Klüngeln für eine bessere Welt!

von Felizitas Stilleke

15. April 2020. Ich bin ursprünglich mal eingeladen worden, um über die Zukunft von Festivals zu sprechen. Weil ich Kuratorin bin, nehme ich an. Und was ich jetzt sage, könnte meine Zukunft als Kuratorin im Feld der Freien Darstellenden Künste sofort beenden. Noch schlimmer, was ich jetzt sage, kann und wird gegen mich verwendet werden - vor allem jetzt, wo es im virtuellen Raum gebannt ist für eine undefinierte Ewigkeit.

Egal, ich sage es jetzt einfach, weil es die – oder zumindest meine – Wahrheit ist und diese Wahrheit für mich auch die Zukunft von Festivals und Kuratieren in der heutigen Zeit bedeutet: ICH KURATIERE EINZIG UND ALLEIN MEINE FREUNDE! (und benutze das Wort und seine Bedeutung hier universell). Die Arbeiten, die ich einlade, sind das Werk meiner Freunde. Alle von mir eingeladenen KünstlerInnen, sind meine Freunde. Alle meine kuratorischen Entscheidungen basieren auf Freundschaft. Alle und ausschließlich. Immer. Ausnahmslos.

Ich wiederhole: ICH KURATIERE EINZIG UND ALLEIN MEINE FREUNDE!
Nicht weil ich sie schätze oder die Arbeiten einem Zeitgeist entsprechen.
Nicht weil ich häufig ihre Namen höre oder sie auf jeder Gästeliste stehen.
Nicht weil ich sie verehre und ein Selfie mit ihnen machen möchte.
Nein, ich lade sie ein, weil sie meine Freunde sind.
Ich arbeite mit ihnen, weil sie meine Freunde sind.

Zeit-Genoss*innen im Vertrauen

Ich kuratiere einzig und allein meine Freunde. Weil es meine Freunde sind.
Weil ich sie schätze und ihre Arbeiten unser Hier & Jetzt reflektieren und sie in diesem Sinne "Zeit-Genoss*innen" sind.

Weil ich häufig ihre Namen sage und sie bei keinem Schritt fehlen dürfen.
Weil ich sie liebe und mich an den Selfies immer wieder Unserer vergewissere.
Weil sie durch die Arbeit meine Freunde werden und nicht schon seit Kindertagen sind.

Eigentlich ist es ganz einfach: ich arbeite nur mit Menschen zusammen, mit denen ich mich auch mal in einer Kneipe hemmungslos betrinken kann oder die mir ohne mit der Wimper zu zucken Geld leihen würden oder Selbiges unhinterfragt von mir annehmen könnten. Die bereit sind vor mir eine Maske fallen zu lassen und die es vertragenkönnen, wenn auch mir mal was verrutscht in der gerahmten Konversation. Wenn Vertrauen die Szenerie bestimmt und die Verwertungslogik unseres Kunstmarktes zumindest mal für eine Zeit auf Flugmodus geschaltet wird.

Freundschaft ist freiwillig

Damit ihr mich richtig versteht. Es geht nicht um Peinlichkeiten, ein anderes Wort für Abhängigkeitsverhältnisse oder sich voreinander entblößen zu müssen, aber es geht um Bedingungslosigkeiten, die nur der private Raum der Freundschaft zulässt. Wie sollte ich mich mit meiner Arbeit als Kuratorin sonst vor die Welt stellen und sagen können "diese und jene Arbeit müsst ihr sehen", "diesen Menschen Gehör und eure Zeit schenken", "euch auf das Spiel mit dieser Gruppe einlassen" oder "vertraut mir, ich hab da was für euch", wenn ich nicht weiß, ob vielleicht die Angepriesenen anschließend die Zeche prellen, das Hotelzimmer verwüsten, hinter meinem Rücken schlecht über mich reden oder gar nicht wissen, was ich mir für diese Anpreisung noch werde anhören müssen?

