Vielfältige Begegnungen - Barbara Mundel stellt ihre Auftakt-Spielzeit 2020/21 an den Münchner Kammerspielen vor
Neues, das anknüpft
von Sabine Leucht
München, 19. Mai 2020. Als Avatare sehen Barbara Mundel und Viola Hasselberg ein bisschen ungelenk aus. Schön aber ist, dass die virtuellen Doubles der künftigen Intendantin der Münchner Kammerspiele und ihrer Chefdramaturgin barfuß sind und die vergnügten Original-Stimmen ihre Steifbeinigkeit vergessen lassen. Eine Handvoll Schauspieler*innen aus dem künftigen Ensemble sagen kurz via Zoom "Hallo" und man kann in dem gigantischen Mosaik gerade noch viele alte Bekannte und eine vordergründige Diversität ausmachen, da schaltet der Vimeo-Livestream (nachzuschauen hier) schon in die Kammer 1, von der aus Barbara Mundel und Team die Pressekonferenz ins Virtuelle senden.
Schwindelerregende Vielfalt
Auch Spielplankonferenzen sind in Corona-Zeiten sehr anders als sonst. Man hat als Journalist zuhause am Bildschirm kein dickes Spielzeitbuch zum Nachschlagen in der Hand, und als angehende Theaterleiterin überschreibt man seine Programmpräsentation mit einem Titel wie "Update #1" – weil sich ja jederzeit alles ändern kann. Dafür aber, dass das neue Team vorerst nur von Oktober bis Dezember vorausschaut, sind sowohl das Programm wie auch seine Vielfalt schwindelerregend. Vier Regisseur*innen will Barbara Mundel nach Vorbild des Schauspielhauses Zürich über fünf Jahre hinweg fest ans Haus binden und mit in die Leitungsverantwortung nehmen. Dass Falk Richter dabei ist, war im Vorfeld bereits durchgesickert. Neben dem Autor-Regisseur, der – man staunt – tatsächlich noch nie in München inszeniert hat, kommt Jan-Christoph Gockel aus Mainz mitsamt seinem Leib- und Magen-Puppenbauer Michael Pietsch und auch einigen menschlichen Schauspielern, sowie Pınar Karabulut mit ihrer entspannt feministischen Perspektive – und Nele Jahnke vom Zürcher Theater HORA.
Damit hat man schon eine immense Bandbreite an inhaltlichen Fokussierungen und ästhetischen Ausrichtungen an Bord. Mit Menschen mit geistiger Behinderung nicht nur als Schauspieler*innen, sondern auch als Autorinnen und in Regieverantwortung, festen Ensemblemitgliedern mit unterschiedlichen Handicaps, Hautfarben und Herkünften, professionell wie national, bringt die erste Frau an der Spitze der Kammerspiele etwas ganz Neues in die Stadt, um ansonsten inhaltlich wie formal an Vieles anzuknüpfen, dem Noch-Intendant Matthias Lilienthal den Boden bereitet hat. Die Verwischung der Grenze zur freien Szene wie hin zum Tanz geht zum Beispiel mit der österreichischen Choreografin und Fetttanz-Spezialistin Doris Uhlich weiter, die für "Habitat München" Mitwirkende aus der Stadt sucht.
Für Konfrontation und Begegnung sorgen
Womit zugleich auch Mundels schon in Freiburg kultivierte Passion – die Vernetzung mit verschiedenen Abteilungen der Stadtgesellschaft nach dem Motto „Bubbles durchstechen, für Konfrontation und Begegnung sorgen“ – Futter bekommt. Mundels Vernetzungswille wirft seine Tentakeln ganz weit aus – die Residenz eines Choreografen aus Burkina Faso ist ebenso angedacht wie "Sisterhoods" genannte feste Kooperationen mit osteuropäischen Häusern, ein Virtual-Artist in Residence ist bereits an Bord, ebenso wie ein Beauftragter für neue musikalische Formate, der schon mal eine Produktion mit den Musikern von The Notwist und der Regisseurin Jette Steckel ankündigt: Wilde Kreuz- und Querverbindungen oder, wie Mundel es nennt, "vielfältige Begegnungen" bilden zumindest eine Art von rotem Faden durch das vielversprechende Programm, zu dem ein offenbar sowohl virtuell als auch konkret die Maximilianstraße aufmischen wollender postmigrantischer Kiosk "für Drag Queens und Nonnen, mit, aber auch ohne Maserati unterm Arsch" (Zitat Hasselberg) gehört, ein bereits erstaunlich konkretes Vorhaben zur Gewinnung und Integration neuer Zuschauerschichten und eine Vielfalt an thematischen Interessen von der Technik-Mensch-Schnittstelle bis zu sozialen Fragen oder Gewalt von rechts, historischen und familiären Tiefenbohrungen.
