Das Gesprächsprotokoll entstand im Rahmen des Überblickstextes: Zur Lage der deutschsprachigen Schauspielschulen unter den Corona-Schutzverordnungen.

 

Online ist wie eine Schnapspraline

von Holger Zebu Kluth

22. Juni 2020. Wir beginnen jetzt langsam wieder, die Hochschule zu öffnen für den Unterrichtsbetrieb. Für den dritten Jahrgang der Schauspielstudierenden, die aufs Abschlussvorsprechen hinarbeiten, ist es am dringlichsten, wieder in die praktische Arbeit reinzukommen.

Holger Zebu Kluth Foto privat kleinHolger Zebu Kluth © privatSie proben unter den vom RKI und der Corona-Verordnung des Berliner Senats vorgegebenen Hygienebedingungen, also mit 1 ½ Meter Abstand zu jedem Zeitpunkt, fürs Spielen rechnen wir 20 Quadratmeter pro Person. Ein normaler Probenbetrieb ist so nicht möglich, aber immerhin kann man sich mal wieder zusammen in einem Raum treffen. Etwas anderes, als diese Vorgaben vorsichtig zu lockern, soweit es geht, und zu gucken, wohin das führt, bleibt uns im Moment nicht übrig.

Körper und Kopf

Der meiste Unterricht, der an unserer Schule abgehalten wird, braucht die physische Zusammenkunft. Eine Schauspielausbildung lässt sich nicht ernsthaft online bewerkstelligen. Das Vor-der Kamera-Spielen holt das Schauspiel aus dem Körper raus in den Kopf, wo wir normalerweise das Gegenteil machen. Da ist der Online-Unterricht also fast kontraproduktiv. Und selbst wenn wir sehr viel online unterrichten könnten, würden wir es nicht tun, weil wir damit unser Kerngeschäft verraten würden. Darauf haben wir uns zu Beginn der Corona-Krise im Berliner Hochschulverbund verständigt.

In Berlin ist die Situation im Ländervergleich eine sehr gute gewesen, weil uns freigestellt wurde, ein "Nullsemester" einzulegen, so dass alles möglich ist, ohne dass den Studierenden Nachteile entstehen.

Das Engagement der Studierenden

Die Berliner Kunst-Hochschulen UdK, KHB, Hanns Eisler und Busch stehen in regem Kontakt, wir sprechen uns ein bis zweimal die Woche, im Moment vor allem, um uns darüber zu beraten, wie wir die Lockerungen in den Corona-Vorgaben für uns umsetzen können. Im Bildungsbereich sind sie eher auf den Betrieb an den großen Unis ausgelegt, wir müssen da also Übersetzungsarbeit leisten.

Eine Beteiligung der Studierenden an der Gestaltung der Rahmenbedingungen des Ausnahmezustands halte ich aber für nicht so sinnvoll, weil Corona-Regeln ja nicht wirklich diskutierbar sind – auch wenn eine solche Beteiligung gerade verstärkt eingefordert wird, die Studierenden sind nämlich in der Krise politisch engagierter als vorher, auch weil sie schlicht und einfach mehr Zeit dafür haben. Ich bin gespannt, wie nachhaltig dieses Engagement ist.

Angst, der "verlorene Jahrgang" zu werden

Wir haben an der HfS "Ernst Busch" die Online-Kanäle vor allem dazu genutzt, um uns weiterhin als große Familie/Ensemble zu treffen und auszutauschen. Dabei artikulierten die Abschluss-Jahrgänge die Angst, ein "verlorener Jahrgang" zu werden. Und ich konnte ihnen nur sagen: Wir haben als Schule ein hohes Interesse daran, dass ihr gut unterkommt. Verlasst euch darauf. Aber was jetzt kommen wird und wie das genau laufen wird, wissen wir eben auch noch nicht. Wir kommen jetzt gerade in die Diskussion, wie und wann wir die Intendanten-Vorsprechen organisieren. Die Theater und Intendant*innen sind ja auch unter Stress, und ich glaube, am wahrscheinlichsten ist es, dass wir das auf 2021 verlegen werden.

Auch für die anderen Jahrgänge werden zumindest in der nächsten Spielzeit Chancen wegfallen, sich einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Ich rechne nicht damit, dass die Kooperationen zum Beispiel mit dem BE und dem DT in der bisherigen Form stattfinden werden.

Ein Trost ist vielleicht: Wenn die Theater wieder anfangen zu spielen, werden die Älteren im Ensemble zur Risikogruppe gehören, das könnte neue Chancen für den Nachwuchs bieten.

Online und was man vermisst

Auch die neuen Jahrgänge werden im Herbst natürlich unter anderen Bedingungen anfangen. Es wird zunächst schwieriger sein, einen Jahrgang als Ensemble zu bilden. Aber die Studierenden sind ja vier Jahre bei uns, dafür ist also noch Zeit. Ich hoffe sehr, dass die Corona-Krise nicht so lange dauern wird, denn dann können wir die Theater zumachen und das ganz lassen. Für die Zwischenzeit wird man andere Wege und Spielweisen finden.

Die vielen Online-Projekte, die in den letzten Monaten aus dem Boden geschossen sind, finde ich toll. Was davon auf Dauer überlebt, wird sich zeigen. Und danach richten wir uns in der Gestaltung unseres Lehrplans. Ich persönlich habe allerdings bei vielen Online-Formaten das Gefühl, als würde ich als Alkoholiker an einer Schnapspraline lecken. Man merkt vor allem, was man vermisst. Die Richtung sollte jetzt also erstmal sein, dass die Theater wieder auf die Beine kommen als Live-Spielstätten.

(aufgezeichnet von Sophie Diesselhorst)

 

Holger Zebu Kluth, geboren 1962, ist seit 2017 Rektor der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch". Er war in den 1990er Jahren u.a. Dramaturg am Berliner Hebbel-Theater und gründete 1995 gemeinsam mit Sasha Waltz, Jochen Sandig und anderen die Berliner Sophiensaele. 1996 bis 2001 war er Künstlerischer Leiter des Theater am Halleschen Ufer, des heutigen HAU 2. 2004 bis 2017 war er Geschäftsführer der Stäitsch Theaterbetriebs GmbH, die u.a. die Hamburger Kammerspiele, das Altonaer Theater und das Harburger Theater betreibt sowie die bundesweiten Privattheatertage veranstaltet.

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