Mit Amüsement und Zugeneigtheit

von Shirin Sojitrawalla

Frankfurt, 21. Februar 2020. Es sind "goldene, schwüle Tage", von denen Eduard von Keyserling in seiner Erzählung "Am Südhang" berichtet. Die Hauptfigur Leutnant Karl Erdmann von West-Wallbaum kehrt darin für die Ferien auf das elterliche Gut zurück. Dort weilt auch die allseits angehimmelte Daniela von Bardow, eine geschiedene Frau, nach deren Zuneigung sich auch Karl Erdmann verzehrt. Die Erzählung begleitet die trägen Sommergäste durch ihren dekadenten Alltag, wobei es von Keyserling versteht, ihnen sachte ironisch nah zu kommen.

Die Welt der vorgeführten Gesellschaft

Eduard von Keyserling wird gern als "baltischer Fontane" etikettiert und erlebt seit Ende der 90er Jahre eine regelrechte Renaissance. Die Regisseurin Barbara Bürk, die schon von Keyserlings bekanntestes Werk, den Roman "Wellen", in Potsdam auf die Bühne brachte, bereitet jetzt mit ihrem bewährten Team auch "Am Südhang" musikalisch satirisch auf, ohne den Geist der Erzählung anzutasten. Heraus kommt ein Abend, an dem Albernheit groß geschrieben wird. Das beginnt damit, dass der fabelhafte Schauspieler Fridolin Sandmeyer als semi-schneidiger Karl Erdmann an der Rampe steht und Augen und Lippen zum Voiceover bewegt. Wer da nicht lacht, wird an diesem Abend nicht mehr froh.

Am Suedhang 1 560 RobertSchittko uSommerfrische, mild satirisch: Markus Reschtnefki, Eike Hackmann, Melanie Straub, Wolfgang Vogler © Robert Schittko

Im Buch stehen alle auf der Freitreppe, um Karl Erdmann zu empfangen. Auf der Bühne der Frankfurter Kammerspiele liegen ein paar Orientteppiche herum und hier und da gruppieren sich Stühle um Tische, wie sie auch im Festsaal eines Hotels stehen könnten. Weiße Vorhänge teilen den Raum in unterschiedliche Sphären. Ihre Transparenz erzählt auch von der Welt der vorgeführten Gesellschaft, die keine Geheimnisse wahrt. Das glitzernde Zentrum bildet Daniela von Bardow. Melanie Straub, die auch in "Wellen" die weibliche Hauptrolle spielte, gibt sie als zartes Gespensterwesen. Ein Glamour-Girl wie nicht von dieser Welt. Das Ensemble, darunter auch zwei Schauspielstudent*innen, ist gut in Form, auch wenn die Mehrfachbesetzungen nicht immer glücken.

Bebendes Innenleben in Bewegung

Barbara Bürks Stückfassung hält sich eng an die Dramaturgie der Erzählung. Sie löst direkte Reden und Dialoge heraus, anderes bleibt wie in der Erzählung stehen, so dass die Schauspieler*innen immer auch Sätze sagen, die bei von Keyserling einem auktorialen Erzähler gehören. Derart extrahiert, entfalten sie oft erst ihr komisches Potenzial. Manches tönt nun wie von Loriot ausgedacht. So wenn Dr. Ulich auf dem Weg zu einem Duell von Johannisbeeren zu schwafeln beginnt: "Ja, Johannisbeeren, wir haben sehr viele Johannisbeeren, da gibt es zu tun. Meine Frau macht sie für den Winter ein (...)". Die Komik ergibt sich auch daraus, dass sich Ausstattung, Musik und Choreographie mehr als einen Jux erlauben.

Am Suedhang 2 560 RobertSchittko uGesellschaftstanz von Glamour-Girl und semi-schneidigem Soldaten: Melanie Straub und Fridolin Sandmeyer mit Publikum © Robert Schittko

Besagte Hotelstühle müssen auch als Kutschen und Kähne herhalten, der Musiker Markus Reschtnefki spielt nicht nur Leo und Fräulein Undamm, sondern auch Live-Musik. Jazznummern, Popsongs, Chansons, Kunstlieder setzen amüsante Akzente. Oft sagenhaft komisch auch die Gesellschaftstänze und Solotanzeinlagen, die das Innenleben der Figuren bebend zur Schau stellen. So windet sich etwa Wolfgang Vogler als trauriger Gelehrter Aristides Dorn in einen exaltiert trotzigen Ausdruckstanz hinein. Must see!

