Debatte um Leitungsstrukturen am Theater - Interview mit Intendant und Bühnenvereins-Vertreter Hasko Weber über Machtmissbrauch, kontinuierliche Reformen und Hau-Ruck-Revolution
Konfrontation ist fehl am Platz
Hasko Weber im Interview mit Simone Kaempf
5. Februar 2020. Im Herbst 2019 erschien die Studie des Organisationstheoretikers Thomas Schmidt "Macht und Struktur im Theater", die im deutschsprachigen Theaterbetrieb massiven Machtmissbrauch ausmacht und als Konsequenz grundlegende Struktur-Reformen fordert. Die Studie hat die Theaterszene in Befürworter und Kritiker gespalten. Viele Intendant*innen fühlten sich angegriffen, auch wenn sich die wenigsten öffentlich dazu äußerten. Der Bühnenverein, der von Thomas Schmidt in der Studie kritisiert wird, gab bisher keine Stellungnahme ab. Hasko Weber, Intendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar und Co-Vorsitzender der Intendant*innengruppe des Bühnenvereins, bezieht im Interview mit Simone Kaempf nun Position.
Mit der Studie von Thomas Schmidt liegen zum ersten Mal Zahlen vor, und die Zahlen sprechen von weit verbreitetem schlechtem Führungsstil im Theaterbetrieb, von Machtmissbrauch, von viel Frust und Gegensprechen derjenigen, die dort beschäftigt sind. Sechs Monate sind seit der Veröffentlichung vergangen. Wie wird im Bühnenverein über diese Ergebnisse diskutiert?
Hasko Weber: Die kritische Betrachtung der Gesellschaft halte ich für unverzichtbar. Themen wie Macht und Verantwortung und alle damit verknüpften Strukturfragen finden sich in unserer Demokratie insgesamt wieder. Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft und sollten das in diesem Zusammenhang nie aus dem Blick verlieren. Darüber wird auch in den Theatern und Orchestern sowie innerhalb des Deutschen Bühnenvereins eine umfangreiche Diskussion geführt. Mit "Macht und Struktur im Theater" nimmt Thomas Schmidt solch eine kritische Betrachtung vor. Inhalt und Umfang der dabei gesammelten Einzelaussagen zu Machtmissbrauch und sexueller Diskriminierung sind alarmierend und absolut ernst zu nehmen. Da gibt es aus meiner Sicht kein Wenn und Aber: Allen, denen der Respekt verweigert wurde oder die sogar sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren und davon berichten, gilt meine Achtung. Ich schäme mich für diejenigen, welche dafür die Verantwortung tragen. Grenzüberschreitungen gehören unterbunden, gegebenenfalls strafrechtlich. Hier darf es keine Toleranz geben.
Viele Intendant*innen kritisieren die Studie, das ist kein Geheimnis.
Die These, innerhalb unserer Theater stünde auf der einen Seite eine kleine Gruppe schuldiger Täter, auf der anderen eine große Mehrheit wehrloser Unterdrückter, teile ich nicht. Innerhalb unserer Demokratie, die explizit auf die Rechte jedes Einzelnen ausgerichtet ist, halte ich diese sogar für gefährlichen Unsinn. Nach mehrjährigem Austausch mit dem ensemble-netzwerk, der Dramaturgischen Gesellschaft und dem Bund der Szenographen markiert das Buch einen bedauerlichen Rückschritt.
Es wagt wenig Öffnung von Sachverhalten. Widersprüche und Probleme, die es zu lösen gilt, werden verabsolutiert und radikalisiert. Das fördert Emotionen und trägt aus meiner Sicht zu überreizten Debatten bei, die populistisch und stigmatisierend verlaufen. Niemand bestreitet, dass es in der alltäglichen Praxis unserer Theater und Orchester Probleme zu lösen gibt. Diese gilt es zu verbessern und abzubauen. Soweit bin ich mit Thomas Schmidt im Konsens.
Es hieß, dass der Fragebogen in der Intendant*innengruppe des Bühnenvereins diskutiert wurde. Und dass über die Verteiler etwa sieben- bis achttausend Theaterbeschäftigte angesprochen wurden.
Der Fragebogen wurde nicht diskutiert, weil er nicht vorlag und bisher auch nicht veröffentlicht ist. Die Studie klammert aber auch andere wichtige Angaben aus, wodurch eine repräsentative Qualität vieler Schlussfolgerungen in Zweifel steht: Die Aussendung des Fragebogens über Facebook und verschiedene Emailverteiler ist nicht nachvollziehbar. Dass mehrere Tausend Theatermitarbeiter*innen eingeladen worden wären, ist nicht belegbar. Angaben von freischaffenden und fest angestellten Mitarbeiter*innen werden in statistischen Ableitungen ohne Kennzeichnung zusammengefasst, was zu Verzerrungen führt, etwa bei Arbeitszeiten und Einkommen. Eine Altersangabe der Beteiligten liegt nicht vor. In die Debatte zur Studie sollte die Klärung dieser Punkte unbedingt einfließen.
Es wird im Buch immer wieder gesagt, dass es viele Ausnahmen gibt. Thomas Schmidt nennt vorbildliche Intendanzen und gute Beispiele für Kollektiv-Leitungen.
In einer Studie haben solche persönlichen Zuweisungen nichts zu suchen. Es werden einzelne Personen ins Licht gerückt und der dahinter liegende Komplex ausgeblendet. In der Politik klingt das etwa so: Merkel ist schuld, Merkel muss weg! Entschuldigen Sie bitte das Beispiel, aber das Maß an Verkürzung ist ungefähr das gleiche. Ich denke, dass die positiven Versuche, Theaterarbeit zu verbessern und zeitgemäß zu gestalten, im Buch zu kurz kommen. Sie finden nicht nur in Metropolen und an Häusern mit auskömmlichen Budgets statt, sondern auch an den mittleren und kleineren Theatern und Orchestern. Weniger spektakulär, aber mit großer Ernsthaftigkeit.
Sie kritisieren das Zustandekommen der Zahlen und die Wissenschaftlichkeit der Studie, andererseits gibt es eine Realität mit vielen Führungskrisen an den Theatern, die in den vergangenen Jahren bekannt wurden, zuletzt etwa in Schwerin, Halle und Darmstadt. Die Studie legt nicht nur Zahlen vor, viele der Befragten äußern sich in Zitaten kritisch bis entsetzt über die Arbeitsbedingungen.
