Herrschaft in der Hose

von Andrea Heinz

Wien, 22. Februar 2020. Soweit hat es das Burgtheater also schon gebracht, gut ein halbes Jahr, nachdem Martin Kušej übernommen hat: "Wer weiß, ob wir uns hier noch mal was anschauen", tönt da leicht herrenmenschig eine Stimme, noch bevor die Premiere überhaupt angefangen hat. "Das ist jetzt wirklich die allerletzte Chance." Nun ist das Theater natürlich kein Kind, und von schwarzer Pädagogik grundsätzlich abzuraten. Nur muss man leider sagen: Ein großer Wurf war die auf diese Drohung folgende Inszenierung von Sebastian Nübling wirklich nicht.

Frau als Feind

Dabei ist der Text durchaus vielversprechend.  Die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, die 1992 in "Over her Dead Body" analysierte, wie Männerphantasien von schönen, toten Frauen die Kulturgeschichte durchziehen, und die Bühnenbildnerin Muriel Gerstner haben in ihrer Bearbeitung und Neuübersetzung (Untertitel: "Ein Mash-Up") die beiden Venedig-Stücke Shakespeares, den "Kaufmann von Venedig" und "Othello" vereint. Das macht Sinn, schließlich zeigt sich die Gesellschaft von Venedig in beiden Stücken als eine in vielerlei Hinsicht sehr berechnende, nach den Prinzipien einer modernen Verwertungsgesellschaft funktionierende Ordnung, die sich durch den Ausschluss des "Anderen" stabilisiert. Also quasi: unsere Gesellschaft. Und man muss sofort an die Dialektik der Aufklärung denken, in der es heißt: "Die Erklärung des Hasses gegen das Weib als die schwächere an geistiger und körperlicher Macht, die an ihrer Stirn das Siegel der Herrschaft trägt, ist zugleich die des Judenhasses."

This is Venice 3 560 MatthiasHorn uGemischte Geschlechter, alte Feindbilder in Sebastian Nüblings Mash-Up "This is Venice" © Matthias Horn

Man kann aber auch einfach Zeitung lesen, zum Beispiel den Kommentar "Frau als Feind" in der SZ vom 15. Februar 2020, in dem es um "alte und neue Verbindungen von Frauenverachtung, Rassismus und Antisemitismus" geht. Dass und wie das alles zusammenhängt, darum geht es auch in "This is Venice".

Venedigs Next Top Intrigant*in

Was aber macht Sebastian Nübling in seiner Inszenierung, die in einem Interview mit Interview mit Bronfen im SWR als Uraufführung bezeichnet wurde, auf der Burgtheater-Homepage jedoch nur als Premiere? Das Bühnenbild wartet zunächst mit einer Mischung aus Leere und Glitzer auf, was ja schon mal ganz gut passt zu diesem verdorbenen Venedig. Lametta verhüllt kreisrund die Bühnenwände. Manchmal schirmt ein Lametta-Vorhang die Bühne auch zum Publikum hin ab, soweit Lametta halt abschirmen kann.

This is Venice 1 560 MatthiasHorn uGlitzer und Schlagstöcke in "This is Venice" © Matthias Horn

Nur ein Laufsteg geht quer über die Drehbühne, hier präsentieren sich zu Beginn die vierzehn Schauspieler*innen, als wären sie in irgendeiner TV-Show, Venedigs Next Top Intrigant*in oder sowas. Es alternieren nun Szenen aus dem "Kaufmann" und aus "Othello". Die Spieler*innen sind zumeist alle auf der Bühne, als Masse, die beobachtet, sich zum Tableau Vivant formiert oder, vor allem zu Beginn, in choreographierten Märschen um die Drehbühne zieht (Choreographie: Christine Gaigg). Es wird überhaupt recht viel gegangen, oft auch raschen Schrittes.

Schlagen und beschimpfen

Was eher wenig gemacht wird, ist: gespielt. Viel wird, oft unter Zuhilfenahme eines Mikrofons, von der Rampe ins Publikum gesprochen, gerne auch mal selbigem erklärt, was das hier soll, weil das Publikum das sonst vielleicht nicht versteht. So muss Markus Hering als Desdemonas Vater Brabantio erklären, dass er ein "weißer alter Mann" ist und außerdem Angst vor dem großen Austausch hat.

