatte einen schönen Begriff für das Weibliche geprägt: die Hysterie. Frauen sind zuständig für die abartigen Spinnerein, um mal im Wortlaut des Durchschnittsbürgers zu bleiben. Vielen Dank auch!