Was meinen Sie mit Schwerin, Halle und Darmstadt? In jedem der drei Theater gab es sehr unterschiedliche Problemlagen. Die sind nicht in einen allgemeinen Krisen-Topf zu werfen. Konflikte sollte man immer von verschiedenen Seiten betrachten. Urteile sind schnell gefällt.
Wenn es an Versachlichung und an Kommunikation mangelt, dann wird es schwierig. Ein Facebook-Post, eine Pressemitteilung oder ein offener Brief sind schneller auf den Weg gebracht, als ein klärendes Gespräch. In der öffentlichen Austragung der Debatten sehe ich aber auch etwas Positives. Die Gesellschaft wird einbezogen. Veränderungen erwachsen aus Krisen, aus denen wir lernen müssen, auch wenn es schmerzt.
Thomas Schmidt plädiert für eine grundlegende Veränderung der Struktur und fordert unter anderem einen Einheitsvertrag.
Wesentlich ist etwas anderes: Im Bereich der Tarifverträge haben sich in den zurückliegenden Jahren drei Verträge durchgesetzt und weiterentwickelt. Diese drei Tarifverträge (TVöD, TVK und NV-Bühne) verstehe ich in ihrer Verbindung als Kernstruktur oder DNA unserer Theater. Sie kommen unabhängig von Einzelpersonen überall gleichermaßen zur Anwendung. Durch sie werden Vergütung, Arbeitszeit und Kündigungsschutz geregelt. Die Verschiedenheit der Tarifverträge ergibt zugleich eine kritische Schnittmenge, weil sich die einzelnen Regelungen gravierend unterscheiden. Und hier liegt der springende Punkt: Es geht um die Verringerung dieser Gefälle. Die Gewerkschaften sind dabei genauso gefordert wie der Bühnenverein. Einen einheitlichen Vertrag, der alle Bereiche des Theaters umfasst, halte ich allerdings für eine Illusion.
Mit dem Verhaltenskodex zur Prävention von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch ist der Bühnenverein als Maßnahme an die Öffentlichkeit getreten und hat ein Signal gesetzt, aber er ist eine Empfehlung. Wer überprüft denn die Umsetzung des Kodex?
Der Kodex ist eine Empfehlung und soll zur Orientierung dienen. Er wurde auf der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins 2018 in Lübeck einstimmig beschlossen. Insofern liegt die Verantwortung für die Umsetzung der formulierten Regeln bei den Theatern. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Rückmeldungen darüber, wie der Kodex eingesetzt oder fortgeschrieben wurde: Von der direkten Übernahme des Textes in alle einzelnen Arbeitsverträge, bis zur Formulierung von eigenen Leitlinien oder den Abschlüssen spezifischer Betriebsvereinbarungen gestaltet sich das Spektrum sehr vielfältig. Ich will nicht ausschließen, dass es an dem einen oder anderen Ort bisher noch zu wenige Aktivitäten gegeben hat. Aber die angelaufenen Prozesse brauchen Zeit und vor allem eines: Austausch. So haben wir auf der zurückliegenden Halbjahressitzung der Intendant*innengruppe zum vierten Mal eine offene Debatte zur Kodex-Anwendung geführt und werden diese Verständigung auch weiterhin brauchen. In der Unterschiedlichkeit der Lösungen sehe ich den demokratischen Gewinn!
Die Empfehlung lautet, den Kodex weiterzuentwickeln. Müsste dieser Prozess nicht viel stärker begleitet werden?
Veränderung braucht Zeit und Geduld. Der Kodex liegt vor und die Erfahrungen zeigen, dass kleinere Häuser mit weniger Beschäftigten schneller zu Formen der Anwendung und Umsetzung finden als größere. Wir sind bemüht, positive Beispiele aufzugreifen und Erfahrungen teilbar, das heißt nachvollziehbar, zu machen. Um Diskriminierungen und Machtmissbrauch zu definieren und zu erkennen, bedarf es einer Offenheit und Bereitschaft von allen Seiten. Auch ein konsequenter Umgang mit Konflikten muss gelernt werden. Konfrontation ist da fehl am Platz!
Die Studie und vor allem auch die Zitate im Buch geben doch aber auch viele Anhaltspunkte und sind wertvoll, diesen Prozess zu begleiten.
Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu!
Arbeitszeiten
Einkommen
Machtmissbrauch
Sexuelle Angebote
Sexuelle Übergriffe
Diagrammserie zu den Zahlen der von Thomas Schmidt veröffentlichten Studie "Macht und Struktur im Theater" (von Anne Peter / nachtkritik.de).
Der Kodex wurde im Sommer 2018 verabschiedet. Das ensemble-netzwerk hat sich 2015 gegründet, Pro Quote im Jahr 2017. So entsteht der Eindruck, dass der Bühnenverein bei solchen Themen hinterherhinkt und viel stärker in Vorleistung gehen müsste.
Ich begleite die Aktivitäten des ensemble-netzwerkes als Vorsitzender der Intendant*innengruppe fast von Beginn an. In allen gemeinsam geführten Gesprächen konnten wir feststellen, dass Veränderungsprozesse zum einen Kontinuität, zum anderen Zeit brauchen. Das ensemble-netzwerk, ist quasi aus einem Defizit entstanden. Das wurde zuerst im Bereich Schauspiel spürbar. Die von Beginn an formulierten Forderungen zur Verbesserung von Mindestgage und Arbeitszeiten kann man als Aufholjagd verstehen, um mit den Regelungen der Kolleg*innen in den Orchestern und Chören gleichzuziehen. Warum? Weil sich im Solo-Bereich, im Schauspiel, im Musiktheater, aber auch im Tanz, jahrzehntelang kaum jemand gewerkschaftlich engagiert hat. Musiker*innen und Chorsänger*innen haben sich spezielle Rechte erstritten, wohlgemerkt innerhalb derselben Strukturen!
Ich lese darin einen wichtigen Aspekt, der beweist, dass die Beschäftigten unserer Theater über die Gewerkschaften, aber auch innerhalb der Häuser sehr wohl wesentliche Veränderungen erstreiten können. Der Deutsche Bühnenverein hat sich mit den Themen Vergütung, Gleichstellung und den Produktionsabläufen in den Häusern ebenfalls immer wieder ausführlich befasst.