Wo er zeigen sollte, da redet dieser Abend zuviel. Kurz nimmt er Fahrt auf in den wenigen Momenten, in denen das Ensemble wirklich ins Spielen kommt, da gibt es durchaus präzise, konzentrierte Momente. Aber mit zunehmender Dauer wird der Abend unsauber und auf eine unpassende Art klamaukig. Der Humor, den der Text durchaus hat, kommt nicht wirklich raus, dafür führt die Inszenierung dazu, dass Frauen im Publikum lachen, wenn auf der Bühne Frauen geschlagen und beschimpft werden, was vermutlich nicht ganz das war, worauf Bronfen und Gerstner hinauswollten. Warum zwischendurch Witze erzählt werden, bleibt sowieso rätselhaft.

Viele Symbole der Macht

Klug sind die Kostüme (Pascale Martin), die mit männlichen und weiblichen Elementen spielen, mit Symbolen von Macht und Schwäche, denn darum geht es ja, bei Shakespeare und in dieser Bearbeitung erst recht: Um das Geschlecht, das Haben oder Nicht-Haben, das "Siegel der Herrschaft auf der Stirn" (oder in der Hose). Die Schauspieler*innen wiederum, und das ist wirklich bedauerlich, kommen kaum zum Spielen und deshalb auch selten dazu, zu zeigen, was sie eigentlich können.

"Die Schauspieler*innen können nichts dafür", ist ja fast schon ein Stehsatz in Kritiken und man ist es leid, das zu lesen, leid, das zu schreiben. Aber was soll man anderes sagen, das Ensemble kann nichts dafür, dass dieser Abend ein schales Gefühl hinterlässt. Weil man sieht, dass da mehr möglich gewesen wäre, am Ende aber doch so vieles beliebig bleibt.

This is Venice (Othello & Der Kaufmann von Venedig)
von Shakespeare in einer Bearbeitung und Neuübersetzung von Elisabeth Bronfen und Muriel Gerstner
Regie: Sebastian Nübling, Bühne: Muriel Gerstner, Kostüme: Pascale Martin, Musik: Lars Wittershagen, Choreographie: Christine Gaigg, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Tobias Herzberg, Alexander Kerlin.
Mit: Maresi Riegner, Bardo Böhlefeld, Rainer Galke, Sylvie Rohrer, Markus Hering, Roland Koch, Marie-Luise Stockinger, Norman Hacker, Mehmet Ateşçi, Gunther Eckes, Stefanie Dvorak, Dietmar König, Stacyian Jackson, Itay Tiran.
Premiere am 22. Februar 2020
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Hektisch und pointenlos fand Ronald Pohl vom Standard (23.2.2020) die Inszenierung. "Eine vor Einfallslosigkeit sprühende Stadttheateraufführung schießt mit Papierschlangen auf Shakespeares venezianisches Doppel. Sie stochert im Nebel der Lagunenstadt betriebslustig herum. Sie macht sich mit Schauspielerinnen, die wie in Babylon durcheinanderplappern, eine bleierne Zeit."


"Zu verkopft bleibt letztlich dieses dramaturgische Unterfangen einer Zusammenführung", findet Martin Thomas Pesl im Deutschlandfunk Kultur (22.2.2020). In der "neuen, der poetischen Sprache der alten Shakespeare-Übersetzungen entledigten Textfassung" sollen vor allem "die Frauenfiguren gestärkt werden" – das komme "angesichts des Shakespeareschen Handlungskorsetts aber nicht immer sehr weit". Auch die Schauspieler*innen lasse Regisseur Sebastian Nübling "nach dem dichten Beginn alle einzeln nach ihrer Façon agieren". Am Ende stehe "statt zweier Shakespeare-Stücke ein sehr, sehr langes".


"Der Aufführung fehlt, vor allem im ersten Teil, Dichte und Atmosphäre", meint Barbara Petsch in der Die Presse (23.2.2020). Roland Koch se "eine Fehlbesetzung für den Othello, weder ein Lover noch ein General", auch andere im Ensemble wirkten an diesem Abend mitunter "glanzlos und angestrengt". Zwar zeige sich "durchaus die Gestaltungskraft eines Regisseurs in kleinen Dingen wie dem boulevardesken Slapstick", insgesamt aber wirke "diese Inszenierung zerfahren, kaum je entfaltet sich eine faszinierende Aura, weil dauernd die Kommunikation unterbrochen wird".

