Hier spricht Edgar Wallace

von Andrea Heinz

Wien, 2. März 2020. Dass die digitale Welt ein Hort der Gefahren ist, das muss man eigentlich niemandem mehr sagen. Wobei letztlich der Mensch sich (wie eh immer) selbst die größte Gefahr ist, wenn er, nur als Beispiel, in seinem Spieltrieb und seiner Geltungssucht nichts dabei findet, auf Demonstrationen wild herumzufotografieren und das in alle Welt zu posten, weil: Was einmal eine Demokratie ist, wird nie mehr zu einem autokratischen Staat werden, das lehrt schließlich die Geschichte.

Um die Gefahren der digitalen Welt jedenfalls, aber auch um Menschen, die sich sehr wohl wieder etwas mehr Autokratie in ihrem Leben wünschen, darum geht es in Ulrike Syhas "Der öffentliche Raum", das mit dem Hamburger Literaturpreis 2019 ausgezeichnet und nun im Wiener Theater Drachengasse uraufgeführt wurde.

Nächtliches Abreagieren

Syhas Text ist eine aus den Schlagworten der Spätmoderne zusammen gezimmerte Dystopie: Überwachung und Fridays for Future, Bot und Troll, Sicherheit, Hacker, Blase. Es geht um eine Frau, die sich nachts in Internetforen herumtreibt und dort mit ihrer "anarchistischen" Meinung provoziert. Sie isst kein Fleisch, lernt Schwedisch und kümmert sich beruflich um transkulturelle Kommunikation, wird also recht eindeutig als einem bestimmten Milieu zugehörig markiert. Und sie ist frustriert, weshalb sie sich, siehe oben, in den digitalen Weiten entspannt, sprich: abreagiert.

Ihr Mann ist Anwalt und nicht nur karrieregeil, sondern auch ein wenig tölpelhaft, weshalb er, statt in der Führungsebene, unabsichtlich in einem rechtskonservativen Elitezirkel landet. Dann gibt es noch seine Tochter, die abwechselnd und manchmal auch gleichzeitig demonstriert und pubertiert, Angestellte einer Sicherheitsfirma, allerlei zwielichtige Figuren und den sogenannten The Darkest Night, der ein Bot ist.

DeroeffentlicheRaum1 560 Andreas FriessAuf Katzenvideos stößt die Frau auch, die sich in "Der öffentliche Raum" am Theater Drachengasse nachts im Internet abreagiert © Andreas Friess

Es ist alles schrecklich eindeutig und plakativ in diesem Text. Man fühlt sich fast ein wenig wie in einem schlechten Tatort, wenn öffentlich-rechtliche Redakteur*innen den Leuten wieder einmal erklären wollen, dass da draußen eine böse Welt lauert, vor der man sich in Acht nehmen muss – man aber trotzdem beruhigt schlafen gehen kann, weil wir ja drinnen sind, und die böse Welt draußen ist und außerdem von einer Schablonenhaftigkeit, dass das nun wirklich nicht wahr sein kann.

Gesellschaft mit Fronten

Ein bisschen stellt sich dieses Gefühl auch bei Sandra Schüddekopfs Inszenierung in Wien ein. Auch hier setzt man auf Eindeutigkeit und Deutlichkeit, was dem Abend nicht unbedingt zuträglich ist. Weil die Gesellschaft (Achtung!) gespalten ist, ist sowohl der Zuschauerraum als auch die Bühne geteilt. Jede Hälfte des Publikums sieht jeweils nur einen Teil des Abends. Dass das Premierenpublikum sich wahrscheinlich tendenziell recht einig in seinen Meinungen und Einstellungen sein dürfte (Achtung: Blase!) und absichtliche Trennung eine gespaltene Gesellschaft auch nicht wieder eint? Egal.

DeroeffentlicheRaum2 560 Andreas FriessSpielzeug-Hummerhände und andere Mittel der analogen Welt: "Der öffentliche Raum" © Andreas Friess

Weil das Publikum zwar jeweils nur eine Hälfte sieht, aber alles hören soll, wird ausnehmend laut gesprochen. Während man in anderen Theatern oft froh ist, wenn man die Spieler*innen überhaupt versteht, fühlt man sich hier bisweilen fast ein wenig angebrüllt. Daneben hat die Teilung der Bühne den vermutlich unerwünschten Nebeneffekt, dass der Text, wenn er gerade auf der anderen Bühnenseite gesprochen wird, ein wenig in den Hintergrund gerät.

In Tatort-Stimmung

Weil auf der eigenen Hälfte zum Beispiel, kein Scherz, ein Katzenvideo gezeigt wird. An den bereits erwähnten Tatort erinnern die "Auftritte" des Darkest Night, der hier in Form von mit einer virtuellen Schreibmaschine an die Wand getippten Erpresserbriefbuchstaben und verzerrter Stimme erscheint, die manchmal klingt, als würde sie gleich "Hallo, hier spricht Edgar Wallace" sagen – oder eben dem Entführer im Tatort gehören. Das Internet, so pittoresk, wie es hier auftritt, mit Avataren, Bildschirmschoner-Ornamenten und Code-Reihen, wirkt nicht wirklich bedrohlich, eher erinnert man sich fast schon wehmütig an die Neunzigerjahre und daran, dass es früher mal Disketten gab.

Es gibt durchaus ein paar gute Momente, wenn die Schauspieler*innen (Zeynep Buyraç, Thomas Kamper, Ylva Maj, Sebastian Thiers, Alexandra Maria Timmel) miteinander ins Spielen kommen. Das passiert allerdings eher selten, meistens wird ins Publikum und über- statt miteinander gesprochen.

Bunt illustrierte Entfremdung

Überhaupt wird da so heftig Entfremdung illustriert, am Ende auch noch mit Unmengen an Bühnennebel, dass man eines der Probleme der Digitalisierung nur reproduziert, statt es zu analysieren: Die Entsinnlichung, die dazu führt, dass Menschen anderen im Internet die wildesten Beleidigungen an den Kopf werfen. Oder man sich im Theater überhaupt nicht mehr berührt oder betroffen fühlt. Man merkt, dass der Abend gut gemeint ist. Aber er ist so didaktisch und darum bemüht, zu erklären, dass er vergisst, es auch spüren zu lassen.

Der öffentliche Raum
von Ulrike Syha
Uraufführung
Regie: Sandra Schüddekopf, Bühne und Kostüme: Andrea Fischer, Video: Nela-Valentina Pichl, Musik, Technik, Sounddesign: Rupert Derschmidt.
Mit: Zeynep Buyraç, Thomas Kamper, Ylva Maj, Sebastian Thiers, Alexandra Maria Timmel.
Premiere am 2. März 2020
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.drachengasse.at

 

Kritikenrundschau

"Das häusliche Drama ist schlicht inszeniert, bedrohlich wirkt das Negativ-Szenario nicht, obwohl das fünfköpfige Ensemble konzentriert und engagiert spielt", schreibt Norbert Mayer in Die Presse (6.3.2020). "Dem Text fehlt ein wenig Schärfe, es mangelt an starken Überraschungen. (…) Gut gemacht, aber nicht mit letzter Konsequenz."

 

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