Momentweise Verschattungen

Das Schöne an dem Abend ist, dass er sich nicht auf seine Komik verlässt, sondern immer wieder auch den tragischen Kern der Figuren hinter ihrer Lächerlichkeit entblößt. Selbst bei Michael Schütz, der als Ottomar von Lynck eine Witzfigur à la Toni Erdmann light hinlegt, blitzen seelische Verwundungen durch. So wie der Erzählung bei aller fein gesponnenen Ironie immer anzumerken ist, mit wie viel Empathie und Zugeneigtheit von Keyserling seinen Figuren begegnet, so verbirgt auch Barbara Bürk nicht, wie sehr sie diese mag. Das verhindert nicht, dass der Abend zwischendurch mal die Zügel schleifen lässt, dann wird's mau, bevor es wieder anzieht.

Ohnehin fällt der Abend in zwei Teile. Während im ersten die Heiterkeit groß ist, schiebt sich im zweiten das Thema Tod hinein. Zum einen in Form des Duells, das Karl Erdmann zu bestehen hat, und zum anderen durch den Selbstmord am Ende, den tragischen Schluss der Erzählung. Doch auch diese düsteren Ereignisse verschatten das "gute bekannte Leben" der Figuren nur momentweise. Sie haben es sich in ihrer Blase nämlich so gemütlich eingerichtet, dass sie wie auf einem impressionistischen Gemälde dahinleben können. Gestalten, wie wir sie auch aus Tschechow-Stücken kennen, in weiße Gewänder gewandet, auf Korbstühlen ihr Dasein fristend. Privilegierte Geschöpfe, die gern um sich selbst und ihr Innerstes kreiseln. Daneben kümmern sie sich am liebsten um ihre Vorlieben, ob den Garten, die Jagd, die Arbeit, das Essen oder den Wein. Und wir? Wir sind durchaus aufgefordert, uns ertappt zu fühlen.

 

Am Südhang
von Eduard von Keyserling
Für die Bühne bearbeitet von Barbara Bürk
Regie: Barbara Bürk, Ausstattung: Anke Grot, Musik: Markus Reschtnefki, Dramaturgie: Ursula Thinnes.

Mit: Melanie Straub, Fridolin Sandmeyer, Michael Schütz, Christina Geiße, Wolfgang Vogler, Eike Hackmann, Julia Pitsch, Markus Reschtnefki.
Premiere am 21. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

Kritikenrundschau

Es gebe "viel Huch und Hach und Och und Ach, dazu Spielchen mit der Fitness und Elastizität des Ensembles, mit flugsen Rollenwechseln, mit fidelen Lösungen für den Requisitenmangel", schreibt Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau (23.2.2020). Aber der Spaß überdecke nicht die Geschichte. "Erst glaubt man es kaum, dann merkt man, dass Bürk sich für diese Leute und diese Situationen tatsächlich interessiert. Sie führt sie nicht vor, selten vor. Sie zügelt die Exaltiertheiten, und hätte sie es noch mehr getan, wäre vielleicht ein Juwel daraus geworden."

Bürke haben aus der Erzählung mit einem bestens aufgelegten Acht-Personen-Ensemble einen so amüsanten Theaterabend gemacht, als wäre der Text nie anders als für die Bühne gedacht gewesen, schreibt Jens Frederiksen in der Allgemeinen Zeitung (24.02.2020). "Wunderbar leicht, das alles: eindreiviertel Stunden Eintauchen in eine Welt von argloser Selbstvergessenheit, in eine Welt freilich auch kurz vor dem Niedergang."

"Die Fallhöhe zwischen Ansprüchen, Sehnsüchten, Erwartungen und den tatsächlichen Ereignissen bringt die Komik hervor, dank derer 'Am Südhang' dem Publikum viel zu lachen gibt", schreibt Michael Hierholzer in der FAZ (24.2.2020). "Zwischen Realismus und Stilisierung herrscht eine perfekte Balance, und immer wieder entstehen makellose Bilder aus dem stets wieder zur Ordnung drängenden kleinadelig-großbürgerlichen Leben." Hierholzer schließt: "Es ist grotesk, albern, aber auch rührend. Was wohl schon Keyserling so sah. Und in Frankfurt nun auf nachgerade kongeniale, hochgradig unterhaltsame und kurzweilige Weise in Theater umgesetzt wurde."

Die "scheinbar relaxte Gemeinschaft" entpuppe sich in dieser Inszenierung als "schlimmes Paradies, das Domizil am See als schöne Hölle", schreibt Heribert Vogt in der Rhein-Neckar-Zeitung (24.2.2020). Dabei handele es sich jedoch "um den sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan, der in der Tiefe der Gesellschaft bereits rumort und demnächst ausbrechen wird". Michael Schütz' "vierschrötiger Clan-Chef" sei "eine Wucht", auch Eike Hackmann spiele den "sportiv-lässigen Botho" mit "beeindruckender Bühnenpräsenz". Dass diese "Lage vor knapp hundert Jahren" so "Einiges" mit unserer Gegenwart zu tun habe, das führe diese Inszenierung "so vital wie drastisch" vor Augen.

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