Und doch hat man bei diesem inhaltlichen und strukturellen Overkill nicht das Gefühl, dass das Künstlerische zu kurz käme. Allenfalls, dass bei manch einem bereits für den Herbst geplanten Projekt noch eruiert werden muss, wie sich die ästhetische Konzeption mit den Abstandsregeln und Reiseeinschränkungen vereinbaren lässt.
Einige Soli – etwa mit Julia Häusermann als sie selbst oder Edgar Selge als Bernhard'schem Grantler in "Heldenplatz" – sind mit Sicherheit Corona-tauglich, und Falk Richters "Touch" mit seiner Frage nach Nähe in einer isolierten Gesellschaft zumindest thematisch auch. Doch wenn Richter von der Verlängerung seiner Zusammenarbeit mit der Choreografin Anouk van Dijk und Performern unter anderem aus dem Libanon, Ghana und der Türkei spricht, macht man sich doch ein wenig Sorgen, ob das Projekt klappen kann.
"Die Wirklichkeit nicht in Ruhe lassen"
Dafür nimmt einem die Entspanntheit, mit der die neue Theaterleitung ihren Fahrplan präsentiert, ohne das Pandemie-Thema mit jedem dritten Satz zu streifen, ein wenig die Befürchtung, dem Theater der kommenden Monate könnte in der Fokussierung darauf die Luft ausgehen. Mit den entsprechenden Kombinationen von Stoffen und Personen kann das Corona-Theater sogar sehr neugierig machen. So wird etwa der kosovarische Filmregisseur Visar Morina in seiner ersten Bühnenarbeit überhaupt Clemens Setz' "Flüstern in stehenden Zügen" inszenieren, worin ein Mann in der Isolation mit Kundenhotlines und Absendern von Spam-Mails telefoniert.
Das Motto "Die Wirklichkeit nicht in Ruhe lassen" haben Mundel und ihr Team gleich für die nächsten fünf Spielzeiten ausgegeben. Bei der Mitgestaltung dieser Wirklichkeit sollen – fast ein wenig gegen den Trend – auch neue Stücke mitwirken. Man wolle, so Mundel, an die Tradition der Münchner Kammerspiele als Ort literarischer Uraufführungen anknüpfen. Dazu gehören Wiederentdeckungen marginalisierter Stimmen vor allem von Autorinnen, gerne mit München-Bezug, und eine ganze Armada von Stückaufträgen. Nora Abdel-Maksoud sitzt schon an einem Auftragsstück, andere etwa von Thomas Köck, Enis Maci oder der schon im kommenden Spielplan vertretenen Sivan Ben Yishai sind in Planung. Und auch hier sind langfristige Verabredungen angedacht.
Was davon alles wirklich passiert, ist schwer vorauszusagen. Nimmt man die Pläne für bare Münze, machen sich die neuen Kammerspiele auf, zu einem All-inclusive-Theater zu werden. Sogar an die Wiederaufnahme meine aktuellen Lieblingsinszenierung aus der Münchner freien Szene haben sie gedacht: Lucy Wilkes und Pawel Dudus' "Scores that shaped our friendship". Die Performerin und Sängerin, die mit einer neuromuskulären Erkrankung geboren wurde, gehört außerdem auch fest zum Ensemble.
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Dennoch toitoitoi.
Ich hätte lieber einen neuen Pollesch gesehen, anstatt den Pollesch Imitator Falk Richter.
Zitat aus der gestrigen Kolumne von Michael Wolf.
Und schon im Inhalt und Team spürt und sieht man genau das. Geschichte und Gegenwart, Autorenprogramm und Tanz, Literatur und kollektive Projekte.
Das ist handeln, das ist direkte Aktion. Gratuliere.
