"Chinchilla Arschloch, waswas" von Rimini Protokoll

6. Mai 2020. Auch das Theatertreffen wie wir es kennen, fällt in diesem Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer. Die Berliner Festspiele verlegen deshalb ihr Theatertreffen ins Netz. Sechs von zehn ausgewählten Aufführungen werden auf der Website der Festspiele sowie auf nachtkritik.de gestreamt. Heute als vorletzter Auftritt "Chinchilla Arschloch, waswas" von Rimini Protokoll (Helgard Haug), eine Produktion des Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt), Schauspiel Frankfurt und Rimini Apparat in Koproduktion mit dem Westdeutschen Rundfunk und HAU Hebbel am Ufer (Berlin). Der Stream ist bis 7. Mai 20 Uhr online. Alle Informationen zur Produktion, zum Chat und zum Nachgespräch mit Künstler*innen der Produktion finden Sie hier auf dieser Seite.

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Gemeinsam Gucken mit Livechat am 6. Mai ab 20 Uhr

Wer das Theatertreffen-Gastspiel "Chinchilla Arschloch, waswas" in virtueller Runde schauen mag, ist herzlich eingeladen, sich hier im Livechat zu versammeln und zusammen mit uns um 20 Uhr auf Play zu drücken. Gastgeberin ist nachtkritik-Redakteurin Esther Slevogt. Gegen 19.30 Uhr öffnen wir das Foyer des nachtkritik-Chatrooms. Um 20 Uhr streamen wir die Inszenierung von Rimini Protokoll. Es handelt sich um eine Aufzeichung aus dem Bockenheimer Depot in Frankfurt vom 13. April 2019. Sie dauert 93 Minuten. Der Online-Talk der Berliner Festspiele mit Künstler*innen der Produktion wird im Anschluss stattfinden. Alles ist hier auf dieser Seite erreichbar.

19.30 Uhr Öffnung des nachtkritik-Chatrooms (zeitgleich mitchatten können maximal 300 Personen)

20.00 Uhr Gemeinsames Gucken von "Chinchilla Arschloch, waswas" plus Livechat (Startsignal gibt es im Chat)

Online-Talk der Berliner Festpiele zu "Chinchilla Arschloch, waswas"

Im Anschluss gegen 21.50 Uhr: Nachgespräch zu "Chinchilla Arschloch, waswas" mit Künstler*innen und Beteiligten der Produktion (Helgard Haug, Christian Hempel, Benjamin Jürgens, Bijan Kaffenberger, Barbara Morgenstern, Cornelius Puschke, Georg Kasch (Jury), Moderation: Christine Wahl). Fragen können auf tagsüber auf Twitter unter #TT_Chinchilla gestellt werden.

Über die Inszenierung 

Der Mousonturm in Frankfurt schreibt zu der Produktion:

"Keine Absicht, nur Tourette“, schickt Christian Hempel eilig voraus, wenn er unter Leuten ist. Seine Schimpftiraden und motorischen Ausbrüche sind nicht steuerbar, sondern Reaktionen auf die Welt, in der er sich bewegt. Das Tourette-Syndrom sucht die Öffentlichkeit, es will Konfrontation und Aufsehen erregen. Mit Tourette Theater zu machen, scheint auf den ersten Blick unmöglich: Kein Text ist sicher, keine Bewegung wiederholbar. Die Bühnentechnik muss in Sicherheit gebracht, spezielle Hotelzimmer gebucht werden. In der neuen Produktion von Rimini Protokoll betritt Christian Hempel zum ersten Mal eine Theaterbühne, zusammen mit dem Musiker und Altenpfleger Benjamin Jürgens und dem Politiker Bijan Kaffenberger. Auch sie haben Tourette. Gemeinsam mit der Musikerin Barbara Morgenstern stellen sie das Theater auf die Probe: Wieviel Absichtslosigkeit hält es aus? Wieviel Schutz kann es bieten? Und nach dem Applaus wird vielleicht klar: Dieses Stück handelt nicht von Tourette. Sondern viel eher vom Publikum, vom Theater und der Angst vor dem Kontrollverlust."

Kritikenrundschau

Natascha Pflaumbaum auf Deutschlandfunk Kultur (11.4.2019): "Dadurch, dass theatrale Mittel mit biografischen Informationen auf eine sehr liebevolle und kluge Art und Weise verwoben sind, hat man nie den Eindruck, man ist nur der Zuschauer. Man ist immer dazwischen, immer in der Zone zwischen Realität und Fiktion".