Stilleke Hauptsache onlineFelizitas Stilleke beim Eröffnungsvortrag des Festivals "Hauptsache frei!", das Anfang April online stattfand

In meinen Augen können wir das Schreckensbild eines "monopolistischen Machtkurators als Gatekeeper“ nur überwinden, wenn wir das System der Freundschaft allumfassend einführen. Sie garantiert die Augenhöhe und das Vertrauen, was die Kuration stark macht in dem, wofür wir sie eigentlich mal hinzugefügt haben: Sich Kümmern, füreinander da sein, Verbindungen schaffen. Freundschaften, wie ich sie meine, haben kein Machtgefälle, und wenn es mal asymmetrisch wird, dann gibt es ein gemeinsames Sprechen darüber und eine zeitliche Beschränkung oder ein Aushelfen. Freundschaft ist freiwillig. In Freundschaften, wie ich sie meine, reichen wenige Worte, Blicke oder auch nur eine Geste, und Welten sehen schon wieder ganz anders aus. Freundschaftliche Macht ist eine gute Macht.

Im gleichen Fahrstuhl

Ich meine das ernst! Die britische Philosophin und Feministin Nina Power hat mal gesagt, dass sie mit niemandem einen Vertrag schließen würde, von dem sie sich nicht vorstellen könnte gemeinsam im Fahrstuhl eingeschlossen zu sein. Das ist das etwas diplomatischere Bild, will aber so ziemlich auf das Gleiche hinaus: wir müssen Vertrauen und Freundschaft zur offensichtlichen Grundlage allen zwischenmenschlichen Handelns machen und somit als einzige Bedingung für das kuratorische Prinzip erheben.

Sonst sind wir verloren, an die Aasgeier des Betriebs, an die Diktatur des Verstands, an die Seelenlosigkeit der Systeme. Naja, zumindest bin ich davon überzeugt und würde mich freuen, wenn sich noch ein paar mehr um mich herum outen würden, dass sie dem Gefühl der Freundschaft mehr vertrauen als einer vermeintlichen objektiven Auswahlmatrix.

Freundschaften entstehen organisch

Und, damit das klar ist. Anders herum funktioniert es nicht. Freundschaften kann man nämlich, Gott sei Dank, nicht erzwingen. Du kriegst meine Freundschaft nicht, weil du zu meinem Festival eingeladen werden willst. Du darfst nicht mit mir ins Bett steigen, um dich am nächsten Tag räudig mit einer Nominierung aus dem Zimmer schleichen zu wollen, weil das auch meine Gefühle verletzt und damit keine Basis für irgendwas ist.

Freundschaften entstehen organisch, natürlich, wie von selbst und fühlen sich nur bei Facebook nach Fake an. In meiner Freundschaft bin ich unbestechlich und dadurch autonom – und auch ich geh da häufig leer aus, weil es eben von beiden Seiten aufkommen muss. Freundschaft greift auf Ressourcen und Antennen meiner Wahrnehmung zurück, die sich einer objektiven Diskursbetrachtung entziehen. Ich schaue mir Arbeiten an und spreche mit KünstlerInnen aus der Perspektive einer potentiellen Freund*in. Mit dem Blick der Kamerad*in und dem Ohr der Kumpanei. Als mögliche Vertraute.

Intersektionaler Feminismus

Und ich kann an dieser Stelle das Gendersternchen gar nicht deutlich genug aussprechen. Dieser Freundschaftsbegriff, den ich mir hier zurechtgebastelt habe, mit meinen Freunden, ist klar ein Bekenntnis zum intersektionalen Feminismus. Seht ihr darin nicht auch ist ein Zeichen gegen den Boys Club, den Gentlemen‘s Room und den patriarchalen Paternalismus, wenn wir uns als Vertraute auf Augenhöhe begegnen und in unseren Kollaborationen bedingungslos teilen? Natürlich macht das auch vielen Angst, zurecht! Wenn wir historische Tabus brechen und Freundschaften zwischen den Geschlechtern, Klassen und sonstigen marginalisierten Zonen hinweg knüpfen und offen preisen, dann rüttelt das ganz schön am System, zurecht! Nehmt euch in Acht, hier kommen (fünf) Freunde, die Enid Blyton noch nicht zu denken in der Lage war.