Ich bleibe gespannt auf ästhetische Realisierungen der Ideen.
https://www.staatstheater-wiesbaden.de/programm/spielplan/parallelgesellschaften/
http://www.wiesbaden-biennale.eu/event/koi-biennale-campus/
ich wünsche Ihnen einen frohen Start.
Allein mutig habe ich einige Entscheidungen nicht empfunden, so fragt man sich schon ob es mutig ist, Künstler*innen, gerade die der freien Szene in München, zu übernehmen die ohnehin schon bei Lilienthal Fuss gefasst hatten und viele andere ausspart. Auch fragt man sich ob einige der Namen die dabei sind, eher aus einem Sicherheitsgefühl heraus engagiert worden sind? Menschen die ohnehin schon von Festival zu Festival gereicht werden, sollen für weitere Festivaleinladungen sorgen? Vermutlich nicht verwerflich im kapitalistischen System Theater. Sehr bedenklich finde ich allerdings den Kiosk, der als etwas inovatives präsentiert wird, der als eine Nische alles beherbergen soll was normalerweise nicht im Theater vorkommt. Vorsicht ist geboten! Die Erfolgreichen Ausnahmen ins Haupthaus, die anderen in die Nische? Könnte ein Eigentor werden.
Überhaupt gilt noch einmal vieles zu überdenken in diesem Konstrukt. Man versucht vieles richtig zu machen und könnte dabei der Falle der Reproduktion auferliegen.
Viel Glück bei all dem wünsche ich trotzdem!
Ihre Vorstellung von dreckigem Theater klingt für mich vor allem nach einem Theater für und von dem privilegierten Teil der Gesellschaft. Hatten wir davon nicht schon mehr als genug?
Unter dreckig verstehen sie wahrscheinlich "Herrschaft der Angst und Nötigung" und unter blutleer "Oh, meine Vorlieben und Vorurteile werden diskutiert anstatt sofort akzeptiert zu werden"
"Mit oder ohne Maserati"? Was will das heissen? Den Luden will man also auch dabei haben? Dann doch etwas Teilhabe am ausbeuterischen Verbrechen? (ist sicher ironisch gemeint, nö?)
Viele viele koloniale Gesten. Irgendwie ist noch nicht so richtig ins Bewusstsein gerückt, dass viele Künstler*innen aus Ghana, dem Libanon aktuell lieber Unterstützung vor Ort kriegen würde und Inklusion (und Gagenfluss) ermöglicht würde - ohne Flugreisen in einen - aus globaler Sicht - HotSpot der Pandemie. Die Menschen auf unserer schöner Erde wollen in diesen Tagen vieles machen - aber sicher nicht eingeflogen werden nach:
München.
Es ist zu appellieren an all jene, die gefordert haben, nach dieser CoronaKrise muss einiges anders gedacht und gemacht werden. Diese Ankündigungen strotzen vor Vor-Corona Ignoranz und postkolonialen und kolonialen blinden Flecken - und - was es fast noch bedenklicher macht: Von Menschen verkündet,die es eigentlich besser wissen müssten, wenn man ihre Biographien anschaut. Hatte man nun nicht genug Zeit zum Nachdenken im Lockdown?
Daher wird das auch von der vielen Menschen (leider vor allem Männern) bekämpft werden. Weiter Kopf hoch und weiter mutig, offen, schön und wach bleiben.
Kritik ist gut, aber auf Polterei und Hass muss man nicht reagieren.
Erstmal vorweg finde ich super dass ein Überschuss an Frauen das Wort haben werden an den neuen Kammerspielen!
Auch finde ich super dass neue Autor*innen vorkommen sollen und hoffe sehr es werden neue Autor*innen und nicht im Sinne des Systems schon von anderen als gut beurteilt. Das wäre dann innovativ!
Trotz allen Inklusionsgedanken der neuen Kammerspiele, habe ich beim Ansehen des Videos eines nicht spüren können: radikales, gewagtes, mutiges.
Aber das kommt ja vielleicht noch!
Noch hat es für mich den Anschein von Blutleere. Ich hoffe das ist nur unserer Zeit geschuldet und die Kammerspiele werden zu einer Kunst und Künstler*innen Schmiede, die nicht nur versucht diskursiv zu sein und sich an sowieso schon etabliertem zu bedienen.
