Wider die Intoleranz

8. Juli 2020. Mit einem Offenen Brief für Redefreiheit ist eine internationale Gruppe von Schriftsteller*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen an die Öffentlichkeit gegangen. In dem auf der Website des Harper Magazines veröffentlichten Schreiben mit dem Titel "Für Gerechtigkeit und Offene Rede" heißt es: "Der freie Austausch von Information und Ideen, der Lebenssaft einer liberalen Gesellschaft, wird täglich weiter eingeschränkt. Während wir das von der radikalen Rechten bereits gewohnt sind, breitet sich die Zensur auch in unserer eigenen Kultur immer weiter aus: eine Intoleranz anderen Ansichten gegenüber, ein Trend zu öffentlicher Beschämung und Ausgrenzung, eine Neigung, komplexe politische Themen in moralischer Selbstgewissheit aufzulösen."

Weiter schreiben die Autor*innen: "Die Beschränkung der Debatte, egal ob durch eine repressive Regierung oder eine intolerante Gesellschaft, schadet immer denen, denen es an Macht mangelt, und befähigt alle weniger zur demokratischen Teilhabe. Der Weg, schlechte Ideen zu besiegen, verläuft über das Entlarven, Argumentieren und Überzeugen, nicht über den Versuch, sie zum Schweigen zu bringen oder wegzuwünschen. Wir lehnen jede falsche Wahl zwischen Gerechtigkeit und Freiheit ab, die nicht ohne einander existieren können. Als Schriftsteller brauchen wir eine Kultur, die uns Raum für Experimente, Risikobereitschaft und sogar für Fehler lässt."

Zu den Unterzeichner*innen des Schreibens gehören neben Wissenschaftler*innen wie Noam Chomsky oder Steven Pinker auch zahlreiche Schriftsteller*innen wie Salman Rushdie, Greil Marcus, Daniel Kehlmann, Margaret Atwood oder "Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling, die unlängst Gegenstand von heftiger Kritik war, nachdem sie auf Twitter eine Genderdebatte losgetreten hatte.

(harpers.org / chr)

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Kommentare  
Redefreiheit: überfälliger Aufruf
"Der Weg, schlechte Ideen zu besiegen, verläuft über das Entlarven, Argumentieren und Überzeugen, nicht über den Versuch, sie zum Schweigen zu bringen oder wegzuwünschen" - ein wirklich überfälliger Aufruf angesichts einer Debatte, die immer öfter formuliert, was wir auf der Bühne nicht (!) sehen sollen (Blackfacing, toxische Männlichkeit...), was wir nicht sagen sollen und welche Denkmäler aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden müssen. Die Auswüchse des gesamtgesellschaftlichen "Cleanings" erinnern dabei durchaus an die Geschichtspolitik in der ehemaligen DDR, die z.B. preußische Denkmäler erst schleifen lies, um sie Jahrzehnte später wieder aufzubauen, aber eine echte Debatte über historische Kontinuitäten tunlichst vermeiden wollte.
Redefreiheit: von der Geschichte überholt
Tja, wie es in den Wald schreit....Wer derartige Briefe verfasst zu vermeintlich gefährdeten Redefreiheiten und dabei dann in dieselben altbekannten, reaktionär vorgeschobenen Opfermechanismen tappt, der oder die muss sich leider auch nicht wundern, Beifall aus Ecken zu provozieren, die man wohl gar nicht gemeint haben will...

Gesamtgesellschaftliche Debatten sind wichtig, Streit ist wichtig. Ein Vorankommen in lebendigen Debatten aber auch. Wer unbedingt an Altem festhalten will, weil es anscheinend wahnsinnig schwer ist einzusehen, dass sich Gesellschaften, Sprache, Kulturen und auch Geschichichtsbilder verändern und entwickeln, der wird es vermutlich eh tun. Aber dann bitte ohne Scheindebatten zu befeuern, was man alles vermeintlich nicht (mehr) sagen darf, nur um genau das dann immer und immer wieder lautstark zu wiederholen und zu reproduzieren...
Aber Reisende soll man ja bekanntlich nicht aufhalten....sollen sie doch weiter durch ihre toxische Nostalgie wandern und sich darüber ärgern, dass man einfach ihre Meinungen nicht mehr ernst nimmt... Auch wenn sie es vermutlich noch nicht gemerkt haben, sie wurden längst und werden eh von der Geschichte überholt...
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