Theaterpodcast (26) - Drama in der Krise: Was Theaterautor*innen jetzt schreiben. Mit Necati Öziri und Gerhild Steinbuch
Schreiben ist wie Atmen
11. Juni 2020. Überschlagen haben sich die Ereignisse zuletzt für die Theater. "Hurra, wir spielen wieder!", tönt es nach fast drei Monaten Corona-Shutdown allerorten, und groß ist die Freude über Aufführungen im Freien oder vor lose bestuhltem Parkett. Wer aber erzählt diese überstürzte Gegenwart fürs Theater? Die AutorInnen Gerhild Steinbuch und Necati Öziri fragen wir im Theaterpodcast warum - und was – sie gerade fürs Theater schreiben, weshalb das Theater heute keine moralische, sondern eine empathische Anstalt sein sollte, und inwiefern ein zeitgemäßes Autor*innen-Theater mit kollektiven Strukturen verbunden ist.
Die Halbwertszeit von Krisen-Dramen
Drei Theater (Wien, Bochum, Graz) haben Aufträge für Mini-Dramen zur Krise vergeben. Die gemischten Ergebnisse gibt’s als Video-Clips im Internet. Ist das mehr als eine gut gemeinte Beschäftigungsmaßnahme – und wie steht’s um die Halbwertzeit solcher Corona-Texte? Sind sie mehr als nur ein "historisches Dokument"?
Für die österreichische Dramatikerin Gerhild Steinbuch (Gründungsmitglied von "Nazis und Goldmund") verweisen die entstandenen Arbeiten auf "Strukturen und Problematiken", die schon vor Corona da waren – etwa restriktive Maßnahmen und eine "Rhetorik der Angst" seitens der österreichischen Regierung.
Politisches Theater muss postmigrantisch sein
Auch Necati Öziri befasst sich nicht erst seit den Anti-Rassismus-Demonstrationen mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen. Seit Jahren schreibt er zu Themen wie Rassismus, Männlichkeit oder Faschismus, die derzeit so brennend aktuell sind. Er ist überzeugt: "Jedes politische Theater muss immer ein postmigrantisches Theater sein", denn: "Eine Gesellschaft kann sich nie besser verstehen, als durch den Blick der Marginalisierten."
Welche Modelle zur Autor*innenförderung sind nachhaltig? Warum sind gemeinsame Entwicklungsprozesse von Theatern und Schreibenden wichtig? Welchen Zeitdauern unterliegen Theatertexte? Der Theaterpodcast #26 über das Schreiben für die Bühne.
Alle bislang erschienenen Folgen des Theaterpodcasts finden sich hier.
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Eine solche Prägung ist in einer Saison weder sichtbar noch spürbar zu machen, sondern schafft bestenfalls Nachfolger/innen, die sich dem/r Vorgänger/in weiterführend verpflichtet fühlen (sollen), dient also der Ent-Individualisierung von AutorInnen.
Eine solche von biografisch grundierter Individualität einer/eines Autor zugelassene eindeutige Prägung eines Hauses für einen längeren Zeitraum, hat sehr viel mit Empathie für eine/n Einzelne/n zu tun, die sich anders gar nicht darstellen lässt. :Wenn in einem Kollektiv jeder auf jeden und außerdem auf jede darzustellende Figur empathisch reagiert, ist die Empathie als emotionale/intellektuelle und daher auch als politische Leistung gar nicht sichtbar zu machen. Es geht aber um Sichtbarmachung in der d a r s t el l e n d e n Kunst. Deshalb heißt die so.
Autor/innen, die in theaternahen undoder literaturnahen Kollektiven denken undoder schreiben möchten, weil sie das wollen oder brauchen, sollen das tun.
Autor/innen, die das nicht möchten, weil sie das nicht wollen oder brauchen, sollten aber deshalb nicht sowzusagen als Alt-Modelle ausgeschlossen werden.
Es ist ein Irrtum, dass sich Um-Welt nur dann mitschreibt, wenn man vernetzt - sowohl freundschaftlich als auch zusammenarbeitend - ist in AutorInnen-Kollektiven.
Um-Welt schreibt sich IMMER mit und es gibt Netzwerke, die nicht so einfach zu sehen sind oder sich so angenehm leichtverständlich vermitteln, wie so ein blasenhaftes wirdenkenundfühlenallesounsagbarähnlichalsAutorInnenunddasistauchgutso...
Die Autorität eines Textes kann überaus produktivierend wirken, wenn man sie zunächst erst einmal anerkennt. Öziris kritische Kleist-Überschreibungen wären sicher nicht entstanden, würde er die Autorität von Kleists Texten nicht anerkennen! - zum Beispiel... In Anlehnung an Brecht und Müller kann man auch im diesem Fall sagen: Kleist benutzen, ohne ihn zu kritisieren, ist ein Verbrechen...
Und ja, ganz genau, laut und deutlich:
Ein Autor/innen-Theater ist ein Theater, das explizit von mindestens einer/m Dramatiker/in geleitet wird. Nein, nicht von einem Dramatiker-Regisseur!, und auch nicht nur mit-geleitet, bitte, sondern geleitet.
