"Hamlet" von William Shakespeare, Regie: Johan Simons

1. Mai 2020. Auch das Berliner Theatertreffen, wie wir es kennen, fällt in diesem Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer. Theateraufführungen in geschlossenen Häusern sind verboten. Die Berliner Festspiele verlegen deshalb ihr Theatertreffen ins Netz. Sechs der zehn ausgewählten Inszenierungen werden auf der Website der Festspiele sowie auf nachtkritik.de gestreamt.

Zum Auftakt sind schon die Geschlechterverhältnisse so undeutlich wie heute alle Verhältnisse geworden sind. Sandra Hüller spielt Hamlet, Gina Haller eine Figur, die aus Ophelia und Horatio zusammengesetzt wurde. Johan Simons hat die Bochumer Aufführung inszeniert.

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Gemeinsam Gucken mit Livechat (1. Mai ab 20 Uhr)

Wer die Theatertreffen-Eröffnung mit "Hamlet" in virtueller Gemeinschaft schauen wollte, war herzlich eingeladen, sich hier im Livechat zu versammeln und zusammen mit uns um kurz nach 20 Uhr auf Play zu drücken. Gegen 19:30 Uhr öffneten wir das Foyer des nachtkritik-Chatrooms. Gastgeberin des Abends ist nachtkritik-Redakteurin Anne Peter. Um 20 Uhr streamten wir die Begrüßung durch Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer und im Anschluss die Inszenierung vom Schauspielhaus Bochum in einer 3sat-Aufzeichnung. Der Online-Talk der Berliner Festspiele mit Künstler*innen der Produktion wurde im Anschluss an diesen ersten Durchlauf von "Hamlet" gehalten. Alles war hier auf dieser Seite erreichbar. Inzwischen findet man den "Hamlet" aus rechtlichen Gründen nurmehr in der ZDF-Mediathek.

 

Online-Talk der Berliner Festpiele zu "Hamlet"

 

Im Anschluss gegen 22:35: Online-Talk der Berliner Festspiele mit Künstler*innen der Produktion (Gina Haller, Sandra Hüller, Johan Simons, Jeroen Versteele sowie TT-Jurymitglied Cornelia Fiedler, Moderation: Christine Wahl)

Unter #TT_Hamlet sammeln die Berliner Feststspiele auf Twitter den ganzen Tag über Fragen, die im Talk heute Abend berücksichtigt werden sollen.

 

Über die Inszenierung

Das Schauspielhaus Bochum schreibt auf seiner Website über die Inszenierung:

"Der alte König Hamlet ist tot, sein Mörder und Bruder Claudius hat seine Witwe Gertrud geheiratet und sitzt jetzt auf dem Thron. Prinz Hamlet, krank vor Trauer, wird vom Geist seines Vaters heimgesucht. Der Geist befiehlt ihm, ihn zu rächen. Dieser Auftrag treibt Hamlet immer weiter in die Isolation. William Shakespeare machte 1602 aus einer europäischen Legende die philosophische Geschichte einer bis heute faszinierenden Sinnsuche. In der Regie von Johans Simons mit Sandra Hüller in der Titelrolle wird Hamlet zu einem Plädoyer für radikale Ehrlichkeit.

Was fasziniert dich an William Shakespeare?

Johan Simons: Mich fasziniert seit jeher, wie Shakespeare eine große philosophische Kraft lebendig und spielbar macht. Er ist ein Virtuose der Sprache. Ein Stück von Shakespeare ist wie ein großes Fenster, durch das man in einen Wald blickt. Griechische Autoren wie Aischylos sind wie eine Wüste oder eine Eisfläche. Shakespeare ist wie ein Wald mit Hügeln, Bäumen, Teichen und Moorseen. Man rutscht leicht aus, der Boden ist glitschig.

Was ist der Kern des Stücks?

Johan Simons: "To be or not to be." Nicht umsonst ist der Satz so berühmt. Hier versucht jemand herauszufinden, ob es ein Recht auf Existenz gibt. Was ist der Sinn unseres Lebens, wenn eine Lüge so oft als Wahrheit gilt? Meiner Meinung nach ist Hamlet extrem empfindlich und kompromisslos, er erträgt keine falschen Fassaden. Das zerstört ihn.

In Bochum wird Hamlet von einer Frau gespielt. Warum?

