Undichter Dichter

von Andreas Schnell

Oldenburg, 28. September 2008. Oldenburg feiert den Expressionismus als "Auftakt zur Moderne" mit Ausstellungen, Filmen und einem Theaterprojekt, einer "szenischen Installation" zu Georg Heym, der als Wegbereiter des Expressionismus gilt. Da die Postmoderne seit einiger Zeit wieder passé ist, könnten wir hier nun erfahren, was es auf sich hatte mit der frühen Moderne.

 

Dabei hat man es vor allem bequem: Jeder Besucher bekommt ein Feldbett mit Decke. Von dort aus gibt es zunächst nicht viel zu sehen. Durch den Raum verläuft in zwei Metern Höhe ein Brückengang. Auf der Bühne ein Klavier, ein Stehpult, Menschen mit Mikrofonen, leises Klavierspiel. Gedichte Heyms erklingen. Wir hören, wie er starb, 1912 beim Eislaufen auf der Havel, die er den Kunsteisbahnen Berlins vorzog. Dann: Jener Traum, den er im Sommer 1910 hatte, und mit dem er – so mag das ein schicksalsgläubiges Gemüt sehen – seinen Tod vorausahnte. Der Text also eine Collage, echt expressionistisch, später gibt es einige Spielszenen, das meiste ist Heym.

Religion ohne Tempel

Nun tritt der Dichter auf. Begrüßt mit lockerem Hallo die Vorleser, kommt unbefangen zur Welt, die so etwas wie eine Klapsmühle sein muss, in der wir auf unseren Krankenbetten im Schlafsaal liegen. Heym liest aus seinem Tagebuch, das er mit 17 Jahren beginnt. Über seine Liebe will er sich klarwerden, über die "alte Melancholie", die ihn ergreift, wenn er in jedem Flirt schon das Ende sieht. "Ihm war die Liebe Religion", klärt uns eine Stimme auf. Doch: "Der Tempel der Liebe bleibt ihm verschlossen."

Früh eckt er an, forscht in sich und der Familiengeschichte nach dem Grund für sein Nichtzurechtkommen in der Welt, die ihn in ihrer Banalität anödet. Und entdeckt seine Liebe zu jenen mit "zerrissenen Herzen", die nicht von den Massen angebetet werden: Kleist, Büchner, Rimbaud, Hölderlin. Der junge Mann will hoch hinaus. In mehreren Portionen wird im Laufe der eindreiviertel-stündigen Inszenierung dann Heyms Erzählung von dem Irren nacherzählt, der aus der Anstalt entlassen loszieht, um sich an seiner Frau zu rächen, die ihm den Schlamassel eingebrockt habe. Unterwegs packt es ihn immer mal wieder, dann schlägt er Kinder mit den Köpfen aneinander und beißt einer alten Frau die Kehle durch.

Mit 19 schäumt Heym immer noch (sehr, nun ja, expressiv: Michael Pietsch): "Ich kann nicht so leben wie die anderen" – was wir zu diesem Zeitpunkt schon geahnt haben. Seine wortgewaltige Lyrik trägt ihm die Kritik ein, nur dem Reiz des Hässlichen zu frönen, zur Beruhigung hören wir das "Laubenfest". Aber der Dichterseele nützt das wenig: Schönheitsgefühl ja, aber keine Lebenspraxis. Sogar beim Bäcker blamiert er sich.

Rendezvous mit Lektürezwang

In ihm sei "Alltags- und Höhenmensch getrennt verbunden". Freund Ernst ist pragmatischer und meint, er brauche ein Mädchen. Aber das ist leichter gesagt als erobert. Gibt es einmal eine, die sich für den jungen Dichter erwärmt, drangsaliert er sie und gibt ihr Lektüre auf: "Wir müssen uns vor den gleichen Altären beugen."

1910 verrät sein Tagebuch Neuigkeiten: Ihm ist langweilig. Der "faule Frieden" verschafft ihm nicht jenes Höhere, nach dem ihn dürstet. Barrikaden müssen her, Revolution oder Krieg – das ist ihm ganz egal. Immer wieder fallen ihm Widersprüche in der Gesellschaft auf – "unsere Krankheit ist, dass wir das Gegenteil von dem sagen, was wir wollen"–, aber daraus eine andere Konsequenz zu ziehen, als die, noch mehr Gedichte zu schreiben? Fehlanzeige. Andere Expressionisten (wie Toller) kamen zu anderen Schlüssen.

Mit der Unsterblichkeit hat Heym bekanntlich Glück im Unglück gehabt: Als Dichter unvergessen, aber schon mit 25 Jahren tot. Und die Moderne? Hat es noch ein bisschen länger gemacht und dabei viel Unheil angerichtet, wie man hört. Nicht nur in Dichterseelen. Das Stück ein Plädoyer gegen die Aufklärung also, deren Resultat jene Moderne sei? Zumindest klärt "Zerrissenes Herz" selbst durchaus auf: Über große Dichter, die ansonsten nicht ganz dicht scheinen.


Zerrissenes Herz
nach Texten von Georg Heym
Regie: K.D. Schmidt, Bühne: K.D. Schmidt/Jochen Hochfeld, Kostüme: Jochen Hochfeld. Mit: Michael Pietsch, Rika Weniger, Thomas Lichtenstein, Gilbert Mieroph, René Schack.

www.staatstheater.de

 

Kritikenrundschau

Gemütlich sei der Abend nicht geworden, schreibt Michael Schardt in der Nordwest-Zeitung aus Oldenburg (30.9.2008). "Zu aufwühlend und drastisch" wirkten noch nach 100 Jahren die "Verskaskaden" und "kurzen Prosastücke" von Georg Heym. "Ungewöhnlich" sei alles an diesem Abend: Bühnenbild, Zuschauerraum (mit 60 Feldbetten, in denen sich das Publikum niederlegte), Textvorlage, auch die Inszenierung selbst. "Die Texte, teils als Rezitation, teils in szenischem Spiel dargeboten, wurden in Montagetechnik (…) dergestalt zusammengesetzt, dass sich daraus (…) ein homogenes Ganzes mit biografischem Leitfaden ergab." Dazu interpretierte der Musiker Christoph Iacono die Seelenzustände des Dichters "beeindruckend". Wenn "es nötig war malträtierte er" sein Tasteninstrument, "stieg auch ins Klavier hämmerte und zerrte daran, dass man um sein Innenleben fürchten musste." Zuletzt gab es "endenwollenden" Applaus.

 

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