"Richard III." am Thalia Theater Hamburg

25. Juni 2020. Weil die Theater nur sehr allmählich wieder Türen, Tore und Bühnen öffnen, stellt nachtkritik.de noch bis Juli einen digitalen Spielplan aus Mitschnitten von Inszenierungen zusammen: Vom 25. Juni 18 Uhr bis zum 26. Juni 18 Uhr zeigen wir "Richard III." von William Shakespeare in der Inszenierung von Antú Romero Nunes, Premiere am Thalia Theater Hamburg war am am 29. Oktober 2016 (hier die Nachtkritik).

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Zum Stück auf der Webseite des Thalia Theater Hamburg:

"Als Frühgeburt aus dem Mutterleib verstoßen, hinkt Richard durch die Welt. Er plant den großen Auftritt: als skrupelloser Dreckshund im Königsdrama – eine Krone ist doch ein schönes Ding! Richard wäre gerne König. Aber die Erbfolge steht ihm im Weg. Es regiert sein Bruder Edward IV. und auch sein anderer Bruder George ist noch vor ihm an der Reihe. Dazu dieser und jener Rivale, der beseitigt werden muss.

Richard braucht List, Energie und das kalte Lächeln des Siegers. Von allem hat er allerdings mehr als genug. Ein schurkischer Politdarsteller zwischen Sein und Schein, verfolgt er seine Pläne virtuos, macht selbst sein Publikum zum Komplizen. Ein Wortverdreher. Wer ihm zuhört, schwankt zwischen Schwindel und Schwäche, denn Richard kichert und kläfft wie ein Bluthund. Seine Lust ist eine bizarre Feier der eigenen Legende: 'Richard liebt Richard'. Abgrundtief grausam und zynisch bahnt er sich seinen Weg zur Macht, zum Tyrannen Richard III.

Ist er die gottgewollte Geißel, die zur Bestrafung Englands gesandt wurde? Die Rache Gottes an der Welt? Einer Welt im Wahn- und Wirrsinn? Dreißig Jahre dauerten die Rosenkriege der rivalisierenden englischen Adelshäuser York und Lancaster. Immer wieder Kriegsgeheul, Triumphgeschrei und Königsstürze nach kurzem Friedenstralala. Bis in der letzten Schlacht Richard III. sein Königreich gegen ein Pferd eintauschen will und die Dynastie des Hauses York endgültig in den Untergang führt.

Antú Romero Nunes, Hausregisseur am Thalia Theater, inszeniert mit Richard III. seinen ersten Shakespeare: 'Nicht ohne Grund sind Shakespeares Stücke wie Richard III. und Macbeth heute Inspirationsquellen für Politdramen wie die amerikanische Serie House of Cards, mit dem Unterschied, dass Shakespeares Figuren noch größere  Meister auf der Klaviatur von Gier, Sex und Korruption sind.'"

 

In seiner Nachtkritik beschrieb Stefan Schmidt den Abend als "gespentischen Theaterzauber, der sich mit seinem auftrumpfenden Hauptdarsteller auch am Südufer der Themse sehen lassen könnte. (...) Das Thaliaensemble verwischt auf geradezu gespenstische Art und Weise die Grenzen von Zeit und Raum und erweckt tote Machtspieler zu neuem Leben. Verflucht gut."

 

Richard III.

von William Shakespeare
Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Antú Romero Nunes, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Judith Hepting, Musik: Johannes Hofmann, Licht: Paulus Vogt, Kampfdramaturgie: Klaus Figge, Dramaturgie: Matthias Günther.
Mit: Lisa Hagmeister, Mirco Kreibich, Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Paul Schröder, Catherine Seifert, André Szymanski, Victoria Trauttmansdorff.
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause

www.thalia-theater.de

 