Die Diskursivität ist leider schon am Wort Postmigrantisch gescheitert, das man im Diskurs um Diversität ja schon gar nicht mehr benutzt, weil Labh auflösen sollten im aktuellen Stand des Diskurses. Aber in München ist so manches aktuell was andernorts schon wieder abgeschafft ist. Hoffen wir dass die Macher*innen nicht ausversehen gegen bereits erzielte Etappensiege, im Sinne der Diversität
Und Inklusion, arbeiten. Ich wünsche viel Kraft und Glück denn die Kammerspiele sind ein Theater das Maßstäbe setzen kann und sollte! Toi Toi Toi euch!!!
Corona wird unsere Diskussionskultur zerstören. Oder hat sie schon zerstört. Es geht nur noch um die besinnungslose Entladung angestauten Frusts oder aus anderen Diskussionen und Zusammenhängen herrührenden erstarrten Meinungen, Vorurteilen, die nicht mehr zum Dialog führen können, ich schrei am lautesten, ich bin am selbstgerechtesten, irgendwie finden es die Männer jetzt also Scheiße, dass Frauen das Programm machen und dann ist mein neuer Lieblinsgpollesch nicht mal dabei und in Hannover auch ne Frau, das geht ja schon mal gar nicht, und dann auch noch ein Schauspeiler, der sogar schon mal Houellebecq gespielt hat, obwohl der doch verboten gehört, der alte Faschist, und dann auch noch Performer, die nicht mal in Deutschland geboren wurden, und das trotz Corona, wo da doch jetzt nur noch national gedacht werden soll und nur noch Künstler aus dem eigenen Land und freie Szene darf nicht am Stadttheater vorkommen, das sagen wir doch nun schon seit 30 Jahren, dass das ganz strikt getrennt werden muss und das wird einfach nicht befolgt, ist ja alles voll scheiße hier, echt, so n Dreck, und wieso bleibt Matthias nicht oder kommt Baumbauer endlich zurück und Baumabuer inszeniert dann mit der Brigitte Hochmair etwas, das auf keinen Fall Houellebecq geschrieben hat oder jemand anderes der auf unserer schwarzen Liste steht und das dann im Bühnenbild von Pollesch mit ganz Viel Dreck und Blut und keinem Diskurs und keinen Frauen und möglichst alles ganz wild aber irgendwie auch Klassisch und Avantgarde und Hochkultur aber alles bitte soll so bleiben wie bei Matthias, aber nur das was mir persönlich am besten da gefallen hat nicht das was mir nicht gefallen hat ... dann würd ich mal hingehen ... macht Euch keine Sorgen: In den nächsten Jahren gibt es in den Theatern so wenig Plätze, Bleibt einfach Zuhause und schreibt wieder Kommentarspalten. Ersatztheater.
(Anm. Red. Ein persönlicher Angriff wurde aus diesem Kommentar entfernt. Christian Rakow / Redaktion)
Der wirkliche Ausraster und von männlicher Aggression strotzender (egal welches Geschlecht du hast) habe ich in deinem Kommentar herausgelesen und empfunden. Da schreibt und spricht große Wut.
Soviel Geschrei war doch bis jetzt gar nicht, das meiste klingt doch relativ reflektiert.
Nicht persönlich nehmen.
können Sie mal offenlegen, wie da so genau Ihre Richtlinien aussehen, nach denen Texte beschnitten werden. Es werden in den Kommentarspalten dauernd Künstler und Künstlerinnen beleidigt, oder es wird ihnen etwas unterstellt oder es wird einfach etwas falsches behauptet - nun schützen Sie also (... einen einzelnen Diskutanten...), aber was ist dann mit den anderen, die hier angegriffen werden? Wie legen Sie das da fest? Es wirkt so, als würde das hier immer nur rein nach Sympathie entschieden - und das finde ich höchst unangenehm
- Sie sind doch verantwortlich für die hier komplett abstürzende Diskussionskultur.
