Rebellen aus gutem Grund

von Sascha Westphal

Bonn, 31. Januar 2020. Die Bühne ist nichts als eine große Gruft. Im Hintergrund hängen ein paar Neonröhren an beweglichen Wandteilen und tauchen die Szenerie in ein fahles Licht. Auf einem niedrigen Podest in der Nähe der Rampe liegen acht Menschen dicht gedrängt beieinander. Zunächst sind sie in dem bedrückenden Halbdunkel nur zu erahnen. Ein erster Verweis auf die Berge von Leichen, die Karl Moors Räuberbande im Zuge ihres Strebens nach Freiheit auftürmen wird. Schließlich erheben sich die Acht und sprechen gemeinsam einige Sätze aus Franz Moors Monolog, in dem er seine Hässlichkeit beklagt. Ein Chor von Wiedergängern, lebenden Toten, die aus dem späten 18. Jahrhundert den Weg zu uns ins 21. Jahrhundert gefunden haben, um sich sogleich in zwei Vierergruppen zu spalten.

Spalte und herrsche

Der Riss, der durch die Familie Moor geht, spaltet zugleich die Welt. Darin liegt die Macht des alten Moors, der bei Wilhelm Eilers trotz der ergrauten Haare überraschend jugendlich wirkt. Er geht mit wehendem Mantel zwischen den Jungen her und trennt sie noch deutlicher voneinander. Spalte und herrsche, das ist die Devise dieses Mannes, der Karls Brandrede gegen das "schlappe Kastratenjahrhundert" an sich reißt. Das Gefälle zwischen den Generationen, das Friedrich Schiller in seinen "Räubern" so eindringlich beschrieben hat, besteht immer noch. Nur fällt es der nachfolgenden Generation sichtlich schwerer, gegen den Alten zu rebellieren, der sich mit den Attributen der Jugend gegen alle Angriffe wappnet.

Raeuber1 560 Thilo Beu uVom Streetdance inspiriert: Takao Baba und Solomon Quainoo choreographierten die Bonner Räuber © Thilo Beu

Diese ersten Szenen offenbaren Simon Solbergs radikalen Zugriff auf Schillers Tragödie. Für seine Textfassung hat er sie nicht nur konsequent zusammengestrichen und neumontiert. Kurze Einschübe von Fremdtexten betonen zudem noch den direkten Bezug zur Gegenwart. So schimmern im Aufbegehren von Karl Moor und seiner Bande, zu der neben Spiegelberg, Schweizer und Roller auch zwei Frauen, Schwarz und Grimm, gehören, die Proteste von Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion durch. Außerdem verwandeln die beiden aus der Hiphop-Szene kommenden Choreografen Takao Baba und Solomon Quainoo die Räuber-Szenen in energetisches Körpertheater. Streetdance-Moves und Gesten, die offensichtlich aus Videospielen entlehnt sind, werden zum Ausdruck eines Zorns, der zwar begründet ist, aber wie schon in Schillers Stück jedes Maß verliert.

Fremdgesteuert wie Avatare

Das grausame Ende hat seine Wurzeln schon im Anfang des Protests. Als Spiegelberg seine Idee verkündet, in die böhmischen Wälder zu gehen und eine Räuberbande zu gründen, verhalten sich Karl und die anderen wie Avatare. Der von Gustav Schmidt gespielte Machtmensch flüstert ihnen nicht nur seine Ideen ein. Er steuert sie auch über seine Bewegungen. Auch wenn die Clique entgegen seiner Erwartungen und Pläne Karl zum Hauptmann macht, sind sie doch seine Spielfiguren. Der Begriff der "Freiheit", den Daniel Stocks Karl mit so viel Emphase auf den Lippen führt, ist von Anfang an kontaminiert. Der Gang in den Untergrund, in die Illegalität, bringt keinerlei Freiheit mit sich, weder für die, die gehen, noch für die, in deren Namen Karl raubt, mordet und brandschatzt.