Von dem, was innerhalb des Bühnenvereins diskutiert wird, dringt offiziell wenig nach außen.
Vielleicht ist es eine PR-Frage. Alle Zusammenkünfte und Treffen werden öffentlich über die Presse vertreten. Möglicherweise lesen sich diese Meldungen zu unspektakulär. Ich halte unsere Kommunikation aber für seriös. Vielleicht ist die Unkenntnis über die Arbeit des Bühnenvereins, über seine Zusammensetzung insgesamt ein Grund. Der Bühnenverein führt Verhandlungen mit den Gewerkschaften, über den Tarifausschuss. Darin liegt seine ureigenste Aufgabe. Die Intendant*innengruppe, die oft mit dem Bühnenverein gleichgesetzt wird, ist dagegen die Schnittstelle aller zu führenden Diskurse. Es gibt da ein großes Interesse an inhaltlichem Austausch, vor allem über den Künstlerischen Ausschuss. Übrigens: Seit Juni 2019 wird die Intendant*innengruppe als Doppelspitze von Kathrin Mädler und mir geleitet. Der Vorstand ist paritätisch besetzt und all das haben wir auch veröffentlicht.
Eine weitere Errungenschaft ist die Steigerung der Mindestgage des NV-Bühne auf 2000 Euro, an etlichen Theatern wird freiwillig mehr gezahlt, 2300 bis 2400 Euro. Vielen geht das nicht weit genug. Das ensemble-netzwerk fordert 3000 Euro Mindestgage. Wie verhält man sich im Bühnenverein dazu?
Die Mindestgage ist ein sehr wichtiger sozialer Aspekt der Vergütung im NV-Bühne. Da ist in nächster Zeit mit weiteren Entwicklungen zu rechnen. Jede Anhebung der Mindestgage bedeutet aber in der Folge die Anhebung eines Gagengefüges insgesamt. Deshalb müssen die Träger im Vorfeld von Tarifverhandlungen immer neu klarstellen, welche finanziellen Mittel für die Theater verfügbar sind. In den letzten Jahren war die Dynamik in diesem Bereich sehr positiv und ich kenne niemanden, auch nicht im Tarifausschuss, der einer weiteren Steigerung der Mindestgage vorsätzlich entgegenstehen würde. Im Gegenteil! Diese Anpassungen werden sehr komplex diskutiert.
In den vergangenen Jahren hat sich zwischen dem NV Bühne und dem Tarif im technischen und administrativen Bereich eine große Schere gebildet.
Im Besonderen geht es darum, dass der NV-Bühne ein befristeter Vertrag ist. Diese Befristung bedeutet einerseits die Möglichkeit, künstlerische Konstellationen immer wieder neu zu bilden, andererseits leitet sich daraus auch die Abhängigkeit der einzelnen Vertragspartner*innen ab. Auf diesen Punkt geht auch Thomas Schmidt ein und kritisiert die Befristung als unzeitgemäß. Dazu muss es aber einen argumentativen Austausch geben, in dem verschiedene Standpunkte respektiert werden.
Wie kann sich daran etwas ändern?
Über den Weg der Tarifverhandlungen, gewerkschaftliches Engagement, Austausch mit den Netzwerken und die Nutzung aller Möglichkeiten, die dem Theater intern zur Verfügung stehen.
In der Studie wird auch die Nichtverlängerungsklausel kritisiert und die Art und Weise, wie sie eingesetzt wird als Druckmittel, viele Zitate in der Studie berichten davon.
Jede Nichtverlängerung basiert auf gesetzlichen Regelungen und muss entsprechend begründet sein. Reines Gutdünken, wie von Thomas Schmidt unterstellt, schließt sich praktisch aus. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang Personal- und Betriebsräte, welche die Pflicht haben, diese Abläufe zu beobachten und die Interessen jedes Einzelnen zu vertreten. Die meisten Beschreibungen der Studie beziehen sich jedoch auf den Wechsel einer Intendanz, der dazu berechtigt, Verträge nicht zu verlängern. In der Praxis verläuft das oft problematisch, weil es an klarer und fairer Kommunikation mangelt. Es muss darum gehen, jeden einzelnen Vertrag mit Respekt zu prüfen. Hier treffen sich ethische und strukturelle Probleme, die es zu lösen gilt.
Die Kontrolle durch den Betriebsrat scheint aber auch an vielen Stellen nicht zu funktionieren.
Das kann zwei Gründe haben: Zum einen, dass die Räte in ihrer gewählten Konstellation zu wenig Reichweite in ihr jeweiliges Theater entfalten, zum anderen, dass sie von den Beschäftigten zu wenig in Anspruch genommen werden. Die aktive Beteiligung von Künstler*innen in der Arbeit von Personal- und Betriebsräten hat erst in den letzten Jahren stärkere Aufmerksamkeit erfahren. Die Möglichkeiten guter Interessenvertretung sind umfangreicher, als es die meisten wissen. Und demokratisch geregelt.
Lassen Sie uns die Rolle des Intendanten betrachten. Im Moment bewerben sich verstärkt Teamleitungen an den Häusern und werden auch eingesetzt.
Das ist eine interessante Tendenz und ich bin gespannt, wie sich diese Konstellationen behaupten und durchsetzen. Absolut positiv. Konfliktsituation schließen sich dadurch aber nicht aus. Es wird mehr gestritten werden und es wird mehr Zeit aufzuwenden sein. Auch innerhalb von berufenen Teams kann es zu unlösbaren Konflikten kommen, wie zuletzt am Staatsballett Berlin.
Am Modell eines Generalintendanten an der Spitze eines Hauses hält der Bühnenverein fest.
Träger haben das Recht bei der Neubesetzung einer Intendanz oder Geschäftsführung selbst festzulegen, was sie anstreben, ob Teambesetzung oder Einzelleitung. Thomas Schmidt hält dem Intendanz-Modell pauschal die ungerechte Bündelung von Macht vor. In der Realität sehe ich das in den meisten Fällen ganz anders, weil es durchaus Kompetenz- und Verantwortungsteilung in den Häusern gibt. Auch Teamarbeit ist inzwischen fast überall anzutreffen. Diesem Modell versuche ich auch in meiner eigenen Arbeit in Weimar zu folgen, indem wir einen breit aufgestellten Leitungskreis gebildet haben und alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam vorbereitet und besprochen werden.