(Liebe*r, O La Palöma Blanca, persönliche Anwürfe, die einen Akteur herabsetzen sollen, fallen unter unsere Ausschlusskriterien. Also „Schauspieler XYZ ist doch ein kläglicher Pfuscher“ oder „Regisseurin ABC zeigt doch seit Jahren nur Mist“ oder „UVW ist ein Theaterpegidist“ - so etwas sollte nicht in den Kommentaren zu finden sein. Angriffe in der Sache sind zulässig und dürfen natürlich auch polemisch zugespitzt werden, solange die Polemik noch diskutabel bleibt. Wir bezwecken ja ein offenes Gespräch über Theater, in dem Haltungen und Positionen kenntlich werden und ein Argumentaustausch möglich ist. Bei Derailing und Verunmöglichung von Diskussion greifen wir moderierend ein oder lassen eben auch Kommentare unveröffentlicht. Es ist völlig klar, dass bei einer vielköpfigen Redaktion Grenzfälle unterschiedlich bewertet werden, und mitunter prüfen wir Kommentare auch mehrfach und in großer Runde und revidieren Entscheidungen nachträglich. Gegen Fehler sind wir natürlich nicht gefeit, auch nicht am Ende eines solchen Prüfungsprozesses. Aber wir geben unser Bestes. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Die Intendanz wird das Haus, sich und München vermutlich in der ersten Spielzeit überfordern, so wie es alle immer wieder machen, wenn sie ein legendäres Haus übernehmen; eigentlich Wahnsinn, dieses Herumklotzen. Bescheidenheit und Demut vor einem Neuanfang?
Aber danach wird‘s vielleicht toll. Ich drücke die Daumen.
»Kunst legitimiert sich durch Neuheit = parasitär, wenn mit Kategorien gegebener Ästhetik beschreibbar.«
der satz wurde in der ddr geschrieben und hatte somit vor 45 Jahren einen anderen sinn als jetzt und hier. zudem von einem künstler gegenüber einem kritiker.
doch wenn ich hier alles lese, frage ich mich, wer sich selbst wie und warum legitimieren will? und ich frage mich warum mittels kunst sich legitimieren? wem gegenüber? kann sich kunst legitimieren durch popularität, ranking, gewinn? was ist somit in den verschiedenen Kontexten von Medien, Netz, Interessensgruppen, Politik, Geldgeber, Branchenspezifiker*innen und allem jenseits der Branche denn entscheidend, prägend, bewertend, anerkennend oder oder... ich bin ratlos, was der Kern der Kunst oder des Theaters ist bei den vielen verschiedenen Stimmen ... und flüchte mich in die welt der poesie...
Man merkt, dass es bei vielen eigentlich darum geht, irgendeine Meinung zu haben, ohne den Inhalt genau zu kennen. Es geht auch manchmal darum, impulsiv oder einfach so dagegen zu sein. Dafür gibt es viele Gründe. Das kenne ich aus der Musikbranche gut. Generell herrscht da seit einigen Jahren eine Art "Ich-bin-gegen-alles-was-andere-machen-Kultur". Es geht nicht um Feedback oder Fragen. Die wenigsten Gründe sind inhaltlicher oder solidarischer Natur. Ist ja okay. Ist halt 2020 und das Zeitalter des Nicht-Zuhörens.
Vorab: Ich bin Musikmensch, seit 30 Jahren in München und je nach Arbeit und Freizeit ein gelegentlicher Theatergänger oder jemand, der öfter ins Theater geht. Ich besuche alle drei großen Theaterhäuser in München gerne. Weniger Klassiker, mehr offene Formen, Experimente oder neue Autorenabende.
Es ist ein ungewöhnlich vielseitiges Programm, was Frau Mundel und ihr Team angekündigt haben. Einige Dokumentarformate, Roman-Abende, alte und neue Autoren, viel Geschichtliches, viel Tanz, eigene Musikproduktionen, Installationen und Stadt-Performances. Das ist eine klare Haltung, die neugierig macht. Das gab es in München noch nie. Es ist gut so.
Zwar gab es in den jetzigen Kammerspielen vieles zu sehen, aber diese Leitung will viele positive Schwünge mitbringen. Das gefällt mir. Corona hin oder her, das wird eine Herausforderung und es ist gut so. Das braucht und verdient München als offene Großstadt. Alles Liebe. Hoffentlich geht's im September wirklich los.
