"Operette" von Gombrowicz/Drücker, Regie: Philipp Rosendahl

4. April 2020. Weil die Theater nicht mehr spielen können, stellt nachtkritik.de einen digitalen Spielplan aus Mitschnitten von Inszenierungen zusammen: Vom 4. April 18 Uhr bis 5. April 18 Uhr zeigen wir das Musiktheaterstück "Operette", das am 19. Janur 2019 am Staatstheater Kassel Premiere hatte. Philipp Rosendahl hat Thorsten Drückers Vertonung des Stücks von Witold Gombrowicz aus dem Jahr 1966 inszeniert – als Trap-Rock-Pop-Oper mit opulenten Kostümen.

20 NAC Stream Operette 2x1

Zum Stück auf der Seite des Staatstheaters Kassel:

»Offenbach, biatch, I love you«, hätte Witold Gombrowicz sagen können. Hat er aber nicht. Stattdessen komponierte er eine Operette mit dem Titel »Operette«, genauer: er lieferte eine Partitur aus Worten, die nach Operette klingen. Denn er liebte die Operette an sich, als die Feier der Schönheit idiotischer Symbole; nirgends sei der Mensch, das eitle Vieh, so sehr bei sich wie in einer Operette. Als er das hier mitten in die Revolten der 1960er Jahre dichtete, hatte sich die klassische Operette irgendwie erledigt: womöglich hatte der Faschismus und seine fatale Kombination aus Gewalt, Schönheit und Idiotie sie einfach überflüssig gemacht. Heute aber, im Zeitalter von instagram-influencer-superstar-blingbling: haben wir die Operette totalitär nötig. Heute, wo sich alles der Diktatur der Mode unterwirft und unser großes Projekt lautet, glücklich und schön und perfekt zu sein, und sei es für die Länge einer erigierten Selfie-Stange: Biatches, it's operette, it's porn!

Thorsten Drückers Vertonung der Gombrowicz’schen Texte erschien unter dem Titel OPERETTE PT.1 (Music for Theatre No. 4) auch als Album und stieg auf Platz 85 der internationalen iTunes Hip HopCharts ein. Die Musik zum Stück ist sowohl auf iTunes als auch auf Spotify verfügbar. Drückers Komposition ist ein Gewaltritt durch die Höhen und Tiefen von HipHop (Trap), Rock, Pop, um den Abergombrowitz der Worte glänzen und klingen zu lassen – den Sound von Schloß Himalaj, dem wagnerschen Leitmotiv der »Stühlchen des Lord Blotton«, dem geschmeidigen Rap des Grafen Charme, der dem Albertinchen an die Wäsche will (wortwörtlich, denn hier gilt es als geil, sich anzuziehen, nicht, sich auszuziehen). Dieses Albertinchen aber, erst kaum mehr als eine Schaufensterpuppe für männliche Modefantasien, mutiert durch einen Unfall, durch eine seltsame unmittelbare Berührung eines Spitzbuben: die in dieser ganzen idiotischen, feinen, aufgemotzten Symbolwelt ihr etwas ganz Sensationelles schenkt – ein Gefühl von Körper. Und dieses Gefühl schwillt auf zu einem Sturm, der wie eine ökologische Katastrophe von nuklearem Ausmaß sie alle wegreißen wird: die Grafen, Prinzen, Generäle, kotzenden Professoren, Revoluzzer, Nazischergen – und was bleibt ist einzig dies... Nacktheit...

 

Am 4. April steht der Regisseur Philipp Rosendahl im Insta-Live auf dem Kanal des Staatstheaters Kassel zum virtuellen Publikumsgespräch bereit.

 

Operette
Text: Witold Gombrowicz, Musik: Thorsten Drücker
Inszenierung: Philipp Rosendahl, Musik: Thorsten Drücker, Bühne: Daniel Roskamp, Kostüme: Brigitte Schima, Choreografie: Volker Michl, Licht: Oskar Bosman, Dramaturgie: Thomaspeter Goergen, Video: Oskar Bosman, David Worm.
Mit: Maestro Fior: Bernd Hölscher, Graf Charme Himalaj: Caroline Dietrich, Baron Firoulett: Konstantin Marsch, Prinz Himalaj: Hagen Bähr, Prinzessin Himalaj: Alexandra Lukas, Graf Hufnagel: Lukas Umlauft, Professor: Philipp Basener, Bankier: Christina Weiser, General: Marius Bistritzky, Probst: Aljoscha Langel, Marquise: Elena Bohn, Albertinchen: Meret Engelhardt, Spitzbube 1: Güney Korkmaz, Spitzbube 2: Aaron Herold, Adalbert: Stephan Schäfer, Rigobert: Tim Czerwonatis, Konstantin: Emma Töppler, Gustav: Clara Neher, Max: Mira Meske.
Premiere am 19. Januar 2019
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.staatstheater-kassel.de

 

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