Raeuber2 560 Thilo Beu uUnter Rebellen: Annika Schilling spielt Franz Moor © Thilo Beu

Was bleibt, sind die ausbeuterischen Haltungen und Aneignung der Popkultur. Insofern ist es nur konsequent, dass Gustav Schmidt den Bericht von Spiegelbergs Überfall auf ein Nonnenkloster im Stil eines Gangster-Raps vorträgt und nebenbei die misogynen Tendenzen dieses Genres offenlegt. Schweizers Schilderung der Rettung Rollers, bei der zahlreiche Kinder, schwangere Frauen und Greise von den Räubern ermordet wurden, wird indessen zu einem martialisch-düsteren Rocksong à la Rammstein. Christian Czeremnych zelebriert so Schweizers zynische Desillusionierung als die wahre Form der Rebellion. Die hehren Gedanken Karls von Freiheit und Gerechtigkeit waren immer nur wohlklingende Propaganda. Der eigentliche Motor dieser Auflehnung war von Anfang an eine Sehnsucht nach Zerstörung um der Zerstörung Willen. Nur hat der fehlgeleitete Idealist Karl das nie verstanden.

Das Grab fängt sie ein

Die Nähe zwischen dem für die Folgen seiner Taten blinden Weltverbesserer Karl und seinem nihilistischen Bruder Franz, der einfach nur das Beste für sich will, hatte auch Ersan Mondtag in seiner Kölner "Räuber"-Inszenierung betont. Simon Solberg geht noch einen Schritt weiter. Karl und Franz, der hier dessen Schwester ist, teilen sich nicht nur zu Beginn den gleichen Text. Daniel Stock und Annika Schilling spiegeln einander in ihrem Spiel immer wieder. In Wahrheit wollen beide nur von allen geliebt werden. Und während Karl das zumindest gelegentlich gelingt, stößt Franz immer nur auf Ablehnung. So verloren wie bei Annika Schilling wirkte dieser Bösewicht aus verschmähter Liebe noch nie. Die Kanaille entpuppt sich bei ihr als hilfloses um Zuneigung ringendes Mobbing-Opfer, das von seiner Peinigerin, Annina Eulings herzenskalter und zutiefst berechnender Amalia, zu destruktiven Verzweiflungstaten getrieben wird.

Raeuber3 560 Thilo Beu uRammstein lassen grüßen: Die Bonner Räuber auf der von Simon Solberg selbst ersonnenen Bühne © Thilo Beu

Am Ende ist Simon Solbergs schwarze Bühne dann wieder das Massengrab, das sie schon zu Beginn war. Beinahe 240 Jahre nach der Uraufführung der "Räuber" liegt die tiefste Wahrheit des Stücks immer noch in Schillers pessimistischer Haltung. Damals wie heute haben Rebellen wie Karl Moor gute Gründe für ihre Auflehnung. Aber die Mittel, zu denen sie greifen, wenden sich früher oder später gegen sie selbst. Denn auch sie wissen nicht, was sie tun. Und so erweist sich Geschichte nicht als ein fortschreitender Prozess, sondern als Wiederkehr des immer Gleichen. So steht die tote Amalia wieder auf und umgarnt Karl, den letzten Überlebenden, mit dem Revolutionspathos von Georg Büchners "Hessischem Landboten". Die Worte mögen wechseln, aber aus dem Grab, das die Menschheitsgeschichte ist, gibt es kein Entkommen.

 

Die Räuber
nach Friedrich Schiller
Textfassung von Simon Solberg
Regie und Bühne: Simon Solberg; Kostüm: Sophie Peters; Choreografie: Takao Baba, Solomon Quainoo; Licht: Sirko Lamprecht; Dramaturgie: Carmen Wolfram.
Mit: Wilhelm Eilers, Annika Schilling, Daniel Stock, Annina Euling, Gustav Schmidt, Christian Czeremnych, Timo Kählert, Magali Vogel, Larissa Ruppert.
Premiere am 31. Januar 2020
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

www.theater-bonn.de

 

Kritikenrundschau

Zum Kern des Dramas stoße Simon Solbergs Schiller-Fassung in rund 100 Minuten vor, bemerkt Dietmar Kanthak im Bonner General Anzeiger (3.2.2020). Solberg bringe den Klassiker "ganz nah an die Gegenwart: mit ausdrucksvollen Choreografien von Takao Baba und Solomon Quainoo zu Musik von Billie Eilish ('You Should See Me In A Crown'), zu Rap und rammsteinhaften Ausbrüchen". In der sehr physischen Inszenierung schüfen die Spieler*innen "zurückgenommene, von Schauspielkunst erfüllte Momente", träten immer wieder aus ihren Rollen heraus, wobei sie "eine komischen Effekten untergeordnete Distanz" entwickelten. "All das erscheint selten als szenischer Selbstzweck und spiegelt meistens innere Zustände." Für den Kritiker eine "starke Leistung".

 

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