Aber offiziell sind Sie der Generalintendant. Damit unterstehen Ihnen die Ressourcen und das gesamte Personal des Hauses.
Das Deutsche Nationaltheater ist eine GmbH und strukturell gibt es eine gleichberechtigte Spitze, die Geschäftsführung und Generalintendanz heißt. Ich teile mir die Verantwortung mit unserer Geschäftsführerin. So ist es notariell festgehalten und reicht in den gegenseitigen Verpflichtungen bis zur persönlichen Haftung im Schadensfall.
Wer würde über Streitfragen entscheiden? Weil sich die Streitfälle zwischen Intendanten und Geschäftsführern häufen, werden ja unter anderem Kollektiv-Leitungen gefordert.
Im Team wird demnach nicht gestritten? Konflikte müssen untereinander und miteinander ausgetragen werden. Sie gehören zum Prozess jeder Arbeit. Im Zweifelsfall sind die schon erwähnten Personal- und Betriebsräte zur Klärung von Konflikten hinzuzuziehen. Am Ende stehen Verwaltungs- oder Aufsichtsräte in der Verantwortung, schwierige Situationen klärend zu begleiten.
Sagt nicht der Aufsichtsrat am Ende doch immer, der Intendant ist der Prä-Entscheider und ausschlaggebend?
Aus welchem Grunde sollte ein Aufsichtsrat per se der Intendanz Recht geben? Fehler können immer passieren. Aber die Reichweite der ökonomischen und kulturpolitischen Wirkung eines Theaters ist groß und das schlägt sich auch in der Arbeit der Aufsichtsgremien nieder. Kein Politiker wird bewusst Misswirtschaft oder Unrecht decken, wie sollte er das öffentlich vertreten?
Für die Verträge des Intendanten und Geschäftsführer werden Musterverträge vom Bühnenverein benutzt. Der Bühnenverein hat dabei doch schon eine beratende Funktion.
Die vom Bühnenverein empfohlenen Musterverträge beinhalten die unverzichtbaren Eckpunkte einer vertraglichen Verabredung. Es geht um juristische Sicherheit. Die speziellen Bedingungen eines Theaters oder Orchesters schlagen sich dann in differenzierteren persönlichen Abschlüssen nieder. Darauf hat der Bühnenverein keinerlei Einfluss.
Wie haben sich die Aufgaben für Intendanten in den vergangenen Jahren verändert?
Das Aufgabenspektrum hat sich erweitert. Die Binnenfragen haben sich meiner Meinung nach nicht grundsätzlich verändert: Wie kommuniziert man? Wie sind Aufgaben und Verantwortungen verteilt? Welche Verlässlichkeit erreicht man in der gemeinsamen Arbeit? Wie wird mit Konfliktsituationen in der eigenen Arbeit umgegangen? Themen wie Ökologie, Barrierefreiheit, Energieeffizienz und Gesundheit nehmen deutlich mehr Raum ein als noch vor kurzer Zeit. Sie werden das Gesamtreglement zukünftig deutlich beeinflussen.
Volksbühnen-Intendant Klaus Dörr sprach auf dem Eröffnungsabend der 4. Bundesversammlung von ensemble-netzwerk davon, dass sich der Beruf stark verändert hat. Dass sich Aufgaben stark durchökonomisiert haben.
Wenn Klaus Dörr das formuliert, wird er Gründe haben. Die Höhe des Budgets und die Größe der Aufgaben eines Theaters unterschieden sich oft sehr deutlich. Die Verantwortung, mit den öffentlich zur Verfügung gestellten Mitteln sinnvoll umzugehen, hat sich nicht verändert.
Der Weg zum Intendanten-Posten führt weiter vor allem über künstlerische Qualifizierung. Wie kann die Ausbildung zum Intendanten bzw. die Weiterbildung verbessert werden?
Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Auch vom Deutschen Bühnenverein werden ganzjährig Workshops, Kurse, Weiterbildungen in Tarifrecht, Ökonomie, Kommunikation und so weiter angeboten. Besonders sticht dabei der Weiterbildungskurs Theatermanagement an der LMU in München heraus, der seit einigen Jahren sehr erfolgreich läuft. Sich auf diese Weise zu qualifizieren, steht allen aktiven Intendant*innen offen. Die Angebote werden von vielen auch genutzt. Leider noch von zu wenigen, aber die Tendenz ist steigend.
Man könnte auch an den Theatern diese Veränderungsprozesse stärker begleiten durch ein Change Management wie es in der Wirtschaft der Fall ist.
Theater sollen zeitgemäß und modern arbeiten. Unternehmen agieren, um ihre Effizienz zu steigern. Effizienz ist im künstlerischen Sinne aber nicht immer ausschlaggebend. Deshalb sind Beispiele aus wirtschaftlichen Zusammenhängen nach meiner Meinung sehr genau auf ihre Zielrichtung zu prüfen. In den Bereichen Kommunikation und Personal gibt es sehr viele gute Anregungen. Alles eins zu eins und kritikfrei zu übernehmen, halte ich für falsch. Theater werden öffentlich finanziert und sollten sich kapitalistischen Prinzipien mit eigenen Ideen entgegenstellen.
Der Eindruck von außen bleibt aber, dass vieles nur sehr zeitverzögert passiert. Wenn es die Initiativen des ensemble-netzwerks oder eine offene Diskussion wie Burning Issues nicht gegeben hätte, dann wären Dinge doch kaum in Bewegung.
Das sehe ich anders. Das ensemble-netzwerk hat wichtige Impulse ausgesandt, ohne Zweifel. Das war und ist wichtig. Doch es erscheint mir ignorant, Erneuerungen einfach auszublenden, weil sie sich in kleinen Schritten vollziehen. Manchmal entdeckt man Veränderungen allein dadurch, dass man genauer hinschaut.