- der Link fehlte leider unter dem Bericht, darum hier für alle, die das Programm nachlesen oder den streram der PK anschauen wollen
(Danke für den Hinweis! – die Links sind nun auch im Text ergänzt. Mit freundlichem Gruß, sd/Redaktion)
nicht nur ist es fatal Lilienthal als State of the Art zu bezeichnen, sondern auch ihn als Massstab für "DAS" radikale zu nehmen. Lilienthal ist ein guter Geschäftsmann das ja! Seine Fancy Mitarbeitenden können popkulturelle Debaten führen und dafür auch Namen einkaufen (Auch Aktivistinnen) die an anderen Orten nicht persönlich auftauchen würden - Aber auch sie sind abhängig von der Institution. Ich gebe völlig Recht dass das Konzept von Mundel eher Vergangenheit als Zukunft ist. Ein postmigrantischer Kiosk ist nicht die Gegenwart, es ist Vergangen, solche Konzepte hat man schon abgearbeitet, alleine schon an den Kammerspielen unter Baumbauer. Auch ist Falk Richter und die paar Autor*innen deren Namen gerade gut verkaufbar sind, nicht wirklich inovativ. Trotzdem möchte ich Frau Mundel etwas unterstellen dass Lilienthal nicht geschafft hat: Eine Anbindung an die Künstler*innen der Stadt. Auch möchte ich ihr unterstellen ein ehrliches Anliegen zu haben inklusiv und divers zu sein. Radikal ist das nicht! Aber das war Lilienthal auch nicht - Bunt war er, ja! Und wusste wen einkaufen lohnt.
Hoffen wir auf eine Zukunft mit guten Projekten und abstrakteren, mutigeren Formen!
Was sind das für Benennungen? Für Zuschreibungen? Vielleicht möchten die Menschen, welche in diesen Betrieben arbeiten, auch keine Besucherinnen mehr, welche lediglich polemisch Daumen rauf oder runter machen können? Ich würde mal grundsätzlich Allen die antreten, solch eine komplexe Aufgabe anzunehmen, den Willen unterstellen, dass Sie uns nicht langweilen wollen. Ob Ihnen das nun privat in den Kram passt...jau, kann sein nicht.
Das aber Künstlerinnen, aus dem Stadttheaterbetrieb stets als langweilig beschrieen werden ist ja nun auch n alter und abgenutzter Hut. Gähn.
ich wundere mich schon über die Aussage "Gibt München denn mehr her?" Die genannten zwei Namen sind nun wahrlich nicht Avantgarde, aber gut darüber lässt sich streiten. Aber ja es gibt in München sehr spannendes Potential, meiner Meinung nach. Da hätte man als mutiges Haus auch einfach mal zugreifen können. Es ist ja auch ein Problem das man generell ansprechen muss, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen institutionalisierter "Freie Szene" und tatsächlich freier Freie Szene. Das was als "Avantgarde" Freie Szene verkauft wird, ist ja in Wahrheit nur auch wieder im Mühlenrad der Institutionen und somit aber sichtbar! Und das finde ich persönlich sehr bedenklich, wenn es um die Frage geht: Was ist Kunst? Was ist Avantgarde? Weil eine wahre Öffnung bedeuten wird, wirklich hinzusehen und nicht in Kategorien zu denken.
Anja:
Ich hätte gedacht, Lilienthal wäre mutiger. Ein Mann mit seinem Standing. Das Leitungsteam ist alles andere als divers. Das Motto bleibt: weiß/männlich/bürgerlich. Mit SheShe Pop und Rimini kommen zwei freie Gruppen, die sich in den letzten Jahren auch nur noch wiederholt haben. Ich hoffe, da kommt noch frischer Wind rein.
brandenburgerbub:
"...neu, aber als Ganzes ist das Programm überraschungsarm..." dito,
und dazu die vielen wunderbaren schauspieler aus dem ensemble, die nicht verlängert wurden ...
Martin:
Das Programm, die Macher, die Reihen (Bicker-Stadtprojekt!), das wirkt alles wie eine Mischung aus BaumbauerSimons und dem Best of Off der letzten 10 Jahre. Und ist dabei doch nur irgendwie austausch- und vorhersehbar und nicht einmal ein kleine Revolution (selbst für Münchener Verhältnisse). Das Peaches-Musical kam vor Jahren am HAU raus, die freien Gruppen - SheShePop, Gob Squad und vor allem Rimini Protokoll - sind allesamt arriviert und schon lange im Establishment angekommen bzw. arbeiten längst seit Jahren mit Stadt- und Staatstheatern. Castorfs Volksbühne ist da heute noch progressiver. Da hatte ich mir mehr erhofft...