Hauptsache frei 560Treffen im Digitalen: "Hauptsache frei!" oder besser "Hauptsache online!" © Imke Lass

Und ich weiß, ihr denkt jetzt, dass ich ein Hippie bin und mir die Welt kunterbunt wie sie mir gefällt anmale. Und ja, das mache ich auch. Das ist mein gutes Recht. Aber natürlich weiß ich, dass das System so ist, wie es ist, und auch ich möchte am Ende was zusammen machen und relevant sein. Es geht auch mir um Sichtbarkeit. Aber vielleicht für andere Dinge als nur den Markt und den Austausch von Visitenkarten. Aber, um Sichtbarkeit zu erlangen und diese Perspektive spürbar zu machen, dafür braucht es Festivals wie diese. Wo wir zusammenkommen und unser Schaffen kritisch befragen.

Das Private ist das Politischste

Nochmal: ich spreche von meiner richtig echten und professionellen Arbeit als Kuratorin. Die Grundlage dieses Schaffens ist Freundschaft. So wie sie funktioniert – und es gibt ja viele Arten von Freundschaft und Bekanntschaft und Vertrauensverhältnis – so funktioniert auch meine Arbeit als Kuratorin. Das Private ist das Politischste, das ich habe, und das widme ich meinen Freunden. Und umgekehrt: meine politischen Entscheidungen werden von meinem privaten Umfeld getragen und unterstützt.

Und natürlich hat das objektive Abwägen und faktenbasierte Kuratieren auch seine Berechtigung und ist sicherlich immer eine Spur erfolgreicher als meine. Aber ich sage Euch, baut auf Freundschaften und die Nummer hält ewig. Wenn Du Freundschaft zur Grundlage deiner politischen Agenda machst oder zumindest auf ihr deine Kollaborationsanliegen aufbaust, dann gilt die Regel der geteilten Verantwortung – und mit der kannst du bis zum Mars fliegen und zurück.

Davon bin ich fest überzeugt. Und wenn ich daran glaube, dann geht es auch in Erfüllung. Bei jeder Zusammenkunft, bei jeder Veranstaltung, bei jedem kuratierten Moment, wird es ein Stückchen wahrer. Also, liebes Hauptsache ONLINE, eigentlich war es nie so wichtig und richtig wie heute, das zu sagen, was man eigentlich immer schon mal laut sagen wollte:

Ich glaube fest an
Chosen Family!
Wahlverwandschaften!
Die Gang, die Hood, den Kiez, das Veedel, den Block!

Kommt schon, wir glauben an
Sisterhood!
Solidarity!
An Lasst uns Freunde bleiben!
An die wahre Liebe!
Thekenkumpanei!
Die Stammkneipe!

Let us believe in das klingt nach dem Beginn einer wunderbaren Freundschaft!
Let us believe in the power of people!
Let us believe in power to the people!
In deine Freunde sind auch meine Freunde!
In die GUTEN Freunde!
In bei Geld hört die Freundschaft auf!
Lasst uns an das Wasser, das so dick ist wie Blut glauben!
An die Bedinungslosigkeit der Liebe!
An Freundschaften, die keine Klassen, Geschlechter oder sonstigen Zuschreibungen
kennt.
An Intersektionalität aus Freundschaft!
An Zusammen sind wir weniger allein!
An Klüngeln für eine bessere Welt!
An die Diversität unserer Freundschaft!
Let us believe in weareinthistogether!
In wir lassen auf dieser Mission niemanden zurück!
Let us believe in Freundschaft – ganz einfach!
Vielen Dank*


Der Text ist die (gekürzte) Verschriftlichung des Eröffnungsvortrags, den Felizitas Stilleke beim Hamburger Festival "Hauptsache frei!" gehalten hat, das aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Jahr unter dem Titel "Hauptsache Online" ins Netz verlagert war.