Welcher Journalist hat sich vor zehn Jahren bemüht, schlechte Bezahlung und Machtmissbrauch an den Theatern zu thematisieren? Haben die Redaktionen des Feuilletons einen Kodex? Nur als Beispiele. Es kommt darauf an, in Zusammenhängen zu denken und sich selbst einzubeziehen. Nur dann haben wir als Gesellschaft eine wirkliche Chance zur Veränderung.Die guten Beispiele sind da, aber die schlechten ja auch. Die Schauspieler*innen und Mitarbeiter*innen des Wiener Burgtheaters sind erst nach Jahren mit dem Offenen Brief an die Öffentlichkeit gegangen. Man kann sagen, es hat sich viel zum Besseren entwickelt, aber zwischendurch war auch ganz anderes möglich.
Wie das Wiener Burgtheater in existentielle wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten konnte, kann ich nicht sagen. Dass ein Intendant für solche Prozesse mitverantwortlich ist, steht außer Zweifel. Es ist kompliziert, das alles im Einzelnen nachzuvollziehen, und auch hier würde ich auf Austausch und vor allem Transparenz setzen, um gleiche Fehler andernorts in Zukunft zu vermeiden. Dass sich im künstlerischen Bereich Umgangsformen entwickelt hatten, die weder angemessen noch zeitgemäß waren, ist auch ein Ausdruck für die Kultur eines gesamten Hauses. Es wäre richtig gewesen, wenn sich die Kolleg*innen direkt in die Auseinandersetzung begeben hätten. Der Offene Brief kam zu spät.
Hat es nicht den Nachteil, dass es erst knallen muss, damit etwas geschieht, und dass Veränderungen langsam ablaufen?
Demokratie ist per se langsam. Das müssen wir verstehen. Hohes Tempo hat Radikalisierung zur Folge und die nützt uns nicht. Überall und jederzeit ist man dazu aufgefordert, sich Entweder/Oder zu verhalten. Daumen hoch oder Daumen runter? Das hat mit Demokratie nur noch wenig zu tun. Die Bereitschaft zur Verständigung und die Konsensfähigkeit gehen verloren. Ich betrachte das mit Sorge und versuche, auch an dieser Stelle immer wieder den gegenseitigen Austausch als gutes Mittel zur Klärung von Problemen in den Vordergrund zu stellen.
Führungskrisen dringen nach außen, man weiß sehr konkret von Fällen von Machtmissbrauch, die auch mit der Struktur zusammenhängt. Jetzt wäre der Moment, die Prozesse offensiv anzuschieben.
Die Prozesse sind im Gang, überall, schneller und langsamer. Es vollzieht sich ein kompletter Umwandlungsvorgang innerhalb aller westlichen Demokratien. Und jeder Impuls, voranzukommen, sollte in diesen Vorgang einfließen. Momentan gibt es von Seiten des Bundes, der Länder und auch vieler Kommunen die höchste finanzielle Unterstützung für Kultur, die wir in den letzten Jahren erlebt haben. Werden öffentliche Finanzierungen in den nächsten Jahren anders bewertet, wird es darauf ankommen, wie stabil die Strukturen der Theater sind. Es wird um Arbeitsplätze gehen. Darauf sollten wir uns gemeinsam vorbereiten. Nur in der gesellschaftlichen Verknüpfung sehe ich eine wirkliche Chance zur strukturellen Entwicklung des Theaters. Zudem rechne ich fest mit dem fantasievollen Durchsetzungsvermögen einer neuen Generation junger Künstler*innen und Mitarbeiter*innen an unseren Häusern.
In Kommentar #8 gibt Thomas Schmidt eine Stellungnahme zu dem Interview und den darin erhobenen Vorwürfen ab.
Mehr dazu:
Theaterkrise in Darmstadt – Haushaltssperre, ein suspendierter Geschäftsführer und ein anonymer Brief gegen den Intendanten - Esther Boldts Recherche vom 18. Dezember 2019
Die 4. bundesweite Ensemble-Versammlung – das Ensemble Netzwerk trifft sich in der Volksbühne Berlin - Bericht von Anna Volkland vom 20. Oktober 2019
Thomas Schmidt über seine Studie zu Macht und Machtmissbrauch an deutschen Theatern - Interview vom 11. Oktober 2019
Der Theaterpodcast (19), "Versteinerte Strukturen?", mit Thomas Schmidt, Eva Löbau und Kathrin Mädler vom 14. November 2019
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Weber macht das strategisch geschickt.
So wird der Spiess umgedreht. Thomas Schmidt wird so zum „Gefährder“ der Arbeitsplätze mit seiner „gefährlichen“ Kritik am Prinzip des Intendanten ... das ist perfid, aber wirkungsmächtig.. Nein, liebe Intendanzen, bitte nicht diese Abkürzung nehmen jetzt.
Stattdessen bezeichnet er die Studie, die endlich einmal die großen Probleme in der deutschen Theaterlandschaft aufzeigt, als rückschrittlich und klammert sich selbst ganz offensichtlich an die Macht. Wie Samuel Schwarz schon schreibt: Weber ist ein strategisches Genie.
Umso mehr müssen wir Hand in Hand an Reformen arbeiten und unsere Stimme erheben um das neoliberale Werkzeug der Machthungrigen, dem NV-Bühne, zu verbannen, anstatt uns anhören zu müssen, dass wir selbst Schuld an der Situation sind weil die GDBA so schwach ist.
Nieder mit dem Patriarchat!
