Der Mythos bröckelt

von Valeria Heintges

Aarau, 12. Februar 2020. Im Bewerbungszeugnis stünde wohl: Die fünf Männer haben sich sehr bemüht. Das haben sie nämlich wirklich. Sie wollten dieses Stück aufführen, von Don Juan, dem "größten Liebhaber aller Zeiten", der alles kann und jede kriegt. Und der den Frauen sogar im Dunkeln klarmachen kann, dass er nicht Don Juan ist, sondern ihr Verlobter, den sie erwarten. Haben die Frauen das echt nicht gemerkt?

Sie bemühen sich sehr, das ordentlich auf die Bühne zu bringen. Aber sie schaffen es nicht über die ersten Szenen hinaus. Zuviel steht ihnen im Weg. Vor allem dieser alte Mythos, was soll man mit dem heute noch anfangen? Der Stoff steht ihnen quer im Mund, im Kopf, im Bauch. Und im Raum, in Form eines riesigen, übermannshohen, knallroten Boxhandschuhs. Um den müssen die vier Schauspieler und ihr Musiker drumherum spielen, in Julia Haennis Uraufführung ihres eigenen Stückes "Don Juan. Erschöpfte Männer".

Hahnenkämpfe

Die Männer sind wirklich erschöpft. Vom ewigen Konkurrenzkampf um Frauen, Geld, Macht und Bedeutung. Wer ist sozialer, wer stärker, wer noch mehr sexy? Sie spielen zwar nach Kräften auf der kleinen Bühne des kleinen Theaters Tuchlaube in Aarau. Aber ihr Ego erlaubt es nicht, dass die anderen Schauspieler mehr Text haben oder von der Regisseurin bevorzugt werden.

In absurden Hahnenkämpfen aller Art werfen sie sich gegenseitig allerhand Zeug vor – "Das haben wir schon diskutiert!" "Das haben wir gestrichen!" "Das ist mein Text!" –, bis einer nach dem anderen frustriert das Handtuch schmeißt. Und wütend die Treppe hochstapft und verschwindet. Erst einer, dann der zweite, der dritte. Irgendwann ist an allem der Techniker schuld, Hauptsache, man(n) selbst hat ein reines Gewissen. Als nur noch einer übrigbleibt, dreht ihm Techniker Luca Schaffer das Licht ab. Dunkelheit. Nur das kleine Laufband schreibt noch eifrig sein "Don Juan erleidet Schiffbruch" in die Dunkelheit.

DonJuanErschoepfteMaenner 1 560 AhmadOernek uAuf der Suche nach neuen Männerbildner: Simon Labhart, Stephan Eberhart, Mirza Šakić, Matthias Koch spielen in der Regie von Julia Haenni © Ahmad Oernek

Seit Julia Haennis erstes Stück Frau im Wald als Ergebnis des Förderprogramms "Dramenprozessor" ebenfalls im Theater Tuchlaube im März 2018 uraufgeführt, begeistert aufgenommen und zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen wurde, wird Julia Haennis Werk auch in Deutschland beachtet. Ihr Stück "Frau verschwindet (Versionen)", das sie als Hausautorin für das Theater Bern verfasste, zeigte einmal mehr: Diese Frau kann flotte Texte schreiben, voller Sprach- und Wort- und überhaupt Witz einem Thema auf den Zahn fühlen.

Als Regisseurin ihres eigenen Werks setzt Haenni für "Don Juan. Erschöpfte Männer" noch mehr auf Tempo und Witz, gönnt ihrem starken Ensemble aus Dominik Blumer (vor allem Musiker), Stephan Eberhard, Matthias Koch, Simon Labhart und Mirza Šakić aber auch ruhige Momente zum Luftholen. Was sollen sie tun, die modernen Männer – eingesperrt in Regeln, hin- und hergerissen zwischen fremden Ansprüchen und eigenen Wünschen. Unsicher sein ist nicht sexy? Was dürfen sie noch sagen, müssen sie fühlen, wollen sie fühlen, wollen sie sagen?