felizitas stilleke 140 niklas vogt uFelizitas Stilleke ist freie Dramaturgin und Kuratorin. Sie leitet Konferenzen, wie zuletzt den Branchentreff 2019, das Bundesforum 2017 oder den RATSCHLAG DER VIELEN 2019, und übernimmt Festivaldramaturgien (Berliner Theatertreffen 2018, Impulse Theaterfestivals 2017 (unter Florian Malzacher) oder gemeinsam mit Johanna Yasirra Kluhs das Theaterfestival FAVORITEN 2014) und ist als Produktionsdramaturgin in NRW und Berlin unterwegs. Stilleke war in 2018 und 2019 für die Nachwuchsplattform "Introducing... beim Performing Arts Festival verantwortlich und ist Kuratoriumsmitglied beim Fonds DaKu sowie der Kunststiftung NRW. Sie absolvierte ihren Bachelor der Germanistik/Erziehungswisschenschaften in Bochum sowie einen Master in Kulturpoetik an der Wilhelms-Universität in Münster. 2018/19 studierte sie im Rahmen des internationalen Masterstudiums bei DAS theatre in Amsterdam "Expanded Curation".

 

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Kommentare  
Kurator & Freund: Missverstanden
Klingt schwer nach Nepotismus. Sie sollte ich eher an das Fahrstuhlmodell halten. Das hat sie wie mir scheint grundlegend missverstanden.
Kurator & Freund: Ausgrenzend
"Die Gang, die Hood, den Kiez, das Veedel, den Block" - das sind ausgrenzende Prinzipien: die aus dem anderen Block müssen leider draußen bleiben. Diesen selbst exklusiv kuratierten Klub von "Freunden" intersektional zu bezeichnen passt einfach nicht.
Kurator & Freund: Harakiri
Eigentlich ist das doch schon längst bekannt, das es so ist, wie es ist. Das hier so öffentlich zu machen, ist schon irgendwie mutig, so ei Harakiri. Besser kann man die subjektive Blase, in der sich viele im Theater befinden, gar nicht definieren. Von daher gebührt dieser Kuratorin Dank.

Nur vereinbar mit einer städtischen Einrichtung ist das natürlich nicht. Aber eben gängige Praxis.
Kurator & Freund: ironisch?
Ist dieser Text ironisch gemeint? Wird mir nicht ganz klar.

Als Impuls finde ich diesen Text ganz witzig, auch anregend. Aber natürlich völlig falsch, was Impulse ja auch sein dürfen, damit sie anregend sind.

In dieser Szene weiß ich leider manchmal gar nicht mehr, ob nicht das, was ich als selbstverständlich witzig, aber falsch ansehe, von anderen als ernsthaft und richtig wahrgenommen wird...
Kurator & Freund: Fonds Daku
Aha. Da kann man sich ja jetzt mal gut vorstellen, wie die Entscheidungen der Kuratorin beim Fonds Daku über zu fördernde Projekte fallen. Eigentlich ahnte man das schon längst, aber daß es jetzt auch offiziell gesagt wird, das ist dann doch neu.
Kurator & Freund: Country Club
Liebe Felizitas Stilleke,
"Deine Freunde"* sind gerne 100% Arschloch zu allen die nicht zum Kreis gehören. "Deine Freunde" sind nett zu Dir, weil sie etwas von Dir wollen. "Deine Freunde" schützen die Reinheit ihrer Gesellschaft. Und weil "Du"* nicht über den Tellerrand schaust, siehst Du nicht was eigentlich passiert. Zum Beispiel dass der total liebe "Freund"* XY die Arbeit von der total unsympathischen YZ geklaut hat. Oder dass Deine "Freundin"* nicht mit Kritik umgehen kann und deshalb Lügen verbreitet. Weil es immer einfacher ist sich Schlagworte auf die Fahnen zu schreiben als sie wirklich umzusetzen. Oder dass WX Star der Stunde ist weil z.B. die Eltern die Connections haben, nicht weil die Arbeit überzeugt.

"Deine Freunde" sind der Country Club unserer Zeit. Solidarität? Never.

