Ubu Rex - Berliner Ensemble
Gelblicht! Rotlicht! Getröte!
von Leopold Lippert
Berlin, 13. Februar 2020. Die Sause ist schon in vollem Gange, als die Zuschauer*innen ins Neue Haus des Berliner Ensembles geschleust werden. Ein Musikertrio spielt beherzt Jahrmarktmusik – Trompete, Schlagwerk, Klavier – , und das Ensemble stapft fuchtelnd und chipsmampfend durch eine Szenierie der häuslichen Verwahrlosung. Abgeranzte Möbelstücke, zerschlissene Blumenmustertapeten, Essensreste, leere Coladosen, Chips, Chipstüten, und noch mehr Chips. Die Outfits ausgewaschen, dreckbeschmiert, und – nach einem beißfreudigen "Sexspielchen" gleich zu Beginn – blutüberströmt.
Kleine Welt des Exzesses
"König Ubu", Alfred Jarrys groteskes Drama von 1896 um den mordenden Despoten Ubu, ist in der Neufassung des belgischen Theatermachers Stef Lernous, der im BE auch Regie führt, eine Art Unterschichts-Dokusoap – "Ubu Rex". Mit sichtbarer Freude am klassistischen Ekelspektakel werden Ma (Stefanie Reinsperger) und Pa (Tilo Nest) Ubu vorgeführt, ihre übergroßen (teils ausgestopften) Körper, ihre fettigen und zerzausten Haare, ihr Gerülpse, ihr Gespucke, ihr Geschrei, die obligatorische "Schreiße" ("merdre" in Jarrys Original), ihre kleinlichen Streitereien, und ihre schlechten Essensgewohnheiten (Chips und Blut-Burger mit fettem Speck).
In dieser kleinen Welt des Exzesses ist Ubu immer schon König, immer wieder lässt Tilo Nest sich – und hopp! – in seinen Hausmeisterthron plumpsen, ein alter Lederfauteuil, abgewetzt und nur noch mit Gaffertape zusammengehalten. Doch mit der Zeit findet der narzisstische Haustyrann seine Epigonen auch anderswo: "In Ubu We Trust" jubeln sie, und huldigen ihm: "Pa Ubu, meine Mauer, mein Kondom, mein Messias!" Im neuen Ubu-Imperium – und die Band macht böse Star Wars-Marschmusik dazu – würde man "befreit von den Problemen im Rest der Welt" leben, man müsse nur zuerst nur ein für alle Mal entscheiden – Achtung: grotesk überbordende Gesangseinlage! – "Wer darf bleiben, wer muss gehn" (Der Kritiker, der angeblich nach jedem Satz einen Kurzen säuft, darf eher nicht bleiben.)
In bester Trump-Manier
Kellner (Paul Zichner, lakonisch), Doktor (Owen Peter Read, erregt), und Gewissen (Cynthia Micas, dauergrinsend) beschwören als heuchelnde Politikberater nun allerlei Bedrohungsszenarien herbei, die der egomanische Ubu sogleich souverän lösen kann. Migration, Arbeit, Steuern, Fleischersatz – alles machbar in der großartigen neuen Welt. Klingt nach Trump? Ist auch so gemeint, denn Ubu wirft sich in Schale, dunkelblauer Anzug, die bekannte lange rote Krawatte, und dann startet er richtig durch: „Bei meinem Amtsschwur gab es mehr Zuschauer als Tote bei dem Tsunami letzte Woche!“ Und dann: Ausländische Staatschefs erschießen!, alles bombardieren!, nukleare Katastrophe!, Gelblicht!, Rotlicht!, Getröte!, Tschinderassabumm! Bleibt am Ende bloß die Eskapismusfantasie: ab nach Antarktika, das nun in bester Trump-Manier "Weißland" getauft wird. "Realität ist, was wir daraus machen!" Und Blut-Burger gibt's auch dort.
Man kann den sensorischen Overkill von Lernous‘ Inszenierung schnell ermüdend finden, vor allem, weil die ganze überbordende Körperlichkeit auf der Bühne nicht unbedingt auf Pointe oder Slapstick oder gar Einfühlung angelegt ist. Es zählt die bloße Überforderung – auch wenn die gewitzte neue Textfassung, der sehr heutig zwischen harmlosen Lifestyle-Eitelkeiten und gefährlich faschistoiden Handlungsanleitungen changiert, in gebrüllter und gesungener Form doch ein wenig untergeht.