Erst Socken, dann Rüschenbluse

Ausstatterin Kerstin Griesshaber reichen wenige Requisiten, damit die Wortgefechte in alle Richtungen schießen können. Erst stehen die Männer nur in schwarzen Unterhosen, Schuhen und Socken (!!!) auf der Bühne; nach ihrem sukzessiven Abgang und ihrem gemeinsamen Wiederauftritt haben sie allerliebste rostrote Kleidchen an, manche sogar mit Rüschenbluse drunter. Aber hilft es, einfach weiblicher zu sein? Ist das dann noch sexy?

DonJuanErschoepfteMaenner 2 560 AhmadOernek uKaum Zeit zu verschnaufen: Matthias Koch und Simon Labhart in "Don Juan. Erschöpfte Männer" in Aarau © Ahmad Oernek

Vor dem Abgang haben sie sich noch Mühe gegeben, Don Juan bei der Fischerin am Strand von Tarragona landen zu lassen (Achtung: doppeldeutig). Jetzt entfernen sie sich immer mehr von diesem verstaubten Ego-Shooter, suchen Haenni und ihre Akteure nach einem Weg für diese Männer, mit Rollenbildern und Klischees umzugehen und "sich selbst sein zu dürfen", wie es in der Schweiz heißt. Jetzt zeigen sie Gefühle, erinnern sich an den Moment, in dem sie der Zwang der Clique zum Schweigen brachte, als sie eigentlich mutig hätten den Mund aufmachen sollen.

Don Juan und seine toxischen Erben

Dabei zeigt sich immer deutlicher das Problem des Abends: Was Haenni auf der lockeren Kabarett-Ebene gewinnt, auf die der Abend immer mehr rutscht, das verliert sie an Tiefgang. Klar: Man kann den neuen Mann propagieren, seine Nöte und Wünsche verhandeln und ihm raten, gegen Missstände den Mund aufzumachen.

Aber es kann nicht die Lösung sein, die real existierenden Don Juans dieser Welt einfach beiseite zu schieben und totzuschweigen, diese frauenverachtenden Trumps und Bolsonaros und Salvinis der Politik, die Epsteins, Weinsteins, Wedels und ihre unzähligen, weniger medienbekannten Geistesverwandten in der eigenen Kulturbranche. Es hat einen Grund, warum die Geschichte, 1617 zum ersten Mal von Tirso de Molina in ein Stück gegossen, seither und bis heute zig Mal bearbeitet wurde. Don Juan und die Strukturen, die seine toxische Männlichkeit geschaffen hat, die haben beileibe noch keinen Schiffbruch erlitten.

 

Don Juan. Erschöpfte Männer
von Julia Haenni
Text und Regie: Julia Haenni, Dramaturgie, Vermittlung: Anouk Gyssler, Ausstattung: Kerstin Griesshaber, Musik: Dominik Blumer, Licht/Technik: Luca Schaffer, Produktion: Annette von Goumoëns, Tidenhub Produktionsbüro Luzern.
Mit: Dominik Blumer, Stephan Eberhard, Matthias Koch, Simon Labhart & Mirza Šakić.
Premiere am 12. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

In Kooperation mit: maenner.ch (Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen), Ernst – Das Gesellschaftsmagazin für den Mann

Koproduktion von Schlachthaus Theater Bern & Theater Tuchlaube Aarau

www.tuchlaube.ch
www.schlachthaus.ch

 

Im nachtkritik-Adventskalender 2018 sehen Sie Regisseurin und Autorin Julia Haenni in Bild und Ton.

 

Kritikenrundschau

"Julia Haennis Stück erzählt vom gesellschaftlichen Umbruch. Es wirbt für den neuen Mann, der die Welt nicht mehr wie eine Dampfwalze überrollen muss. (…) Auch wenn die Statements etwas plakativ daherkommen, tut es gut, sie in dieser Klarheit zu hören", schreibt Karl Wüst in der Aargauer Zeitung (13.2.2020). "Die Spielfreude verlieren Dominik Blumer & Co. während des 90-minütigen Stücks nie. Zunehmend hinterfragen sie Härte, Arbeitswut, Machtgelüste und zeigen: Männer können auch anders. Sie können zusammensitzen und mehrstimmig singen. Oder sie können bereit sein, weniger zu verdienen als Frauen, sie können putzen und kochen, und das sogar gern."

 

 

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