*stellvertretend
Kurator & Freund: Antwort von der Redaktion
Ich finde das irgendwie kühn von der Redaktion, es so hier zu veröffentlichen, ohne es selbst zu analysieren. Eigentlich liegt der Ball bei der Redaktion.
Kurator&Freund: naiv
Finde die These nicht besonders provozierend sondern eher naiv - das künstlerische Programm der Kuratorin interessiert mich dadurch allerdings erheblich weniger.
Freund&Kurator: Verschleierung
Doris Eikhof/Axel Haunschild: „Die Arbeitskraft-Unternehmer. Ein Forschungsbericht über die Arbeitswelt Theater“, in: Theater heute, Heft 3, 2004, S. 4-17, hier S. 10f:

„Aber obwohl die Bedeutung von Kontakten allen Beteiligten bewusst ist, ist Karriereplanung im Sinne eines konkreten, strategisch ausgerichteten Handelns am Theater ein Tabu. Was aus sozialtheoretischer Perspektive eine gezielte Investition in ein karriereförderliches soziales Netzwerk zu sein scheint, beschreiben die Beteiligten als Resultat ungeplanter, wenn nicht sogar zufälliger persönlicher Bekanntschaften. Der strategische Umgang mit diesen Bekanntschaften wird dabei nur den jeweils anderen attestiert, sich selbst beschreiben die meisten Beteiligten als strategisch inaktiv und lediglich persönlichen Zu- und Abneigungen folgend. Aussagen wie ‚Einge betreiben das ‚Gesicht zeigen’ auf Premieren recht exzessiv. Vielleicht sollte ich das auch mal öfter machen.’ (Schauspieler) [...] zeigen allerdings, dass durchaus allen bewusst ist, welche Bedeutung ihr Kontaktnetzwerk hat und wie es funktioniert. Nur zugeben möchte man halt nicht so gern, dass man den ökonomischen Wert der oft freundschaftlichen Beziehungen sehr wohl einschätzen kann. Mit dem Soziologen Pierre Bourdieu lässt sich sogar sagen, dass diese Beziehungsnetzwerke nur durch die Verschleierung ihres ökonomischen Nutzens funktionieren.“
Kurator & Freund: wie in Österreich
Darf ich nachfragen, warum die Redaktion in diesem Fall bei den Kommentaren auf das ansonsten gepflegte Gendern verzichtet? Gibt es keine Kuratorinnen und Freundinnen? Die Autorin des eigentlichen Beitrags immerhin bezeichnet sich als Kuratorin. Im übrigen stimme ich SM zu. Und ich gehe jede Wette ein, dass Stillekes Outing ihre Karriere nicht gefährden wird. In Österreich wird, was sie beschreibt, offensiv verteidigt. Schließlich könne man sich auf niemanden so gut verlassen wie auf jene, die man am besten kennt: die Freundinnen und Freunde. In Form der Parteibuchwirtschaft ist das die Grundlage des politischen Systems in Österreich. Und niemand hat etwas dagegen einzuwenden, wenn Intendant*innen ihre halbe Verwandtschaft engagieren. Das ist zwar ein Skandal, aber der Informationswert tendiert, auch in satirischer Verkleidung, gegen Null.
Kurator & Freund: wesentlicher Aspekt
@Soziolog