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Kommentare  
Nachtkritikstream Richard III.: mühelos
Aus meinen ATB:
(...)
Gestern eine Aufzeichnung RIII von Nunes (Thalia HH). Während ich den Odysseus sehr schön gespielt und deshalb über längere Strecken unterhaltsam fand, aber aus dramaturgischer Sicht vollkommen unsinnig, ging mir das beim RIII vollkommen anders: Hier hatte die Einbettung der Spielfreude – ja nahezu Spielwut – ein ebenso starkes dramaturgisches Motiv wie Text-Fassung, Ausstattung, Bühnenmusik. Ich habe noch nie einen Schauspieler bisher erlebt, der eigene Text-Hinzufügungen aus dem Untertext so organisch ins Spiel eingebracht hat, dass es nicht störend, wie ein Fremdkörper oder als Kapitulation vor der Aufgabe des zu bewältigenden Darstellungsdetails gewirkt hat, wie diesen Richard Gloster! - Die Trommelidee und die Benutzung der Trommel wie ein Pferd, das diesen RIII gleichsam zum wütigen, auch posthum in die Gesellschaft hineinwirkenden, Reiterdenkmal macht, ist ganz ausgezeichnet. Nunes scheint ein Regisseur zu sein, dem mühelos Übersetzung von gesellschaftlichen Konstellationen in ein die Inszenierung prägend grundierendes Bild gelingt. Das befreit die Leute dann zu einem offeneren Ensemblespiel, weil nicht die ganze Last der Interpretation auf ihrem Zusammenspiel liegt, das immer die Körper ausbremst und SchauspielerInnen veranlasst, diese innere Bremse, für die sie gar nicht verantwortlich sind, vertuschen zu müssen…
Ich habe oft Einwände gegen die Brasch-Fassungen, weshalb ich sie nicht 1:1 übernehmen könnte, müsste ich, aber sie ist Nunes und seinem Team oft mit eleganter Brachialität gelungen. Ausgezeichnet fand ich die gestische Übersetzung der weggelassenen Verfluchungs-Orgie am Schluss. Das ist heute nicht mehr ohne Erörterung zu vermitteln, wie sehr in früheren Zeiten die bekennende Verfluchung durch einen anderen eine Seele in echte und existenziell schwere Nöte bringen konnte und das ist in dieser Inszenierung ganz und gar gestisch geworden durch den gezeigt vorgestellten Kollektivmord an Gloster.
Der Schluss zieht sich ein bisschen zu lang, das ist schwer zu lösen gewesen – Weniger Epilog wäre besser gewesen, denn die Stimme des Schauspielers passte nicht gut dazu, der Abgang mit der Krone stark – Die überhaupt sensationell gut!!! Als Bild, aber auch als Ausbruch aus dieser egalen Kronen-Vulgarisierungs-Abwechslungs-Verlegenheit mit all diesen Papp-, Papier-, Verkehrtherum-, Clownsnasenkombi-Kronen über Jahrzehnte: Diese Krone sagt so viel mehr! Sie setzt archaische Zeitbezüge, sie ver s i n n bildlicht den Gehörnten als Teufel und den Gehörnten als von Frauen Betrogenen, die Jagd nach dem Wild Alleinherrschaft und als Zeitvertreib des Adels zwischen den Kriegen…
Nicht zuletzt eine ungeheure Qualität dieser Inszenierung: Das Spiel mit der Vorstellung! von der körperlichen Einschränkung Richards, das immer die Möglichkeit offenlässt, dass sie in Wirklichkeit nicht existierte! (eine Interpretation, die ich beim Lesen immer bevorzugte!). Und: Das Spiel mit der Vorstellung der Spielweise des Shakespeare-Theaters als jahrmarkttauglichem Volkstheater! – Dies macht das Ganze zu einem angstfreien Knallchargenparcours im besten Sinne, in dem das soziale Gefälle innerhalb der Personage immer eindeutig sichtbar bleibt und dem Publikum die Vorstellung von den seelischen Verletztheiten der Figuren, die sie im Einzelnen in ihre Worte und Handlungen treiben, anheimgestellt wird. Eigentlich das Prinzip des Epischen Theaters, dem gerade die Deutschen immer so bleischwer huldigen wollen - hier wirkt es federleicht. Wie schön.

(...)
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