Mit bemerkenswert heiterer Gelassenheit erzählten die drei "Tourettes" von ihrem täglichen Kampf mit sich selber und einem System, in dem sie als störend empfunden werden, schreibt Bernd Noack auf Spiegel Online (12.4.2019). Die Gefahr des Voyeurismus sei groß bei dieser theatralischen Aktion, doch Haug und ihre drei Performer drehten den Spieß einfach um: "Sie jonglieren mit unseren Vorurteilen und den Zweifeln daran, was da echt und welcher Tic nur gespielt ist".

Auf Deutschlandfunk (12.4.2019) sagt Shirin Sojitrawalla: In 28 Szenen stelle der "ebenso vielschichtige wie kurzweilige" Abend die Männer mit Tourette vor – und konfrontiere "gleichzeitig die Zuschauerinnen und Zuschauer mit sich selbst, indem er das Zuschauen zum Thema macht: Ist das Tourette oder Absicht? Ist das noch Zuschauen oder schon Gaffen? Tic oder Timing? Krankheit oder Kunst?" Entlang dieser Fragen entwickele der Abend seine "überwiegend komischen Szenen".

Sabine Mahr sagte auf Südwestrundfunk (online 12.4.2019, 15:16 Uhr) nicht immer verfange die Idee Stücks, die Krankheit als Ausdruck eines Gesellschaftsphänomens zu verallgemeinern", trotzdem gelinge es der Produktion "in 90 Minuten einen anderen Blick zu generieren, einen auf Augenhöhe". 

"Jeder Abend dürfte ein Unikat sein, je nachdem, was Tourette daraus macht", schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (13.4.2019). "Die Losung des Abends wird früh ausgegeben: 'Dort draußen bin ich eine Störung, hier drinnen bin ich eine Attraktion.' Dass man sich gegenseitig zuschauen könnte und vielleicht mal was fragen: eine aufregende Option."

 

Chinchilla Arschloch, waswas
Nachrichten aus dem Zwischenhirn
von Rimini Protokoll (Helgard Haug)
Konzept, Text und Regie: Helgard Haug, Komposition, Musik: Barbara Morgenstern, Bühne: Mascha Mazur, Video: Marc Jungreithmeier, Dramaturgie: Cornelius Puschke, Dramaturgie Künstlerhaus Mousonturm: Anna Wagner, Recherche & Künstlerische Mitarbeit: Meret Kiderlen
Mit: Christian Hempel, Benjamin Jürgens, Bijan Kaffenberger, Barbara Morgenstern.
Eine Produktion des Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt), Schauspiel Frankfurt und Rimini Apparat in Koproduktion mit dem Westdeutschen Rundfunk und HAU Hebbel am Ufer (Berlin)
Premiere am 11. April 2019 in Frankfurt am Main
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de
www.mousonturm.de
www.rimini-protokoll.de

 

Die Festivalübersicht zum virtuellen Theatertreffen mit dem gesamten Online-Programm.

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Kommentare  
nk-Stream TT, Chinchilla: quackquack
was was das
ist das
was daraus macht
schinschiller ars loch doch ars-chloch
hier drinnen dort draußen
schwachschwach quackquack
für mich dich für uns
bedeutungslos für welt
die sich bewegt
nk-Stream TT, Chinchilla: kein Kontrollverlust
Es tut mir leid, aber es war für mich weder störend noch ein Kontrollverlust, sondern einfach langweilig.
Es hat nicht funktioniert, da man das Tourette als Ausgangs und Hauptpunkt genommen hat. Viel interessanter wäre es ein "richtiges" Stück zu machen und die Schauspieler mit Tourette völlig "normal" zu sehen und nicht das Tourette so auszustellen.Dann wäre es spannend gewesen und hätte zu einem Kontrollverlust geführt. So war alles bereits gesagt.
nk-Stream TT, Chinchilla: kein als ob
#1:genialer Kommentar! Sollte in das Stück miteingenommen werden, das wäre eine Bereicherung für das Stück! Auch dem Kommentar #2 stimme ich zu. Genau das hat mich auch gestört, dass das Stück durch die echten von Tourette Betroffenen keinen Als-ob-Charakter mehr hatte, welcher Theater für mich ausmacht. So war es für mich kein Theater, sondern ein Nachdenken über Theater, über seine Absichten und Grenzen.
tt-stream: Repräsentationsfragen
Die TT-Seite ist nicht zu holen, deshalb hierhin geschickt ein Nachtrag. Ergänzung zu Kritik und Antwort auf Nachfragen von Anne Peter an mich im Chat bezüglich „Hamlet“, „Süßer Vogel Jugend“ und Mangel in Ost-Frauen-Repräsentation. Es wäre allerdings möglich, dass in allen drei Fragen dieser von mir kritisierte Mangel im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Zusammenhanges eine Rolle spielt…