Bitte. Gern geschehen.
Schreiber, der sich gegen die kollektiven Strukturen wehrt mit denen er
verbunden ist. Ein Drama zur Krise (O Virus!) schreiben? Es würde ihm
nicht im Traum einfallen.
Thomas Bernhard (mit seinem unzerstörbaren Zerstörungs-Furor) bei einer Preisverleihung. . .
Bei dem Festakt war der Geehrte zunächst nicht erkannt (!) und nach der Veranstaltung fragte die schwatzende Ministerin (mit unnachahmlicher Arroganz und Dummheit in der Stimme): "Ja, wo ist denn der Dichterling?"
Er stand stumm neben ihr und verließ mit der Tante den Saal. (Ja, wo ist denn der Dichterling? von Anne Willander 2OO9 PRINT (WAMS))
Wo ist denn der Dichterling? - Also nein, Bernhard - ein Dichterling! - Wo sind denn jetzt die unsterblichen Virus-Krisen-Dichterlinge? Bleibt nur schön zeitgemäß, es könnte ja sein dass ihr Erfolg habt damit.
Ein Mensch hat immer einen Körper, aber nicht jeder Körper ist ein Mensch. Ein Körper ist ein dreidimensionaler Gegenstand, der mindestens eine Länge, eine Höhe und eine Breite hat. Er hat einen Rauminhalt, der mehr oder weniger verdichtet ist und eine Masse bildet. Er ist also mehr oder weniger ein Fest-Körper. Je nachdem wie groß und schwer er ist, kann er durch äußeren Einfluss bewegt werden von A nach B. Zum Beispiel. Das Besondere an einem Menschen ist, dass er einen Körper hat, der kein Gegenstand ist, obwohl er einen Rauminhalt und eine Masse hat und obwohl er ebenfalls durch äußeren Einfluss bewegt werden kann. Was den Menschen vom Gegenstand unterscheidet, ist, dass er sich von selbst, aus innerem Antrieb und innerer Vernetzung seines Bewegungsapparates mit seinem Gehirn selbst bewegen kann.
Jede Person ist ein Mensch. Aber nicht jeder Mensch ist für jeden anderen Menschen und sich selbst auch eine Person. Eine Person ist ein Mensch, der von sich selbst weiß, dass er ein Mensch ist und sich anderen gegenüber so verhält, dass diese keinen Zweifel haben können, dass er von sich selbst weiß, dass er ein Mensch ist.
Das Besondere am Schauspiel und besonders auch am Puppenspiel ist, dass es mit einem Zweifel, was genau Körper, Mensch und Person ist, SPIELT. Weil es viel Spaß macht, mit diesem Zweifel zu spielen. In der Dramamtik erfindet man zu diesem Zweck auch Figuren. Damit SchauspielerInnen Spaß daran haben können, an ihnen und ihren Handlungen und Wortäußerungen in bestimmten Situationen, die man auch erfindet, zu zweifeln und das auch darzustellen. Und damit dann das Publikum auch Spaß haben kann, an seinem Zweifel, ob SchauspielerInnen, die ihnen was Zweifel-haftes vorführen, nun Körper, Personen oder Menschen sind, die sich selbst öffentlich wie irgendwelche Gegenstände, die Festkörper sind, behandeln und bewegen können...
Der Witz ist, dass man durch Puppen - das sind so Art Stellvertreter-Schauspieler - auch wenn es Gegenstände sind, ein Rasierpinsel zum Beispiel, mit dem man spielen kann, als sei er eine Puppe- lernen kann, was richtig gutes Schauspiel ist.
Wenn man aber über Schauspiel redet, wie zum Beispiel in der Theaterkritik, sollte man die Begriffe Körper, Person, mensch nicht synonym verwenden. Weil man sonst die Qualität einer schauspielerischen Leistung nicht genau beschreiben kann und dann nicht hilfreich genug sein kann für das Theater. Und auch nicht für das Publikum. Für das reale nicht und das optionale auch nicht.
Sagt meine beste Freundin Eliza, dass ihre allerbeste Freundin D. Rust das gesagt hat als Antwort auf die Frage von Frage...
(Hallo! Danke für die Frage. Die Unterscheidung kommt m.W. nicht nur aus der Wissenschaft, sondern auch aus der Praxis. Wir meinten mit dem Körper explizit das 'Instrument', das ein*e Schauspieler*in professionell zu spielen lernt, d.h. Gestik, Mimik, Bewegung, Stimme, um eine Rolle über das rein Gedankliche, also Sprache und Inhalt, hinaus zu gestalten. Jeder Mensch und jede Person darf auf die Bühne, aber Schauspieler*innen und Tänzer*innen haben, jenseits dieser allgemeinmenschlichen Präsenz, einen speziell für diese Situation ausgebildeten Körper. Ist das so verständlich? Andernfalls gerne nochmal kommentieren. Herzliche Grüße, Elena Philipp)