Ich finde der wesentliche Aspekt wird immer noch nicht beschrieben, nämlich die ungeheuerlichen Anfeindungen, die ja zugleich durch diese Verschleierung gepflegt werden. Extreme Anfeindungen gegen einzelne Künstler, aber auch ganze gesellschaftliche Gruppen und wie sie sich im Theater abbilden.
Kurator & Freund: Verschleierung
Wenn Beziehungsnetzwerke im Theater (von mir aus auch nach Bourdieu) - wie z.B. in der Politik auch - nur durch Verschleierung ihres ökonomischen Nutzens funktionieren, so ist das zumindest im Theater vollkommen normal. Und zwar, weil die Wahrheit des Theaters die Beschäftigung mit dem Gegenstand der Verschleierung IST. In all seiner und ihrer Mannigfaltigkeit.
Die Frage ist nur, ob das Theater durch diese Tatsache sich zwingend in alternativlose Selbstbezüglichkeit in den Darstellungen auf der Bühne begeben muss.
Es geht im Theater ja i m m e r um die Darstellung der Verschleierung: Ihrer Strategien und Taktiken. Um die Darstellung der Verschleierung von sexuellen, politischen, informellen und materiellen Absichten. Verschleierung von Charakter, Geschlecht, Alter, Normabweichung in Aussehen, Denken, Fühlen, Handeln... Wer Theater zu machen gedenkt, muss mit diesem Wissen um die Normalität des Theaters umgehen.
Freilich wird auch die Politik mit ihrem Wissen um die Entschleierungs-Möglichkeiten des Theaters umgehen... Dabei scheiden sich dann die Geister. In jedem Sinn des Wortes.
Kurator & Freund: Klüngel
@ martin baucks + @ D. Rust

Felizitas Stillecke glaubt, etwas Neues entdeckt zu haben, wenn sie, „Freundschaft als kuratorisches Prinzip“ erklärt. Das ist aber eben nichts Neues, das ist traditionell das Prinzip der Verbreitung und Bekanntmachung und Anerkennung von 'Kunstwerken' innerhalb des Feldes, das durch soziale Netzwerke und symbolisches Kapital funktioniert.

Stilleke schreibt (wenn man es zusammenfasst): Lieber Künstler, liebe Künstlerin, sei mit mir, der Kuratorin, befreundet (wie auch immer dir das gelingen wird, denn es gibt keine Regeln, alles ist "freiwillig" und dass du von mir etwas willst, darfst du mir natürlich nicht zu offen zeigen) - sonst bist du nicht sichtbar und kommst als Künstler*in nicht vor, zumindest nicht in meiner Welt... dann musst du dir andere Freund*innen suchen!

Neu ist, dass das so öffentlich formuliert wird. Neu ist, dass Abhängigkeitsbeziehungen als Empowerment behauptet werden.

Interessant ist auch ihr Satz: „Let us believe in... bei Geld hört die Freundschaft auf!“
Liebe statt Bezahlung? Oder ganz anders gemeint?

Und die Klüngel-Rhetorik passt auf zur gegenwärtigen Situation, wo die Solidarität sich nur noch auf den Nächsten bezieht, den eigenen Haushalt, die eigene Nachbarschaft, die Grenzen sind dicht, jedes Land muss für sich schauen, wo es bleibt und wer nicht dazu gehört, bleibt eben draußen. Oder: Wer nicht mit der Kuratorin in die Stammkneipe gehen mag oder kann, wer jetzt keine Zoom-Einladung bekommt, ist eben nicht mit im Boot. Ist ja auch „geteilte Verantwortung“, so die Kuratorin.
Kurator & Freund: Digitalisierung
#13: Ja, schöner hätte man das ja selbst nicht schreiben können! - Als Soziologe/In werden Sie ja auch wissen, dass im Digitalen Zeitalter die Stammkneipen auch ganz anders aussehen können als Stammkneipen... Es könnten Facebook-Gruppen sein oder Insta-Liking-Gruppen, Foren-sikerInnen oder weiß der Teufel was noch digitale Analogien zum Analogen sein mögen. -