Johan Simons: Ich möchte kein großes Thema daraus machen. Eigentlich ist es normal, dass eine Frau Hamlet spielt: Sarah Bernhardt, Angela Winkler, Asta Nielsen, viele andere haben es schon gemacht. Theater vermittelt sich über Gedanken, nicht über Identifikation. Der Stoff handelt von Geisteskraft und der Dynamik des Denkens. Sandra Hüller hat einen flexiblen Geist. Und sie hat eine persönliche Herangehensweise. Sie lehnt jeden Zynismus ab. Sandra erweitert Hamlets Gedanken und füllt sie mit Emotionen, wie nur sie das kann."


Jeroen Versteele, Dramaturg der "Hamlet"-Inszenierung von Johan Simons, gibt ein Video-Grußwort zum Streaming

 

In seiner Nachtkritik zur Premiere im Juni 2019 schrieb Andreas Wilink: "Als Partitur auch behandelt Sandra Hüller – ganz bei sich und zugleich im reflektierten Selbstverhältnis die Quintessenz der Figur darstellend – den sich durch sie hindurch verjüngenden Text, den sie im Reden zu verfertigen scheint. Sie singt und sagt ihn direkt und gelöst, staunend, sanft und sinnend, verträumt flüsternd, ruppig baritonal grollend, im Schaulauf für Dritte, burschikos und kess. Sie ist Hamlet, der Antifleischliche und Reine, der Verwesung, Begierde, Lust und Völlerei widerwärtig findet. Ist der Wittenberger Student und Protestant, der den Triumph des Geistes über die Materie verkörpert und das Symbolische über das Reale stellt. Man meint, Hüller bedürfe keinerlei Kraft, es sei kein Aufwand dabei, sie spräche unter freiem Himmel."

Die Hauptdarstellerin Sandra Hüller hat nicht zuletzt für die Darstellung des Hamlet den Theaterpreis Berlin 2020 erhalten.

 

Hamlet
von William Shakespeare
Deutsche Übersetzung von Angela Schanelec und  Jürgen Gosch, mit Auszügen aus "Die Hamletmaschine" von Heiner Müller
Regie: Johan Simons, Textfassung: Jeroen Versteele, Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, Musik: Mieko Suzuki, Dramaturgie: Jeroen Versteele.
Mit: Sandra Hüller (Hamlet), Stefan Hunstein (Claudius), Mercy Dorcas Otieno (Gertrud), Bernd Rademacher (Polonius), Dominik Dos-Reis (Laertes), Gina Haller (Ophelia), Konstantin Bühler (Rosencrantz), Ulvi Teke (Guildenstern), Mourad Baaiz (Fortinbras), Jing Xiang (Totengräber 1), Ann Göbel (Totengräber 2), Mieko Suzuki (Musikerin), Lukas Tobiassen (Musiker).
Premiere am 15. Juni 2019
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

Hüller mache "ihre Sache großartig: Hamlets Brillanz, seine intellektuelle, wenn auch leider nicht tatkräftige Überlegenheit könnten nicht besser herausgearbeitet sein", schreibt Martin Krumbholz in der Südddeutschen Zeitung (18.6.2019).

Simons' "Hamlet" sei "zweieinhalb Stunden lang transparente Bühnenarbeit", schreibt Lars von der Gönna in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (17.6.2019). "Wir sehen sozusagen das Gemachte, illusionslos."

Max Florian Kühlem in den Ruhr Nachrichten (17.6.2019): "Der überragende Verdienst des Regisseurs und seiner berühmten Hauptdarstellerin ist, dass ihr Spiel in einer bis in die Nebenrollen großen Ensembleleistung aufgeht."

"Dieser Hamlet ist so normal, so sensibel, so schwach und so beseelt von dem Wunsch nach Ehrlichkeit und Fairness wie kaum ein anderer Hamlet zuvor", schreibt Bernd Noack auf Spiegel online (16.6.2019). Johan Simons rolle seiner Titeldarstellerin als Spielfeld eine Welt am Abgrund aus.

Die Inszenierung zeige Hamlets Isolation, sagt Christoph Ohrem auf Deutschlandfunk Kultur in Fazit (15.6.2019). Der Abend stelle eine Befragung des Theaters als solches dar. "Sandra Hüller spielt die Wechsel zwischen dem Lauten und Wahnsinnigen und dem Ruhigen sehr präzise und berührend. Das ist ein Fest, sich das anzuschauen."

Patrick Bahners schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (22.6.2019): Die Inszenierung erzeuge den Eindruck, dass "sich die Schauspieler das Stück gemeinsam erarbeiteten, indem sie auf das reagieren, was sie sehen und hören".

 

Die Festivalübersicht zum Berliner Theatertreffen 2020 virtuell

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