"Wenn man von der herkömmlichen Art, Menschen in die Welt zu setzen, abgekommen und dazu übergegangen wäre, sie im Laboratorium oder in der Fabrik, in der Retorte oder im Kochtopf herzustellen, dann wäre es bestimmt eine der schwierigsten Aufgaben, jene Mischung zustande zu bringen, die nach ihrer weiteren Behandlung einen Intendanten ergibt. Denn in solch einem Menschen sollen Elemente vereinigt sein, die sonst nicht miteinander vereinigt, die nicht einmal einander benachbart sind, Elemente, die einander widerstreben, fast einander fliehen. Ein Intendant muß ein künstlerischer Mensch sein, aber er muss auch von Geldgebarung viel verstehen, er muß ein energischer Organisator, zugleich ein geschickter und sanfter Diplomat sein, er muß im bezug auf den Bühnenapparat die gleichen Erfahrungen und Kenntnisse haben wie ein Regisseur, er muß aber auch seine Verwaltungsbeamten kontrollieren können, er muß den Typus des produktiven und reproduktiven, des nervösen, hitzigen, labilen, des unbürgerlichen und vielleicht unordentlichen Menschen verstehen und lieben und darf doch selbst nicht zu diesem Typus gehören. Schauspieler, Dichter, Komponisten mögen zwar oft närrischer wirken, sind aber doch im Grunde einfache Elementarprodukte der Natur neben solch einem komplizierten Zufallsprodukt... Was man von einem Intendanten erwarten muß: daß er innerhalb des Theaters über den Tempramenten steht, und, was die dramatische Produktion betrifft, um repräsentativ zu sein, über den Richtungen, nun, das verhältnismäßig Objetive verträgt sich nicht mit dem Temprament und der Parteilichkeit, kurz, der viel größeren Subjektivität, die nicht nur das gute Recht, sondern auch eine selbstverständliche Eigenschaft des Regisseurs ist. Theoretisch mag es Möglich sein, praktisch ist es undurchführbar, daß ein Mensch am Vormittag fünf oder sechs Stunden angestrengt und intensiv auf der Bühne tätig ist, mit allen Kräften, mit angespannten Nerven und dann am Nachmittag während einer Sprechstunde in aller Ruhe Konflikte as der Welt schafft, dann mit dem Dramaturgen über die Annahme eines Stückes spricht, seine Briefe diktiert und mit dem Verwaltungsdirektor wohlüberlegt über die Neuorganisation des Abonnements konferiert. Jener Mensch am Vormittag kann nicht identisch sein mit dem am Nachmittag. Wollte man aber eine Fiktion aufrichten und sagen, daß es sich ja anders ergeben kann, daß er ja nur drei bis vier Monate Regisseur sein müßte und sich die übrige Zeit um so intensiver den Intendanzgeschäften widmen könnte, dann wäre in einer Variation dasselbe erwidern: daß der Mensch des einen Monats nicht identisch sein kann mit dem des anderen. …"
(erschienen: 11.1.1930 in DAS TAGEBUCH Jg.11 Heft 2)
Ich freue mich, dass Du die Ergebnisse anerkennst, und dass auch Du der Meinung bist, dass in den Theatern schnell Abhilfe geschaffen werden muss, in denen Macht missbraucht wird und die Arbeitsbedingungen unter einem gesellschaftlich anerkannten und verträglichen Niveau liegen. Ich möchte zu einigen Deiner Anwürfe Stellung nehmen.
1
Du sagst zu Recht, Veränderungen sollten im Kontext gesellschaftlicher Bedingungen betrachtet und in Angriff genommen werden. Fakt ist jedoch, dass es in den letzten 120 Jahren keine wesentliche strukturelle Veränderung in der Organisation von Theatern gab, während sich die Gesellschaft seitdem verändert und modernisiert hat. Ein Theater kann nicht gesellschaftliche Avantgarde sein und deren Zustände kritisieren, so lange hinter den Kulissen Missstände herrschen, es sollte sich an dem messen lassen können, was es selbst öffentlich einfordert, sonst verliert es seine Glaubwürdigkeit und Relevanz.
2
Es ist ein Widerspruch zur Demokratie, einer kleinen Gruppe Intendanten (ca. 140) übermäßig viel Macht einzuräumen, um eine viel größere Gruppe Mitarbeiter*innen (ca. 40.000) damit zu beherrschen. Die politische Demokratie dringt so strukturell nicht in die Theater vor und kann die Betroffenen nicht schützen - trotz demokratischer Strukturen in der Gesellschaft, sind in den Theatern weiterhin nicht-demokratische Strukturen möglich, die v.a. die Arbeitsbedingungen dominieren.
3
Die Gründe liegen auf der Hand:
Während in der Demokratie Repräsentanten von denen gewählt werden, die sie vertreten und von denen sie wieder abgewählt werden können, wenn sie nicht gut vertreten werden, ist das in den Theatern nicht der Fall. Außerhalb der Theater müssen sich Verantwortliche mit klaren Konsequenzen einer permanenten Bewertung stellen, Manager durch ihre Mitarbeiter*innen (360° Beurteilungen), Professor*innen durch ihre Student*innen (Semester-Feedback), Politiker*innen durch ihren Wähler*innen, u.a. Nur in den Theatern werden diese Macht-einhegenden Instrumente verhindert und nicht angewendet, weshalb anders als in Systemen mit demokratischen Strukturen kein gleichberechtigter Dialog auf Augenhöhe möglich wird. Diese Instrumente als "Kapitalistisch" und ungeprüft als ungeeignet abzutun, zeugt von einer geringen Bereitschaft, sich damit vorurteilsfrei zu befassen. Sie sind nicht "Kapitalistisch", denn sie dienen den Arbeitnehmer*innen und sind Grundlage dafür, dass diese gehört werden und ihre Rechte besser durchsetzen können.
4
Die Ergebnisse der Studie werden keinesfalls verabsolutiert. Ich nehme die Vorschläge derjenigen auf, die uns ihre Antworten gesandt haben (1.966 Teilnehmer*innen). Darin werden die Probleme ANGST, MACHTMISSBRAUCH und UNFÄHIGKEIT der betr. Intendanten an erster Stelle und mit einer absoluten Mehrheit der Antworten genannt. Das zu negieren, hieße die Stimme der Mehrheit der Teilnehmer*innen der Studie und mithin derjenigen zu negieren, die die wesentliche Arbeit in den Theatern leisten. So unbequem dieses Ergebnis ist, muss es anerkannt und müssen daraus Konsequenzen gezogen werden.
5
Theater sind Betriebe, in denen Macht nicht gleichmäßig verteilt, sondern asymmetrisch konzentriert ist. Macht, ihr Missbrauch und die häufig vorkommende Angst, haben im Kontext einer Organisation grundsätzlich strukturelle Ursachen. Im Theater ist das der Fall, weil das streng hierarchische Modell mit seinen Möglichkeiten der Disziplinierung hierzu die Voraussetzungen schafft. Hierzu gehört auch der NV-Bühne-Vertrag, dessen Kern ein Ketten-Vertrag ist, der in allen anderen Bereichen der Gesellschaft kritisiert wird.