In einer Zeit, in der es jetzt z.B. Live-Chats zu zeitgleich gemeinsam gesehenen Video-Theateraufzeichungen gibt, ist auch der Schauspieler, der sich über den Spiralblock eines im Publikum anwesenden, gestisch sichtbaren Kritikers handgreiflich empört, in seiner Empörung frag-würdig geworden... Die Digitalisierung unserer Lebensbereiche ändert einfach ALLES. Hat schon vor langer Zeit einfach alles geändert. Vor UND hinter der Bühne. Selbst dort, wo man sie als Digitalisierung nicht sieht, hat die Digitalisierung alles geändert! - Diese Erfahrung macht das Theater gerade. Erst jetzt. Leider. Weil es gleichzeitig einerseits zu viel auf seine mantraartig selbstbeschworene Sinnlichkeit hält und andererseits immer viel zu wenig von ihr weiß...
Digitalisierung aller Lebensbereiche ändert auch Freundschaften bis in ihre Qualität hinein. Und vermutlich auch das Kuratieren. Zoom-Einladungen sind, vermute ich, dabei kein Freundschaftsmaßstab.
Gemeinsame Stammkneipenbesuche sind es auch nicht zuverlässig.
Zuverlässigkeit hingegen scheint mir ein Freundschaftsmaßstab zu sein. Das ist aber nur eine private Ansicht. Soziologisch als Parameter der Beziehungsforschung sind ja private Ansichten durchaus nicht zuverlässig...
Kurator & Freund. totale Ausgrenzung
ich finde det passt. Im HAU und in den Sopehiensälen und bei 100 Grad, äh Branchentreff, äh PAP-Dingens, whatever. Alle sind supertolle Kumpels und total gefriendet. Ist praktisch, weil man sich dann immer wieder trifft und sich verabreden kann. Entweder man schaut den anderen zu, oder partizipated oder man/frau/it lässt sich von Felizitas kuratieren. Die eigene Blase zum grossen Kreis der Freundschaft zu erklären - und den eigenen Filz damit zu legitimieren ist als Theorieansatz eigentlich nice.kann man auch ein Buch drüber schreiben. Als Herausgeberin besser, damit die vielen Freunde auch Platz im Buch haben. Friendship forever.

Das Problem des textes bzw. seiner Autorin ist: er/sie gibt sich total inclusiv - performt aber die totale Ausgrenzung und Selektion. Felizitas ist wie die berühmte Türsteherin des kater Blau: Voll nice zu ihren Freund/innen - und wer Nicht-Freund/in ist kriegt die kalte Schulter.
Das Doofe an der Sache. Künstlerische Qualität und Freundschaft sind halt zwei verschiedene Sachen. Alle wollen immer total sweet Teil der "freien Szene" sein - deshalb hat sich eine Unkultur gebildet: im grossen solidarischen Freundschaft-WIR darf man niemandes Arbeit kritisieren oder schiesse finden. Es ist einfach alles gut unter Freunden - und alles muss Geld kriegen.
ich gehe eigentlich ins Theater und auf Festivals, weil dort jemand vorher ausgesucht hat, was gut (weiter Begriff) sein könnte. Wenn ich ab jetzt zu Festivals der Autorin gehe weiss ich: Qualität spielt eher keine Rolle - kuratiert wurd aus dem eigenen Telefonbuch.
Kurator & Freund: Satire?
Liebe Frau Stilleke,
Ihr Text kann nur eine Satire sein, oder? Das was Sie hier propagieren ist eine Apologie der Günstlingswirtschaft. Leider neigen wir Menschen dazu, uns Ähnliche, uns Gewogene und uns Sympathische, oder eben auch Befreundete, bewusst und sehr oft unbewusst zu bevorzugen. Daher kommt in Institutionen, bei Aufträgen und Stellenbesetzungen in der Tat meist nicht die Geeignetste, sondern die Befreundetste zum Zug. Nur: Wollen wir das auch noch gutheißen? Oder sollten wir eben nicht besser hart daran arbeiten, neutral zu bleiben, Distanz halten und somit möglichst die Beste zu engagieren bzw. zu fördern!
Aber: Wahrscheinlich doch eine Satire! Oder?
Kurator & Freund: ehrliches konzept
verstehe die empörung hier zwischendurch gar nicht.
so funktionieren doch ziemlich viele strukturen im theater. und in der eigenen produzierenden realität erweisen sich orte und zusammenhänge der freundschaft als die produktivsten. also: wo kann ich mich wohlfühlen? wer schenkt mir und meiner arbeit vertrauen? wie können parallel existierende freundeskreise sich vermischen und ich daraus neues lernen? finde hier freundschaft so offen definiert, dass ich mich zumindest in vielem mit diesem vorschlag anfreunden (...) kann. als ob es wirklich nur darum geht gemeinsam in bars rumzuhängen..
der freundschaftslose theaterbetrieb - den ich auch schon kennenlernen konnte - ist hingegen in all seiner toxischen hierarchie, verwertungslogik und stetiger missgunst ja trotzdem ein betrieb des klüngelns, den ich bedeutend unatraktiver finde
Kurator & Freund: Kriterien
Was wir reden, wenn wir von Freundschaft reden!