1. Ich finde nach wie vor trotz der schönen Haller-Leistung nicht, dass es eine Aufwertung der Ophelia Figur gegeben hat, liebe Anne Peter. Oder auch nur geben müsste. Weil es bei Shakespeare eigentlich keine ungleich hoch bewerteten Figuren gibt. Das macht seine bis heute unbestritten hohe Meisterschaft als Dichter aus. Holger Syme hat das im Chat kurz und knapp für speziell „Hamlet“ bewundernd mit der immer wieder Staunen hervorrufenden Offenheit der Textvorlage ausgedrückt. Dieses Staunen teile ich: Darüber, dass Shakespeare's Vorlage mit ihrer Durchlässigkeit und ihrem interpretatorischen geistigen Spiel-Raum immerhin Jahrhunderte in ihrem Wandel an gesellschaftlichem Gesinnungskonsens zu überbrücken vermag…
Ich hätte es besser gefunden, wenn Haller als Ophelia angelegentlich einer Sachlage AUCH als u.a. „bester Freund“ von Hamlet b e h a n d e l t worden wäre.
Und zwar nur in ihrer Gestalt als Ophelia. Der emanzipatorische Fortschritt – für Frau UND Mann - ist dadurch, dass Ophelia hier dramaturgisch angelegt auch Horatio in persona sein musste, aufgefressen worden… :Wenn Frauen, um geliebt und als Subjekte behandelt zu werden nicht sie selbst sein dürfen, sondern dafür auch die Rolle des besten Freundes übernehmen müssen, ist das durchaus k e i n emanzipatorischer Akt. Sondern eine fortgesetzte Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechtes mit dem Anstrich der Emanzipation durch scheinbar für sie nötige Aufwertung...
Es bleibt vielleicht eine für Darstellerinnen dankbare Figuren-Übernahme-Aufgabe – aber man muss das deshalb nicht mit einer dramaturgischen Aufwertung von Figur und Darstellerinnen-Aufgabe verwechseln und als beeindruckende emanzipatorische Leistung öffentlich lobend hervorheben.
Das Ganze verschenkt auch eine religiös emanzipatorische Dimension, das führte jetzt zu weit weg von der Frauenfrage...

2. Ich brauche keine paritätische Ost-West-Besetzung bei den Jurys, weil das die Lage der heutigen Unsichtbarkeit der ex-ostdeutschen emanzipatorischen Leistungen allein nicht bessert. Ich möchte einfach KritikerInnen, die es bitte unterlassen (selbst wenn ich sie sympathisch finde!), öffentlich WIR zu sagen, wenn sie mit selbstverständlichem Gestus für Gesamt-Deutschland heute über die Vergangenheit sprechen.
Und damit eindeutig Unterschiede in der Lebenserfahrung von etwa 18 Mio. seit 1990 neuen Bundesbürgern einfach leugnen. Wenn sie es nicht besser wissen, darf ich ihre gesamtdeutsche Kompetenz zum WIR-Sagen - und damit a l l e heutigen bundesdeutschen Frauen und vergangene deutsche Gesetzeslagen meinend, öffentlich anzweifeln.
Und falls sie es besser wissen, darf ich ihren Anstand anzweifeln. Weil es die andere, was die Gesetzeslage anlangt, in Frauenfragen – und damit auch Männerfragen! – seinerzeit fortschrittlichere ostdeutsche Erfahrung und Erinnerung an diese Erfahrung dann bewusst öffentlich ausklammert. - Und damit eine real existierende innerdeutsche soziale Wahrheit verleumdet.

Das andere betrifft „Süßer Vogel Jugend“ und den von mir gefühlten systemischen Zusammenhang zwischen Schauspiel-/Repräsentationsehrgeiz von Jugendlichen und jungen Menschen und eingefleischtem Rassismus, der einen Menschen geprägt hat. Darüber muss ich aber noch ein wenig nachdenken, damit ich das auch ohne konkrete Nachfragen einigermaßen kurz und schlüssig formulieren kann. Was ohne dialogisches Nachfragen wirklich schwer ist. Jedenfalls für mich...
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