Die Vorschläge der Studie zeigen Möglichkeiten auf, die Macht von einem auf mehrere Direktor*innen zu verteilen und so die Hierarchie abzuflachen. Dieser Wunsch wird von der absoluten Mehrheit der Teilnehmer*innen geäußert. Nur noch 1% der Teilnehmer*innen möchte, dass strukturell alles so bleibt wie es ist. 43,1% der Teilnehmer*innen bemängeln zudem die fehlenden ethischen Standards. Und, Interessensvertretungen funktionieren keineswegs so gut wie Du beschreibst. Die absolute Mehrheit der Teilnehmer*innen traut der Arbeit dieser Betriebsgremien nicht mehr, weil sie den Intendanten zu nahe stehen oder weil deren Freiräume von den Intendanten systematisch eingeengt werden.
6
Dass die Studie nicht repräsentativ ist, ist eine Behauptung und wird an keiner Stelle belegt: Die Aussendung von Umfragen über Facebook und E-Mail-Verteiler gehört seit Jahren zu einer anerkannten wissenschaftlichen Methode, das von wiss. Instituten, in Studien und wiss. Arbeiten genutzt wird.
Allein mit den beiden Facebook-Kanälen erreichten wir ca. 8.000 Kolleg*innen aus den Theatern auf direktem Weg, das sind – bereits ohne die weitere Teilung über Facebook - mehr als 20 % aller Theatermitarbeiter*innen. Repräsentativ sind bei einer Studie bereits 5 %. Darunter sind auch sehr viele Intendanten - wozu ich im übrigen bei einer unabhängigen Studie die sich nicht an Intendanten richtet, nicht verpflichtet gewesen bin. Der Fragebogen und seine Struktur ergeben sich exakt aus den Kapiteln und Abschnitten des Ergebnisteils der Veröffentlichung. Er war sechs Monate lang von März – August 2018 für jede*n auf der Umfrage-Plattform einsehbar. Zudem habe ich zwischen den Gruppen der Teilnehmer*innen anders als behauptet, sehr genau unterschieden: zwischen Leitung und Mitarbeiter*innen, zwischen künstlerisch und nicht-künstlerisch Beschäftigten, zwischen Kolleg*innen in öff. Theatern, in der Freien Szene oder andernorts, zwischen den Geschlechtern, etc.
7
Eine alternative Aussendungsmöglichkeit hätte über die Theater bestanden, mit der wir allerdings deutlich weniger Kolleg*innen erreicht hätten. Unsere Erfahrung ist, dass die Theater nur in max. 25% der Fälle überhaupt auf Umfrage-Bitten reagieren, wie ich und viele meiner Kolleg*innen im Rahmen von wiss. Arbeiten immer wieder feststellen müssen. In diesem Zusammenhang wäre es kollegial, wenn der DBV die Intendanten aufrufen könnte, wissenschaftliche Studien zukünftig ernsthaft zu unterstützen.
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Es wird mir unterstellt, dass ich das Intendanten-System unbegründet angreife. Das ist nicht richtig, ich kritisiere es immer mit Begründung und dort, wo es nicht funktioniert, und mache Vorschläge, um die Strukturen zu verbessern und Machtmissbrauch zu reduzieren. Man sollte die Bewertung einer Studie und ihrer Ergebnisse im Sinne des Respekts vor der Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft nicht davon abhängig machen, ob die Ergebnisse ein System und seine Strukturen bestätigen oder wie im vorliegenden Fall, dringende Reformen schlussfolgern lassen. Hierbei geht es auch um Respekt gegenüber den Teilnehmer*innen der Studie. Im übrigen empfehle ich, mit dem Populismus-Argument sparsamer umzugehen und es dort anzuwenden, wo es hingehört, sonst kann es nicht ernst genommen werden und kehrt wie ein Bumerang zurück.
Intendant*in ist Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in in einer Person. Keine einfache Situation. Eigentlich zwittrig. Dieser Person sind Personen mit befristeten und unbefristeten Verträgen unterstellt. Ein komplexes Feld. Auch zwittrig. Was aber sagen Sie zu bzw. über die Arbeitgeber*innen der Intendant*innen und deren politische, ökonomische, personelle und menschliche Praxis. Darüber habe ich bisher nichts erfahren und keine Positionierung Ihrerseits wahrgenommen. Welche Problemfelder, welche Zwänge, welche Forderungen stehen im Raum? Allein die Sparvorgaben der nuller Jahre, das Scheitern von regionalen Strukturwandlungen (zb. MV), die Dilemma von Sanierungsprozessen und andere Dinge, parteipolitische und ökonomische Beschränkungen, Ressortkämpfe der Politik usw. Warum blenden Sie das aus, bzw. ignorieren es total und machen so Intendant*innen per se zu Schuldigen? Sind die Wirklichkeiten nicht komplexer und komplizierter?
a) Ich war in sehr unterschiedlichen Betrieben in sehr unterschiedlichen Bereichen und in zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen tätig - Und ich kenne keinen, keinen einzigen Betrieb, in dem die Macht n i c h t asymmetrisch verteilt gewesen wäre. Das muss also in der Natur der Sache Macht im Sinne von Weisungsberechtigung und Logistikverantwortung von Arbeitsabläufen liegen...Die Auf-Augenhöhe-Phrase benutzen m.E. Menschen, die ihr Gegenüber in der Kommunikation eben NICHT als auf ihrer eigenen Höhe empfinden - Sie fühlen sich ihren Mitmenschen gegenüber entweder elitär als die "über den Dingen" Stehenden oder als "Bittsteller", aber eben keinesfalls auf Augenhöhe Agierende - B e i d e s sind keine selbstbewusst demokratischen Positionen.
b) Seriöse wissenschaftliche Studien sollten über diverse Kommunikationskanäle erhoben werden. Also: AUCH in persönlicher, sprachmündlicher Befragung, AUCH analog verschriftlicht. Jemanden nur dann zu berücksichtigen in Erhebungen zu Arbeits- und Lebensverhältnissen, wenn er sich über einen vorgeschriebenen Kommunikationskanal einbringen kann in die Ergebnisse, ist übrigens auch undemokratisch. In dem Falle handelt es sich um ein undemokratisches Kommunikationsverhalten.