Freundschaft als Kriterium für Kunstkuration. Das regt mich an, dafür bin ich sehr dankbar. Es konfrontiert mich mit meinen Verlustängsten, meinen Verletzungen, meinen sehr persönlichen Erfahrungen, v.a. im Theater.

Als Kuratorin ist man in einer Machtposition: man entscheidet darüber, wer dabei ist und wer nicht. Das ist ein sensibler Prozess, der sehr verletzend sein kann für Künstler*innen. Man kann aber die konstruktive Macht spürbar machen, auf die Byung-Chul Han in WAS IST MACHT? eingeht.
Hierfür muss das Entscheidungskriterium für alle transparent sein. Das finde ich unerlässlich, übrigens in jeder Lebenslage, und diese Transparenz , v.a. auch im Jurybereich, wird zur Zeit zurecht eingefordert. Die Autorin müsste also sehr genau definieren, was Freundschaft für sie bedeutet.

Freundschaft ist für viele immer noch etwas sehr intimes und persönliches, daher kann man innerhalb der Freundschaft, vor allem wenn die Definition unklar und verschleiert ist, einander schnell verletzten. Und das ist etwas, was ich zur Genüge auch aus dem Theaterkontext kenne. Und deshalb kann Freundschaft nur dann ein heilsames Kriterium für die Kuration sein, wenn allen Beteiligten klar ist, was man darunter versteht.
Die Autorin ist leider sowohl hier in der Theorie als auch in der Praxis sehr unklar. Und wenn man privat und beruflich so vermischt, wie sie es in der Theorie und in der Praxis tut, wird es noch schwerer, sich auszukennen und offen und transparent zu kommunizieren. Dann ist Macht willkürlich, verletzend und kalt.

Das Davonstehlen wird leichter, denn es war ja nich so gemeint. Den plötzlich immer abweisenderen, die Liebe und das Interesse verlierenden Blick muss man doch irgendwie verstehen, denn Freundschaft heisst auch, dass man sich verändert und einander gehenlassen muss.
Aber wann hat man sich einmal darüber ausgetauscht?
Wann und wie genau lösen sich die Versprechen, dass man sich v.a. beruflich aufeinander verlassen kann und überall miteinander hingeht, auch zum Mars und zurück, ein und warum lösen sich sich plötzlich auf?
War das gar keine Freundschaft?
Heisst Freundschaft also nicht, dass man bleibt?

Genau diese Fragen gilt es zu vertiefen und v.a. brauchen wir ein ehrliches Interesse an dieser gemeinsamen Vertiefung (bei der der Verwies auf: das ist dein Problem, nicht meins, nichts zu suchen hat, wenn man es ernst miteinander meint), wenn man nicht nur ein weiteres fancy populäres Statement in die Theaterwelt loslassen will (welches im Übrigen sicher nicht die Karriere behindert, im Gegenteil).

Lasst und also auf allen Ebenen offen über unsere Kriterien für Freundschaft und für die Kunst, die uns anspricht und die wir ablehnen, sprechen, damit wir auch ehrlich über Sisterhood, Vertrauen und Solidarität sprechen und v.a. danach leben können.
Dafür bedarf es vielmehr einer großen Achtsamkeit, als die hier sehr unklar definierte Kategorie der Freundschaft. Wenn wir wirklich achtsam sind miteinander, beim Kuratieren, beim Blick aufeinander und beim Srepchen übereinander, dann können wir das Theater vor dem System der Aasgeier retten. Nur dann.
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