Drolliger Inszenierungszirkus
Da ist es fast paradox, dass die klassisch-braven Monologe an der Rampe (jede Figur bekommt mehr oder weniger einen) schließlich am meisten im Gedächtnis haften bleiben: weil sie den Figuren Zeit geben, eine Idee zu entwickeln oder eine Geschichte zu erzählen, und weil das Stück hier zu Ubus ausgestelltem Führerkult und Alltagsfaschismus tatsächlich Position beziehen kann.
Und auch, weil so mancher Monolog durchaus als Metakommentar auf den drolligen Inszenierungszirkus funktioniert. Denn wie sagt das Gewissen an einer Stelle sehr gewissenhaft: "Moderne Menschen brauchen Spektakel. Und weil sie immer abgestumpfter werden brauchen sie immer größere Reize um ihr Bedürfnis nach Aufregung zu befriedigen."
Darauf noch ein Tschinderassabumm.
Ubu Rex
von Stef Lernous nach Alfred Jarry
Übersetzung: Rainer Kersten
Regie: Stef Lernous, Bühne: Sven van Kuijk, Kostüme: Elina Schnizler, Stef Lernous, Komposition: Jörg Gollasch, Licht: Arnaud Poumarat, Sven van Kuij, Dramaturgie: Johannes Nölting.
Mit: Cynthia Micas, Tilo Nest, Owen Peter Read, Stefanie Reinsperger, Paul Zichner.
Premiere am 13. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.berliner-ensemble.de
"Ein ehrgeiziger Abend, der dank der schmissigen Musik von Jörg Gollasch in seinen besten Nummern an Brecht-Weill’sche Moritaten-Travestien erinnert, aber leider auch über weite Strecken im abgehalfterten Trash und allzu pauschaler Gegenwartskritik stecken bleibt", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (15.2.2020).
"Da rackern sich die beiden BE-Stars wie im Deppen-Stadel ab als pervers machtgeiles Diktatoren-Duo, in dem ein kreischend gefährliches Spießer-Par wohl stecken mag. Doch mit gefährlich, mit Perversion und Machtgeilheit ist nicht viel. Es bleibt beim Kreischen, Kloppen, Saufen, Motzen, Chips-Tüten-Schmeißen", schreibt Reinhard Wengierek in der Morgenpost (15.2.2020). "Man suhlt sich (…) hundert lange Minuten so genüsslich wie harmlos in der Gosse. Die Monstrosität des verbrecherisch Bösen, die entsetzlich auf Vernichtung zielende Egomanie, das exzessiv Dämonische, Ungeheuerliche wird zugepappt mit Klamauk."
Es bleibe nicht viel mehr als ein schaler Nachgeschmack von dieser "aufgekratzten Aufführung", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (17.2.2020). "Dabei hat das Stück jede Neuinszenierung verdient." Stef Lernous, "offenbar ein Grobmotoriker seines Fachs", verlasse sich in seiner "rabiaten Bearbeitung" auf den nächstliegenden Einfall und setze auf "überdeutliches Kabarett". Das Ergebnis: eine "quälende zwei Stunden langer Abend".
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Stefanie Reinsperger ist die von der Lady Macbeth inspirierte Rolle der Ma Ubu eigentlich wie auf den Leib geschrieben, aber sie kann ihr Können zu selten zeigen. Ein kurzes Solo, in dem sie dem Mann, der nur eine Marionette für sie war, ein paar verächtliche Fußtritte verpasst und von dem Pakt mit dem Teufel schwärmt, gehört zu den wenigen Glanzlichtern des Abends.
Auch die zahlreichen Sprechgesang-Nummern der Spieler*innen zur Live-Musik von Lukas Fröhlich, Peer Neumann und Tilo Weber können nicht über die Längen und die fehlenden Einfälle dieses recht belanglosen Aufgusses einer Farce, die Ende des 19. Jahrhunderts aufregend neu war und für Skandale sorgte, hinwegtäuschen.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/02/14/ubu-rex-stef-lernous-berliner-ensemble-kritik/
Kompliment an alle BEteiligten. Beste Werner-Schwab-Manier.
Ich bin von der heutigen Gesellschaftssituation sowie von der internationalen und der lokalen Politik momentan restlos überfordert. Warum sollte das Theater nicht auch überfordern dürfen?