Ensemble-Fan:
Die "bestgelaunteste" freie Gruppe der Welt? Oje, Herr Lilienthal, was sagen denn die nichtverlängerten wunderbaren Schauspieler der Kammerspiele, ein Wolfgang Pregler etwa, zu diesem neuen Marketing-Slogan? ...fragt ein zutiefst enttäuschtester Ensemble-Fan
Vorhang.
#38 Und ist alles zugetroffen. Was war mehr als aufgebläht Diskurs und dann noch die fancy Preisverleihungsshow gegen Ende um das auch noch zu gerechtfertigt. Vor allem um Lilienthal noch als Helden zu feiern und München wieder als die Kunstlooser Hinterwäldleratadt darzustellen. Auch #37 eine Frage. Sie scheinen ja nur Projekte in der Kammer gesehen zu haben? Die letzten Jahre schon mal im Hoch X gewesen? Da gab es von spannend konsequenter Form zu FREIEREN Formaten und auch spannendem Tanz und Diskurs. Freie Szene in München findet eben nicht in der Kammer statt und das stattfinden in der Kammer legitimiert nicht dessen Qualität. Und zu #34 Ein Stadttheater bedeutet eben auch viel Stress und Verantwortung. Alle abzudecken und die freien Künstlerinnen zu entdecken einer Stadt braucht Zeit und ich bin überzeugt Barbara Mundel und Team werden sich die Zeit nehmen und die Stadt entdecken. Ich habe große Hoffnung in die Zukunft!
diese Frage finde ich sehr spannend und interessant. Ich möchte und werde keine Namen nennen weil ich es falsch finde bestimmte Künstler*innen hervorzuheben und andere wegfallen zu lassen - gerade wenn es um die Freie Szene geht. Ihre Frage lässt mich aber auf einen anderen Gedanken kommen. Wenn sie ernsthaft fragen wer ausser den von Ihnen genannten zwei Namen noch spannend sei in München, bestätigen Sie eigentlich etwas... Sie benennen die zwei die an den Kammerspielen ihre Projekte zur Aufführung brachten und (gerade im Theaterbereich) auch sehr gut austariert haben was auf diversen Freie Szene Festivals ankommen würde, interessante Sachen teilweise - gerade Konietzky, aber mit Ihrer Frage übergeben Sie den Kammerspielen die Deutungshoheit nach guter Kunst: Die guten kommen in die Kammer, die schlechten sind irgendwo...und das finde ich eben in der Ära Lilienthal eines der größten Problematiken. Schade dass Sie nicht weiter über die Grenzen hinaussehen konnten. Und ich plädiere dafür da nochmal genau hinzusehen und hoffe dass das auch die neue Intendanz tun wird - wobei Sie im Moment ja auf Nummer sicher gehen. Ja ich gebe recht, es gibt in München viel verstaubten Schrott - Aber gerade in der eigentlichen Freien Szene auch sehr talentierte und eigenwillige Arbeiten. Es geht ja darum: Wer an der Kammer etwas macht bekommt die Aufmerksamkeit und wird gesehen. Alle anderen gehen unter. Umgekehrt stelle ich die Frage: Hätten einige Stücke an den Kammerspielen z.b. Anta Helene Reckes Stücke den Erfolg gehabt in der wirklich Freien Szene in München? Hätten Sie es angesehen? Das Problem ist das vermutlich kein Hahn danach gekräht hätte und es untergegangen wäre. Anderes hätte in der Freien Szene Versagt weil es zu sehr "Theater" gewesen wäre aber in den Kammerspielen funktioniert. Das stelle ich mal so in den Raum und grüße Herzlichst.
Und was haben Sie im Hoch X angesehen?
Beispiele?
lg
Aber Arbeiten von westfalen z.B der über die Sexualität von Menschen mit Behinderung erzählt hat, die überaus großartige und Zukunft versprechende Arbeit von Ayșe Güvendiren, das Tanzprojekt von Frau Chatterjee oder auch das journalistische Theater der mutigen Christiane Mudra oder auch versuche der Münchner TheatertexterInnen hat kein Genie aber doch Potenzial gezeigt. Das ist doch auch sehr persönlich was man gut findet. Ich frage mich einfach wer die Kriterien erstellt was gut und schlecht ist. Die von Ihnen genannten Namen haben Sie aus welchem Grund benannt?