Und noch eine letzte Anmerkung für Hasko Weber: Wissen Sie, es ist überhaupt gar nicht schwieriger, in ein Gespräch zu kommen, als diese ganzen Kommunikationsumwege mit der entsprechend frustrierten, sogenannten Hass-Posting-Menge als Hinderungsgrund für Fortschritte in der Betriebsorganisation zu beklagen. Man braucht dafür nur einige Chef-Grundsätze. Ich hatte immer sehr gute Chefs - schlechte immer nur ganz kurz, als u.a. Sekretärin und da gab es ein paar Regeln (für die Chefs UND für mich):
1. Antworte auf JEDEN Brief innerhalb von drei Tagen und prinzipiell konstruktiv.
2. Wimmle niemals Leute ab, weil dir ein Gespräch mit ihnen unbequem überflüssig scheint.
3. Steige niemals zuerst aus einer Kommunikation aus.
4. Sprich die Leute, für deren Arbeitsalltag du verantwortlich bist, so an, wie Du selbst angesprochen werden möchtest.
5. Kläre auftretende Probleme sofort. Kannst du das nicht, lege dich terminlich auf eine Klärung fest und lass alle daran Beteiligten davon wissen.
Ausschließlich für Chefs und Chefinnen (nicht nur im Theaterbetrieb) gilt folgende, sehr einfache Regel:
Gleich, ob du deine Sekretärin/deinen Sekretär RefentIn nennst oder MitarbeiterIn der Blablabla - :Sorge dafür, dass er/sie auch komplizierte Sachverhalte s e l b s t t ä t i g schriftlich so erörtern kann wie unter weniger Zeitdruck du selbst es könntest. Stelle eine/n Extra-Fremdsprachen-Sekretär/in für Zeitplanung, Gesprächsorganisation und Telekommunikation ein. Sorge dafür, dass sie n i e m a l s AnruferInnen, Schreibenden oder Vorsprechenden das Gefühl geben, sie würden den Betrieb stören oder es nicht wert sein, dass ihr Anliegen an dich persönlich herangetragen wird. Oder etwa das Gefühl, ein Gesprächstermin mit dir persönlich wäre in ihrer Sache nicht möglich oder lediglich so etwas wie eine huldvolle Ausnahme-Geste -
Wenn Sie das alles beherzigen und auch Ihren werten Kolleginnen und Kollegen in der Intendantengruppe und ihren Freunden und Freundinnen in Politik- und sonstigen Gesellschafts-Gesellschaften mit ganzganz herzlichen Grüßen von meiner besten Freundin Dorit Rust ausrichten, kann auch mit IntendantInnen an der bleibenden Theater-Macht gar nichts mehr schief gehen.
Wenn ich einen Augenblick die Augen schließe und mir vorstelle, was passieren würde, wenn die Möglichkeit der Nichtverlängerung mit oder ohne Intendantenwechsel wegfallen würde, überfällt mich ehrlich gesagt das Grauen.
- In allen Häusern ein überaltertes Ensemble,
- der Zugang zum Theater für Nachwuchsschauspieler*innen auf ein Minimum reduziert.
Theater muss atmen. Dazu gehört sicherlich Angstfreiheit, aber auch die Möglichkeit eines kontinuierlichen Wechsels, einer ständigen Erneuerung.
Eine Lösung liegt sicherlich nicht auf einer betrieblichen Ebene, auch nicht auf einer Ebene von Tarifvertragsparteien. Es geht nicht um die Sicherung von Arbeitsplätzen bzw. ihre menschengerechte Gestaltung, es geht um nichts weniger als die Befreiung der Arbeit aus den Zwängen der ökonomischen Verwertbarkeit.
Darüber kann nur auf einer gesellschaftlichen Ebene nachgedacht werden. ….. z.B. über ein bedingungsloses Grundeinkommen.
ich eine Atempause und Zeit, den Artikel aus dem Februar zu lesen.
Interessant !
Etwas sprachlos war ich (und ich bin es noch immer !) über NUR EiNEN (???) "Aktionstag", bei dem die Kolleg*inn*en von der Politik und von den Aufsichtsräten ihrer Theater im Regen stehengelassen werden und ungeschminkt und ohne Kostüm vor ihre Häuser getreten (worden) sind.
Ist das ein "öffentliches Ärgernis" gewesen ?
Ist das eine "Demonstration" unter CORONA-Auflagen gewesen ?
Ist das eine "öffentliche Probe" gewesen ?
Ist bekannt, wie viele "böse Viren" während dieser Mittagspause am 30.11. in Weimar an ungeschützt vorbeieilende Passanten weiter-gegeben worden sind ?
Warum dieses "Stehgreifspiel" vor dem Haus ?
Warum ist auch in Kirchen das Theaterspiel - unterhalb jeder Mindestgage - E R L A U B T ? Warum "adventsmusikalische Vespern" auf Kirchenbühnen und Lutherkanzeln, während die eintritts-pflichtigen Theater-, Opern- und Konzerthäuser geschlossen bleiben müssen bis mindestens 31. Januar 2021 und andere "moralische Bildungsanstalten" hingegen geöffnet bleiben "dürfen"... ?
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Lieber Hasko Weber, liebe Intendant*inn*en*gruppe ,
so geht man nicht mit uns um ! Mit keinem von uns !
Fast möchte ich nun endlich auch " FÜR EiN BEDiNGUNGSLOSES
GRUNDEiNKOMMEN FÜR ALLE " stimmen, fürchte jedoch, die Menschheit ist noch nicht reif genug, für diese postkommunistische Idee und murrt ähnlich wie die zuerst gekommenen Arbeiter im biblischen Weinberg des Herrn über die, die zuletzt mit der Arbeit begannen, bei der Auszahlung des gleichen Lohnes für die gleiche Arbeit - eben auch an jene, die zuletzt gekommen sind und nur weniger (Arbeits-)Zeit im Weinberg verbrachten, als die ersten . . .
Würde sich mit der Durchsetzung eines Grundeinkommens auch die Tarifeinigung an unseren Deutschsprachigen Bühnen und die sonstige Arbeit der Theaterinteressenvertreter*innen ein für allemal erledigt haben und der Kampf ums liebe Geld ein Ende nehmen ?!
...DAS WÄR' DAS THEATERPARADiES AUF ( THÜRiNGER ) ERDEN !
Noch vor Weihnachten 2020 ! Gelobet sei: DAS CHRiSTKiND ! ;-)