"Sowohl der Jude als auch der Schwarze werden von der rassistischen venezianischen Gesellschaft nur so lange geduldet, wie beide ihr nützlich sind": Als Gesellschaftsdrama liest Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (27.2.2020) den Texthybrid. Meist sei das gesamte, 14-köpfige Ensemble auf der Bühne anwesend, denn "This is Venice" sei "eine einzige „Massenszene": In fließenden Bewegungen lösten sich einzelne Schauspieler aus der Gruppe heraus, um ihre berühmten Szenen zu spielen, "die Hauptsache aber bleibt das Ganze, die Gesellschaft", so Kralicek. Immer wieder gebe es "schön gespielte Szenen", die aber nicht so recht zur Geltung kämen, denn "das kühn und konzis gedachte Konzept scheitert an den Mühen der Ebene" – wohin mit Desdemonas Taschentuch? Die Kombination zweier starker Stücke ergebe "nicht etwa besonders starken Stoff, im Gegenteil, die Komponenten neutralisieren einander eher".

Kommentare  
This is Venice, Wien: Emanzipation?
Erstaunt war ich über das „Finale“: der lange, eher (oft) spannungsarme Schluss von „Kaufmann“ mit der Ring-Geschichte wird hier umgeändert. Portia nimmt den verschenkten und nun nicht mehr präsenten Ring zum Anlass, die (bevorstehende) Ehe, die durch den väterlichen Willen im Lotterieverfahren, also ausdrücklich ohne den Willen von Portia zustandekommen soll, zu annullieren. Eine Tat der Emanzipation und anders als im Original! Nur, dass diese Portia zuvor eindeutig ein aktiver Teil der antisemitischen Gerichtsfarce gegen Shylock war. Was bedeutet das? Eine antisemitische selbstbewusste, sich emanzipierende Frau of Color? Oder nur ein Ideenkurzschluss der Regie und Bearbeitung?
Ansonsten: nichts Aufregendes auf dem Rialto.
This is Venice, Wien: nicht ganz
Liebe*r Himmlische Marotten!
Ich glaube, da haben Sie nicht ganz richtig hingehört. Portia sagt am Ende nur, Bassanios Fehlverhalten ermögliche ihr die Auflösung der Ehe. Es bleibt aber offen, ob sie diese Möglichkeit annimmt. Meinem Verständnis zufolge also keine eindeutige Abänderung des Schlusses.
This is Venice, Wien: Of Color!
Of Color??? Was soll das denn schon wieder heißen?
Und was hat Emanzipation mit Gutmenschentum zu tun?
Theater bildet die Welt ab. Spiegelt diese wieder...
Oh Mann ... immer diese dummen Äußerungen !
This is Venice, Wien: Anders gesehen
Doch doch lieber Herr Pesl, ich glaub nicht, dass bei Portia nach Worten keine Taten folgen werden. Die Regie macht durch das finale Tableau auch deutlich (ein wenig hinten), wo dass Herz des Bräutigams hängt ... aber natürlich auch gut, dass Sie es anders sehen :=))
This is Venice, Wien: Warum?
... und noch etwas!
es wird dauernd von Diversität geredet!
Warum muss es immer und immer wieder thematisiert werden, anstatt es einfach zu tolerieren und anzunehmen.
„ Of Color“ ! warum muss das schon wieder geschrieben werden?
This is Venice, Wien: Intelligent
Ich fand das gar nicht verkopft, sondern fand diese Fassung sehr intelligent. Die Inszenierung tut sich schwer, aber da wurde was gesucht, versucht und als ebensolcher Versuch, fand ich das durchaus anregend.
This is Venice, Wien: unweigerlich
Die Shakespeare-Mischkulanz an der Burg, Pardon, am Burgtheater hat für mich einen, wenn auch ungewollten Nebeneffekt, sie ruft unweigerlich zwei grandiose Aufführung in der Erinnerung zurück: George Taboris OTHELLO-Inszenierung (mit Gert Voss und Ignaz Kirchner) und Peter Zadeks KAUFMANN VON VENEDIG ( auch mit Voss und Kirchner) - jede Aufführung für sich ein Ereignis und von größter Gegenwärtigkeit!
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