"Urfaust / FaustIn and out" mit anschließender Videokonferenz zu Elfriede Jelinek

21. Mai 2020. Weil die Theater nicht mehr spielen können, stellt nachtkritik.de einen digitalen Spielplan aus Mitschnitten von Inszenierungen zusammen. Ab dem 21. Mai 2020 um 18 Uhr zeigen wir "Urfaust / FaustIn and out" von Johann Wolfgang von Goethe und Elfriede Jelinek. Regie der Inszenierung, die am 28. Februar 2020 am Volkstheater Wien Premiere feierte, hatte Bérénice Hebenstreit (hier unsere Nachtkritik). Nach der Vorstellung am 21. Mai 2020 hatte der Interuniversitäre Forschungsverbund Elfriede Jelinek der Universität Wien und der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien im Rahmen seines Forschungsschwerpunkts "Kunst & Politik" eine Podiumsdiskussion geplant. Da diese Vorstellung nicht stattfinden kann, haben sich der Interuniversitäre Forschungsverbund und das Volkstheater entschlossen, im Anschluss an den Stream von "Urfaust / FaustIn and out", der ab 21. Mai auf nachtkritik.de 24 Stunden lang zu sehen sein wird, die Diskussion zu zeigen, die als Videokonferenz abgehalten wurde.

 

20 NAC Stream Urfaust Instagram

 

Das Volkstheater Wien schreibt auf seiner Website über "Urfaut / FaustIn and out":

Seit Jahrhunderten ist der Literaturkanon des Theaters männlich dominiert. Klassiker von Frauen sind immer noch eine Randerscheinung. Zeit für einen feministischen Racheakt − im Untergrund des Volx/Margareten

Das Leben des Johann G. Faust, eines Scharlatans des 16. Jahrhunderts, wurde posthum zur Legende. Ende des 18. Jahrhunderts, im Übergang zur europäischen Moderne, setzte ihm Goethe ein unverrückbares Denkmal. Sein Faust wurde zum Sinnbild der Männlichkeits-, Verzeihung, Menschheitsgeschichte. „Du sollst überbleiben, überbleiben von allen“, lässt Goethe im Urfaust Margarethe ihr literaturgeschichtlich immer noch gültiges Urteil fällen.

Wie ein Raubvogel stürzt sich Elfriede Jelinek in ihrem Sekundärdrama FaustIn and out auf Goethes Klassiker: „Die großen Kulturschöpfungen kommen ja nicht von der Frau. Aber manchmal kann sie wenigstens mit einem kleinen Daunenkissen auf den Marmor einschlagen.“ In Jelineks Überschreibung sickern moderne Fernsehbilder männlicher Gewalt – Fritzl, Kampusch, aber auch alltägliche Gewalterfahrungen überwiegend namen- und geschichtenloser Frauen. Jelinek gibt denen eine Stimme, die in der Öffentlichkeit zum Schweigen verdammt sind: „Ich schreie laut, dass alles erwacht. Aber wer sollte mich hören?“

Im Kellertheater des Volx/Margareten treten Jelinek und Goethe in einem Theaterwettstreit gegeneinander an, inszeniert von der Wiener Regisseurin Bérénice Hebenstreit

Im Anschluss: Videokonferenz "Wer stört hier wen? Politisch-ästhetische Verfahren bei Elfriede Jelinek: Störung, Subversion, Dekonstruktion", veranstaltet vom Interuniversitärer Forschungsverbund Elfriede Jelinek der Universität Wien und der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien sowie dem Volkstheater, mit Univ.-Prof. Dr. Karoline Exner (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien), Bérénice Hebenstreit (Regisseurin, Wien), Asst.-Prof. Mag. Dr. Teresa Kovacs (Indiana University, Bloomington, USA) und Ao. Univ.-Prof. Dr. Monika Meister (Universität Wien), moderiert von Mag. Andrea Heinz (Interuniversitärer Forschungsverbund Elfriede Jelinek). Ausgangspunkt ist dabei das Werk Elfriede Jelineks, ein besonderer Fokus liegt auf den "Sekundärdramen", wie auch "FaustIn and Out" eines ist. Darüber hinaus werden auch die Position der Künstlerin und das Kunstschaffen von Frauen Themen der Diskussion sein.


Hier lesen Sie die Nachtkritik von Reinhard Kriechbaum zur Premiere der Inszenierung am 28. Februar 2020 im Volkstheater Wien.

 

Urfaust / FaustIn and out

von Johann Wolfgang Goethe / Elfriede Jelinek

Regie: Bérénice Hebenstreit; Bühne und Kostüme: Karoline Bierner, Raumkonzept: Ivan Bazak; Musik: Oliver Cortez, Kathrin Kolleritsch; Licht: Markus Hirscher; Dramaturgie: Michael Isenberg.

Mit: Günter Franzmeier, Steffi Krautz, Sebastian Pass, Nadine Quittner.

Premiere am 28. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at

 

Kritikenrundschau

Reinhard Kriechbaum schrieb in seiner Kritik auf nachtkritik.de (28.2.2020): Die Autorin war ja nach eigener Aussage "mit der Schaufel und dem Besen" hinter Goethe her und beseitigt den "Menschenmüll, den der Klassiker hinterlassen hat". Dieser wehrhafte "Menschenmüll" lässt sich in Bérénice Hebenstreits eng verzahnter Stück-Kombination nicht lumpen und pariert nicht mundfaul und mit Mutterwitz die Faust-Einwürfe aus dem Oberstock. Der "Urfaust" ist letztlich auf eine Zitatsammlung eingekocht, der die Jelinek'schen Querdenkereien aus Frauenperspektive mehr als gut tun.

"Jelineks Grundthema seit 'Die Liebhaberinnen' (1972) kehrt wieder und wieder, der Mann ist Subjekt und Täter, die Frau ist Objekt und Opfer", schreibt Thomas Kramar leicht genervt in der Presse (1.3.2020). Der Dramenverschnitt sei am besten, wenn er zwischen Tragikomik und Absurdität irrlichtere. "Wenn er lehrstückhaft wird, wird er länglich, um nicht unzulänglich zu sagen." Das Nachspiel, ein "treuherziger Rap", biete nur platte Botschaften in knatternden Versen.

"In Nonsenshandlungen ausufernde Verrichtungen, die sich um Socken (des Hausherrn?) drehen, konterkarieren die Härte des Textes. Fast mehr als mit seiner guten Absicht punktet der Abend mit der Absurdität in Wort und Bild", schreibt Michael Wurmitzer vom Standard (5.3.2020).